Gerichtliches Geständnis
(§ 288 ZPO): Abgrenzung zum bloßen Nichtbestreiten (Beibringungsgrundsatz);
Erfordernis des Geständniswillens
BGH, Versäumnisurteil vom
19. Mai 2005 - III ZR 265/04
Fundstelle:
NJW 2006, 503
s. auch die Anm. zu BGH v. 5.10.2006 - III
ZR 166/05 unter 4.
Amtl. Leitsatz:
Zu den Anforderungen an
ein gerichtliches Geständnis.
Tatbestand:
Die klagende DB Netz AG verlangt von den beklagten Stadtwerken, die in der
Rechtsform einer GmbH betrieben werden, Schadensersatz für einen
Wasserschaden vom 27. Oktober 1997, bei dem der Eisenbahndamm der im Ausbau
befindlichen Strecke Paderborn-Chemnitz, Kilometer 15,2 bis 15,8, durch
beträchtliche Wassermengen tiefgreifend aufgeweicht und beschädigt wurde.
Die Klägerin führt diese Schäden auf einen Defekt der Zulaufsteuerung in dem
von der Beklagten betriebenen Pumpwerk G. zurück; der Defekt habe einen
unkontrollierten Wasserzufluß in das Kanalsystem bewirkt, das in einen
Graben seitlich des beschädigten Bahndammabschnitts mündet.
Von dieser Schadensursache ging zunächst auch die Beklagte aus. Die Parteien
verhandelten vornehmlich über die Schadenshöhe, insbesondere darüber, welche
Sanierungsmaßnahmen mit welchem Aufwand erforderlich waren. Der Kommunale
Schadensausgleich (KSA) als Versicherer der Beklagten zahlte an die Klägerin
vorprozessual ohne Anerkennung einer Rechtspflicht 100.000 DM.
Im jetzigen Rechtsstreit macht die Klägerin weitergehende behauptete Schäden
geltend. Die Beklagte hatte in der Klageerwiderung zunächst ihre
Passivlegitimation in Abrede gestellt und insoweit auf den Wasser- und
Abwasserzweckverband J. (nunmehr: Zweckverband J. Wasser) verwiesen, der
Betreiber der Rohranlage sei und für den der KSA auch die Verhandlungen über
die Ersatzpflicht geführt habe. Nur vorsorglich hatte die Beklagte zudem die
Schadenshöhe bestritten.
Der vom Landgericht zu Fragen der Schadenshöhe beauftragte Sachverständige
kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, daß der Schaden nicht auf das aus
dem Pumpwerk G. kommende Rohr, sondern auf
die neben dem Bahndamm verlaufende Betonrinne (Abwasserleitung aus der
Ortslage G. ) mit starkem Wasserfluß zurückzuführen sei.
Mit Schriftsatz vom 19. September 2002 machte sich die Beklagte die
Ausführungen des Gutachters zur Schadensursache zu eigen und bestritt
ausdrücklich, daß die geltend gemachten Schäden durch Wasser verursacht
worden seien, welches aus einem Rohr aus dem Pumpwerk der Beklagten
ausgetreten sei. Die Beklagte erhob Widerklage auf Rückzahlung des
geleisteten Betrages von 100.000 DM.
Nachdem das Landgericht daraufhin Beweis auch über die Schadensursache
erhoben hatte, gab es der Klage im wesentlichen - bis auf einen Teil der
Zinsforderung - statt und wies die Widerklage ab. Die Berufung der Beklagten
blieb erfolglos. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die
Beklagte ihren Klageabweisungs- und ihren Widerklageantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des
Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Da die Klägerin und Revisionsbeklagte in der Revisionsverhandlung nicht
vertreten war, ist über die Revision der Beklagten antragsgemäß durch
Versäumnisurteil zu entscheiden. Inhaltlich beruht die Entscheidung
allerdings nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf der Berücksichtigung
des gesamten Sach- und Streitstandes, soweit er in der Revisionsinstanz
angefallen ist (BGHZ 37, 79, 81; BGH, Urteil vom 18. November 1998 - VIII ZR
344/97 = NJW 1999, 647, 648).
2. Das Landgericht hat aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme
für erwiesen angesehen, daß die schadensstiftenden Wassermassen aus einer
Rohrleitungsanlage ausgetreten waren, die zu dem Pumpwerk gehörte, das zwar
im Eigentum des Wasser- und Abwasserzweckverbandes stand, aber - wie
inzwischen außer Streit steht - von der Beklagten in eigener Verantwortung
betrieben wird. Es hat deshalb den Schadensersatzanspruch der Klägerin unter
dem Gesichtspunkt der Wirkungshaftung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG) für
begründet erachtet.
3. Das Berufungsgericht hält die von der Beklagten gegen die
erstinstanzliche Beweiswürdigung erhobenen Verfahrensrügen zwar für sachlich
berechtigt, da die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von zwei Zeugen unter
Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§§ 355,
286 ZPO) erfolgt sei. Es meint indessen, dieser mögliche Verfahrensfehler
sei im Ergebnis unschädlich, da die Beklagte sich an ihrer ursprünglichen
Einlassung über die Schadensursache festhalten lassen müsse. Die
Schadensursache, nämlich daß das Wasser aus einer Rohrleitung der Beklagten
ausgetreten sei, sei von der Beklagten zugestanden worden (§ 288 ZPO). An
diesem Geständnis müsse die Beklagte sich auch im Berufungsrechtszug
festhalten lassen (§ 535 ZPO).
4. Die hiergegen gerichteten Rügen der Revision greifen durch.
a) Das gerichtliche Geständnis ist die innerhalb des Rechtsstreits
abgegebene Erklärung einer Partei, daß eine vom Gegner behauptete, ihr im
Rechtssinne ungünstige Tatsache wahr sei. Die Wirkung dieser Erklärung ist
eine doppelte. Zunächst wirkt sie auf dem Gebiet des Verhandlungsgrundsatzes
in bezug auf das Gericht ebenso wie das Schweigen auf die gegnerische
Behauptung: Was eine Partei gegen sich gelten läßt, wird ohne weiteres zur
Urteilsgrundlage. Zu dieser Wirkung bedarf es an sich weder einer Erklärung
des Geständnisses, noch eines sie stützenden Parteiwillens; vgl. § 138 Abs.
3, § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die zweite Wirkung des gerichtlichen
Geständnisses, die ihm allein als spezifische zukommt, besteht dagegen in
der Bindung der Partei an ihr Wort: Während das bisher unterlassene
Bestreiten bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung jederzeit
(vorbehaltlich der Zurückweisung als verspätet) mit der Wirkung nachgeholt
werden kann, daß die Tatsache nunmehr des Beweises bedarf, ist nach Ablegung
des gerichtlichen Geständnisses ein einfaches Bestreiten ausgeschlossen und
der Widerruf an den doppelten Nachweis gebunden, daß das Geständnis der
Wahrheit nicht entspricht und daß es durch einen Irrtum veranlaßt ist. In
dem Geständnis liegt somit ein Willensmoment: die Partei erklärt, eine
Tatsache gegen sich gelten lassen zu wollen. Die Willenserklärung, die somit
positiv-rechtlich in dem Geständnis liegt, ist die Erklärung des
Einverständnisses damit, daß die Tatsache ungeprüft zur Urteilsgrundlage
gemacht wird (Stein/Jonas/Leipold, ZPO 21. Aufl. 1996 § 288 Rn. 1 bis 4
m.w.N.).
b) Einen derartigen Geständniswillen (s. dazu auch die in BGHR ZPO §
288 Geständniswille 1 bis 6 nachgewiesenen Entscheidungen des
Bundesgerichtshofs), der revisionsrechtlich uneingeschränkt nachprüfbar ist
(BGHR aaO 1, 4 und 6), vermag der Senat hier nicht festzustellen.
aa) Soweit das Berufungsgericht darauf abhebt, daß die Beklagte in der
Klageerwiderung nur den Einwand der mangelnden Passivlegitimation erhoben
und "vorsorglich" zur Schadenshöhe Stellung genommen, aber mit keinem Wort
ihre Verantwortlichkeit für den Schadenseintritt bestritten habe, so reicht
dies allein nicht aus, um ein eindeutiges Geständnis hinsichtlich der
Verantwortlichkeit dem Grunde nach anzunehmen. Wenn das Berufungsgericht
sich in diesem Zusammenhang auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6.
November 1961 (VII ZR 120/60 = JZ 1962, 252) bezieht, so macht die Revision
hiergegen zu Recht geltend, daß in dieser Entscheidung, die eine ähnlich
gelagerte Konstellation betrifft, das Vorliegen eines Geständnisses gerade
verneint worden war.
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts können weder das Schreiben
der Beklagten vom 7. Januar 1999 noch die Aktennotiz vom 17. April 1998
Grundlage eines "außergerichtlichen Geständnisses" der Beklagten sein. Zwar
wird in beiden Dokumenten, die jeweils von Bediensteten der Beklagten - aber
nicht von ihrem gesetzlichen Vertreter im Sinne des § 51 ZPO - unterzeichnet
worden sind, festgehalten, daß das Wasser aus dem Kanalsystem der
Pumpstation ausgetreten sei. Diese Schriftstücke müßten jedoch, um eine
Geständniswirkung nach § 288 Abs. 1 ZPO begründen zu können, vom Gestehenden
und nicht vom Gegner in den Prozeß eingeführt worden sein (vgl.
Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. 2005 § 288 Rn. 4; Musielak/Huber, ZPO 4. Aufl.
2005 § 288 Rn. 2). Dies ist jedoch nicht der Fall. Beide Urkunden sind von
der Klägerin in Kopie als Anlage zur Klageschrift bzw. zu einem späteren
Schriftsatz vorgelegt worden. Zwar ist es richtig, daß die Beklagte ein im
Auftrage des Kommunalen Schadensausgleichs erstelltes Gutachten des
Ingenieurbüros F. vorgelegt hat, in dem - neben anderen Unterlagen - auch
diese beiden Schriftstücke als "vom Auftraggeber übergebener Schriftverkehr"
aufgeführt werden. Diese gutachterliche Stellungnahme verhält sich jedoch
auftragsgemäß allein zur "angegebenen Schadenshöhe". Nur in diesem
Zusammenhang hat sich die Beklagte in der Klageerwiderung auf das Gutachten
bezogen und sich die gutachterlichen Ausführungen zu eigen gemacht. Daher
kann - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - auch die Vorlage des
Gutachtens F. durch die Beklagte nicht als "Einführung ihres
außergerichtlichen Geständnisses" gewertet werden.
cc) Dementsprechend blieb es der Beklagten unbenommen, sich die erst durch
die landgerichtliche Beweisaufnahme zutage getretene Möglichkeit eines
abweichenden Kausalverlaufs zu eigen zu machen und ihren Sachvortrag zur
Schadensursache den nachträglich gewonnenen neuen Erkenntnissen anzupassen.
Deswegen ist die Verfahrensweise des Landgerichts, das inzidenter eine
Bindungswirkung der früheren Einlassung der Beklagten verneint hat und
dementsprechend in die Beweisaufnahme über die Schadensursache eingetreten
ist, vom Ansatz her nicht zu beanstanden.
5. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht eine - wiederholende oder
ergänzende - Beweisaufnahme über die Schadensursache für entbehrlich
gehalten ist, ist daher insgesamt nicht tragfähig. Da das Berufungsurteil
sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO), muß
es aufgehoben und muß die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an
das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
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