Voraussetzung der
regelwidrigen Anwendung deutschen Scheidungsrechts nach Art. 17 I S. 2 EGBGB
OLG Hamm, Urteil v. 20.11.2003, 4 UF 226/02
Fundstelle:
FamRZ 2004, 954
Anm. Jayme IPRax 2004, 534
bestätigt durch BGH NJW 2007, 220
Amtl.
Leitsätze:
Die mit der Anwendung italienischen
Scheidungsrechts verbundenen Erschwernisse der Ehescheidung rechtfertigen
die regelwidrige Anwendung deutschen Scheidungsrechts gemäß Art. 17 I S. 2
EGBGB nicht. Art. 17 I S. 2 EGBGB ist als Ausnahmevorschrift restriktiv
auszulegen; eine regelwidrige Anwendung deutschen Scheidungsrechts kommt nur
in Betracht, wenn das an sich maßgebliche ausländische Recht entweder
weitaus strengere inhaltliche oder formale Anforderungen an die
Begründetheit des Scheidungsbegehrens stellt als das deutsche Recht oder
wenn die geforderten Trennungsfristen so erheblich verlängert sind, dass ein
praktischer Ausschluss des Scheidungsrechts im Sinne von Art. 17 I S. 2
EGBGB vorliegt (im Anschluss an OLG Köln, IPRax 1989, 310, 311).
Gründe:
A.
Der AGg. besitzt die italienische, die ASt. die deutsche
Staatsangehörigkeit. Die Parteien haben am 6. 8. 1994 in Italien geheiratet,
wo sie auch gemeinsam lebten. Kinder sind aus der Ehe nicht hervorgegangen.
Im Juni 1995 trennten sich die Parteien.
Mit Antragsschrift v. 7. 6. 1999 hat die ASt. die Scheidung der Ehe
beantragt mit der Begründung, die nach ital. Recht maßgebliche dreijährige
Trennungszeit sei abgelaufen. Mit Schriftsatz v. 7. 9. 2000 hat die ASt.
mitgeteilt, sie habe sich mit dem AGg. dahin verständigt, dass die Scheidung
nach ital. Recht durchgeführt werde; der AGg. habe durch seine
Verfahrensbevollmächtigte beim FamG einen Antrag auf Zulassung der Trennung
der Parteien gestellt. Hiermit sei sie einverstanden, zumal bei der
Anerkennung einer durch ein deutsches Gericht ausgesprochenen Scheidung in
Italien mit Schwierigkeiten zu rechnen sei. Das vorliegende Verfahren ist
daraufhin zunächst nicht weiter betrieben worden.
Im April 2002 hat die ASt. das Verfahren wieder aufgenommen. Sie hat nunmehr
die Auffassung vertreten, für die Scheidung gelte regelwidrig deutsches
Recht, weil die Scheidung nach ital. Recht wegen des Erfordernisses, die
Trennung gerichtlich aussprechen zu lassen, bedeutend schwieriger und
langwieriger sei. Bisher sei nach ihren Informationen die Trennung
gerichtlich noch nicht ausgesprochen worden, sodass die dreijährige
Trennungszeit noch immer nicht laufe. Sie habe keinerlei Nachricht über ein
Verfahren in Italien. Da der dortige Scheidungsantrag nach Mitteilung der
Rechtsanwältin A. im August 2000 noch nicht gestellt gewesen sei, sei nach
dem Prioritätsgrundsatz das Verfahren in Deutschland weiter zu betreiben.
Das AmtsG hat den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, gemäß
Art. 17 I S. l und Art. 14 I Nr. 2 EGBGB sei ital. Recht anzuwenden. Danach
lägen die Scheidungsvoraussetzungen nicht vor, weil ein gerichtliches
Trennungsverfahren nicht durchgeführt worden sei. Die Anwendung ital. Rechts
verstoße nicht gegen den Grundsatz des ordre public, denn eine Scheidung sei
auch nach ital. Recht - nur unter anderen Voraussetzungen - möglich.
Mit ihrer hiergegen eingelegten Berufung verfolgt die ASt. ihren
Scheidungsantrag weiter; sie ist der Auffassung, es sei deutsches Recht
anzuwenden.
Zum weiteren Verlauf des Verfahrens in Italien trägt sie vor, sie habe die
deutsche Übersetzung des Trennungsantrages am 17. 11. 2000 unterzeichnet.
Das Schriftstück sei am 17. 11. 2000 an RAin A. übersandt worden, die am 26.
6. 2001 erneut den Entwurf einer Trennungsvereinbarung übersandt habe. In
einem Telefonat mit dem Büro ihres früheren Prozessbevollmächtigten RA T. v.
12. 9. 2001 habe die RAin A. über einen Dolmetscher unter Hinweis darauf,
dass die Sache sehr eilbedürftig sei, angefragt, ob die ASt. die ital.
Sprache beherrsche oder verstehe, und eine Bestätigung, dass die ASt. auf
eine Scheidung nach deutschem Recht verzichte und in D. ihren ständigen
Wohnsitz habe, erbeten. Am einfachsten und schnellsten gehe es, wenn die ASt.
zum Scheidungstermin nach Italien anreise. Auf das entsprechende Anschreiben
des RA T. habe sie nichts mehr veranlasst und auch keine weitere Nachricht
mehr erhalten. Sie wisse daher nicht, was in Italien veranlasst worden sei;
nach ihrer Kenntnis sei in Italien bisher weder der Beginn der Trennungszeit
noch die Scheidung ausgesprochen worden.
B. Die zulässige Berufung der ASt. ist nicht begründet, denn die
Voraussetzungen für eine Ehescheidung nach dem hier maßgeblichen ital. Recht
liegen nicht vor.
I. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit ergibt
sich aus § 606a I Nr. l ZPO; der Scheidungsantrag ist dem AGg. am 4. 1. 2000
und damit vor In-Kraft-Treten der EG-VO Nr. 13477 2000, durch die die
internationale Zuständigkeit teilweise abweichend geregelt wird, zugestellt
worden.
II. Die Scheidungsvoraussetzungen beurteilen sich nach ital. Recht, denn die
Parteien hatten während ihrer Ehe ihren gewöhnlichen Aufenthalt zuletzt in
Italien, und die Voraussetzungen für eine regelwidrige Anwendung deutschen
Scheidungsrechts liegen nicht vor.
1. Gemäß Art. 17 I S. l EGBGB unterliegt die Scheidung demjenigen Recht, das
für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebend ist. Das ist gemäß Art. 14 I
Nr. 2 EGBGB das Recht des Staates, in dem beide Ehegatten ihren gewöhnlichen
Aufenthalt haben oder während der Ehe zuletzt hatten.
2. Die Voraussetzungen des Art. 17 I S. 2 EGBGB, wonach (regelwidrig)
deutsches Recht anzuwenden ist, wenn nach dem gemäß Art. 17 I S. l i. V. mit
Art. 14 EGBGB zur Anwendung berufenen (ausländischen) Scheidungsrecht die
Ehe nicht geschieden werden könnte und der ASt. Deutscher ist oder dies bei
der Eheschließung war, liegen nicht vor, denn auch bei Anwendung ital.
Rechts könnte die Ehe - wenn auch unter anderen Voraussetzungen, die hier
nicht erfüllt sind - geschieden werden.
a) Allerdings wird in Literatur und Rechtsprechung wohl überwiegend die
Auffassung vertreten, dass eine regelwidrige Anwendung deutschen Rechts
nicht erst in Betracht kommt, wenn die Ehe andernfalls überhaupt nicht bzw.
in absehbarer Zeit nicht geschieden werden könnte, sondern es ausreicht,
dass eine Scheidung wenigstens derzeit nicht möglich ist (vgl. etwa KG,
IPRax 2000, 544 ff.; OLG Celle, FamRZ 1987, 159; Palandt/HeUrich, BGB, 62.
Aufl., Art. 17 EGBGB Rz. 9, m. w. N.).
b) Der Senat folgt dieser Auffassung indessen nicht, denn nach dem
eindeutigen Wortlaut von Art. 17 I S. 2 EGBGB setzt die regelwidrige
Anwendung deutschen Sachrechts voraus, dass die Ehe andernfalls nicht
geschieden werden könnte. Wollte man hierbei - über den Wortlaut der
Vorschrift hinausgehend -ausschließlich auf den Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung abstellen, so könnten schon marginale Abweichungen
des ausl. Scheidungsrechts - etwa geringfügig längere Trennungsfristen oder
die Notwendigkeit der Einhaltung bestimmter Regularien - zur Anwendbarkeit
deutschen Rechts führen, was nach Auffassung des Senates weder notwendig
noch mit dem grundsätzlich gebotenen Respekt vor der zur Anwendung,
berufenen ausl. Rechtsordnung vereinbar ist. Eine restriktive Auslegung
dieser Ausnahmevorschrift ist auch deshalb geboten, weil mit ihr eine offene
Benachteiligung des ausl. Ehegatten verbunden ist, dem die Möglichkeit einer
Scheidung nach deutschem Recht nicht zugestanden wird (vgl. Anmerkung zu OLG
Köln, IPRax 1989, 310, 311) und der unter Zugrundelegung der oben
dargestellten Rechtsauffassung trotz grundsätzlicher Anwendbarkeit seines
Heimatrechts mit einem auf eine fremde Rechtsordnung gestützten
Scheidungsbegehren konfrontiert würde. Deshalb kommt eine regelwidrige
Anwendung deutschen Scheidungsrechts nach Auffassung des Senates nur in
Betracht, wenn das an sich maßgebliche ausl. Recht entweder weitaus
strengere inhaltliche Anforderungen an die Begründetheit des
Scheidungsbegehrens stellt als das deutsche Recht oder wenn die geforderten
Trennungsfristen so erheblich verlängert sind, dass ein praktischer
Ausschluss des Scheidungsrechts i. S. des Art. 17 I S. 2 EGBGB vorliegt
(vgl. OLG Köln, a. a. O.).
c) Die mit der Anwendung ital. Scheidungsrechts verbundenen Erschwernisse
rechtfertigen die regelwidrige Anwendung deutschen Scheidungsrechts nicht.
Das ital. Scheidungsrecht verlangt zwar (in Art. 3 Nr. 2b II des Gesetzes
Nr. 898 v. 1. 12. 1970 i. d. F. des Gesetzes Nr. 72 v. 6. 3. 1987) eine
Trennungsfrist von drei Jahren, während eine einverständliche Scheidung
gemäß § 1566 I BGB nach einem Trennungsjahr erfolgen kann. Dies reicht für
die regelwidrige Anwendung deutschen Scheidungsrechts jedoch nicht aus;
abgesehen davon, dass von einem praktischen Ausschluss des Scheidungsrechts
auch bei dreijähriger Trennungsfrist keine Rede sein kann, kennt auch das
deutsche Scheidungsrecht längere Trennungsfristen in den §§ 1566 ff. BGB
(vgl. AmtsG Hamburg, FamRZ 1998, 1590 f.).
Gleiches gilt für das nach ital. Recht bestehende Erfordernis eines
gerichtlichen Ausspruchs bzw. einer gerichtlichen Bestätigung der Trennung,
denn die Ehegatten haben es selbst in der Hand, eine entsprechende
Gerichtsentscheidung (ggf. auch eines gemäß § 606a ZPO oder nach der
EG-Verordnung Nr. 13477 2000 zuständigen deutschen Gerichts) herbeizuführen,
was auch und gerade im Streitfall wohl schon vor mehr als drei Jahren
möglich gewesen wäre. Dass die ASt. diesbezügliche Schritte bisher nicht
eingeleitet hat, kann die regelwidrige Anwendung deutschen Rechts nicht
rechtfertigen.
III. Die Scheidungsvoraussetzungen nach ital. Recht liegen wegen der gemäß
Art. 3 Nr. 2b des ital. Gesetzes Nr. 898 v. 1. 12. 1970 i. d. F. des
Gesetzes Nr. 72 v. 6. 3. 1987 bestehenden Notwendigkeit einer gerichtlich
bestätigten bzw. angeordneten Trennungszeit von drei Jahren nicht vor; ein
gerichtliches Trennungsverfahren ist nicht durchgeführt worden.
IV. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der in der obergerichtlichen
Rechtsprechung umstrittenen Frage, unter welchen Voraussetzungen eine
regelwidrige Anwendung deutschen Rechts gemäß Art. 17 I S. 2 EGBGB zulässig
ist, hat der Senat die Revision zugelassen (§ 543 I ZPO).
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