Stillschweigender
Auskunftsvertrag und Dritthaftung aus culpa in contrahendo bei der
Anlageberatung
BGH v.
11.01.2007 - III ZR 193/05
Fundstelle:
NJW 2007, 1362
Amtl. Leitsatz:
Im Rahmen einer
Anlagevermittlung kommt zwischen dem Anlageinteressenten und dem Vermittler
ein Auskunftsvertrag mit Haftungsfolgen zumindest stillschweigend zustande,
wenn der Interessent deutlich macht, dass er, auf eine bestimmte
Anlageentscheidung bezogen, die besonderen Kenntnisse und Verbindungen des
Vermittlers in Anspruch nehmen will, und der Anlagevermittler die gewünschte
Tätigkeit beginnt (st. Rspr., zuletzt Senatsurteil vom 19. Oktober 2006 -
III ZR 122/05, ZIP 2006, 2221). Der Feststellung weiterer besonderer
Umstände bedarf es nicht. Das gilt auch dann, wenn der Vermittler bei den
Vertragsverhandlungen zugleich als selbständiger "Repräsentant" einer Bank
auftritt.
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung legt sowohl die Voraussetzung Haftung
Dritter aus culpa in contrahendo (§§ 280, 311 II, III, 241 II BGB)
sowie diejenige aus einem selbständigen Auskunftsvertrag mit dem Berater
dar. Vollkommen zutreffen wird betont, daß die Feststellung eines solchen
konkludenten Vertragsschlusses nicht von den strengen Voraussetzungen der
Dritthaftung aus c.i.c. abhängt und auch nicht deshalb zu verneinen ist,
weil der Beratende zugleich Verhandlungsgehilfe des Vertragspartners des
Anlagegeschäfts war und jener für sein Verschulden nach § 278 BGB
einzustehen hat; s. dazu die ausf. Anm. zu
BGH NJW 2006, 993.
©sl 2007
Tatbestand:
1
Die Klägerin verwaltet das Vermögen einer Stiftung, nach deren Satzung ihr
Vermögen mündelsicher anzulegen ist. Die Beklagte firmiert unter "h… GmbH"
und war zugleich Repräsentantin der B… Bank Luxemburg, einer Niederlassung
der B… Bank AG in Dresden.
2
Im Sommer 2001 rief der seinerzeit bei der Beklagten beschäftigte Zeuge M…
die Klägerin an und stellte ihr Anlagemöglichkeiten bei der B… Bank vor. In
einem Telefax vom 22. Oktober 2001 mit Briefkopf der Beklagten teilte er der
Klägerin unter Bezugnahme auf einen Artikel in der Zeitschrift "Finanzen"
mit, die B… gehöre dem "Einlagensicherungsfonds" (sc. des Bundesverbandes
deutscher Banken) an. Die Klägerin legte daraufhin unter dem 26. Oktober
2001 345.144,49 DM (= 176.469,57 €) als Festgeld für 90 Tage bei der B… Bank
an. Der Anlageauftrag enthält vor den Unterschriften die vorgedruckte
Bestätigung des Kunden: "Ich/Wir habe/n die Allgemeinen Geschäftsbedingungen
der Bank mit Hinweisen zur Einlagensicherung erhalten, zur Kenntnis genommen
und bin/sind mit deren Geltung einverstanden …". Nach Fristablauf wurde die
Anlage von der Klägerin bis zum 22. Juli 2003 mehrfach verlängert. Unter dem
28. Mai 2003 übertrug die B… Bank den Geldbetrag von 175.469,00 € zuzüglich
Zinsen in Höhe von 1.955,50 € auf ein neu eingerichtetes Abwicklungskonto
der Klägerin bei ihr.
3
Im Mai 2003 hatte das Bundesamt für Finanzdienstleistungen die B… Bank
geschlossen. Über deren Vermögen ist das Insolvenzverfahren beim Amtsgericht
Dresden eröffnet. Tatsächlich war die Bank nicht Mitglied im
Einlagensicherungsfonds des Bundesverbands deutscher Banken. Die Klägerin
hat ihre Forderung im Insolvenzverfahren angemeldet.
4
Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin Schadensersatzansprüche wegen
fehlerhafter Anlageberatung in Höhe von 178.832,05 € nebst Zinsen, Zug um
Zug gegen Abtretung ihrer im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderung gegen
die B… Bank, geltend gemacht. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben,
das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Im Revisionsverfahren verfolgt die
Klägerin unter Abzug eines zwischenzeitlich vom Insolvenzverwalter gezahlten
Betrags von 26.852,31 € ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
5
Die Revision hat Erfolg.
I.
6
Nach Ansicht des Berufungsgerichts lässt sich ein gesonderter Beratungs-
oder Auskunftsvertrag zwischen den Parteien nicht feststellen. Wenn ein
solcher Auskunftsvertrag zustande gekommen sei, was zugunsten der Klägerin
unterstellt werden könne, sei er zwischen dieser und der B… Bank geschlossen
worden. Die Bank sei dabei durch die Beklagte und diese durch den Zeugen M…
vertreten worden. Allerdings sei die Beklagte gegenüber der Klägerin als
Anlagevermittlerin aufgetreten. Sie habe aber diese Tätigkeit in ihrer
Eigenschaft als Repräsentantin der B… Bank im Sinne des § 53a KWG ausgeübt.
Übernehme ein Vermittler mit Wissen und Wollen einer der späteren
Vertragsparteien Aufgaben, die typischerweise dieser oblägen, so werde er in
deren Pflichtenkreis tätig und sei zugleich als deren Hilfsperson zu
betrachten. Um eine solche, den vielfältigen Fällen der Vertreterhaftung von
Banken, Sparkassen und Versicherungen in der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs entsprechende Konstellation handele es sich im
vorliegenden Fall. Die B… Bank habe sich vor allem der Geschäftsvermittlung
durch Repräsentanten wie der Beklagten bedient, die darauf in ihrem
Briefkopf auch offen hingewiesen hätten. Angesichts des hier allein in Rede
stehenden Festgeldeinlagengeschäfts gemäß § 1 Abs. 1 KWG sei von vornherein
klar gewesen, dass dieses nur mit einer Bank habe vermittelt werden können.
Die B… Bank habe es den für sie ständig als selbständige Vermittler tätigen
Repräsentanten überlassen, Kunden für ihre Anlagen zu werben, die
erforderlichen Vertragsverhandlungen zu führen und die Vertragsunterlagen
vorzubereiten. Dieser Ablauf und das Auftreten der Beklagten als
Repräsentantin der B… Bank sei der Klägerin auch bekannt gewesen. Dass die
Beklagte daneben auch als "Vermittlung von Kapitalanlagen" firmiert habe und
so im Geschäftsverkehr aufgetreten sei, habe für den Streitfall keine
wesentliche Bedeutung gehabt.
7
Zwar könne im Rahmen der Anlagevermittlung zwischen dem Anlageinteressenten
und dem Anlagevermittler ein gesonderter, konkludent geschlossener
Auskunftsvertrag mit Haftungsfolgen zustande kommen, wenn der Interessent
deutlich mache, dass er, auf eine bestimmte Anlageentscheidung bezogen, die
besonderen Kenntnisse und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen
wolle und der Anlagevermittler die gewünschte Tätigkeit beginne. Das hänge
jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab, beispielsweise einem eigenen
wirtschaftlichen Interesse des Auskunftsgebers an dem Geschäftsabschluss,
einem persönlichen Engagement in der Form von Zusicherungen nach Art einer
Garantieübernahme, dem Versprechen eigener Nachprüfung, der Hinzuziehung des
Auskunftsgebers zu Vertragsverhandlungen auf Verlangen des
Auskunftsempfängers oder einer bereits anderweitig bestehenden
Vertragsbeziehung zwischen Auskunftsgeber und Auskunftsempfänger. Ein
solcher zusätzlicher, neben die Tätigkeit der Beklagten in Vertretung der B…
Bank tretender und eine eigene Haftung begründender Auskunftsvertrag sei
zwischen den Parteien aber nicht geschlossen worden. Entsprechendes gelte
für Ansprüche der Klägerin aus Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in
contrahendo); auch insoweit sei nur die B… Bank, nicht aber die Beklagte
persönlich haftbar. Beiden Anspruchsgrundlagen sei gemeinsam, dass eine
Eigenhaftung nur eintrete, wenn der Vertreter wirtschaftlich betrachtet
gleichsam in eigener Sache tätig werde. Davon könne hier keine Rede sein.
Die Beklagte habe für ihre Anlagenvermittlung keine Provision erhalten, der
für sie handelnde Zeuge M… nur eine ganz geringe Provision in Höhe von
500,00 €. Das bloß mittelbare Provisionsinteresse rechtfertige auch die
Annahme eines eigenen Interesses des Vertreters nicht. Besonderes Vertrauen
habe die Beklagte gleichfalls nicht in Anspruch genommen.
II.
8
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung in entscheidenden Punkten
nicht stand. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts haftet die Beklagte
der Klägerin wegen Verletzung eines zwischen den Parteien bestehenden
Auskunftsvertrags. Das Berufungsgericht setzt zu Unrecht den - engeren -
Tatbestand einer Eigenhaftung des Vertreters bei Schadensersatzansprüchen
aus Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) mit den
Voraussetzungen für den stillschweigenden Abschluss eines Auskunftsvertrags
bei der Vermittlung einer Kapitalanlage gleich.
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1. Zutreffend ist, dass die Eigenhaftung des Vertreters - über das
angebahnte Rechtsverhältnis zwischen Vertretenem und Vertragsgegner hinaus -
entweder die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens durch den
Vertreter erfordert, insbesondere wenn er dem Verhandlungsgegner eine
zusätzliche, von ihm persönlich ausgehende Gewähr für die Richtigkeit und
Vollständigkeit seiner Erklärungen bietet, oder ein unmittelbares
wirtschaftliches Eigeninteresse des Vertreters an dem Zustandekommen des
Rechtsverhältnisses, so dass er wirtschaftlich betrachtet gleichsam in
eigener Sache verhandelt (BGHZ 129, 136, 170; BGH, Urteil vom 29. Januar
1997 - VIII ZR 356/95, NJW 1997, 1233; Urteil vom 24. Mai 2005 - IX ZR
114/01, NJW-RR 2005, 1137; Senatsurteil vom 27. Oktober 2005 - III ZR 71/05,
NJW-RR 2006, 109; 110; dieses Urteil wäre vorliegend einschlägig, wenn es um
eine persönliche Haftung des Zeugen M… ginge). Hieran dürfte es in der
Tat im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten, die bei den
Vertragsverhandlungen über die Festgeldanlage als Repräsentantin die
kapitalsuchende B… Bank vertreten hat und als deren Erfüllungsgehilfe
wiederum nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts
der Zeuge M… anzusehen ist, fehlen. Darauf kommt es aber nicht an, weil das
Berufungsgericht die außerdem zu prüfenden tatbestandlichen Voraussetzungen
für den konkludenten Abschluss eines Auskunftsvertrags mit dem
Anlagevermittler übermäßig verengt.
10
2. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere des jetzt
zuständigen erkennenden Senats, ist anerkannt, dass im Rahmen der hier
interessierenden Anlagevermittlung zwischen dem Anlageinteressenten und dem
Anlagevermittler ein Auskunftsvertrag mit Haftungsfolgen zumindest
stillschweigend zustande kommt, wenn der Interessent deutlich macht, dass
er, auf eine bestimmte Anlageentscheidung bezogen, die besonderen Kenntnisse
und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen will, und der
Anlagevermittler die gewünschte Tätigkeit beginnt (BGHZ 100, 117, 118
f.; Senatsurteile vom 13. Mai 1993 - III ZR 25/92, NJW-RR 1993, 1114; vom
13. Januar 2000 - III ZR 62/99, NJW-RR 2000, 998; vom 13. Juni 2002 - III ZR
166/01, NJW 2002, 2641, 2642; vom 11. September 2003 - III ZR 381/02, NJW-RR
2003, 1690 und vom 12. Mai 2005 - III ZR 413/04, NJW 2005, 1120, 1121;
zuletzt Urteil vom 19. Oktober 2006 - III ZR 122/05, ZIP 2006, 2221 Rn. 9).
Der Feststellung weiterer besonderer Merkmale unter den Gesamtumständen
des Falles, wie sie das Berufungsgericht unter Hinweis auf das einen anderen
Sachverhalt betreffende Senatsurteil vom 16. Juni 1988 - III ZR 182/87 (BGHR
BGB § 676 Auskunftsvertrag 1) verlangt, etwa eines eigenen wirtschaftlichen
Interesses des Vermittlers an dem Geschäftsabschluss, bedarf es in dieser
Fallgestaltung nicht. Ebenso wenig ist von entscheidender Bedeutung, ob der
Vermittler den Kapitalsuchenden innerhalb seiner Rechtsbeziehungen mit dem
Kapitalanleger vertritt und inwieweit jener seinerseits unter dem
Gesichtspunkt des § 278 BGB für Fehler des Vermittlers einzustehen hat.
Die dargestellte Senatsrechtsprechung trägt zum Schutz des Anlegers bereits
typisierend der Interessenlage und den Besonderheiten bei der Vermittlung
von Kapitalanlagen Rechnung. Diese werden geprägt durch die regelmäßig
erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Kapitalanleger und einen
zugleich auf seiner Seite ebenso regelmäßig bestehenden Aufklärungsbedarf,
der in der großen Mehrzahl der Fälle hinreichend nur durch den Vermittler
befriedigt werden kann, und zudem umgekehrt durch die von dem Vermittler im
Allgemeinen zu erwartende und auch nach eigenem Verständnis bestehende
Sachkunde (in diesem Sinne schon BGHZ 74, 103, 106 f.).
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3. Nach diesen Maßstäben ist an dem Zustandekommen eines konkludent
geschlossenen Auskunftsvertrags zwischen der Klägerin und der Beklagten,
vertreten durch den Zeugen M…, auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei
getroffenen tatrichterlichen Feststellungen nicht zu zweifeln. Die Klägerin
hat mit ihrer Frage nach der Zugehörigkeit der B… Bank zum
Einlagensicherungsfonds deutscher Banken erkennbar gerade die spezifischen
Kenntnisse der Beklagten über Einzelheiten der angebotenen Kapitalanlage für
sich nutzen wollen und ihre Anlageentscheidung hiervon abhängig gemacht.
Dass die Beklagte zugleich als Repräsentantin der Bank firmierte und in
dieser Eigenschaft bei den Vorverhandlungen über Art und Inhalt der Anlage
die Bank vertreten konnte, ist für den stillschweigenden Abschluss eines
gesonderten Auskunftsvertrags mit der Klägerin mangels einer eindeutigen
Beschränkung auf die Abgabe von Erklärungen nur für die B… Bank ohne Belang
(vgl. auch zur Anlageberatung durch den Repräsentanten einer Bank
Senatsurteil vom 23. September 1999 - III ZR 214/98, NJW-RR 2000, 51). Die
von der Revisionserwiderung in diesem Zusammenhang weiter erhobenen
Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet;
von einer näheren Begründung wird gemäß § 564 ZPO abgesehen.
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4. Mit Recht hat das Berufungsgericht ferner angenommen, dass die sachlich
unrichtigen und auf einer unvollständigen tatsächlichen Grundlage beruhenden
Angaben des Zeugen M… über eine bei der B… Bank bestehende Einlagensicherung
pflichtwidrig waren. Damit steht eine die Beklagte dem Grunde nach zum
Schadensersatz verpflichtende schuldhafte Vertragsverletzung fest.
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5. Zur Höhe des Schadens, zum Ursachenzusammenhang sowie zu der Frage eines
etwaigen Mitverschuldens der Klägerin hat das Oberlandesgericht keine
abschließenden Feststellungen getroffen. Der Senat kann deswegen über die
Klage nicht endgültig entscheiden. Aus diesem Grunde ist das angefochtene
Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen,
damit es die erforderlichen Feststellungen nachholen kann.
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