Materiellrechtliche „Anerkennung“ einer islamisch-rechtlichen Privatscheidung; Abgrenzung zur prozeßrechtlichen Anerkennung nach § 328 ZPO bei gerichtlicher Registrierung einer Privatscheidung; Anknüpfung des Scheidungsstatuts



BayObLG, Beschluß v. 12. 9. 2002 - 3Z BR 136/02
 



Fundstelle:

 

FamRZ 2003, 381
s. auch
BGH v. 28.5.2008 - XII ZR 61/06 sowie die Anm. zu OLG München, Beschluss v. 2.6.2015, 34 Wx 146/14.


 



Amtl. Leitsatz:

 

Eine vor einem Scharia-Gericht in Jordanien in der Form vollzogene Ehescheidung, daß der Ehemann die Scheidung gegenüber seiner auf ihre vermögensrechtlichen Ansprüche verzichtenden Ehefrau ausspricht und der anwesende Richter die Scheidung bestätigt und beurkundet, die so genannte „al-mukhalaa", ist eine einverständliche Privatscheidung. Einer Anerkennung steht § 1564 BGB entgegen, wenn auf die Scheidung materielles deutsches Recht anzuwenden und der die Anerkennung beantragende Ehemann ausschließlich deutscher Staatsangehöriger ist.
 


 

Aus den Gründen:

 

I. Der Antragsteller, ein durch Einbürgerung i. J. 1992 deutscher Staatsangehöriger, hat mit der Antragsgegnerin, einer jordanischen Staatsangehörigen, am 9.8.1993 vor einem Gericht in I./Jordanien, die Ehe geschlossen. In der jordan. Heiratsurkunde ist für den Antragsteller die jordan. Staatsangehörigkeit vermerkt. Aus der Ehe sind zwei minderjährige Kinder hervorgegangen. Die Parteien, die ihren gemeinsamen ehel. Wohnsitz in München hatten, leben nach den Angaben des Antragstellers seit Anfang Januar 2000 getrennt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Antragsgegnerin nach Jordanien ausgereist.

 

Die Ehe der Parteien wurde vor dem Scharia-Gericht I./Jordanien am 15. 1. 2001 in der Form geschieden, daß die Antragsgegnerin gegenüber dem durch einen Bevollmächtigten vertretenen Antragsteller erklärte, sie verzichte auf Brautgabe, Unterhalt während der Wartezeit, den Kindesunterhalt und alle übrigen Ansprüche aus der Ehe unter der Voraussetzung, daß der Antragsteller die Scheidung ausspreche, und der Bevollmächtigte des Antragstellers daraufhin erklärte, die Antragsgegnerin sei nunmehr aus dem Eheband des Antragstellers endgültig entlassen. Der anwesende Richter erklärte anschließend gegenüber dem Bevollmächtigten des Antragstellers, daß nach dieser Erklärung der beiden Parteien in Anwesenheit von Zeugen und „in religionsrechtlich zulässigem Zustand" die Antragsgegnerin nunmehr unwiderruflich geschieden sei, und beurkundete den Vorgang.

 

Der Antragsteller beantragte am 23. 7. 2001 die Anerkennung der Ehescheidung. Die Präsidentin des OLG hat am 3.5.2002 den Antrag zurückgewiesen.

 

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit dem Ziel, die Anerkennung der Ehescheidung vor dem religiösen Scharia-Gericht in Jordanien v. 15. 1. 2001 zu erreichen. …

 

II. Der Antrag auf Entscheidung durch das zuständige OLG ist unbegründet. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anerkennung der Ehescheidung liegen nicht vor.

 

1. Zu Recht hat die Präsidentin des OLG über den Anerkennungsantrag in Anwendung des Art. 7 FamRÄndG entschieden. Das Anerkennungsverfahren nach Art. 7 FamRÄndG findet nicht nur bei Ehescheidung durch gerichtliches Urteil, sondern auch bei Ehescheidungen im Wege der sog. Privatscheidungen Anwendung, wenn diese unter Mitwirkung einer Behörde zustande gekommen sind. Eine bloße deklaratorische Registrierung oder gerichtliche Beurkundung genügt (vgl. BayObLGZ 1998, 103, 105 = FamRZ 1998, 1594; BGHZ 110, 267, 270 = FamRZ 1990, 607; jeweils m. w N.; Zöller/Geimer, ZPO, 23. Aufl., § 328 Rz. 239). Diese Voraussetzung ist hier gegeben.

 

2. Über die Anerkennung ist nicht auf der Grundlage des § 328 ZPO zu entscheiden, sondern auf der Grundlage des deutschen Internationalen Privatrechts, da der Akt, dessen Anerkennung begehrt wird, keine gerichtliche Entscheidung darstellt, sondern eine Privatscheidung.

 

a) Die Anwendung des § 328 ZPO setzt voraus, daß ein Urteil eines ausländischen Gerichts vorliegt. Besteht der Akt, durch den die Scheidung herbeigeführt wurde, hingegen in einem Rechtsgeschäft, z.B. einem Vertrag oder der Willensäußerung eines der beiden Ehepartner, liegt eine Privatscheidung vor. Hat ein Gericht an dem anzuerkennenden Akt mitgewirkt, führt dies nicht zwangsläufig zu einer anerkennungsfähigen Entscheidung i.S. von § 328 ZPO. Entscheidend ist vielmehr die Funktion, in der das Gericht tätig geworden ist. Von einem „Urteil" kann nur gesprochen werden, soweit der gerichtliche Akt auf die Herbeiführung der Statusänderung gerichtet ist und diese selbst herbeiführt. Wird hingegen die Statusänderung durch das Rechtsgeschäft eines Ehepartners oder beider Ehepartner konstitutiv herbeigeführt, liegt eine Privatscheidung vor, auch wenn die entsprechenden Erklärungen vor einem Gericht abgegeben werden (Staudinger/Spellenberg, BGB, 13. Bearb., § 328 ZPO Rz. 233; vgl. auch BayObLGZ 1998, 103, 105 = FamRZ 1998, 1594).

Hat das Gericht lediglich eine Erklärung der Bet. beurkundet, liegt eine Privatscheidung vor, auch wenn die Beurkundung Wirksamkeitserfordernis ist (vgl. Zöller/Geimer, § 328 Rz. 74; auch Lüderitz, in: FS Baumgärtel, 1990, S. 333, 340 und 345).

 

b) Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei der vor dem Scharia-Gericht in Jordanien vollzogenen Ehescheidung um eine Privatscheidung. Die Ehescheidung ist gemäß Art. 102 ff. jordan. Personenstandsgesetz (vgl. Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Jordanien, 99. Lfg. 1989) vorgenommen worden. Es handelt sich hierbei um eine Ehescheidung auf Antrag der Ehefrau gegen Entgelt, die sog. „Al-Mukhalaa". Bei dieser Form der Scheidung kann sich die Ehefrau gleichsam von der Ehe freikaufen, wenn beide Ehegatten sich über die Scheidung einig sind und die Ehefrau eine Art Abstandszahlung oder eine sonstige vermögenswerte Leistung erbringt (vgl. Art. 104 Jordan. PStG). Wie das durch den Antragsteller vorgelegte Protokoll zeigt, hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller das Angebot einer vermögenswerten Leistung unter der Voraussetzung unterbreitet, daß dieser die Ehescheidung ausspricht. Ihr Angebot hat der Antragsteller durch die Worte seines Bevollmächtigten „Du bist nunmehr geschieden und frei" angenommen. Diese Vorgehensweise beinhaltet eine einverständliche Privatscheidung (vgl. Staudinger/von Bar/Mankowski, BGB, 13. Aufl., Art. 17 EGBGB Rz. 62). Die eigentliche Scheidungswirkung wird durch das Einverständnis der Ehepartner über die Scheidung herbeigeführt (vgl. Rauscher, Scharia - Islamisches Familienrecht der sunna und shia, 1987, S. 112, für den der Al Mukhalaa vergleichbaren „khul").

Art. 101 jordan. PStG sieht als gerichtliche Handlung nur die Registrierung vor. Dementsprechend hat hier der Richter erst im Anschluss an die Erklärungen der Eheleute die Feststellung getroffen, daß durch die abgegebenen Erklärungen die Antragsgegnerin geschieden sei. Diese Äußerung ist schon nach ihrem Inhalt rein deklaratorisch und zeigt, daß die Scheidung selbst durch die Erklärung der beiden Parteien und gerade nicht durch das Gericht erfolgt ist, welches eine rein beurkundende Funktion innehatte. Allein dies ist entscheidend. Darauf, ob es sich bei dem Scharia-Gericht in I. um ein staatliches Gericht handelt oder nicht, kommt es nicht an.

Für die Einordnung der Al-Mukhalaa als Privatscheidung spricht auch, daß bei Unwirksamkeit der Erklärung der Ehefrau die Erklärung des Ehemannes als „talaq" gewertet werden kann (Rauscher, a. a. O.). Die Ehescheidung in Form des talaq hat der Senat bereits wiederholt als Privatscheidung angesehen (BayObLG, FamRZ 1985, 75, 76; BayObLGZ 1998, 103, 105 = FamRZ 1998, 1594; vgl. auch OLG Braunschweig, FamRZ 2001, 561; OLG Frankfurt/M., NJW 1990, 646). Auch dort hat das Gericht nur eine beurkundende Funktion wahrzunehmen.

 

c) Da keine gerichtliche Entscheidung und damit kein konstitutiver Hoheitsakt vorliegt, sondern ein rechtsgeschäftlicher privater Gestaltungsakt; können nicht die Regelungen des § 328 ZPO, sondern nur die Normen des deutschen internationalen Privatrechts zur Prüfung herangezogen werden. Anerkennung bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als die Entscheidung über die inländische Wirksamkeit der Scheidung nach den einschlägigen Normen des deutschen Kollisionsrechts (MünchKomm/Winkler von Mohrenfels, BGB, 3. Aufl., Art. 17 EGBGB Rz. 286). Die Frage der Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts stellt sich nicht, da ein privates Rechtsgeschäft, keine gerichtliche Entscheidung anerkannt werden soll. Die Wirksamkeit der Scheidung ist daher nach den materiellen Voraussetzungen des Rechts zu beurteilen, das nach den Regeln des internationalen Privatrechts auf ein solches Rechtsgeschäft anzuwenden ist (vgl. BGHZ 100, 267, 272 = FamRZ 1990, 607; BayObLGZ 1998, 103, 106 = FamRZ 1998, 1594; OLG Frankfurt, NJW 1990, 646; Palandt/Heldrich, BGB, 61. Aufl., Art. 17 EGBGB Rz. 35).

 

3. Nach den Grundsätzen des internationalen Privatrechts ist als Scheidungsstatut für die in Jordanien vollzogene Privatscheidung deutsches Recht berufen. Daher ist ihr die Anerkennung zu versagen.

a) Auf die Scheidung, deren Anerkennung beantragt worden ist, kommt nach den Anknüpfungsregeln des Art. 17 und 14 EGBGB (vgl. Zöller/Geimer, a. a. O.; BGHZ 110, 267 = FamRZ 1990, 607; BayObLG, FarnRZ 1994, 1263) deutsches Recht zur Anwendung. Maßgebend ist das Recht, das im Zeitpunkt der Scheidungsvereinbarung für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebend war (Art. 17 1 S. 1 EGBGB; BayObLGZ 1998, 103, 106 = FamRZ 1998, 1594). Da die Ehegatten im Zeitpunkt der Ehescheidung (vgl. Palandt1Heldrich, Art. 14 Rz. 6) unterschiedliche Staatsangehörigkeiten besaßen, richteten sich zu diesem Zeitpunkt die allgemeinen Ehewirkungen nach dem Recht des Staates, in dem beide Ehegatten zuletzt während der Ehe ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, wenn einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (vgl. Art. 14 I Nr. 2 EGBGB), hier also nach deutschem Recht. Darauf, daß der Antragsteller möglicherweise zum Zeitpunkt der Eheschließung - wenn die Angaben in der jordan. Heiratsurkunde zutreffen - zusätzlich neben der deutschen Staatsangehörigkeit auch die jordan. Staatsangehörigkeit besaß, kommt es wegen der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Ehescheidung nicht an.

 

b) Eine anders lautende Rechtswahl nach Art. 14 III und IV EGBGB haben die Parteien nach dem Vorbringen des Antragstellers nicht vorgenommen. Weder bei der Eheschließung noch während der Ehe noch vor Beginn des Scheidungsverfahrens vor dem jordan. Gericht haben die Parteien eine Vereinbarung getroffen, daß sie ihrer Ehe und damit auch dem Ehescheidungsverfahren jordan. Recht zugrunde legen wollen. Auch aus der durch den Antragsteller vorgelegten Eheschließungsurkunde ergeben sich keine Hinweise auf eine Rechtswahl.

Eine solche Rechtswahl ist auch nicht konkludent durch die Anrufung des jordan. Gerichts zustande gekommen. Die Rechtswahl setzt entweder notarielle Beurkundung (Art. 14 IV S. 1 EGBGB) oder aber die Form voraus, die für einen Ehevertrag am Ort der Rechtswahl einzuhalten ist (Art. 14 IV S. 2 EGBGB). Auch das jordan. Recht kennt keinen formlosen Abschluss eines Ehevertrags: Vielmehr sind Bestimmungen, die bei der Eheschließung vereinbart werden, in die Heiratsurkunde aufzunehmen (vgl. Art. 19 I jordan. PStG). Die Tatsache, daß ein jordan. Gericht mit der Scheidung befasst wird, genügt diesen Anforderungen nicht.

 

c) Nach dem deutschen materiellen Scheidungsrecht kann eine Privatscheidung, gleichgültig, ob diese im Inland oder im Ausland erfolgt ist, nicht anerkannt werden. Das deutsche Recht kennt nur eine gerichtliche Ehescheidung (§ 1564 BGB); es räumt den Ehegatten auch bei Einvernehmen nicht die Möglichkeit ein, ihre Ehe im Wege der Vereinbarung aufzulösen. Eine Privatscheidung ist dem deutschen Recht fremd. Insoweit hat die Vorschrift des § 1564 BGB auch materiellen Gehalt. Deshalb kann eine im Ausland vorgenommene Privatscheidung bei deutschem Scheidungsstatut nicht als wirksam anerkannt werden (vgl. BGHZ 110, 267, 276 = FamRZ 1990, 607; BayObLG, FamRZ 1994, 1263, 1264; OLG Braunschweig, FamRZ 2001, 561).

 

d) Die Vorschrift des § 606a I S. 4 ZPO steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Zwar ermöglicht sie Ehegatten, welche verschiedenen Staaten angehören, sich an das Gericht eines ihrer Heimatstaaten zu wenden. Es war dem Antragsteller damit nicht verwehrt, sich in Jordanien scheiden zu lassen. Diese Frage ist aber von der Frage zu trennen, auf welche Art und Weise eine solche Scheidung zu vollziehen ist. Der Antragsteller ist nach seinem eigenen Vortrag nur noch deutscher Staatsangehöriger. Das deutsche Scheidungsrecht lässt, wie bereits ausgeführt, keine unmittelbar wirkende Vereinbarung der Ehegatten über die Scheidung ihrer Ehe zu. Daß sich hieran bei der Scheidung eines Deutschen im Ausland etwas ändern soll, diesem also nach deutschem materiellen Scheidungsrecht im Ausland mehr gestattet sein soll als im Inland, lässt sich den inländischen Scheidungsvorschriften, insbesondere § 1564 BGB, nicht entnehmen. Vielmehr kommt diese Bestimmung im Falle der Anwendung materiellen deutschen Rechts auch bei Scheidungen im Ausland zum Zuge mit der Folge, daß auch im Ausland vollzogene Scheidungen durch ein gerichtliches Urteil erfolgen müssen. Fehlt es an diesem Erfordernis, scheidet eine Anerkennung aus (vgl. BGHZ 110, 267, 277 = FamRZ 1990, 607; BGH, FamRZ 1994, 434; Bay0bLGZ 1981, 353 = FamRZ 1982, 296 [LS.]; Zöller/Geimer, § 328 Rz. 237).

Aus denselben Erwägungen heraus ist es ebenfalls unerheblich, daß, da die Antragsgegnerin zurzeit der Heirat unzweifelhaft jordan. Staatsangehörige war, vor jordan. Gerichten gemäß Art. 15 jordan. PStG allein jordan. materielles Recht anzuwenden ist. Ob etwas anderes gelten kann, wenn beide Ehegatten eine übereinstimmende ausländische Staatsangehörigkeit besitzen (vgl. zu diesem Problem Gottwald, Anm. zu OLG Braunschweig, FamRZ 2001, 646, 647), braucht hier nicht entschieden zu werden.