IPR: Vorlagebeschluss an den EuGH zur Anwendung
der Rom III-VO auf die Anerkennung von Privatscheidungen ("talaq");
konkreter oder abstrakter op-Einwand nach Art. 10
Rom III-VO im Rahmen der
Anerkennung einer Auslandsscheidung
OLG München, Beschluss v. 2.6.2015,
34 Wx 146/14
Fundstelle:
noch nicht bekannt
beim EuGH anhängig unter
Rs. C-281/15 (Sahyouni)
Tenor:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden
folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist der Anwendungsbereich nach Art. 1 Verordnung (EU) Nr.1259/2010 des
Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf
die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden
Rechts (Rom III-VO) vom 20. Dezember 2010 (ABl EU Nr. L 343 S. 10) auch für
die sogenannte Privatscheidung - hier: vor einem geistlichen Gerichtshof in
Syrien aufgrund der Scharia - eröffnet?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird:
a) Ist im Fall der Prüfung der innerstaatlichen Anerkennungsfähigkeit einer
Ehescheidung auch Art. 10 Verordnung (EU) 1259/2010 (Rom III-VO) anzuwenden?
b) Falls die Frage a) bejaht wird:
(1) Ist abstrakt auf einen Vergleich abzustellen, wonach das Recht des
angerufenen Staates einen Zugang zur Ehescheidung zwar auch dem anderen
Ehegatten gewährt, diese aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit aber an
andere verfahrensrechtliche und materielle Voraussetzungen knüpft wie an den
Zugang des einen Ehegatten,
oder
(2) ist die Geltung der Norm davon abhängig, dass die Anwendung der abstrakt
diskriminierenden ausländischen Rechts auch im Einzelfall - konkret -
diskriminiert?
c) Falls die Frage b) (2) bejaht wird:
Ist ein Einvernehmen des diskriminierten Ehegatten mit der Ehescheidung -
auch in der Form der gebilligten Entgegennahme von Ausgleichsleistungen -
bereits ein Grund, die Norm nicht anzuwenden?
Zentrale Probleme:
Eine sehr spannende Vorlagefrage zum Internationalen
Ehescheidungsrecht. Es geht um die Anerkennung einer ausländischen
Privatscheidung, die lediglich gerichtlich registriert wurde im Rahmen eines
Verfahrens nach § 107 FamFG. Da keine gerichtliche Entscheidung vorliegt,
ist das kein Fall prozessualer Anerkennung (die hier mangels Anwendbarkeit
der Brüssel II-VO nach §§ 107 ff FamFG
erfolgen würde), sondern es muss materiellrechtlich geprüft werden, ob die
Ehescheidung wirksam ist (s. dazu BayOblG FamRZ
2003, 381 sowie
BGHZ 176, 365 zur Privatscheidung nach jüdischem Recht. Wäre die
Privatscheidung im Inland vorgenommen worden, scheiterte dies bereits an
Art. 17 II EGBGB. Da sie hier aber in Syrien vorgenommen wurde, ist das
anwendbare Recht zu ermitteln. Dabei stellt sich nun die (wohl zu bejahende,
aber eben unklare) Frage, ob auch hierauf die
Rom III-VO anwendbar ist
(sie ist, anders als die Brüssel II-VO sog. "loi uniforme", d.h. auch
gegenüber Nicht-EU-Staaten anwendbar, vgl. Art. 4
Rom III-VO). Wäre das
der Fall, käme man gem. Art. 8
Rom III-VO
möglicherweise zur Anwendbarkeit syrischen Rechts. Wenn das der Fall ist,
stellt sich aber die Frage, ob nicht wegen Art. 10
Rom III-VO dennoch
deutsches Recht anzuwenden ist, weil das syrische Recht Männer und Frauen
bei der Frage der Ehescheidung ungleich behandelt. Hier stellt sich nun die
Frage, ob das - anders als üblicherweise bei ordre public - ganz
abstrakt zu sehen ist, oder ob es darauf ankommt, ob das konkrete Ergebnis
der Rechtsanwendung gleichheitswidrig ist. Sonst käme man nämlich etwa dazu,
einer Ehefrau die Anerkennung der Ehescheidung im Inland zu versagen, obwohl
sie selbst eine solche Anerkennung begehrt (hier war das nicht so). Käme man
nämlich hier wegen der Nichtanwendbarkeit der
Rom III-VO oder wegen
Art. 10 Rom III-VO
zur Anwendung deutschen Rechts, wäre die Ehescheidung wegen § 1564
Satz 1 BGB (Scheidungsmonopol der Gerichte) nicht anerkennungsfähig. Die
Norm ist nämlich nicht nur eine Formvorschrift, sondern (auch)
materiellrechtlich zu qualifizieren. Man darf gespannt sein, wie der EuGH
entscheiden wird. Die Sache ist dort unter
Rs. C-281/15 (Sahyouni) anhängig.
©sl 2015
Gründe:
I.
1 Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bildet die gerichtliche
Entscheidung über die Anerkennung einer in der Arabischen Republik
Syrien von einem religiösen Gericht bestätigten Scheidung von Eheleuten in
der Bundesrepublik Deutschland, welche der Präsident des
Oberlandesgerichts München mit Verwaltungsentscheidung vom 5. November 2013
ausgesprochen hat.
2 1. Die Beteiligten schlossen am 27. Mai 1999 im Bezirk des
islamrechtlichen Gerichts in Homs (Arabische Republik Syrien) die Ehe.
3 Der Ehemann, der Beteiligte zu 1, war seit Geburt syrischer
Staatsangehöriger. Im Jahr 1977 wurde er in der Bundesrepublik Deutschland
eingebürgert. Seitdem besitzt er beide Staatsangehörigkeiten. Seit Geburt
ist die Ehefrau und Beteiligte zu 2 syrische Staatsangehörige. Nach der
Eheschließung erwarb sie die deutsche Staatsangehörigkeit.
4 Die Eheleute lebten bis zum Jahr 2003 im Inland und verzogen anschließend
nach Homs (Arabische Republik Syrien). Wegen des dortigen Bürgerkriegs
begaben sie sich im Sommer 2011 erneut kurzzeitig nach Deutschland, lebten
aber ab Februar 2012 abwechselnd im Emirat Kuwait und in der Libanesischen
Republik; während dieses Zeitraums hielten sie sich wiederholt auch in der
Arabischen Republik Syrien auf. Aktuell leben beide Parteien mit
unterschiedlichen Wohnsitzen wieder in der Bundesrepublik Deutschland.
5 2. Der Ehemann erklärte am 19. Mai 2013 die Scheidung seiner Ehe,
indem sein Bevollmächtigter vor dem geistlichen Scharia-Gericht in Lakatia
(Arabische Republik Syrien) die Scheidungsformel aussprach. Das Gericht
stellte am 20. Mai 2013 in dem Beschluss Nr. 1276 die Ehescheidung fest.
6 Im Laufe der gesetzlichen Wartefrist kam es nicht zu einer
Wiederverheiratung. Am 12. September 2013 gab die Ehefrau eine eigenhändig
unterzeichnete Erklärung über den Empfang von nach religiösen Vorschriften
zustehenden Leistungen, nämlich insgesamt 20.000 US-Dollar, mit folgendem
Wortlaut ab:
7 ... Ich habe alle mir aus dem Ehevertrag und aufgrund der auf einseitigem
Wunsch vorgenommenen Scheidung zustehenden Leistungen erhalten und somit
befreie ich ihn von allen mir aus dem Ehevertrag und dem von dem
Scharia-Gericht Latakia erlassenen Scheidungsbeschluss Nr. 1276 vom 20. Mai
2013 zustehenden Verpflichtungen. ...
8 3. Der Beteiligte zu 1 hat mit Schreiben vom 30. Oktober 2013 die
Anerkennung der Ehescheidung beantragt. Der Präsident des Oberlandesgerichts
München hat mit Entscheidung vom 5. November 2013 dem Antrag stattgegeben
und festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung
der am 19. Mai 2013 ausgesprochenen und am 20. Mai 2013 bestätigten
Ehescheidung vorliegen.
9 Die Entscheidung wurde der inländischen Verfahrensbevollmächtigten der
Ehefrau mit Schreiben vom 13. Februar 2014 übermittelt. Mit ihrem am 19.
Februar 2014 eingegangenen Antrag vom 18. Februar 2014 begehrt sie, die
Entscheidung des Präsidenten des Oberlandesgerichts München aufzuheben und
auszusprechen, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung der am 19. Mai
2013 ausgesprochenen und am 20. Mai 2013 bestätigten und registrierten
Ehescheidung nicht vorliegen. Sie begründet dies damit, dass der
Anerkennung im Inland das maßgebliche deutsche Recht entgegenstehe.
Im Übrigen habe sie den Betrag von 20.000 US-Dollar nicht vollständig
erhalten. Auch sei die Erklärung, auf die Morgengabe und den
Unterhalt zu verzichten, nach syrischem Recht unwirksam.
10 Der Präsident des Oberlandesgerichts München hat der Beschwerde mit
Entscheidung vom 8. April 2014 nicht abgeholfen. Die Anerkennungsfähigkeit
der Ehescheidung richte sich nach der
Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 (Rom III-VO), diese sei auch auf
Privatscheidungen anwendbar. Mangels wirksamer Rechtswahl und mangels
gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten im Jahr vor der Scheidung
bestimme sich das anzuwendende Recht nach Art. 8 Buchstabe c Rom III-VO.
Wenn beide Ehegatten die doppelte Staatsangehörigkeit besäßen, komme es auf
die effektive Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EGBGB
an. Diese sei zum Zeitpunkt der Scheidung die syrische gewesen, was daraus
folge, dass die Beteiligte zu 2 trotz des Bürgerkriegs in ihr Geburtsland
zurückgegangen sei und auch der Beteiligte zu 1 vorgetragen habe, einen
Wohnort dort vorzuziehen. Im Übrigen hätten sie in der Arabischen Republik
Syrien die Ehe geschlossen und auch während der Ehezeit deutlich überwiegend
dort gelebt. Der ordre public (Art. 12 Rom III-VO) stehe der
Anerkennung nicht entgegen. Die Beteiligte zu 2 sei an der
Scheidung zureichend beteiligt gewesen; zudem habe sie die gegenständliche
Form der Scheidung jedenfalls nachträglich dadurch akzeptiert, dass sie zur
Abgeltung der Scheidungsfolgen 20.000 US-Dollar angenommen habe. Art. 10 Rom
III-VO stehe damit trotz einer möglichen Diskriminierung der Anerkennung der
Ehescheidung nicht entgegen.
II.
11 1. Gemäß Art. 267 AEUV ist unter Aussetzung des gerichtlichen
Verfahrens eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union
einzuholen, weil die Entscheidung des Senats über die Beschwerde der Ehefrau
von der Beantwortung der an den Gerichtshof gestellten Fragen zum
Anwendungsbereich und zur Auslegung der
Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 (Rom
III-VO) abhängt.
12 2. Ein nach § 107 Abs. 5 FamFG statthafter Antrag auf gerichtliche
Entscheidung über die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung in
Ehesachen liegt vor. Dieser ist in zulässiger Form und Frist gestellt. Dem
Antrag zugrunde liegt eine Entscheidung im Sinne von § 107 Abs. 1 Satz 1
FamFG, weil die Ehescheidung durch das Gericht eines ausländischen Staates
urkundlich registriert wurde und ein Vorrang der Verordnung (EG) Nr.
2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in
Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der
Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl EG Nr. L 338 vom 23.12.2003, S. 1) nicht
besteht. Zwar handelt es sich um ein religiöses Gericht; dessen
Tätigkeit auf dem Gebiet des Eherechts ist jedoch staatlicherseits anerkannt
(dazu Münchener Kommentar/Rauscher FamFG 3. Aufl. § 107 Rn. 19).
Eheauflösungen aufgrund einseitiger Akte mit anschließender
urkundlicher Registrierung fallen nach überwiegender und vom Senat geteilter
Ansicht (vgl. BGH FamRZ 1990, 607/608; BGHZ 82, 34/41 f.; Keidel/
Zimmermann FamFG 18. Aufl. § 107 Rn. 13) in den Anwendungsbereich
der Vorschrift. Da der Ehemann seinen gewöhnlichen Aufenthalt in
Bayern hat, war für die Verwaltungsentscheidung gemäß § 107 Abs. 2 und 3
FamFG, § 4 Gerichtliche Zuständigkeitsverordnung Justiz - GZVJu - vom 11.
Juni 2012 (GVBl S. 295) der Präsident des Oberlandesgerichts München
zuständig. Die Zuständigkeit des angerufenen Oberlandesgerichts ergibt sich
aus § 107 Abs. 5 und Abs. 7 FamFG.
III.
13 1. Zu Frage 1:
14 Ist der Anwendungsbereich nach Art. 1 Rom III-VO auch für die sogenannte
Privatscheidung - hier: vor einem geistlichen Gerichtshof in Syrien aufgrund
der Scharia -eröffnet?
15 a) Der Präsident des Oberlandesgerichts München hat ausgeführt,
die Anerkennungsfähigkeit der verfahrensgegenständlichen Entscheidung richte
sich nach der genannten Verordnung; sie sei auch auf sogenannte
Privatscheidungen anwendbar.
16 b) Ob dem zu folgen ist, hängt von der Beantwortung der vorstehenden
Frage ab. Nach Art. 1 Rom III-VO gilt die Verordnung für die Ehescheidung in
Fällen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen, wie
das hier der Fall ist. Es ist umstritten, ob nur Ehescheidungen
unter konstitutiver Mitwirkung eines - staatlichen - Gerichts oder einer
Behörde (vgl. Art. 3 Nr. 2 Rom III-VO) oder ob auch solche, die entweder
einseitig oder einverständlich durch private Willenserklärung, wenn auch
unter Mitwirkung einer ausländischen Behörde (beispielsweise durch
Registrierung), erfasst werden (bejahend Palandt/Thorn BGB 74.
Auflage Art. 2 Rom III-VO Rn. 8; Helms, FamRZ 2011, 1765/1766; Hau FamRZ
2013, 249/250; verneinend Gruber IPrax 2012, 381/383).
17 Die Verordnung ist, wie etwa Art. 5 Abs. 1 Buchstabe d, Art. 8,
Art. 18 Abs. 1 Satz 1 Rom III-VO belegen, auf gerichtliche Verfahren
zugeschnitten. Dennoch beschränkt sich ihr Geltungsbereich (Art. 1 Abs. 1 :
... gilt für die Ehescheidung ...) nicht zwingend auf konstitutive
Ehescheidungen durch staatliche Gerichte. Mit Rücksicht auf die Vielfalt von
Auflösungsformen ehelicher Bindungen in nationalen Rechtsordnungen, aber
auch mit Rücksicht auf Erwägungsgrund (9) der Verordnung, wonach diese einen
klaren, umfassenden Rechtsrahmen im Bereich des auf die Ehescheidung
anzuwendenden Rechts in den teilnehmenden Mitgliedsstaaten vorgeben soll,
neigt der Senat dazu, ihren Anwendungsbereich auch auf sogenannte
Privatscheidungen zu erstrecken, sofern nur die Mitwirkung einer
ausländischen - dem staatlichen Bereich zuzurechnenden oder von ihm
anerkannten - Stelle (Behörde) vorgesehen ist.
18 Sollte die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 (Rom III-VO) hingegen
nicht Anwendung finden, würde sich die Entscheidung nach dem deutschen
Kollisionsrecht richten. Das Scheidungsstatut würde nach bisheriger - dann
wohl fortbestehender - innerstaatlicher Rechtslage dem Ehewirkungsstatut des
Art. 14 EGBGB folgen (vgl. Art. 17 Abs. 1 Satz 1 EGBGB in der bis 28. Januar
2013 geltenden Fassung). Denn die Neufassung des Art. 17 Abs. 1 EGBGB
beruhte ersichtlich darauf, dass die vormalige Regelung gerade wegen Geltung
der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 (Rom III-Vo) für obsolet gehalten wurde
(Palandt/Thorn Art. 17 EGBGB Rn. 1). Der Senat würde bei Anwendung
von Art. 14 EGBGB die beiderseitige deutsche gegenüber der syrischen
Staatsangehörigkeit als vorrangig erachten (Art. 14 Abs. 1 Nr. 1
EGBGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB; siehe BGH FamRZ 1994,
434/435; BayObLG NJW-RR 1994, 771/772; BayObLGZ 1998, 103/106). Damit
unterliegen aber die allgemeinen Wirkungen der Ehe und damit auch die
Ehescheidung gemäß Art. 17 Abs. 1 (in der bis 28. Januar 2013 geltenden
Fassung) in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB wegen der fehlenden
Rechtswahl der Eheleute dem deutschen Recht (BayObLGZ 1998,
103/106 f.). Eine Anknüpfung nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 EGBGB (alter
Fassung) in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB, wonach die Wirkungen
der Ehe dem Recht des Staates unterliegen, mit dem die Ehegatten auf andere
Weise gemeinsam am engsten verbunden sind, kommt dann nicht mehr in
Betracht. Bei Anwendung deutschen Sachrechts steht § 1564 Satz 1 BGB
der Anerkennung entgegen. Denn nach § 1564 BGB kann die Ehe nur durch
gerichtliches Urteil geschieden werden. Eine Privatscheidung ist dem
deutschen Recht fremd; insoweit hat die Bestimmung auch materiellen Gehalt
(BGHZ 110, 267/276; BayObLG FamRZ 2003, 381/383).
19 c) Sollte die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 (Rom III) auch für
Privatscheidungen wie die gegenständliche gelten, wäre in Ermangelung einer
Rechtswahl das anzuwendende Recht im gegebenen Fall nach Art. 8 Rom III-VO
zu bestimmen. Die Voraussetzungen für eine Anknüpfung nach Art. 8 Buchstaben
a oder b Rom III-VO sind, wie bereits der Präsident des Oberlandesgerichts
München ausgeführt wird, nicht zweifelsfrei feststellbar. Auch auf der
Grundlage der im gerichtlichen Verfahren abgegebenen Erklärungen der
Ehegatten zu ihren Aufenthaltsverhältnissen hat der Senat keine anderen
Erkenntnisse gewonnen. Deshalb ist das maßgebliche Recht nach Art. 8
Buchstaben c oder d Rom III-VO zu bestimmen. Zwar ist nicht eindeutig, ob
bei mehrfacher Staatsangehörigkeit - die der Senat gemäß den ihm
zugänglichen Quellen (Art. 10 Abs. 2 Gesetz Nr. 276 vom 24.11.1969 zur
Regelung der Staatsangehörigkeit; Bergmann/Ferid Internationales Ehe- und
Kindschaftsrecht Abschnitt S, Syrien S. 2 ff.) als jeweils gegeben erachtet,
auch wenn die Ehefrau meint, die syrische Staatsangehörigkeit bei der
Einbürgerung „abgegeben" zu haben - nach Art. 8 Buchstabe c Rom
III-VO auf die effektive Staatsangehörigkeit abzustellen ist (Palandt/Thorn
Art. 8 Rom III-VO Rn. 4; Helms FamRZ 2011, 1765/1771). Der Senat würde
jedoch in diesem Rahmen nicht auf die deutsche, sondern schon im Hinblick
auf die tatsächlichen Lebensumstände der Ehegatten die gemeinsame syrische
Staatsangehörigkeit als die effektive beurteilen. Das hätte aber zur Folge,
dass die Ehescheidung dem syrischen Recht unterliegt. Nichts
anderes gilt, sofern auf Art. 8 Buchstabe d Rom III-VO abgestellt werden
müsste. Im letztgenannten Fall kann es keine Rolle spielen, ob die
Mitwirkung des geistlichen Gerichts nur registrierende Funktion hat.
20 2. Zu Frage 2:
a)
21 Ist im Fall der Prüfung der innerstaatlichen Anerkennungsfähigkeit einer
Ehescheidung auch Art. 10 Verordnung (EU) 1259/2010 (Rom III-VO) anzuwenden?
22 Ist das syrische Recht das maßgebliche, so ist die Anwendbarkeit
von Art. 10 Rom III-VO auch im innerstaatlichen Verfahren auf Anerkennung
ausländischer Entscheidungen in Ehesachen zu prüfen. Wurde die Ehe nach
einem ausländischen Recht geschieden, das den Ehegatten keinen
gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung einräumt, würde, sofern Art. 10
Rom III-VO anwendbar ist, das deutsche Scheidungsstatut gelten.
Die im Ausland vollzogene Privatscheidung wäre dann nach § 1564 Satz
1 BGB unwirksam. Auch wenn beispielsweise der
benachteiligte Ehegatte mit der Scheidung einverstanden gewesen wäre, könnte
die im Ausland aufgrund eines gleichberechtigungswidrigen Rechts vollzogene
Privatscheidung nicht anerkannt werden. Da die Verordnung (EU) 1259/2010
(Rom III-VO) allerdings primär die Frage klären will, welches Recht die
Gerichte der Mitgliedstaaten anzuwenden haben, wenn ihre Gerichte selbst
über einen Scheidungsantrag entscheiden, ist zweifelhaft, ob die Norm im
Verfahren auf Anerkennung einer schon im Ausland ausgesprochenen
Ehescheidung überhaupt Geltung beansprucht (vgl. Münchener
Kommentar/Winkler von Mohrenfels BGB 6. Aufl. Art. 1 Rom III-VO Rn. 12).
Sollte auf die Vorschrift jedoch zurückzugreifen sein - wovon der
Senat mit Rücksicht auf die generelle Geltung der Verordnung (EU) 1259/2010
ausgeht (siehe zur ersten Frage) -, stellt sich die zu b) anschließende
Frage nach ihrer teleologischen Reduktion.
23 b) Falls die Frage 2 zu a) bejaht wird:
24 (1) Ist abstrakt auf einen Vergleich abzustellen, wonach das Recht des
angerufenen Staates einen Zugang zur Ehescheidung zwar auch dem anderen
Ehegatten gewährt, diese aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit aber an
andere verfahrensrechtliche und materielle Voraussetzungen knüpft wie an den
Zugang des einen Ehegatten,
25 oder
26 (2) ist die Geltung der Norm davon abhängig, dass die Anwendung des
abstrakt diskriminierenden ausländischen Rechts auch im Einzelfall - konkret
- diskriminiert?
27 Nach dem Wortlaut sind die Voraussetzungen von Art. 10 Rom III-VO
zu bejahen. Denn im gegebenen Fall wird einem der Ehegatten aufgrund seiner
Geschlechtszugehörigkeit kein gleichberechtigter Zugang zur Ehescheidung
gewährt. Das syrische Recht kennt nämlich neben der
einvernehmlichen Scheidung zwar auch eine gerichtliche Ehescheidung auf
Betreiben der Ehefrau; sie knüpft diese aber ausdrücklich an einen
gerichtlichen Ausspruch, zudem auch an andere Voraussetzungen, nämlich
Krankheit oder Erkrankung des Mannes, dem das uneingeschränkte Recht des
Mannes gegenübersteht, sich einseitig von seiner Frau zu scheiden (siehe
einerseits Art. 85, andererseits Art. 105 Gesetz Nr. 59 vom 17. September
1953, geändert durch Gesetz Nr. 34 vom 31. Dezember 1975 - Syrisches
Personalstatutgesetz -; Bergmann/Ferid Internationales Ehe-und
Kindschaftsrecht Abschnitt S - Syrien - S. 11 und 17/18). Einen
gleichberechtigten Zugang der Ehefrau zur Ehescheidung gewährt das syrische
Recht daher nicht.
28 Bei einer abstrakten Auslegung verweist die Anwendung von Art. 10 Rom
III-VO sodann auf das Recht des Staates des angerufenen Gerichts.
Entsprechend den Ausführungen zu Frage 1 wäre die Entscheidung nach
deutschem Recht nicht anzuerkennen, da eine Privatscheidung dem deutschen
Recht fremd ist (§ 1564 BGB).
29 Mit der ganz überwiegenden Meinung (Nachweise in
Münchener Kommentar/Winkler von Mohrenfels Art. 10 Rom III-VO Rn. 3 f.;
Palandt/Thorn Art. 10 Rom III-VO Rn. 4; Hau FamRZ 2013, 249/254; Helms FamRZ
2011, 1765/1772; zweifelnd Gruber IPrax 2012, 381/391) würde der
Senat - jedenfalls im Anerkennungsverfahren - die Norm aber nur
zurückhaltend und unter Berücksichtigung des Einzelfalles heranziehen
wollen. Zwar ergibt sich aus Erwägungsgrund (9) der Verordnung der
Wille und die Notwendigkeit, durch die Verordnung einen möglichst klaren,
umfassenden Rechtsrahmen zu schaffen, was auch den Schluss zuließe, durch
Art. 10 Rom III-VO im europäischen Raum einen einheitlichen Wertungsrahmen
zu schaffen (Münchener Kommentar/Winkler von Mohrenfels Art. 10 Rom III-VO
Rn. 4). Jedoch folgt aus Erwägungsgrund (24), dass die Norm nur für
„bestimmte Situationen" den Rückgriff auf das Recht des Staates des
angerufenen Gerichts eröffnen sollte (siehe Hau FamRZ 2013,
249/254). Dies rechtfertigt es nach Ansicht des Senats, den
Einzelfall zu untersuchen und nicht abstakt auf die Diskriminierung durch
das maßgebliche Recht abzustellen.
30 c) Falls die Frage 2 zu b) (2) bejaht wird:
31 Ist ein Einvernehmen des diskriminierten Ehegatten mit der Ehescheidung -
auch in der Form der gebilligten Entgegennahme von Ausgleichsleistungen -
bereits ein Grund, die Norm nicht anzuwenden?
32 Sofern Art. 10 Rom III-VO nicht schon bei fehlendem gleichberechtigten
Zugang zur Ehescheidung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit eingreift
(siehe zu b) (1)), kommt es auf die Grenzen der Norm an. Der Senat
würde sie im Rahmen einer teleologischen Reduktion (Palandt/Thorn
Art. 10 Rom III-VO Rn. 4; Helms FamRZ 2011, 1765/1772; Gruber IPrax 2012,
381/391) jedenfalls bei einem festgestellten Einvernehmen des
benachteiligten Ehegatten nicht anwenden wollen mit der Folge, dass das nach
Art. 5 oder Art. 8 Rom III-VO anzuwendende Recht anwendbar bleibt.
Ein Einvernehmen der Ehefrau mit der bewirkten Scheidung würde der Senat
hier in der unterschriftlich bestätigten Entgegennahme von Geldleistungen
verbunden mit der Erklärung erkennen, den Ehemann von seinen vertraglichen
Pflichten zu befreien. Dieser Umstand ließe sich dahingehend würdigen, dass
die Anwendung des syrischen Rechts im konkreten Einzelfall den deutschen
ordre public nicht verletzt (vgl. OLG Hamm vom 7.5.2013, 3 UF 267/12 bei
juris Rn. 73 = IPrax 2014, 349; OLG Koblenz NJW-RR 2013, 1377; OLG Frankfurt
NJW 1985, 1293/1294 ).
|