Haftung aus pVV bei Nebenpflichtverletzung aus dem Kaufvertrag: Anwendung von § 477 BGB sowie § 377 HGB?
BGH, Urt. v. 28.4.1976, VIII ZR 244/74
Fundstelle:

BGHZ 66, 208


Amtl. Leitsätze:

a) Zur Frage, welche Sorgfalt der Verkäufer geladener und gefüllter Batterien bei ihrer Versendung im öffentlichen Straßenverkehr zu beachten hat
b) Hat der Verkäufer bei Lieferung einer mangelhaften Ware oder eines aliud zugleich eine vertragliche Nebenpflicht verletzt (hier durch Auslieferung geladener und gefüllter Batterien ohne Verpackung), so werden die auf dieser Verletzung beruhenden Schadensersatzansprüche nicht durch eine rügelose Annahme ausgeschlossen. Sie unterliegen auch nicht der kurzen Verjährung (§ 477 BGB).



Zentrales Problem:

Ansprüche auf Ersatz von Mangelfolgeschäden kann ein Käufer aus § 463 BGB herleiten, wenn der eingetretene Schaden von der Reichweite der Zusicherung umfaßt ist, was durch Auslegung zu ermitteln ist. Liegt keine Zusicherung vor, haftet der Verkäufer für Mangelfolgeschäden aus pVV. Darauf finden aber grundsätzlich § 477 BGB und § 377 HGB entsprechende Anwendung (vgl. BGHZ 101, 337 = NJW 1988, 52, BGHZ 77, 215; Verjährungsbeginn mit "Ablieferung"). Argument: Der Verkäufer darf nicht schlechter stehen, als habe er die Eigenschaft zugesichert. Wenn sich allerdings die Nebenpflichtverletzung nicht auf eine mangelbegründende Eigenschaft bezieht, sondern auf sonstige (Nebenpflichten), finden §§ 477 BGB und § 377 HGB keine Anwendung. Dies war vorliegend der Fall, weil die Verletzung einer mangelunabhängigen Pflicht (Pflicht zu ordnungsgenäßer Verpackung) vorlag.


Sachverhalt:

Die Klägerin ist Haftpflichtversicherer der Spedition L. in K. Ende Juni 1968 kaufte diese bei der Beklagten zu 1 einen für ihre Zweigniederlassung in Le. bestimmten Gabelstapler, der dorthin - und zwar zunächst ohne Batterien - ausgeliefert wurde. Im Juli 1968 bestellte die Firma L. alsdann bei der Beklagten zu l zwei geladene, aber ungefüllte Batterien, die sie selbst in betriebsbereiten Zustand setzen wollte. Die Beklagte zu 1 gab die Bestellung an die Beklagte zu 2 - ein Akkumulatorenwerk - weiter, bestellte dabei jedoch versehentlich gefüllte Batterien. Die Beklagte zu 2 lieferte diese Batterien entsprechend der ihr erteilten Bestellung, aber ohne Verpackung und ohne äußerlich sichtbaren Hinweis auf den Ladungszustand an die Vertragsspedition der Firme L. aus, die die Batterien mit dem Lkw nach K. brachte. Dort wurden sie von dem Lademeister der Firma L. zusammen mit anderem Stückgut auf den Anhäger eines Lastzuges dieser Firma geladen, der sie am 12./13. Juli 1968 zur Zweigniederlassung Le. bringen sollte. Unterwegs brach auf dem Anhänger ein Brand aus, weil Bedienstete der Firma L. ein mit Metallbändern verschnürtes Zeitungspaket auf die freiliegenden Pole einer der Batterien gepackt und die Metallbänder einen Kurzschluß ausgelöst hatten. Anhänger und Ladung brannten aus.
Mit der Begründung, die Beklagte zu 2 habe als Erfüllungsgehilfin der Beklagten zu 1 durch die Auslieferung der ungesicherten Batterien ohne äußerlich sichtbaren Hinweis auf den Ladungszustand den Brand verschuldet, hat die Klägerin aus übergegangenem Recht u. a. die Beklagte zu 1 auf Schadensersatz in Höhe von 94 272,35 DM in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat festgestellt, daß der Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten zu 1 mit Rücksicht auf das ganz überwiegende Mitverschulden der Firma L. dem Grunde nach zu 1/5 gerechtfertigt sei, während das Berufungsgericht den Anspruch zu 2/3 für gerechtfertigt erklärt hat. Die Revisionen der Beklagten zu 1 und der dieser im Revisionsrechtszug als Streithelferin bei getretenen Beklagten zu 2 hatten keinen Erfolg.

Aus den Gründen:
I. . .
II. 1. Ohne Rechtsfehler stellt das Berufungsgericht fest, daß die Beklagte zu 2 sich bei der Auslieferung der Batterien an die Speditionsfirma einer fahrlässigen Verletzung der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht schuldig gemacht hat.
a) Daß die Versendung von geladenen und gefüllten, also betriebsbereiten Batterien im öffentlichen Straßenverkehr ohne Verpackung und insbesondere ohne Sicherung der freiliegenden Pole eine besondere Gefährdung für andere Rechtsgüter mit sich bringt, ziehen auch die Beklagten nicht mehr ernsthaft in Zweifel. Die Gefahr eines Schadenseintritts liegt insbesondere dann nahe, wenn - wie hier - die als Stückgut verladenen Batterien mit anderen metallischen Gegenständen durch unsachgemäße Stapelung oder durch Verrutschen der Ladung während des Transports in Berührung kommen und dadurch ein Kurzschluß ausgelöst wird. Zwar finden die »Vorschriften über die von der Beförderung aus geschlossenen oder bedingungsweise zur Beförderung zugelassenen Stoffe und Gegenstände« (Deutscher Eisenbahn-Gütertarif Teil I Abteilung A Klasse V unter Nr. 500 ff) auf den Transport mit Kraftfahrzeugen keine unmittelbare Anwendung; auch fehlte es jedenfalls im Juli 1968 noch an gesetzlichen Vorschriften über den Transport von Akkumulatoren und Batterien im Straßenverkehr. Die vorgenannten Bestimmungen über den Eisenbahn-Güterverkehr machen jedoch die entscheidende Bedeutung deutlich, die einer Sicherung der Batterien vor Kurzschluß - gleichgültig, welche Transportform gewählt wird und aus welchem Material die Batterien hergestellt sind - zukommt (aaO Nr. 504). So bezeichnet es auch der im Verfahren gehörte Sachverständige als unüblich, im Straßenverkehr Akkumulatoren als Beiladung über längere Strecken »ohne Verpackung bzw. entsprechend bemessene Abdeckung als Sicherheit gegen... Kurzschluß zu befördern«.
b) Wollte die Beklagte, die als namhafte Herstellerin von Akkumulatoren auch für die Frage des Transportes über besondere Erfahrung und Sachkunde verfügte, gleichwohl die hier streitigen Batterien ohne Verpackung in den Verkehr geben, so hätte sie zumindest durch deutliche und unübersehbare Hinweise an den Batterien selbst auf den gefährlichen Ladezustand hinweisen müssen. Daß die bloße Eintragung dieser Batterien auf den Lieferschein in der Spalte »gef. und gel.« als Warnung schon deswegen nicht ausreichte, weil die mit dem Transport befaßten Personen den Lieferschein und die in ihm enthaltenen, ohnehin kaum verständlichen Eintragungen nicht immer vor Augen hatten, hat das Berufungsgericht überzeugend dargelegt. Die Beklagte zu 2 kann sich auch nicht darauf berufen, sie habe im Hinblick auf die bei ihr eingegangene Bestellung darauf vertraut, daß die Firma L. ebenfalls betriebsbereite Batterien erwarte und daher selbst die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen treffen werde; da es sich um eine Weiterbestellung durch die Beklagte zu 1 handelte, die Beklagte zu 2 mithin mit der Möglichkeit einer Fehlbestellung rechnen mußte und sie zudem wußte, daß die Batterien nicht sofort eingebaut, sondern zunächst durch eine zwischengeschaltete Spedition im Straßenverkehr transportiert werden sollten, wäre es in erster Linie ihre Sache gewesen, gegen die Gefahr eines Kurzschlusses während des Transportes Vorsorge zu treffen. Der lediglich mündliche Hinweis an den Fahrer der Spedition über den Ladezustand reichte dabei schon deswegen nicht aus, weil nicht feststand, daß nur er den Transport bis zum endgültigen Bestimmungsort durchführen werde.
c) Für diese als leichtfertig zu bezeichnende Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte zu 2 hat die Beklagte zu 1, die sich ihrer bei Erfüllung des mit der Firma L. abgeschlossenen Kaufvertrages als Erfüllungsgehilfin bedient hat, einzustehen (§ 278 BGB). Dabei ist es unerheblich, ob die Speditionsfirma im Auftrage der Firma L. tätig geworden ist und aus diesem Grunde kein Versendungskauf im Sinne des § 447 BGB vorlag; denn auch wenn die Beklagte zu 1 ihre Verkäuferpflicht zur Übergabe und Eigentumsverschaffung bereits mit Aushändigung der Batterien durch die Beklagte zu 2 an die Speditionsfirma erfüllt hatte und für den Weitertransport nicht mehr verantwortlich war, stellte sie dieser Umstand doch nicht von der Verpflichtung frei, die Batterien in ordnungsgemäß verpacktem und gesichertem Zustand zu übergeben; sie haftet für diese Pflichtverletzung auch dann, wenn der Schaden selbst erst nach der Übergabe eintrat (Senatsurteil vom 14. Oktober 1964 - VIII ZR 40/63 = Betrieb 1964,1697 = MDR 1965,38; BGH Urteil vom 18. Juni 1968 - VI ZR 120/67 = WM 1968,1302 = NJW 1968,1929; Staudinger/Ostler, BGB, 11. Aufl. § 447 Anm. 15; Ballerstedt bei Soergel/Siebert, BGB, 10. Aufl. § 447 Anm. 20).
d) Daß der Schadenseintritt bei sachgemäßer Verpackung verhindert worden wäre, liegt auf der Hand. (Wird ausgeführt).
2. Soweit die Beklagte zu 1 unter Hinweis auf § 377 Abs. 2 HGB meint, die Firma L. habe die Batterien rügelos«entgegengenommen und könne damit aus der mangelhaften Lieferung Schadensersatzansprüche nicht mehr herleiten, verkennt sie Anwendungsbereich und Bedeutung dieser Bestimmung.
a) Zwar kann ein Käufer u. U. auch aus einer schadhaften, unvollständigen oder fehlenden Verpackung der Kaufsache Gewährleistungsansprüche herleiten, - und zwar etwa dann, wenn die Mängel der Verpackung die Möglichkeit der Weiterverwendung oder des Weiterverkaufs erschweren und damit auch der Wert oder die Tauglichkeit der Sache selbst zu dem vertraglich vereinbarten Gebrauch aufgehoben und gemindert ist (vgl. Senatsurteil vom 24. Juni 1958 - VIII ZR 95/57 = Betrieb 1958,868; Brüggemann in HGB-RGRK, 3. Aufl. § 377 Anm. 9). Ein solcher Fehler lag hier jedoch nicht vor. Die Abdeckung der Pole sollte vielmehr lediglich für die Dauer des Transportes einen Kurzschluß oder sonstige Beschädigungen verhindern; ihr Fehlen minderte dagegen die Gebrauchstauglichkeit der Batterien selbst nicht.
b) Richtig ist, daß die Beklagten statt der bestellten ungefüllten Batterien gefüllte geliefert haben. Dabei kann zu ihren Gunsten davon ausgegangen werden, daß die Firma L. jedenfalls bei Entgegennahme der Batterien in der Hauptniederlassung K. mit zumutbaren Mitteln zu einer Überprüfung des Ladezustandes in der Lage und damit zur unverzüglichen Rüge der von der Bestellung abweichenden Lieferung verpflichtet gewesen wäre. Ob es sich dabei um einen Mangel im Sinne des § 459 Abs. 1 BGB oder nicht vielmehr um die Lieferung einer anderen als der bedungenen Ware handelte, kann im vorliegenden Zusammenhang auf sich beruhen, da die Rügepflicht beide Fälle gleichermaßen erfaßt (§§ 377,378 HGB). Es ist den Beklagten auch einzuräumen, daß die rügelose Entgegennahme als Genehmigung gilt und damit neben den Gewährleistungsansprüchen im eigentlichen Sinne (§§ 462f BGB) auch Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung wegen eines nicht rechtzeitig gerügten Fehlers verloren gehen (Senatsurteil vom 3. Februar 1959 - VIII ZR 14/58 = LM HGB § 377 Nr. 5; Baumbach/Duden, HGB, 21. Aufl. §§ 377,378 Anm. l C; Brüggemann aaO § 377 Anm. 8).
c) Stets muß es sich aber um Schadensersatzansprüche handeln, die auf einem Mangel der Sache oder auf einer Falschlieferung beruhen, sich mithin als Gewährleistungsansprüche im weiteren Sinne darstellen. Das ist hier ersichtlich nicht der Fall. Zwar wäre der Schaden nicht entstanden, wenn die Beklagten - der Bestellung entsprechend - ungefüllte Batterien geliefert hätten. Gleichwohl wurzelt die Schadensersatzpflicht in erster Linie nicht in dieser fehlerhaften Lieferung, sondern in der unsachgemäßen Versendung gefüllter Batterien und damit in der Verletzung einer kaufvertraglichen Nebenpflicht. Das erhellt auch die Erwägung, daß die Beklagten, hätte die Firma L. gefüllte Batterien bestellt, ebenfalls für die durch die unsachgemäße Versendung verursachten Schäden einzustehen hätten, obwohl die Kaufsache dann vertragsgemäß gewesen wäre.
d) Auch der rechtspolitische Zweck der Untersuchungs- und Rügepflicht beim Handelskauf verbietet eine entsprechende Anwendung der §§ 377f HGB auf Fälle der vorliegenden Art. Wie der Senat in mehreren Entscheidungen ausgeführt hat, dient die Obliegenheit zur unverzüglichen Mängelrüge nicht nur dem allgemeinen Interesse des Handelsverkehrs an einer raschen und endgültigen Abwicklung von Rechtsgeschäften, sondern zugleich einer sachgerechten Risikoverteilung zwischen Käufer und Verkäufer. Dem Interesse des Käufers an einer ordnungsgemäßen Erfüllung steht das ebenfalls schutzwürdige Interesse des Verkäufers gegenüber, von den bei zumutbarer Prüfung zutage tretenden Mängeln der von ihm gelieferten Sache möglichst rasch zu erfahren und dadurch einen drohenden Schaden noch rechtzeitig abwenden zu können (zuletzt Senatsurteil vom 30. April 1975 - VIII ZR 164/73 = WM 1975,562 = NJW 1975,2011 m. w. Nachw.). Die an die unterbliebene Rüge geknüpfte Folge, daß damit die Kaufsache uneingeschränkt als genehmigt gilt (§ 377 Abs. 2 HGB), kann den Käufer insbesondere dann hart treffen, wenn die Schlecht- oder Falschlieferung durch den Verkäufer auf dessen grobfahrlässigem oder leichtfertigem Verhalten beruht, während er selbst lediglich durch Nachlässigkeit eine rechtzeitige Untersuchung und Rüge versäumt hat. Im Interesse einer reibungslosen und raschen Abwicklung des Handelsverkehrs muß der Käufer diese Nachteile im Bereich der Gewährleistung deswegen hinnehmen, weil typischerweise die Feststellung von Mängeln mit zunehmendem Zeitablauf unvertretbar erschwert würde. Für eine entsprechende Anwendung der §§ 377f HGB über die Mängelhaftung hinaus fehlt es aber an einem zwingenden Bedürfnis, zumal die Berücksichtigung des Mitverschuldens (§ 254 BGB) - anders als die auf dem Grundsatz des »alles oder nichts« aufbauende Genehmigung nicht gerügter Mängel - einen sachgerecht abgestuften Ausgleich zwischen den beiderseitigen Interessen ermöglicht.
3. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Verjährung. Dabei bedarf es keiner Vertiefung der Frage, in welchem Umfang überhaupt Schadensersatzansprüche wegen Lieferung einer anderen als der bedungenen Ware (§ 378 HGB) innerhalb der kurzen Frist des § 477 BGB verjähren (vgl. dazu Senatsurteile vom 22. März 1961 - VIII ZR 52/60 = LM BGB § 477 Nr. 5 und vom 20. November 1967 - VIII ZR 126/65 = LM BGB § 477 Nr. 10 = NJW 1968,640); denn wenn überhaupt, so werden von der kurzen Verjährung nur Ansprüche erfaßt, die in einer mangelhaften Leistung oder der Lieferung eines aliud ihren Grund haben (BGHZ 47,312,319), - und das ist, wie oben dargelegt, bei den hier streitigen Ansprüchen nicht der Fall.
4. Schließlich geht auch die Ansicht der Revision der Beklagten zu 1 fehl, die geltendgemachten Schadensersatzansprüche scheiterten gemäß § 464 BGB daran, daß der Fahrer der Speditionsfirma - obwohl ausdrücklich auf den Ladezustand der Batterien hingewiesen - diese für die Firma L. vorbehaltlos angenommen habe. Ganz abgesehen von der Frage, ob § 464 BGB überhaupt auf Lieferungen eines aliud Anwendung findet und ob die Kenntnis des Fahrers einer die Ware abholenden Vertragsspedition bereits dem Käufer zuzurechnen ist (vgl. dazu RGZ 64,236; Ballerstedt aaO § 464 Anm. 3), verkennt die Beklagte zu 1, daß die vorbehaltlose Annahme schon nach dem Wortlaut und der rechtssystematischen Einordnung dieser Vorschrift lediglich den Verlust von Gewährleistungsansprüchen im weitesten Sinne, nicht dagegen von Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung einer kaufvertraglichen Nebenpflicht zur Folge hat.