Mängelvermutung nach §
476 BGB beim Verbrauchsgüterkauf: Anwendbarkeit beim Gebrauchtwagenkauf,
Anforderungen an die Widerlegung; Angemessenheit einer Nacherfüllungsfrist,
Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach § 323 II BGB
OLG Celle, Urteil v. 04.08.2004
- 7 U 30/04
Fundstelle:
NJW 2004, 3566
Zentrale Probleme:
s. die Anm. zu BGH
NJW 2004, 2299 sowie zu OLG
Stuttgart v. 17.11.2004, - 19 U 130/04
Amtl. Leitsatz:
Die Vermutungsregel des § 476 BGB greift beim Gebrauchtwagenkauf wegen „der Art des Mangels“ (insbesondere bei regelmäßigem Verschleiß) vielfach nicht ein. Sind aber die Voraussetzungen für die gesetzliche Vermutung des § 476 BGB erfüllt, reicht eine Erschütterung der Vermutung durch den Verkäufer nicht aus; er muss vielmehr nach § 292 ZPO den vollen Beweis des Gegenteils erbringen.
Gründe:
I.
Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem
angefochtenen Urteil und die Darstellung etwaiger Änderungen und
Ergänzungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung des Klägers hat weitgehend keinen Erfolg.
1. In Bezug auf den Hilfsantrag des Klägers ist die Beklagte gemäß
ihrem Anerkenntnis zur Vornahme der im Urteilstenor aufgeführten
Mängelbeseitigungsarbeiten am Fahrzeug des Klägers zu verurteilen
gewesen (§ 307 Abs. 1 ZPO).
2. Der Hauptantrag des Klägers ist unbegründet.
a) Der Kläger kann die Beklagte nicht aufgrund des von ihm
erklärten Rücktritts gemäß §§ 346 ff. BGB auf Rückabwicklung des
zwischen den Parteien zustande gekommenen Kaufvertrages über den
gebrauchten PKW Opel Vectra in Anspruch nehmen. Denn die
Voraussetzungen für einen Rücktritt vom Kaufvertrag nach § 437 Nr. 2
BGB sind nicht gegeben.
aa) Zwar weist das Fahrzeug Sachmängel im Sinne des § 434 BGB und
nicht lediglich normale Verschleiß- und Abnutzungserscheinungen auf,
welche keine Fehler der Kaufsache sind. Während es sich nach der
zutreffenden Einschätzung des Sachverständigen S. bei dem defekten
Auspuff, dem undichten Stoßdämpfer sowie der beschädigten Dichtung der
Beifahrertür um Verschleißerscheinungen handelt, stellen die
unzulässige Bereifung, die unfachgemäße Verschweißung am vorderen
Abgasrohr sowie der milchige rechte Scheinwerfer Sachmängel dar.
Aufgrund der Vermutung des 476 BGB muss davon ausgegangen werden,
dass diese Mängel bereits bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) vorgelegen
haben, nachdem der Kläger bereits einen Monat nach Übergabe des
Fahrzeugs diese Fehler, deren Vorhandensein der Sachverständige S.
bestätigt hat, gerügt hat.
Nach § 476 BGB wird vermutet, dass die Sache bereits bei
Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der
Art der Sache oder des Mangels unvereinbar. Diese Regelung findet nach
allgemeiner Ansicht auch auf gebrauchte Sachen Anwendung (Palandt, BGB,
62. Auflage zu § 476 Rdnr. 3), wobei allerdings die Vermutungswirkung
des § 476 BGB wegen „der Art des Mangels“ vielfach nicht eingreifen
wird. Dies ist hier bezüglich der von dem Sachverständigen
festgestellten weiteren Mängel, nämlich der hervorstehenden Stoßleisten
und des abstehenden Stoßfängers der Fall. Denn diese Fehler sind, wie
den von dem Sachverständigen gefertigten Fotos zu entnehmen ist, derart
offenkundig, dass sie, wenn sie bereits bei der Übergabe des Fahrzeugs
am 25. Oktober 2002 vorhanden gewesen wären, dem Kläger anlässlich
der Erstellung seiner Mängelliste vom 30. Oktober 2002 zwangsläufig
hätten auffallen müssen.
Dagegen bleibt es bei den vorbezeichneten drei weiteren Mängeln
(Bereifung, Abgasrohr, Scheinwerfer) bei der Vermutung des § 476 BGB.
Denn der Beklagten ist es nicht gelungen, diese zu widerlegen. Hierfür
ist, da es um eine gesetzliche Vermutung geht, nicht ausreichend, dass
der Verkäufer diese erschüttert. Er muss gemäß § 292 ZPO vielmehr den
vollen Beweis des Gegenteils erbringen. Den Gegenbeweis vermochte die
Beklagte mit der Aussage des Zeugen S. nicht zu führen. Der Zeuge
hatte, wie er einräumen musste, keine Erinnerung mehr an das Fahrzeug.
Er hat zwar weiter angegeben, dass er die Mängel, wenn sie vorgelegen
hätten, bei der Überprüfung des Wagens auch wahrgenommen und in seinen
Bericht mit aufgenommen hätte. Dies schließt aber nicht aus, dass dem
Zeugen die Mängel entgangen sind. Hinzu kommt, bezogen auf die
Bereifung und die geschweißte Ummantelung des vorderen Abgasrohrs, dass
die Zeugin K. ausgesagt hat, dass sie ausschließen kann, dass an dem
Fahrzeug ein Reifenwechsel oder Schweißarbeiten durchgeführt worden
sind. Danach verbleiben Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit
des Prüfberichts des Zeugen S., was zu Lasten der Beklagten geht.
Darüber hinaus befindet sich ein Lackschaden auf dem
Kofferraumdeckel des Fahrzeugs, der unstreitig bereits bei
Vertragsabschluss vorhanden war und dessen Beseitigung die Beklagte
zugesagt hatte. Da dieser bei Übergabe des Wagens weiterhin vorlag,
ist, da der PKW insoweit nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufweist,
ebenfalls ein Sachmangel im Sinne des § 434 BGB gegeben. Dass dieser
Lackschaden, wie die Beklagte vorträgt, keine Auswirkung auf die
Gebrauchstauglichkeit hat, ist unerheblich, nachdem sie vertraglich die
Beseitigung dieses Schadens übernommen hatte. Entgegen der Ansicht des
Klägers findet auch diesbezüglich Kaufvertragsrecht Anwendung. Nach §
433 Abs. 1 Satz 2 BGB hat der Verkäufer dem Käufer die Sache frei von
Sach und Rechtsmängeln zu verschaffen. Mit der Übernahme der
Beseitigung des Lackschadens ist die Beklagte keine über § 433 Abs. 1
Satz 2 BGB hinausgehende Verpflichtung eingegangen, zumal mit der
Ausbesserung der kleinen Lackstelle nur eine als gering einzustufende
handwerkliche Arbeitsleistung verbunden ist.
bb) Trotz der vorliegenden Mängel ist es dem Kläger verwehrt,
aufgrund seiner Rücktrittserklärung vom 9. Dezember 2002 die
Rückabwicklung des Kaufvertrages zu verlangen. Denn es fehlt an dem
erfolglosen Ablauf einer dem Verkäufer vom Käufer gesetzten
angemessenen Frist zur Nacherfüllung (§ 437 Nr. 2 i. V. m. § 323 Abs. 1 BGB).
Der Käufer, der wegen eines Mangels vom Kaufvertrag zurücktreten
will, ist gehalten, dem Verkäufer vor Ausspruch des Rücktritts eine
Frist zur Nachbesserung einzuräumen. Dies ist hier nicht der Fall. Der
Kläger hat den Rücktritt schon vor Ablauf einer angemessenen Frist
erklärt, so dass dieser keine Wirkung entfalten konnte.
Mit Schreiben vom 27. November 2002 hat der Kläger die Beklagte
zwar unter Fristsetzung bis zum 5. Dezember 2002 aufgefordert, die
vorbezeichneten Mängel zu beseitigen. Die Beklagte hat es auch
unterlassen, innerhalb der ihr gesetzten Frist tätig zu werden; ihr
Antwortschreiben vom 4. Dezember 2002 ist erst am 6. Dezember 2002 bei dem Kläger eingegangen. Die Frist ist indes
unter Berücksichtigung des enthaltenen Wochenendes vor dem Hintergrund,
dass die unzulässige Bereifung und die unfachgemäße Verschweißung am
vorderen Abgasrohr erstmals mit Schreiben vom 27. November 2002 gerügt
worden sind und dass zudem, worauf der Kläger in seinem Schreiben
selbst hingewiesen hat, ein Termin über die Vorführung des Wagens
vereinbart werden musste, zu kurz bemessen gewesen. Eine zu kurze Frist
ist zwar nicht wirkungslos, sondern setzt eine angemessene Frist in
Lauf. Diese war hier bei Eingang des Antwortschreibens der Beklagten am
6. Dezember 2002, in dem sie um eine Vorführung des Wagens bat, noch
nicht abgelaufen, wobei das genaue Fristende dahin stehen kann. Denn
der Kläger ist dem Anliegen der Beklagten nicht nachgekommen, sondern
hat sogleich mit Schreiben vom 9. Dezember 2002 und damit verfrüht den
Rücktritt vom Vertrag erklärt.
Nach §§ 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine Fristsetzung zwar
entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig
verweigert hat. An ihr Vorliegen werden aber strenge Anforderungen
gestellt. Hierfür ist nicht ausreichend, dass die Beklagte trotz ihrer
Zusage den Lackschaden nicht beseitigen ließ, wozu sie nach Übergabe
des Wagens ohnehin erst durch das Schreiben vom 27. November 2002
aufgefordert worden ist. Gleiches gilt für die unterlassene Reparatur
des rechten Scheinwerfers, auch wenn der Kläger diesen Fehler nach
seinem Vorbringen in der Klageschrift schon vor seinem Schreiben vom
27. November 2002 mündlich gerügt hat. Denn die Nichtvornahme von
Nachbesserungsarbeiten kann allein nicht als endgültige
Erfüllungsverweigerung aufgefasst werden. Dies gilt hier um so mehr,
als dass die Beklagte mit Schreiben vom 4. Dezember 2002 eine
Nacherfüllung nicht abgelehnt hat, sondern sich bereit erklärt hat, den
Wagen im Hinblick auf die in dem Schreiben vom 27. November 2002
gerügten Mängel zu überprüfen. Auch das Verhalten der Beklagten während
des Rechtsstreits lässt nicht auf eine endgültige Leistungsverweigerung
schließen. Ihren Klageabweisungsantrag hat die Beklagte vorrangig damit
begründet, dass ihr die Möglichkeit einer (weiteren) Nachbesserung
nicht gegeben worden sei. Dass die Beklagte, von dem Lackschaden
abgesehen, die von dem Kläger vorgetragenen Mängel zusätzlich
bestritten hat, ist ersichtlich aus rein prozesstaktischen Gründen
erfolgt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte
klargestellt, dass sie nach wie vor bereit ist, vorhandene Mängel am
Fahrzeug zu beheben.
b) Steht dem Kläger nach alledem lediglich der vorrangige
Nacherfüllungsanspruch aus §§ 437 Nr. 1, 439 BGB zu (der von der
Beklagten sofort nach Antragsstellung anerkannt worden ist), kann er
die Beklagte auch nicht gemäß § 437 Nr. 3 i. V. m. §§ 280, 281 BGB auf
Schadensersatz in Anspruch nehmen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 93, 97 Abs. 1 ZPO. Die
übrigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 713, 543 Abs. 1
ZPO i. V. m. § 26 EGZPO.
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