Inhalt und Reichweite des Rechts zur Totensorge


AG Wiesbaden, Urt. v. 3.4.2007 – 91 C 1274/07-84


Fundstelle:

FamRZ 2007, 827
NJW 2007, 2563
s. auch
BGH v. 17.11.2011 - III ZR 53/11


Amtl. Leitsatz:

Das Recht des vorrangig zur Totenfürsorge Berechtigten umfasst nicht die Befugnis, gegen den Willen der nachrangig zur Totenfürsorge Berechtigten eine in Deutschland nicht zulässige Art der Bestattung (hier das Pressen der Asche zu einem künstlichen Diamanten) zu wählen, wenn diese nicht zuvor von dem Verstorbenen schriftlich oder in anderer Weise nachweisbar ernstlich gewünscht wurde. Dabei ist schon fraglich, ob das Pressen der Asche zu einem Diamanten noch unter den Begriff der „Bestattung" fallt. Da jedenfalls die Einzelheiten des Verfahrens in Deutschland der Allgemeinheit kaum bekannt sind, hat derjenige, der ein solches Verfahren anwenden möchte, die Beweislast für einen entsprechenden Willen des Verstorbenen.


Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Art der Bestattung eines nahen Angehörigen. Zwischen dem 2. und dem 13.1.2007 verstarb der zuletzt in W. wohnhafte J. K. Die Verfügungskl., ist die Mutter des Verstorbenen, die Verfügungsbekl. dessen Tochter.
Anlässlich der Weihnachtsfeiertage 2006, an denen die Parteien, der Verstorbene sowie dessen Schwester und dessen Schwager teilnahmen, besuchte der Verstorbene den Friedhof in W. Er berichtete seinem Schwager, dass er das Familiengrab, in dem sein Vater und sein vorverstorbener Bruder bestattet sind, besucht habe und äußerte dabei „bald lieg ich auch da!". Er litt zu diesem Zeitpunkt bereits an Prostatakrebs.
Nach dem Tod des Verstorbenen wurde der Leichnam mit Zustimmung aller Beteiligten verbrannt. Die Urne befindet sich in W und ist noch nicht beigesetzt.
Nachdem die Verfügungsbekl. der Mitarbeiterin des Bestattungsinstituts einen Auftrag für die Beisetzung der Urne erteilt hatte, teilte sie der Verfügungskl. bei einem Gespräch etwa 14 Tage später mit, dass sie beabsichtige, von der Beisetzung Abstand zu nehmen und die Asche des Verstorbenen in einen künstlichen Diamanten pressen zu lassen. Da dieses Verfahren in Deutschland nicht zugelassen ist, möchte die Verfügungsbekl. die Urne durch ein Bestattungsunternehmen in die Schweiz bringen lassen. Nach den dortigen Vorschriften ist die Umwandlung der Asche in einen geschliffenen Diamanten zulässig.
Die Verfügungskl. behauptet, es entspreche nicht dem Willen des Verstorbenen, dass seine Asche in die Schweiz gebracht und dort in einen Diamanten gepresst werden solle. Der Verstorbene sei in W sozial verwurzelt und habe familiären Kontakt zu der Verfügungskl. und weiteren Verwandten gehabt.
Die Verfügungskl., meint, aus der Äußerung des Verstorbenen an Weihnachten 2006 lasse sich entnehmen, dass der Verstorbene davon ausgegangen sei, in dem Familiengrab in W. beigesetzt zu werden. Der Verstorbene habe nie davon gesprochen, dass nach seinem Tod die Asche ins Ausland gebracht werden solle, um daraus einen Diamanten pressen zu lassen.
Die Verfügungskl. meint, als Mutter des Verstorbenen stehe ihr ebenso wie der Verfügungsbekl. das Recht, die sog. Totenfürsorge wahrzunehmen, zu. Die Verbringung ins Ausland mit dem Ziel, aus der Asche des Verstorbenen einen Diamanten pressen zu lassen, stelle eine Umgehung des in Deutschland geltenden Friedhofszwangs dar.
Auf Antrag der Verfügungskl. hat das AmtsG am 8.3.2007 eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der der Verfügungsbekl. aufgegeben wurde, es zu unterlassen, die Urne und Asche des Verstorbenen ins Ausland zu verbringen. Gleichzeitig wird für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 EUR und ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.
Dagegen hat die Verfügungsbeklagte Widerspruch eingelegt. ...
Sie behauptet, sie habe ein Gespräch mit ihrem verstorbenen Vater kurz nach dem 20.11.2006 geführt. Beide hätten im Fernsehen eine Reportage über das Verfahren, wie man aus der Asche eines Verstorbenen einen Diamanten pressen kann, gesehen und darüber gesprochen. Ihr Vater habe gesagt, es wäre eine schöne Sache, wenn er nach seinem Tod als Diamant an ihrem Ring wäre, da er dann in ihrer Nähe sei.
Der Vater habe ihr gegenüber wiederholt bekundet, dass er nichts mit seiner übrigen Familie zu tun haben wolle und dass er nicht in dem Familiengrab in W. liegen wolle. Das Verhältnis zu der Verfügungskl. und seiner Familie sei stark beeinträchtigt gewesen. Der Verstorbene habe auch keine Verankerung in W. gehabt. . . .

Entscheidungsgründe:

Der Verfügungskl. steht ein Anspruch auf Unterlassung der Verbringung der Asche des Verstorbenen ins Ausland gemäß den §§ 823 I, 1004 BGB zu.
Das Recht der Totenfürsorge ist als sonstiges Recht i. S. des § 823 I BGB anerkannt (siehe Palandt/Edenhqfer, BGB, Einl. vor§ 1922 Rz. 11).
Für die Frage, wer für die Totenfiirsorge zuständig ist, ist in erster Linie der Wille des Verstorbenen maßgebend und, soweit ein Wille des Verstorbenen nicht erkennbar ist, nach Gewohnheitsrecht seine nächsten Angehörigen berechtigt und verpflichtet (Palandt/Edenhqfer, a. a. O., vor § 1922 Rz. 9).
Hier liegt eine ausdrückliche Erklärung des Verstorbenen, wer zur Totenfürsorge über den Leichnam des Verstorbenen befugt sein soll, nicht vor. Nach Gewohnheitsrecht sind dann die nächsten Angehörigen dazu berechtigt. Da der Verstorbene geschieden war, sind grundsätzlich die Angehörigen 1. Grades zur Totenfursorge berechtigt, d. h. die Kinder und Eltern. Die Verfügungsbekl. als Tochter ist dabei vorrangig gegenüber der Verfügungskl. als Mutter des Verstorbenen zur Totenfürsorge berechtigt.
Das Recht des vorrangig zur Totenfursorge Berechtigten umfasst jedoch nicht die Befugnis, gegen den Willen der nachrangig zur Totenfursorge Berechtigten eine in Deutschland nicht zulässige Art der Bestattung (hier das Pressen der Asche zu einem künstlichen Diamanten) zu wählen, wenn diese nicht zuvor von dem Verstorbenen schriftlich oder in anderer Weise nachweisbar ernstlich gewünscht wurde. Dabei ist schon fraglich, ob das Pressen der Asche zu einem Diamanten noch unter den Begriff der „Bestattung" fällt. Da jedenfalls die Einzelheiten des Verfahrens in Deutschland der Allgemeinheit kaum bekannt sind, hat derjenige, der ein solches Verfahren anwenden möchte, die Beweislast für einen entsprechenden Willen des Verstorbenen.
Bei der Ausübung des Bestimmungsrechts hinsichtlich der Art und Weise der Bestattung ist der Berechtigte an den irgendwie geäußerten oder auch nur mutmaßlichen Willen des Verstorbenen gebunden (BGH, FamRZ 1992, 657; AmtsG Frankfurt/M., FamRZ 1997, 1505). Läge nachweisbar eine ausdrückliche Anordnung des Verstorbenen dahingehend vor, dass er nach seinem Tod in die Schweiz überführt und dort zu einem künstlichen Diamanten gepresst werden wollte, hätten die Verwandten dies zu beachten.
Aufgrund des teilweise unstreitigen Sachverhalts und den Äußerungen der Verfügungsbekl. hat das Gericht jedoch deutliche Zweifel daran, dass es tatsächlich dem Wunsch des Verstorbenen entsprach, dass nach seinem Tod seine Asche zu einem künstlichen Diamanten gepresst wird.
Die Verfügungsbekl. hat ihre Behauptungen hinsichtlich einer entsprechenden Äußerung des Verstorbenen zwar durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht. Auch wenn man den Inhalt des Gesprächs zwischen der Verfügungsbekl. und ihrem Vater als wahr unterstellt, erscheint es jedoch zweifelhaft, dass der Verstorbene sich mit diesem Verfahren tatsächlich ernsthaft auseinandergesetzt hat und dass die Umwandlung in einen künstlichen Diamanten auch noch zum Zeitpunkt seines Todes seinem Willen entsprach.
Insbesondere spricht gegen die Ernsthaftigkeit einer solchen Absicht, dass der Verstorbene während der Weihnachtstage 2006 gegenüber seinem Schwager erzählte, dass er auf dem Friedhof das Grab seines Vaters und seines Bruders besucht habe und sodann äußerte, dass er bald auch dort liegen werde. Diese Äußerung spricht zwar nicht zwingend dafür, dass der Verstorbene davon ausging, dass er in W. auf dem Friedhof begraben werden wolle. Es ist jedoch immerhin ein Indiz dafür. Jedenfalls wollte der Verstorbene wohl gegenüber seinem Schwager andeuten, dass er nicht mehr lange zu leben habe. Da dem Schwager jedoch die Krebserkrankung des Verstorbenen nicht bekannt war, konnte er sich die Äußerung nicht erklären, so dass es auch kein weiteres Gespräch zu dem Thema „Tod" gab.
Auch das Verhalten der Verfügungsbekl. unmittelbar nach dem Tod ihres Vaters spricht nicht unbedingt dafür, dass sie selbst den von ihr behaupteten Wunsch des Vaters als so eindeutig und vorrangig ansah. Denn es ist nicht ganz nachvollziehbar, warum die Verfügungsbekl. zunächst ein Bestattungsunternehmen in W. mit der Beisetzung ihres Vaters beauftragte und erst ca. 14 Tage später bekundete, dass sie die Asche ihres Vaters in die Schweiz bringen lassen wolle. Zwar ist es nachvollziehbar, dass die Verfügungsbekl. nach dem Tod ihres Vaters und dem früheren Vorversterben ihrer Mutter verstört war. Es erscheint gleichwohl merkwürdig, dass sie bei den Gesprächen zwischen den Verwandten über die Art der Beisetzung des Verstorbenen nicht davon sprach, dass der Verstorbene den Wunsch zur Umwandlung in einen Diamanten äußerte, obwohl ihr klar sein musste, dass es mit der Durchsetzung dieses Wunsches nach einer Beisetzung zu spät sein würde.
Die - als wahr unterstellte - einmalige Äußerung gegenüber der Verfügungsbekl. reicht angesichts dessen nicht aus, um einen eindeutigen Willen hinsichtlich der geplanten Art der Bestattung nachzuweisen.
Ob, wie von der Verfügungsbekl. behauptet, das Verhältnis zwischen der Verfügungskl, und dem Verstorbenen sowie den übrigen Verwandten stark beeinträchtigt war, kann aus den oben genannten Gründen dahinstehen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Verstorbene in W. gelebt hat und immerhin die Verwandten zu bestimmten Feiern auch zusammen kamen.
Angesichts dessen, dass sich ein ausdrücklicher Wille des Verstorbenen, in die Schweiz überführt und dort zu einem Diamanten gepresst zu werden, nicht belegen lässt, konnte in dem vorläufigen Verfahren der einstweiligen Verfügung dahingestellt bleiben, ob es in Deutschland überhaupt zulässig ist, eine Urne mit der Asche eines Verstorbenen in die Schweiz zu bringen, um sie dort zu einem künstlichen Diamanten pressen zu lassen. Ob es sich insoweit um eine Umgehung des Friedhofszwangs gemäß § 4 I des Hessischen Gesetzes über das Friedhofs- und Bestattungswesen handelt und ob die Voraussetzungen der §§ 11, 12 der Hessischen Verordnung über das Leichenwesen für eine Überführung und Bestattung eines Verstorbenen eingehalten sind, wenn der Verstorbene bzw. dessen Asche nach der Überführung zu einem Diamanten gepresst wird und dieser anschließend wieder nach Deutschland gebracht wird, ist in erster Linie von den zuständigen Behörden zu klären. Da das von der Verfügungsbekl. geplante Verfahren bei Verabschiedung des Hessischen Gesetzes über das Friedhofs- und Bestattungswesen i. J. 1964 noch nicht bekannt war, wäre im Übrigen eine grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers zu dieser Frage wünschenswert.
Der Verfügungsgrund ergibt sich daraus, dass ohne Aufrechterhaltung der einstweiligen Verfügung mit der Überführung des Verstorbenen in die Schweiz und der geplanten Behandlung der Asche Tatsachen geschaffen werden, die in einem Hauptsacheverfahren nicht rückgängig gemacht werden könnten.