Ehescheidungsstatut (Art. 17 EGBGB),
„versteckte Rückverweisung“ (hidden renvoi) bei spiegelbildlicher „jurisdiction“
OLG Stuttgart, Beschl. v. 16.10.2002, 17 WF
189/02
Fundstelle:
FamRZ 2003, 1669
Zentrales Problem:
Es geht um die Scheidung ghanaischer
Staatsangehöriger durch ein deutsches Gericht. Art. 17 I i.V.m. Art. 14 Abs.
1 Nr. 1 verweist auf ghanaisches Recht, nach Art. 4 I 1 EGBGB ist zu prüfen,
ob das IPR Ghanas diese Verweisung für das Scheidungsstatut (nicht etwa für
das allgemeine Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB) annimmt oder zurück-
bzw. weiterverweist. In anglo-amerikanischer Tradition enthält das Recht
Ghanas aber keine Kollisionsnorm, sondern geht von der Zuständigkeit aus: Es
regelt, wann ghanaische Gerichte zuständig sind, die dann nach dem lex
fori-Prinzip stets das eigene Recht anwenden. Darin wird - in nicht ganz
unproblematischer Weise - "von außen" nun folgende Regel erblickt: Wenn ein
ausländisches Gericht nach den Maßstäben des ghanaischen Rechts
international zuständig wäre, soll es ebenfalls "sein Recht", d.h. die lex
fori anwenden. Damit kommt das Gericht über eine (in der
Zuständigkeitsregel) "versteckte Rückverweisung" zur Anwendung deutschen
Rechts. Dem ghanaischen Recht eine solche Kollisionsregel zu unterstellen,
ist in hohem Maße fiktiv. Teilweise wird in diesem Zusammenhang deshalb auch
- ehrlicher - von einem "fiktiven" oder "hypothetischen" renvoi gesprochen
(s. dazu etwa Bamberger/Roth-Lorenz, Einl. IPR Rn. 46 m.w.N.).
S. auch OLG
Stuttgart FamRZ 1997, 958.
Gründe:
Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Der ASt. macht allerdings zu Recht geltend, dass Art. 17 I, 14 I EGBGB auf
das ghanaische Recht als Scheidungsstatut verweisen, weil die Eheleute im
Zeitpunkt des Scheidungsantrags zwar verschiedene Staatsangehörigkeiten
hatten, während der Ehe aber zuletzt gemeinsam die ghanaische
Staatsangehörigkeit besaßen und die AGg. weiterhin diese Staatsangehörigkeit
besitzt.
Die Verweisung auf das ghanaische Recht nach Art. 17 I EGBGB ist aber eine
Gesamtverweisung (Art. 4 I S. l EGBGB), umfasst also auch die ausländischen
Kollisionsnormen. Es ist daher weiter zu prüfen, ob das ghanaische
Kollisionsrecht eine Rückverweisung enthält (vgl. Johannsen/Henrich,
Eherecht, 3. Aufl., Art. 17 EGBGB Rz. 15 ff.; MünchKomm, BGB, 3. Aufl., Art.
17 EGBGB Rz. 37 ff.).
Dies ist hier der Fall in Form einer sog. „versteckten Rückverweisung". Eine
solche versteckte Rückverweisung wird angenommen, wenn die ausl. Gerichte
stets die lex fori anwenden, wenn die internationale Zuständigkeit (jurisdiction)
für gegeben angenommen wird sowie aus Sicht der ausl. Kollisionsnormen -
auch - deutsche Gerichte zuständig sind. Nach Sec. 35 des Matrimonial Causes
Act 1971 (MCA) ist in Scheidungsverfahren so zu entscheiden, als wenn beide
Ehegatten zu Beginn des Verfahrens in Ghana domiziliert wären, was
bedeutet, dass ghanaisches Recht angewendet wird, sobald die internationale
Zuständigkeit gegeben ist (vgl. Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und
Kindschaftsrecht, Ghana, unter III. A. 2.). Da nach ghanaischer Sicht die
Zuständigkeit deutscher Gerichte - jedenfalls - nach Sec. 31c MCA gegeben
ist, weil einer der Ehegatten (bzw. beide) seinen gewöhnlichen Aufenthalt
mindestens drei Jahre in Deutschland hatte, ergibt sich daraus eine
versteckte Rückverweisung auf das deutsche Recht (Johannsen/Henrich, a. a.
O., Rz. 18; Rahm/Kunkel, Handbuch des Familiengerichtsverfahrens, VIII Rz.
80 (Ghana); s. a. Henrich, Internationales Familienrecht, § 4 I. 1. b; OLG
Hamburg, FamRZ 2001, 916).
Im Übrigen kann aufgrund der langen Dauer des Aufenthalts des ASt. in
Deutschland davon ausgegangen werden, dass er hier sein Domizil i. S. von
Sec. 31b MCA hat.
Dieses Ergebnis stimmt vorliegend auch mit der Anerkennungsvoraussetzung
eines ausländischen Scheidungsurteils nach Sec. 36 MCA überein. Nach Sec.
36b MCA ist es anzuerkennen, wenn es in Übereinstimmung mit dem Gesetz des
Ortes ist, wo beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt zur Zeit der
Klage hatten.
Kommt danach das deutsche Recht als Scheidungsstatut zur Anwendung, liegen
die Voraussetzungen einer Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres (§ 1565
II BGB) nicht vor, sodass der beabsichtigte Scheidungsantrag derzeit ohne
Erfolgsaussicht ist.
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