Falsa demonstratio beim formgebundenen Rechtsgeschäft - Geltung der "Andeutungstheorie"?

BGH, Urt. v. 25.3.1983, V ZR 268/81

Fundstelle:

BGHZ 87,150
s. auch BGH NJW 2002, 1038 sowie BGH v. 18.1.2008 - V ZR 174/06.



Amtl. Leitsatz:

Zur Frage der Behandlung einer irrtümlichen Falschbezeichnung des Kaufgegenstandes (falsa demonstratio) bei einem nach § 313 Satz 1 BGB beurkundungspflichtigen Rechtsgeschäft.


Im Kaufvertrag vom 27. Februar 1975 ist der Verkauf des im Grundbuch von Pf. Blatt 0914 verzeichneten Grundbesitzes der Beklagten Flur 39 Flurstücke Nr. 32 und 31 an den Kläger notariell beurkundet worden. Der Kläger ist inzwischen als Eigentümer im Grundbuch eingetragen.
Im Grundbuch von Sch. ist die Beklagte als Eigentümerin des auf Blatt 037, Flurstück 30 verzeichneten Grundbesitzes eingetragen, welcher an das oben näher bezeichnete Flurstück Nr. 32 angrenzt. Die Parteien streiten darüber, ob das Grundstück in Sch. am 27. Februar 1975 an den Kläger mit- verkauft worden ist.
Mit seiner Klage hat der Kläger in erster Instanz die Verurteilung der Beklagten zur Abgabe einer den Kaufvertrag vom 27. Februar 1975 ergänzenden Erklärung, derzufolge sie das im Grundbuch von Sch. eingetragene Grundstück an den Kläger verkaufe, beantragt. Das Landgericht hat dem Antrag stattgegeben.
Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung des Klägers, mit der er hilfsweise die Feststellung begehrt, das fragliche Grundstück sei bereits an ihn verkauft und aufgelassen worden, zurückgewiesen.
Die - zugelassene - Revision des Klägers hatte Erfolg.

Aus den Gründen:

I. Das Berufungsgericht hat der Klage den Erfolg versagt, weil hinsichtlich des im Grundbuch von Sch. Blatt 037 eingetragenen Grundstückes Flur 28, Flurstück 30 ein nach § 313 Satz 1 BGB formwirksamer Kaufvertrag mangels Beurkundung des Kaufgegenstandes nicht vorliege. Auch wenn die Parteien bei der Beurkundung des Kaufvertrages übereinstimmend davon ausgegangen seien, der in der notariellen Urkunde bezeichnete Grundbesitz umfasse auch die im Grundbuch von Sch. eingetragene Parzelle Nr. 30, könne eine irrtümliche Falschbezeichnung der verkauften Flurstücke nicht zu einem wirksamen Kaufvertrag über die Parzelle Nr. 30 führen.
II. Soweit sich die Revision gegen die vom Berufungsgericht ausgesprochene Abweisung des Hauptantrages auf Abgabe einer Willenserklärung richtet, ist sie unbegründet.
Die Beklagte ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, eine Erklärung abzugeben, derzufolge sie die Parzelle Nr. 30 an den Kläger verkaufe.
Ist der Kaufvertrag - wie das Berufungsgericht meint - mangels Beurkundung des Kaufgegenstandes nichtig, so besteht eine Verkaufsverpflichtung der Beklagten nicht. Sie braucht dementsprechend keine Verkaufserklärung abzugeben.
Ist der Kaufvertrag aber - wie der Kläger meint - auch hinsichtlich der Parzelle Nr. 30 wirksam zustande gekommen, so bedarf es keiner erneuten Willenserklärungen der Beklagten mehr, und der Kläger hat darauf auch keinen Anspruch.
III. Soweit sich die Revision gegen die Zurückweisung der Anschlußberufung durch das Berufungsgericht wehrt, ist das Rechtsmittel dagegen begründet:
Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, hinsichtlich der Parzelle Nr. 30 liege mangels Beurkundung des Kaufgegenstandes ein wirksamer Kaufvertrag zwischen den Parteien nicht vor.
Zwar ist die Parzelle Nr. 30 nicht als Kaufgegenstand im notariellen Vertrag vom 27. Februar 1975 aufgeführt. Andererseits haben die Vertragspartner aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts am 27. Februar 1975 einen Kaufvertrag nicht nur über die im Grundbuch von Pf. Blatt 0914 verzeichneten Grundstücke Flurstücke 31 und 32, sondern auch über das dem Flurstück 32 benachbarte und im Grundbuch von Sch. , Blatt 037 Flurstück 30 eingetragene Grundstück schließen wollen. Nach dem übereinstimmenden Vortrag beider Parteien ist die Aufnahme des Flurstückes Nr. 30 in die Vertragsurkunde nur versehentlich unterblieben.
Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat im Termin vom 9. März 1981 vor dem Landgericht im Beisein der Beklagten ausdrücklich erklärt, zwischen den Parteien sei unstreitig, daß die Beklagte den gesamten ihr gehörenden Grundbesitz an der K.straße zu dem im Kaufvertrag aufgeführten Preis an den Kläger habe verkaufen wollen. Zu diesem Zwecke hätten die Parteien auch den Notar aufgesucht. Durch ein Versehen sei die eine Parzelle, die nicht mit den beiden anderen im Grundbuch von Pf. eingetragen gewesen sei, nicht in den Vertrag aufgenommen worden. Soweit die Beklagte im Berufungsrechtszug vorgetragen hat, sie habe - wie im Kaufvertrag beurkundet - lediglich die Flurstücke Nr. 31 und Nr. 32 an den Kläger verkaufen wollen, ist dieser Vortrag gemäß § 288 ZPO ohne Bedeutung. Die Voraussetzungen des § 290 ZPO für den erfolgreichen Widerruf eines Geständnisses hat die Beklagte nicht einmal vorgetragen. In der Revisionsinstanz hat die Beklagte zur Frage eines wirksamen Geständnisses ausdrücklich keine Stellungnahme abgegeben.
Haben die Vertragspartner aber entgegen dem beurkundeten Vertragswortlaut neben den Parzellen 31 und 32 zugleich die Parzelle 30 mitverkaufen wollen, so hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Frage ab, ob eine derart unrichtige Bezeichnung des von den Beteiligten übereinstimmend Gewollten (falsa demonstratio) für die Wirksamkeit des Kaufvertrages unschädlich ist. Der Senat hat diese Frage in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts stets bejaht, wenn das objektiv Erklärte dem Formerfordernis des § 313 BGB genügte (vgl. hierzu RGZ 46,225,227; RG JW 1904,58 Nr. 13; RGZ 60,338,340; 61,264,265; 66,21,23; 73,154,157; 109,334,336; 133,279,281; BGHZ 74,116,119 m. w. Nachw. über die Rechtsprechung des Senats). Das Urteil des Senats vom 23. März 1979 (BGHZ 74,116) weicht von dieser ständigen Rechtsprechung nicht ab. Es läßt vielmehr ausdrücklich die Frage offen, ob eine unschädliche Falschbezeichnung im Bereich des § 313 BGB generell nicht mehr zuzulassen sei, da in dem seinerzeit zu entscheidenden Fall selbst bei Beurkundung des übereinstimmenden Willens (Teilveräußerung eines Grundstückes ohne ausreichende Teilflächenbezeichnung anstatt der beurkundeten Veräußerung eines Gesamtgrundstückes) der Vertrag mangels genügender Bezeichnung des zu verkaufenden Grundstücksteils im Anschluß an die Senatsentscheidung vom 8. November 1968, V ZR 58/65, NJW 1969,131, unwirksam gewesen wäre.
Der Senat sieht nach erneuter Überprüfung keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung zur Unschädlichkeit einer versehentlichen Falschbezeichnung im Rahmen des § 313 Satz 1 BGB abzuweichen.
Dabei wird nicht verkannt, daß der für formfreie Rechtsgeschäfte unproblematische Vorrang des übereinstimmenden Parteiwillens gegenüber dem objektiv Erklärten im Bereich beurkundungspflichtiger Rechtsgeschäfte im Widerspruch zu den Formzwecken des § 313 BGB stehen kann (vgl. hierzu auch Wieling in AcP 1972,297,308 ff.). Die Form soll einmal Veräußerer und Erwerber vor übereilten Verträgen bewahren, sie auf die Wichtigkeit des Geschäftes hinweisen und ihnen die Möglichkeit rechtskundiger Belehrung und Beratung eröffnen (vgl. BGHZ 83,395,397). Diese Warn- und Schutzfunktion wird durch die Anerkennung der Unschädlichkeit der irrtümlichen Falschbezeichnung nicht entscheidend in Frage gestellt, denn die Notwendigkeit der Beurkundung bleibt bestehen (Warnfunktion), Belehrung und Beratung durch den Notar (Schutzfunktion) bleiben erhalten, wenn sie sich auch nicht ausdrücklich auf das wirklich verkaufte Grundstück beziehen.
Durch die Beachtung der Formvorschrift des § 313 BGB sollen aber auch der Inhalt der Vereinbarung klar und genau festgestellt und die Beweisführung gesichert werden (vgl. BGHZ 25,6,11; Staudinger/Wufka, BGB 12. Aufl. § 313 Rdn. 3). Dieser Zweck wird im Falle der Anerkennung der Unschädlichkeit der irrtümlichen Falschbezeichnung außer acht gelassen; denn das, was wirklich von den Vertragspartnern gewollt ist, ist gerade nicht oder nicht vollständig beurkundet und kann daher aus der Urkunde weder entnommen noch bewiesen werden.
Andererseits darf aber - wie Bernard, in Formbedürftige Rechtsgeschäfte, Schriften zum Bürgerlichen Recht, Band 55 Seite 63 ff.; hier Seite 71 ff. , zutreffend hervorhebt - nicht überschätzt werden, was die Beurkundung wirklich zu leisten vermag. Entsteht zwischen den Vertragspartnern Streit über den Inhalt des beurkundeten Vertrages, so kann er, da auch ausdrückliche Formulierungen unklar, mißverständlich und mehrdeutig sein können, nicht aus der Urkunde allein entschieden werden. Es müssen vielmehr auch außerhalb der Urkunde liegende, zur Erforschung des Vertragsinhalts geeignete Umstände herangezogen werden. Dieser Notwendigkeit trägt die für die Auslegung von beurkundeten Willenserklärungen entwickelte sogenannte Andeutungsformel Rechnung. Nach ihr sind auch Urkunden über formbedürftige Rechtsgeschäfte nach allgemeinen Grundsätzen auszulegen. Dabei dürfen aber außerhalb der Urkunde liegende Umstände nur berücksichtigt werden, wenn der einschlägige rechts geschäftliche Wille der Parteien in der formgerechten Urkunde einen wenn auch nur unvollkommenen oder andeutungsweisen Ausdruck gefunden hat (vgl. BGHZ 63,359,362 m. w. Nachw. und BGHZ 74,116,119 sowie auch kritisch gegenüber der Andeutungsformel: Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 1966, Seite 186 ff. und Häsemeyer, Die gesetzliche Form der Rechtsgeschäfte, 1971, Seite 140 ff.). Müssen aber im Falle von Unstimmigkeiten zwischen den Parteien zur Erforschung des wirklichen Inhalts der Vereinbarung auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände herangezogen und berücksichtigt werden, und kommt damit der ausdrücklichen Urkundenerklärung nur eine Indizwirkung zu, so kann der Beweiszweck der Urkunde der Anerkennung der Unschädlichkeit der irrtümlichen Falschbezeichnung nicht entscheidend entgegengehalten werden. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn zum Beweis des Urkundeninhalts jedes außerurkundliche Beweismittel unzulässig wäre, also nur das objektiv Erklärte als Urkundeninhalt in Betracht käme. Eine solche Konsequenz würde aber der allgemeinen Auslegungsregel, wonach der wirkliche Wille der Parteien zu erforschen ist (§ 133 BGB), in nicht vertretbarer Weise widersprechen und zudem die Problematik in sich unverständlicher und widersprüchlicher Urkundenerklärungen nicht in überzeugender Weise lösen.
Der denkbare Widerspruch zwischen den Beurkundungszwecken einerseits und der Forderung nach Geltung des übereinstimmenden, aber nicht beurkundeten Parteiwillens andererseits, hat vom Beginn der Rechtsprechung zur Unschädlichkeit der irrtümlichen Falschbezeichnung an bestanden und ist auch nicht übersehen worden. § 313 BGB ist dennoch von Anfang an so angewendet worden, daß nicht das objektiv Erklärte, sondern das übereinstimmend Gewollte gelte, wenn nur das objektiv Erklärte dem Formerfordernis genüge.
Da der Richter nach dem Grundgesetz nicht darauf verwiesen ist, gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden (BVerfGE 34,269,287), kommt der Auslegung insbesondere älterer Gesetzesbestimmungen, die im Laufe der Zeit durch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung aus- geformt worden ist, eine besondere Bedeutung zu. Wie der Große Senat für Zivilsachen des Bundesgerichtshofes im Beschluß vom 4. Oktober 1982 - GSZ 1/82 - BGHZ 85,64ausdrücklich hervorgehoben hat, treten im Falle der durch gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung gefundenen Gesetzesauslegung die Rechtswerte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes in den Vordergrund und verlangen im allgemeinen ein Festhalten an der einmal eingeschlagenen Rechtsentwicklung. Ein Abgehen von der Kontinuität der Rechtsprechung kann nur ausnahmsweise hingenommen werden, wenn deutlich überwiegende oder sogar schlechtin zwingende Gründe dafür sprechen. Derartige Gründe, die jetzt eine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung unumgänglich machen und damit dem übereinstimmenden Parteiwillen bei beurkundungsbedürftigen Geschäften gegenüber dem davon abweichenden objektiv Erklärten keine Geltung mehr verschaffen können, sind dem Senat aber nicht ersichtlich.
Ist daher im notariellen Vertrag vom 27. Februar 1975 die Parzelle 30 mitverkauft worden und umfaßt die gleichzeitig erklärte Auflassung den gesamten verkauften Grundbesitz (vgl. hierzu BGH Urteil vom 23. Juni 1967, V ZR 4/66, MDR 1967,701), so mußte dem vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei zugelassenen Hilfsantrag auf Feststellung stattgegeben werden.


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