"Versteckte" bzw. "hypothetische" Rückverweisung ("hidden renvoi") - USA

OLG Stuttgart, Beschluß v. 20.03.1996 - 17 UF 8/96


Fundstelle:

FamRZ 1997, 958
S. die Anm. zu
OLG Stuttgart FamRZ 2003, 1669


Leitsätze:

1. Die Regelung der elterlichen Sorge nach Scheidung der Ehe der Eltern folgt - auch schon im Scheidungsverbundverfahren - nicht dem Scheidungs(folgen)statut, sondern dem Kindschaftsstatut des Art. 19 II S. 2 EGBGB.
2. Zur versteckten Rückverweisung nach kalifornischem Recht auf deutsches Kindschaftsrecht.


Zum Sachverhalt:

Die Parteien haben 1984 in den USA die Ehe geschlossen. Aus dieser ist 1986 eine Tochter hervorgegangen, die die deutsche und die amerikanische Staatsangehörigkeit hat. Seit 1988 hatten die Parteien ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland. Seit 1992 lebt der Mann getrennt von der Familie. 1994 kehrte die Frau mit dem Kind in die USA zurück und beantragte der Mann die Scheidung der Ehe mit der Bitte, die elterl. Sorge gemeinschaftlich zu lassen. Die Mutter ließ erklären, im Hinblick auf die große Entfernung bevorzuge sie es, die Sorge allein auszuüben.
Das FamG hat die Ehe auf den Antrag des Mannes nach deutschem Recht geschieden und die elterl. Sorge auf die Mutter allein übertragen. Die Sorgerechtsbeschwerde des Vaters blieb ohne Erfolg.

Aus den Gründen:

1. Die befristete Beschwerde ist gemäß §§ 629a II, 621e I, III ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig.
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit für das Beschwerdeverfahren gegen die im Verbundurteil enthaltene Sorgerechtsregelung folgt aus §§ 623, 606a ZPO. Soweit für den Scheidungsverbund die internationale Zuständigkeit besteht, und hieran gibt es keinen Zweifel, setzt diese sich nach allgemeiner M. (OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 644; OLG Karlsruhe, FamRZ 1992, 1465, 1466; OLG Hamm, FamRZ 1990, 781) für das Rechtsmittel gegen einzelne Folgesachen fort, auch wenn der Scheidungsausspruch rechtskräftig geworden ist.
2. In der Sache ist die Beschwerde ohne Erfolg. Die Übertragung der elterl. Sorge auf die Mutter ist gemäß Art. 19 II S. 2 EGBGB, § 1671 I, II BGB gerechtfertigt.
a) Der Senat ist der Auffassung, daß das für die Regelung der elterl. Sorge nach rechtskräftig gewordener Scheidung der Ehe der Eltern maßgebliche Recht nach dem klaren Wortlaut des Art. 19 II S. 2 EGBGB durch das für den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes maßgebliche Recht bestimmt wird (so auch Henrich, Das internationale Eherecht nach der Reform, FamRZ 1986, 841, 852; ebenso IPRax 1993, 81, 82; Palandt/Heldrich, Art. 19 EGBGB Anm. 9; OLG Bamberg, FamRZ 1990, 1135 = NJW-RR 1990, 774; OLG Hamm, FamRZ 1990, 781, 782; OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 644).
Der Gegenmeinung (OLG Frankfurt, FamRZ 1990, 783; OLG Karlsruhe, FamRZ 1992, 1465, 1466; Piltz, Internationales Scheidungsrecht, S. 107 ff.), welche bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das einem Scheidungsverbund entstammende Sorgerechtsverfahren über Art. 19 II S. 1 EGBGB das Scheidungsstatut zur Anwendung bringen will - mit der Folge eines u. U. alsbaldigen Statutenwechsels im Abänderungsverfahren -, kann nicht gefolgt werden. Bereits in der Begründung des Gesetzesentwurfs (BT-Drucks. 10/504, S. 66) wird deutlich hervorgehoben, daß für die Wirkungen der ehel. Kindschaft nach Auflösung der Ehe der gewöhnliche Aufenthaltsort des Kindes maßgebend sein soll. Die elternbezogene Anknüpfung als wesentlicher Grund für die Annahme rechtseinheitlicher Beziehungen zwischen Ehewirkungs- und Kindschaftsstatut bis zur Auflösung der Ehe verliert ihre Rechtfertigung mit dem Wegfall dieser Anknüpfungstatsache. Der von der Gegenmeinung herangezogene Gedanke, daß Art. 17 I EGBGB auf kollisionsrechtliche Kontinuität hinsichtlich der Scheidungsfolgen abstelle, überzeugt nicht. Im Interesse des Kindeswohls - das nach der Rspr. des BVerfG die oberste Richtschnur bei jeder Einwirkung des Staates auf das Eltern-Kind-Verhältnis darstellt - ist der auch vom Haager Minderjährigenschutzabkommen vorgenommenen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes der Vorrang einzuräumen.
b) Nach dem hiernach maßgeblichen Recht des Staates Kalifornien als dem Recht des Aufenthaltsortes des Kindes kommt im Wege der versteckten Rückverweisung das materielle deutsche Recht zur Anwendung.
Für die US-amerikanischen Gerichte stellt sich aus dem nicht kodifizierten "Common Law" (Bergmann/Ferid, USA, S. 49, 50) die maßgebliche Frage nach der "jurisdiction". Bejaht ein US-Gericht seine jurisdiction, so wendet es sein eigenes Recht an
(Bergmann/Ferid, USA, S. 58). Für die Regelung des Sorgerechts bestimmt aber der auch von Kalifornien ratifizierte (Bergmann/Ferid, USA, California, S. 1) "Uniform Child Custody Jurisdiction Act" (Einheitliches Gesetz über Sorgerechtsverfahren für Kinder [UCCJA]) die Zuständigkeit eines Gerichts. Nach § 3a II ist diese dann gegeben, wenn es im besten Interesse des Kindes liegt, wenn das Gericht seine Zuständigkeit bejaht, weil das Kind und seine Eltern oder einer von diesen eine nachhaltige Beziehung zu dem Staat haben, und hinreichender Beweis verfügbar ist. Dieser Tatbestand ist verwirklicht, wenn das Kind mit einem Elternteil vom früheren gemeinsamen Wohnsitz verzogen ist, während der andere Elternteil dort verblieben ist (Bergmann/Ferid, USA, S. 94 Anm. 46) und liegt in dem zu entscheidenden Falle vor, denn das Forum beim FamG wurde noch durch den früheren gemeinsamen Wohnsitz der Eltern begründet. I.S. der US-amerikanischen Regelung bietet der Vortrag der Parteien auch eine ausreichende Entscheidungsgrundlage, so daß für die Sorgerechtsentscheidung deutsches Recht anzuwenden ist.
c) Das FamG hat zu Recht angenommen, daß bei den Parteien die Voraussetzungen für eine gemeinsame elterl. Sorge nicht vorliegen und die Übertragung der elterl. Sorge auf die Mutter dem Wohl des Kindes am besten entspricht. . . .