Wertersatz für
nutzungsbedingte Verschlechterung nach verbraucherschützendem Widerruf (§357
III BGB): Richtlinienkonformität
EuGH v. 3.9.2009 - C‑489/07
(Messner)
Fundstelle:
NJW 2009, 3015
Tenor:
1. Die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1
Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im
Fernabsatz sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung
entgegenstehen, nach der der Verkäufer vom Verbraucher für die Nutzung einer
durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekauften Ware in dem Fall, dass der
Verbraucher sein Widerrufsrecht fristgerecht ausübt, generell Wertersatz für
die Nutzung der Ware verlangen kann.
2. Diese Bestimmungen stehen jedoch nicht einer Verpflichtung des
Verbrauchers entgegen, für die Benutzung der Ware Wertersatz zu leisten,
wenn er diese auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen
von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare
Art und Weise benutzt hat, sofern die Zielsetzung dieser Richtlinie und
insbesondere die Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts auf Widerruf
nicht beeinträchtigt werden; dies zu beurteilen ist Sache des nationalen
Gerichts.
Zentrale Probleme:
Es geht (auf Vorlage des AG Lahr nach Art.
234 EGV) um die Richtlinienkonformität der Verpflichtung eines Verbrauchers
zum Wertersatz nach Ausübung eines verbraucherschützenden Widerrufsrechts,
das § 357 III BGB in Abweichung zu § 346 II Nr. 3 Halbs. 2 BGB vorsieht. Da
diese Regelung keinen pauschalen Wertersatz vorsieht, sondern insbesondere
Wertersatz ausschließt, soweit die Verschlechterung ausschließlich auf die
Prüfung der Sache zurückzuführen ist, dürfte die Regelung richtlinienkonform
sein. Jedenfalls läßt sie Raum für eine den Vorgaben des vorliegenden
Urteils entsprechende richtlinienkonforme Auslegung. Zum Ausgangsfall ist
noch anzumerken, daß die sich der Wertersatz nicht am Mietpreis orientiert,
sondern an der Verschlechterung der Sache durch ihre Nutzung. Da sich der
Wertersatz am Kaufpreis zu orientieren hat (§ 346 II S. 2 BGB), kann er
jedenfalls nicht höher sein, als der Kaufpreis.S.
dazu auch BGH v. 12.10.2016 -
VIII ZR 55/15.
©sl 2009
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 der
Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai
1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl.
L 144, S. 19).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau
Messner, einer Verbraucherin, und der Firma Stefan Krüger (im Folgenden:
Stefan Krüger), die Versandhandel im Internet betreibt, wegen Rückzahlung
von 278 Euro nach Kündigung eines im Fernabsatz geschlossenen Vertrags.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Der 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 lautet:
„Der Verbraucher hat in der Praxis
keine Möglichkeit, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen
oder die Eigenschaften der Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu
nehmen. Daher sollte ein Widerrufsrecht bestehen, sofern in dieser
Richtlinie nicht etwas anderes bestimmt ist. Damit es sich um mehr als
ein bloß formales Recht handelt, müssen die Kosten, die, wenn überhaupt,
vom Verbraucher im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts getragen
werden, auf die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren begrenzt
werden. Das Widerrufsrecht berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht
vorgesehenen Rechte des Verbrauchers, insbesondere bei Erhalt von
beschädigten Erzeugnissen oder unzulänglichen Dienstleistungen oder
Erzeugnissen und Dienstleistungen, die mit der entsprechenden
Beschreibung in der Aufforderung nicht übereinstimmen. Es ist Sache der
Mitgliedstaaten, weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der
Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen.“
4 Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie
97/7 bestimmt:
„Widerrufsrecht
(1) Der Verbraucher kann jeden Vertragsabschluss im Fernabsatz innerhalb
einer Frist von mindestens sieben Werktagen ohne Angabe von Gründen und
ohne Strafzahlung widerrufen. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher
infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können,
sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren.
…
(2) Übt der Verbraucher das Recht auf Widerruf gemäß diesem Artikel aus,
so hat der Lieferer die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen kostenlos
zu erstatten. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der
Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die
unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. Die Erstattung hat so
bald wie möglich in jedem Fall jedoch binnen 30 Tagen zu erfolgen.“
5 Art. 14 der Richtlinie 97/7 lautet:
„Mindestklauseln
Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden
Bereich mit dem EG-Vertrag in Einklang stehende strengere Bestimmungen
erlassen oder aufrechterhalten, um ein höheres Schutzniveau für die
Verbraucher sicherzustellen. …“
Nationales Recht
6 § 312d („Widerrufs- und Rückgaberecht bei Fernabsatzverträgen“) des
deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB) lautet:
„(1) Dem Verbraucher steht bei einem
Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu. Anstelle des
Widerrufsrechts kann dem Verbraucher bei Verträgen über die Lieferung
von Waren ein Rückgaberecht nach § 356 eingeräumt werden.
(2) Die Widerrufsfrist beginnt abweichend von § 355 Abs. 2 Satz 1 nicht
vor Erfüllung der Informationspflichten gemäß § 312 c Abs. 2, bei der
Lieferung von Waren nicht vor dem Tage ihres Eingangs beim Empfänger,
bei der wiederkehrenden Lieferung gleichartiger Waren nicht vor dem Tage
des Eingangs der ersten Teillieferung und bei Dienstleistungen nicht vor
dem Tage des Vertragsschlusses.“
7 § 355 BGB („Widerrufsrecht bei
Verbraucherverträgen“) bestimmt:
„(1) Wird einem Verbraucher durch
Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so ist er
an seine auf den Abschluss des Vertrags gerichtete Willenserklärung
nicht mehr gebunden, wenn er sie fristgerecht widerrufen hat. Der
Widerruf muss keine Begründung enthalten und ist in Textform oder durch
Rücksendung der Sache innerhalb von zwei Wochen gegenüber dem
Unternehmer zu erklären; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige
Absendung.
(2) Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem dem Verbraucher eine
deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht, die ihm
entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels
seine Rechte deutlich macht, in Textform mitgeteilt worden ist, die auch
Namen und Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären
ist, und einen Hinweis auf den Fristbeginn und die Regelung des Absatzes
1 Satz 2 enthält. Wird die Belehrung nach Vertragsschluss mitgeteilt,
beträgt die Frist abweichend von Absatz 1 Satz 2 einen Monat. Ist der
Vertrag schriftlich abzuschließen, so beginnt die Frist nicht zu laufen,
bevor dem Verbraucher auch eine Vertragsurkunde, der schriftliche Antrag
des Verbrauchers oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des
Antrags zur Verfügung gestellt werden. Ist der Fristbeginn streitig, so
trifft die Beweislast den Unternehmer.
…
(3) Das Widerrufsrecht erlischt spätestens sechs Monate nach
Vertragsschluss. Bei der Lieferung von Waren beginnt die Frist nicht vor
dem Tag ihres Eingangs beim Empfänger. Abweichend von Satz 1 erlischt
das Widerrufsrecht nicht, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über
sein Widerrufsrecht belehrt worden ist, bei Fernabsatzverträgen über
Finanzdienstleistungen ferner nicht, wenn der Unternehmer seine
Mitteilungspflichten gemäß § 312 c Abs. 2 Nr. 1 nicht ordnungsgemäß
erfüllt hat.“
8 § 357 BGB („Rechtsfolgen des Widerrufs
und der Rückgabe“) lautet:
„(1) Auf das Widerrufs- und das
Rückgaberecht finden, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, die
Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt entsprechende Anwendung. §
286 Abs. 3 gilt für die Verpflichtung zur Erstattung von Zahlungen nach
dieser Vorschrift entsprechend; die dort bestimmte Frist beginnt mit der
Widerrufs- oder Rückgabeerklärung des Verbrauchers. Dabei beginnt die
Frist im Hinblick auf eine Erstattungsverpflichtung des Verbrauchers mit
Abgabe dieser Erklärung, im Hinblick auf eine Erstattungsverpflichtung
des Unternehmers mit deren Zugang.
…
(3) Der Verbraucher hat abweichend von § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
Wertersatz für eine durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der
Sache entstandene Verschlechterung zu leisten, wenn er spätestens bei
Vertragsschluss in Textform auf diese Rechtsfolge und eine Möglichkeit
hingewiesen worden ist, sie zu vermeiden. Dies gilt nicht, wenn die
Verschlechterung ausschließlich auf die Prüfung der Sache zurückzuführen
ist. § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 findet keine Anwendung, wenn der
Verbraucher über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt worden ist
oder hiervon anderweitig Kenntnis erlangt hat.
(4) Weiter gehende Ansprüche bestehen nicht.“
9 § 346 („Wirkungen des Rücktritts“)
Abs. 1 bis 3 BGB bestimmt:
„(1) Hat sich eine Vertragspartei
vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder steht ihr ein gesetzliches
Rücktrittsrecht zu, so sind im Falle des Rücktritts die empfangenen
Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.
(2) Statt der Rückgewähr oder Herausgabe hat der Schuldner Wertersatz zu
leisten, soweit
1. die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten
ausgeschlossen ist,
2. er den empfangenen Gegenstand verbraucht, veräußert, belastet,
verarbeitet oder umgestaltet hat,
3. der empfangene Gegenstand sich verschlechtert hat oder untergegangen
ist; jedoch bleibt die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme
entstandene Verschlechterung außer Betracht.
Ist im Vertrag eine Gegenleistung bestimmt, ist sie bei der Berechnung
des Wertersatzes zugrunde zu legen; ist Wertersatz für den
Gebrauchsvorteil eines Darlehens zu leisten, kann nachgewiesen werden,
dass der Wert des Gebrauchsvorteils niedriger war.
(3) Die Pflicht zum Wertersatz entfällt,
1. wenn sich der zum Rücktritt berechtigende Mangel erst während der
Verarbeitung oder Umgestaltung des Gegenstandes gezeigt hat,
2. soweit der Gläubiger die Verschlechterung oder den Untergang zu
vertreten hat oder der Schaden bei ihm gleichfalls eingetreten wäre,
3. wenn im Falle eines gesetzlichen Rücktrittsrechts die
Verschlechterung oder der Untergang beim Berechtigten eingetreten ist,
obwohl dieser diejenige Sorgfalt beobachtet hat, die er in eigenen
Angelegenheiten anzuwenden pflegt.
Eine verbleibende Bereicherung ist herauszugeben.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
10 Frau Messner kaufte am 2. Dezember 2005 über das Internet von Stefan
Krüger ein gebrauchtes Notebook zum Preis von 278 Euro.
11 Stefan Krüger hatte zum Zeitpunkt dieses Kaufs Allgemeine
Geschäftsbedingungen in das Internet eingestellt, in denen es u. a. hieß,
dass der Käufer für die durch bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme eingetretene
Verschlechterung der Ware Wertersatz leisten müsse.
12 Im August 2006 kam es zu einem Defekt des Displays des Computers. Frau
Messner teilte Stefan Krüger am 4. August 2006 den Defekt an dem Display
mit. Diese lehnte eine kostenlose Beseitigung des Defekts ab.
13 Am 7. November 2006 widerrief Frau Messner den Kaufvertrag und bot Stefan
Krüger das Notebook Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises an. Dieser
Widerruf erfolgte innerhalb der im BGB vorgesehenen Fristen, da Frau Messner
nicht die nach dessen Bestimmungen für das Inlaufsetzen der Frist
erforderliche Widerrufsbelehrung erhalten hatte.
14 Frau Messner erhob gegen Stefan Krüger vor dem Amtsgericht Lahr Klage auf
Zahlung des Betrags von 278 Euro.
15 Stefan Krüger trägt beim vorlegenden Gericht gegen die Klageforderung
vor, dass Frau Messner ihm für ihre Nutzung des Notebooks für etwa acht
Monate auf jeden Fall Wertersatz zu leisten habe. Bei einem vergleichbaren
Notebook liege der Mietpreis im Marktdurchschnitt bei 118,80 Euro für drei
Monate, so dass sich für die Nutzungszeit der Klägerin ein Wertersatz von
316,80 Euro ergebe.
16 Unter diesen Umständen hat das Amtsgericht Lahr beschlossen, das
Verfahren auszusetzen, und dem Gerichtshof folgende Frage zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 2
der Richtlinie 97/7/EG dahin auszulegen, dass diese einer nationalen
gesetzlichen Regelung entgegensteht, die besagt, dass der Verkäufer im Falle
des fristgerechten Widerrufes durch den Verbraucher Wertersatz für die
Nutzung des gelieferten Verbrauchsgutes verlangen kann?
Zur Vorlagefrage
17 Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob Art. 6 Abs. 1
Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 dahin auszulegen ist, dass er einer
nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Verkäufer vom Verbraucher
für die Nutzung einer im Fernabsatz gekauften Ware in dem Fall, dass der
Verbraucher sein Widerrufsrecht fristgerecht ausübt, Wertersatz für die
Nutzung der Ware verlangen kann.
18 Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 sind die
einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines
Widerrufsrechts auferlegt werden können, die unmittelbaren Kosten der
Rücksendung der Waren.
19 In diesem Zusammenhang ergibt sich aus dem 14. Erwägungsgrund der
Richtlinie 97/7, dass dieses Verbot, dem Verbraucher andere Kosten als die
der unmittelbaren Rücksendung der Waren aufzuerlegen, gewährleisten soll,
dass das in dieser Richtlinie festgelegte Widerrufsrecht „mehr als ein
bloß formales Recht“ ist. Wäre dieses Recht nämlich mit negativen
Kostenfolgen verbunden, könnte dies den Verbraucher davon abhalten, von
diesem Recht Gebrauch zu machen.
20 Außerdem ergibt sich aus demselben Erwägungsgrund, dass das
Widerrufsrecht den Verbraucher in der besonderen Situation eines
Vertragsabschlusses im Fernabsatz schützen soll, in der er „keine
Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die
Eigenschaften der Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen“.
Das Widerrufsrecht soll also den Nachteil ausgleichen, der sich für einen
Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergibt, indem ihm
eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird, in der er die Möglichkeit hat,
die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren.
21 Im Licht dieser Ziele ist das in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der
Richtlinie 97/7 genannte Verbot auszulegen.
22 Insoweit ist festzustellen, dass die generelle Auferlegung eines
Wertersatzes für die Nutzung der durch Vertragsabschluss im Fernabsatz
gekauften Ware mit den genannten Zielen unvereinbar ist.
23 Falls nämlich der Verbraucher einen solchen pauschalierten Wertersatz
allein deshalb leisten müsste, weil er die Möglichkeit hatte, die durch
Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware in der Zeit, in der er sie im
Besitz hatte, zu benutzen, könnte er – wie die Generalanwältin in Nr. 74
ihrer Schlussanträge hervorhebt – sein Widerrufsrecht nur gegen Zahlung
dieses Wertersatzes ausüben. Eine solche Folge liefe eindeutig dem Wortlaut
und der Zielsetzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7
zuwider und nähme insbesondere dem Verbraucher die Möglichkeit, die ihm von
der Richtlinie eingeräumte Bedenkzeit völlig frei und ohne jeden Druck zu
nutzen.
24 Außerdem würden die Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts auf
Widerruf beeinträchtigt, wenn dem Verbraucher auferlegt würde, allein
deshalb Wertersatz zu zahlen, weil er die durch Vertragsabschluss im
Fernabsatz gekaufte Ware geprüft und ausprobiert hat. Da das
Widerrufsrecht gerade zum Ziel hat, dem Verbraucher diese Möglichkeit
einzuräumen, kann deren Wahrnehmung nicht zur Folge haben, dass er dieses
Recht nur gegen Zahlung eines Wertersatzes ausüben kann.
25 Die Richtlinie 97/7 hat jedoch, auch wenn sie den Verbraucher in der
besonderen Situation eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz schützen soll,
nicht zum Ziel, ihm Rechte einzuräumen, die über das hinausgehen, was zur
zweckdienlichen Ausübung seines Widerrufsrechts erforderlich ist.
26 Demzufolge stehen die Zielsetzung der Richtlinie 97/7 und insbesondere
das in ihrem Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 festgelegte Verbot
grundsätzlich Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen, wonach
der Verbraucher einen angemessenen Wertersatz zu zahlen hat, wenn er die
durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware auf eine mit den
Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der
ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat.
27 Aus dem letzten Satz des 14. Erwägungsgrundes der Richtlinie 97/7 ergibt
sich hierzu, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, weitere Bedingungen
und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen.
Diese Befugnis ist jedoch unter Beachtung der Zielsetzung dieser Richtlinie
auszuüben und darf insbesondere nicht die Wirksamkeit und die Effektivität
des Rechts auf Widerruf beeinträchtigen. Das wäre z. B. dann der Fall,
wenn die Höhe eines Wertersatzes der in der vorstehenden Randnummer
genannten Art außer Verhältnis zum Kaufpreis der fraglichen Ware stünde oder
wenn die nationale Regelung dem Verbraucher die Beweislast dafür auferlegte,
dass er die Ware während der Widerrufsfrist nicht in einer Weise benutzt
hat, die über das hinausgeht, was zur zweckdienlichen Ausübung seines
Widerrufsrechts erforderlich ist.
28 Es ist Sache des nationalen Gerichts, den Rechtsstreit, mit dem es
konkret befasst ist, im Licht dieser Grundsätze unter gebührender
Berücksichtigung aller seiner Besonderheiten zu entscheiden, insbesondere
der Natur der fraglichen Ware und der Länge des Zeitraums, nach dessen
Ablauf der Verbraucher aufgrund der Nichteinhaltung der dem Verkäufer
obliegenden Informationspflicht sein Widerrufsrecht ausgeübt hat.
29 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Bestimmungen
des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 dahin auszulegen
sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach der
Verkäufer vom Verbraucher für die Nutzung einer durch Vertragsabschluss im
Fernabsatz gekauften Ware in dem Fall, dass der Verbraucher sein
Widerrufsrecht fristgerecht ausübt, generell Wertersatz für die Nutzung der
Ware verlangen kann. Diese Bestimmungen stehen jedoch nicht einer
Verpflichtung des Verbrauchers entgegen, für die Benutzung der Ware
Wertersatz zu leisten, wenn er diese auf eine mit den Grundsätzen des
bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der
ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat,
sofern die Zielsetzung dieser Richtlinie und insbesondere die Wirksamkeit
und die Effektivität des Rechts auf Widerruf nicht beeinträchtigt werden;
dies zu beurteilen ist Sache des nationalen Gerichts.
Kosten
30 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit;
die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer
Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht
erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der
Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai
1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz sind
dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach
der der Verkäufer vom Verbraucher für die Nutzung einer durch
Vertragsabschluss im Fernabsatz gekauften Ware in dem Fall, dass der
Verbraucher sein Widerrufsrecht fristgerecht ausübt, generell Wertersatz für
die Nutzung der Ware verlangen kann.
Diese Bestimmungen stehen jedoch nicht einer Verpflichtung des Verbrauchers
entgegen, für die Benutzung der Ware Wertersatz zu leisten, wenn er diese
auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und
Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise
benutzt hat, sofern die Zielsetzung dieser Richtlinie und insbesondere die
Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts auf Widerruf nicht
beeinträchtigt werden; dies zu beurteilen ist Sache des nationalen Gerichts. |