IPR: Objektive
Anknüpfung des Vertragsstatuts (Art. 28 EGBGB); Indizien für eine
konkludente Rechtswahl (Art. 27 I S. 2 EGBGB): Vertragssprache, Währung;
Voraussetzung der Sonderanknüpfung nach Art. 29 I EGBGB
OLG Frankfurt/M. vom
22.5.2007 - 9 U 12/07
Fundstelle:
noch nicht bekannt
(Eigener)
Leitsatz:
1. Auf einen in der
Türkei abgeschlossenen Kaufvertrag über eine Teppich findet mangels
abweichender Rechtswahl gem. Art. 28 I, II EGBGB auch dann türkisches Recht
Anwendung, wenn der Vertrag in deutscher Sprache geschlossen wurde und der
Kaufpreis in Euro vereinbart wurde.
2. Zu den
Voraussetzungen einer Sonderanknüpfung nach Art. 29, 34 EGBGB
Zentrale Probleme:
Ein Verbraucherschutz-Klassiker im IPR: Teppichkauf in der
Türkei (s. dazu auch LG Tübingen NJW
2005, 1513). Das OLG sieht wohl zu Recht keine
Anhaltspunkte für eine Sonderanknüpfung nach Art. 29 Abs 1 Nr. 3 EGBGB sowie
nach Art. 34 EGBGB. Die Bedeutung der Vertragssprache und der Währung wird
nur im Rahmen der objektiven Anknüpfung im Zusammenhang mit Art. 28 V EGBGB
geprüft. Richtigerweise sollte zunächst eine konkludente Rechtswahl i.S.v.
Art. 27 I S. 2 EGBGB geprüft werden. Im Ergebnis ist der Entscheidung aber
sicher zuzustimmen. Der deutsche Urlauber hat eben nicht immer deutsches
Verbraucherschutzrecht im Gepäck.
©sl 2007
Zum Sachverhalt:
Die Klägerin, eine türkische Firma, verlangt von dem Beklagten Zahlung des
Restkaufpreises für einen Teppich, den dieser anlässlich eines
Reiseaufenthalts in der Türkei erstanden hat. Der Beklagte verlangt
widerklagend Rückabwicklung des Kaufvertrages.
Das Amtsgericht die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgeben.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der
Klägerin.
Die Klägerin trägt vor: Die Vertragsbeziehungen der Parteien unterfielen
türkischem Recht. Für die Anwendung deutschen Rechts fänden sich keinerlei
Anhaltspunkte.
Der Beklagte können sich auch nicht auf Art. 29 III 1 EGBGB berufen. Es habe
keinerlei Verbindung zwischen ihr und dem Veranstalter der Urlaubsreise
bestanden. Das Teppichknüpfzentrum, das in den Prospekten des
Reiseveranstalters genannt sei, habe nichts mit ihr zu tun.
Der Beklagte sei gemäß Art. 208 des türkischen OBG zur Zahlung des
Restkaufpreises verpflichtet. Überdies sei zwischen den Parteien im Nachgang
zum Kaufvertrag eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen worden. Weil der
Beklagte insoweit eine Teilzahlung geleistet habe - was unstreitig ist - sei
das Widerrufsrecht nach §§ 312, 355 BGB verwirkt.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor: Der
Sachverhalt sei gemäß Art. 29 I Nr. 3, II EGBGB nach deutschem Recht zu
beurteilen, da der Beklagte den Kaufvertrag im Rahmen einer von einem
deutschen Reiseveranstalter durchgeführten Reise abgeschlossen habe. Der
Beklagte sei danach zum Widerruf berechtigt. Der Beklagte und die
Reisegruppe seien gezielt zur Klägerin gebracht worden. Die Klägerin habe
die Reise bezuschusst und dafür die Reisenden zu dem Besuch in ihrem
Teppichknüpfzentrum erwartet. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten habe
insoweit eine enge Verflechtung und Geschäftsbeziehun - bis hin zu
Gewinnabsprachen - bestanden. Das Schreiben vom 6.4.2004, mit dem der
Beklagte die Ratenzahlung bestätigte, werde widerrufen. Auf das neue
Geschäft seien die Vorschriften des Fernabsatzgesetzes anwendbar; die
getroffene Vereinbarung sei widerrufbar, was durch das Schreiben vom
25.8.2004 erfolgt sei. Es widerspreche den Grundsätzen von Treu und Glauben,
den Beklagten an der Erklärung im Rahmen des Telefonats und der
schriftlichen Bestätigung vom 6.4.2004 festhalten zu wollen.
Aus den Gründen: II. Die
Berufung ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und
fristgerecht eingelegt worden. Das angerufene Oberlandesgericht ist gemäß §
119 I 1 b) GVG zur Entscheidung über die Berufung zuständig.
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Ansicht des
Amtsgerichts ist die Klage - bis auf einen Teil der Nebenforderungen -
begründet, die Widerklage dagegen unbegründet. Die Klägerin kann von dem
Beklagten Zahlung des Restkaufpreises für den Teppich verlangen. Der
Beklagte dagegen hat keinen Anspruch auf Rückerstattung der von ihm
geleisteten Zahlungen.
A. Anders als das Amtsgericht und der Beklagte meinen, ist auf das
Rechtsverhältnis zwischen den Parteien nicht deutsches, sondern türkisches
Recht anzuwenden. Danach ist es dem Beklagten verwehrt, sich auf die
verbraucherschützenden Normen des BGB (§§ 312, 355) zu berufen.
Da der Kaufvertrag zwischen den Parteien in der Türkei geschlossen wurde,
sind für das anzuwendende Recht Artt. 27 ff. EGBG einschlägig. Deutsches
Recht wäre danach anwendbar, wenn die Voraussetzungen von Art. 29 I, II
EGBGB vorliegen. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Art. 29 I Nrn. 1 und 2 EGBGB liegen von vornherein nicht vor.
Nach Art. 29 I Nr. 3 müsste die Reise vom Verkäufer mit dem Ziel
herbeigeführt worden sein, den Verbraucher zum Vertragsschluss zu
veranlassen.
U.A. nach Ansicht des Landgerichts Tübingen (NJW
2005, 1513) - deren Richtigkeit hier dahinstehen kann - soll diese
Alternative vorliegen, wenn die Reise von dem Verkäufer zu diesem Zweck
zumindest mitorganisiert oder mitveranlasst wurde bzw. wenn
Reiseveranstalter und Verkäufer geschäftsmäßig zusammenwirken.
Dies hat der Beklagte zwar behauptet. Sein Vortrag ist zum einen aber nur
pauschal - es handelt sich um nicht mehr als Behauptungen ins Blaue hinein;
zum anderen bleibt der Beklagte ein Beweisangebot hierfür schuldig.
Im Übrigen reichen die zwischen den Parteien unstreitigen Indizien des
Reiseverlaufs für die Annahme eines geschäftsmäßigen Zusammenwirkens nicht
aus. Auch die von dem Amtsgericht durchgeführte Beweisaufnahme hilft hier
nicht weiter. Das Amtsgericht hat - was die Klägerin zu Recht rügt - über
weitgehend unstreitige Behauptungen des Beklagten Beweis erhoben.
Deutsches Recht ist auch nicht über Art. 34 EGBGB anwendbar, weil nicht
davon ausgegangen werden kann, dass die Regelung des Art. 29 EGBGB
lückenhaft ist (vgl. OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 26.10.1999,
Aktenzeichen 21 U 48/99).
Die Rechtswahl richtet sich danach nach Art. 28 EGBGB.
Weil die Parteien keine nach Art. 27 I EGBGB zulässige Rechtswahl getroffen
haben, ist nach Art. 28 I EGBGB ausschlaggebend, zu welchem Recht der
Vertrag die engsten Verbindungen aufweist. Dies ist hier das türkische
Recht.
Gemäß Art. 28 II EGBGB wird vermutet, dass der Vertrag die engsten
Verbindungen mit dem Staat aufweist, in dem die Partei, welche die
charakteristische Leistung zu erbringen hat, im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort bzw. - bei juristischen
Personen wie hier - ihre Hauptniederlassung hat. Dies ist hier die Türkei,
da die Klägerin dort ihren Sitz hat und charakteristische Leistung des
vorliegenden Kaufvertrags die Übergabe des Kaufgegenstandes - des
streitbefangenen Teppichs - durch die Klägerin ist (so auch OLG Düsseldorf,
a.a.O. - mit weiteren Nachweisen).
Auch die übrigen Umstände des Vertragsschlusses geben keine Veranlassung für
die Annahme, dass der Vertrag eine engere Verbindung zum deutschen Recht
aufweist (Art. 28 V EGBGB). So geben die Vertragssprache (hier Deutsch) und
die Währung (hier EUR) nur einen schwachen Hinweis auf die Rechtsordnung des
Landes, in dem sie Verwendung finden (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O. - mit
weiteren Nachweisen).
B. Die Ansprüche der Klägerin ergeben sich danach aus dem türkischen
Obligationengesetzbuch (OGB) in der zum Zeitpunkt des Abschlusses des
Kaufvertrages geltenden Fassung.
Der Senat hat insoweit auf die Einholung eines eigenen Rechtsgutachtens nach
§ 293 ZPO verzichtet, nachdem bereits einige Entscheidungen deutscher
Gerichte zu Parallelfällen veröffentlicht wurden und die Klägerin das vom
Amtsgericht Rosenheim im Jahr 2006 zu einem Parallelfall eingeholte
Gutachten des Prof. Dr. ... vorgelegt hat. Auf dieser Grundlage ergibt sich
Folgendes:
Nach Art. 208 OGB ist der Beklagte als Käufer verpflichtet, den vereinbarten
Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache - den Teppich - abzunehmen. Der
Beklagte schuldet danach den mit der Klage geforderten Restkaufpreis in Höhe
von 2.000,- €. Die Widerklage, mit der er Rückzahlung der auf den Kaufpreis
gezahlten Beträge verlangt (2.300,- €), ist dagegen unbegründet.
Soweit der Beklagte den Rücktritt vom Kaufvertrag geltend macht, findet dies
im OGB keine Stütze.
Ein denkbarer Rücktrittsgrund nach Art. 8 OGB setzt voraus, dass ein
Haustürgeschäft vorliegt. Ein solches definiert die Vorschrift als Verkauf,
der außerhalb der üblichen Verkaufsorte wie Geschäften, Messen, Märkte oder
ähnlichem stattfinden. Schon dies ist vorliegend nicht der Fall, da der
Beklagte den Teppich in den Verkaufsräumen der Klägerin erstanden hat.
Auch der Einwand des Beklagten, der von der Klägerin verlangte Kaufpreis sei
überhöht gewesen, greift nicht durch. Nach Art. 21 OGB ist der Käufer zur
Anfechtung des Kaufvertrages wegen Wuchers berechtigt, wenn - objektiv - ein
auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt und
- subjektiv - der Abschluss des Vertrages von dem einen Teil durch
Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des anderen
herbeigeführt worden ist.
Der Beklagte hat weder zu den objektiven noch zu den subjektiven
Voraussetzungen dieser Vorschrift vorgetragen.
Ein Anspruch auf die von der Klägerin geltend gemachten Zinsen ergibt sich
aus §§ 291, 288 I BGB ab Rechtshängigkeit, d.h. ab 8.3.2005 - dem Zeitpunkt
der Zustellung des Mahnbescheids an den Beklagten. Insoweit ist deutsches
Recht anzuwenden, weil die Vorschriften über die Prozesszinsen - unabhängig
vom gewählten Vertragsstatut - für alle Inlandsprozesse maßgeblich (im
Ergebnis wie hier: OLG Düsseldorf, a.a.O.; zum Problem vgl. auch Münchener
Kommentar/Ernst; BGB, 4. Auflage 2003, § 291 Rn 5).
Für einen - möglichen - früheren Verzugsbeginn aus türkischem Recht fehlen
entsprechende Darlegungen vonseiten der Klägerin.
Gleiches gilt für die verlangten vorgerichtlichen Kosten. Diese konnten der
Klägerin nicht zugesprochen werden, da insoweit substantiierter Vortrag zur
Entstehung und zur Höhe der Forderung fehlt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 II Nr. 1 ZPO. Die Zuvielforderung der
Klägerin hinsichtlich der Nebenforderungen war verhältnismäßig geringfügig
und hat keine Kosten verursacht.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§
708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 II ZPO
nicht vorliegen.
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