Beweislastumkehr der Kausalität bei grober
Verletzung von Berufs- oder Organisationspflichten zum Schutz von Leben und
Gesundheit
BGH, Urteil vom 23. November 2017 -
III ZR 60/16 - OLG Koblenz
Fundstelle:
noch nicht bekannt
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
a) Die zur Badeaufsicht in einem Schwimmbad
eingesetzten Personen sind verpflichtet, den Badebetrieb und damit auch das
Geschehen im Wasser zu beobachten und mit regelmäßigen Kontrollblicken
darauf zu überprüfen, ob Gefahrensituationen für die Badegäste auftreten.
Dabei ist der Standort so zu wählen, dass der gesamte Schwimm- und
Sprungbereich überwacht und auch in das Wasser hineingeblickt werden kann
(Anschluss an BGH, Urteile vom 2. Oktober 1979 - VI ZR 106/78, NJW 1980,
392, 393 und vom 21. März 2000 - VI ZR 158/99, NJW 2000, 1946 f). In
Notfällen ist für rasche und wirksame Hilfeleistung zu sorgen.
b) Wer eine besondere Berufs- oder Organisationspflicht, andere vor Gefahren
für Leben und Gesundheit zu bewahren, grob vernachlässigt hat, muss die
Nichtursächlichkeit festgestellter Fehler beweisen, die allgemein als
geeignet anzusehen sind, einen Schaden nach Art des eingetretenen
herbeizuführen. Dies gilt auch im Falle einer grob fahrlässigen Verletzung
der Verpflichtung zur Überwachung eines Schwimmbadbetriebs (Bestätigung von
BGH, Urteil vom 13. März 1962 - VI ZR 142/61, NJW 1962, 959, 960 und
Fortführung von Senat, Urteil vom 11. Mai 2017 -
III ZR 92/16, NJW 2017, 2108 Rn. 22 ff, vorgesehen für BGHZ sowie BGH,
Urteil vom 10. November 1970 - VI ZR 83/69, NJW 1971, 241, 243).
Zentrale Probleme:
Es geht um einen sehr tragischen Badeunfall. In einem als
öffentliche Einrichtung betriebenen Badesee einer Gemeinde wird gerät
Badegast unter Wasser. Die Badeaufsicht reagiert schuldhaft zu spät, weshalb
es zu schwersten Folgeschäden kommt. Die Benutzungsordnung regelt, dass die
Benutzung der Anlage auf eigene Gefahr und Verantwortung erfolge. Bei
Unfällen trete eine Haftung nur ein, wenn dem Badepersonal Vorsatz oder
grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werde. Der Geschädigte klagt nun gegen die
Gemeinde. Diese macht u.a. mangende Kausalität einer Pflichtverletzung
geltend: Es sei nicht nachgewiesen, dass ein früheres Einschreiten des
Aufsichtspersonals die Schädigung verhindert hätte.
Im Zentrum steht wiederum die Beweislastumkehr für die Kausalität bei der
grobfahrlässigen Verletzung von Berufspflichten, die Schutz von Leben un
Gesundheit anderer betreffen (s. dazu die Anm. zu
Urteil vom 11. Mai 2017 - III ZR 92/16, NJW 2017, 2108). In Fällen der
Verletzung von Aufsichts- und Überwachungspflichten ist eine solche
tatsächliche Vermutung für die Schadensursächlichkeit bereits bei einfacher
Fahrlässigkeit anzunehmen, wenn eine ordnungsgemäße Beaufsichtigung an sich
geeignet gewesen wäre, den Schaden zu verhindern, beziehungsweise sich
gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, der durch die verletzte
Verhaltenspflicht begegnet werden sollte.
Der Senat lässt offen, ob sich die Haftung der Gemeinde sich aus § 839 Abs.
1 BGB i.V.m. Art 34 Satz 1 GG oder aus §§ 823 831 BGB ergibt. Richtig dürfte
wohl ersteres sein, da der Badesee als öffentliche Anstalt betrieben wurde.
In diesem Fall ist der Haftungsausschluss durch die Badesatzung unwirksam,
weil die Amtshaftung nur auf gesetzlicher Grundlage beschränkt werden kann.
Bei vertraglicher Qualifikation verstößt sie gegen § 309 Nr. 7a BGB.
©sl 2018
Tatbestand:
1 Die Klägerin macht Schadensersatz- und
Schmerzensgeldansprüche nach einem Badeunfall geltend.
2 Die beklagte Verbandsgemeinde (Beklagte zu 3) betreibt einen künstlich
angelegten, jedoch naturnah gestalteten Badesee als öffentliche Einrichtung.
§ 10 Abs. 1 der Bade- und Benutzungsordnung bestimmt, dass die
Benutzung der Anlage auf eigene Gefahr und Verantwortung erfolge. Bei
Unfällen trete eine Haftung nur ein, wenn dem Badepersonal Vorsatz oder
grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werde.
3 Das Hauptbecken des Schwimmbads beinhaltet einen etwa neun Meter breiten
und 16 Meter langen Schwimmerbereich, in dem die Wassertiefe mehrere Meter
beträgt. An dessen westlicher Seite befindet sich ein Sprungfelsen mit einem
umgebenden Sprungbereich. Dieser ist von dem übrigen Schwimmareal mittels
orangener Bojen abgegrenzt, deren Durchmesser etwa 15 cm beträgt. Die Bojen
waren zum Unfallzeitpunkt jeweils einzeln an einer auf dem Beckengrund
befindlichen Verankerung in einem Abstand von 2,5 m bis 3 m mit Hilfe von 6
bis 8 mm starken, flexiblen Seilen befestigt und nicht miteinander
verbunden.
4 Am 9. Juli 2010 besuchte die damals zwölfjährige Klägerin das
Naturschwimmbad. Beim Baden verfing sie sich aus ungeklärten
Umständen mit einem Arm in der Befestigungsschnur einer Boje, die hierdurch
zumindest teilweise unter die Wasseroberfläche gezogen wurde. Die
Badeaufsicht am Unfalltag oblag der vormaligen Beklagten zu 1 und dem
vormaligen Beklagten zu 2 (im Folgenden Beklagte zu 1 und Beklagter zu 2),
gegen die die Klägerin ihre Ansprüche nicht mehr weiterverfolgt. Als die
Beklagte zu 1, die sich auf einem Steg im Bereich des Sprungfelsens
aufhielt, die abgesenkte Boje bemerkt hatte, sprach sie oder ihr Kollege
zunächst zwei in der Nähe befindliche Mädchen hierauf an. In der
Vergangenheit war es wiederholt vorgekommen, dass Kinder und Jugendliche
einzelne Bojen an den Befestigungsseilen unter Wasser gezogen oder verknotet
hatten. Da die Mädchen erklärten, nicht an der Boje gespielt zu haben, bat
die Beklagte zu 1 einen ihr bekannten, damals 13- oder 14jährigen Jungen,
nach der Boje zu schauen. Dieser unternahm einen oder zwei Tauchgänge und
bemerkte "etwas Glitschiges". Nachdem er eine Klärung der Situation nicht
hatte herbeiführen können, holte der Beklagte zu 2 zunächst seine
Schwimmbrille im Gerätehaus, begab sich sodann ebenfalls in das Wasser,
überprüfte die Boje und fand die leblose Klägerin unter Wasser vor. Er
befreite sie aus dem Befestigungsseil und verbrachte sie an Land, wo sie
reanimiert wurde. Aufgrund des Sauerstoffentzugs erlitt die Klägerin
massive, irreparable Hirnschädigungen. Sie ist infolgedessen
schwerstbehindert und wird zeitlebens pflegebedürftig bleiben. Sie
wurde über Monate hinweg stationär und ambulant behandelt und lebt aufgrund
ihrer Behinderungen nunmehr in einem Pflegeheim.
5 Die Klägerin behauptet, durch rechtzeitiges und adäquates Verhalten der
Beklagten zu 1 und 2, denen wesentliche Qualifikationen für die von ihnen
ausgeübte Aufsichtsfunktion gefehlt hätten, hätten die eingetretenen
Gesundheitsschädigungen vermieden werden können. Bei einer angemessenen
Beobachtung der Wasseroberfläche hätten Bewegungen der Boje und deren
Absinken innerhalb von ein bis zwei Minuten auffallen müssen.
Rettungsmaßnahmen hätten dann innerhalb von einer Minute durchgeführt werden
können. Insgesamt hätte eine sachgerechte Rettung daher nicht mehr als drei
Minuten in Anspruch genommen. Das nicht pflichtgemäße Verhalten der
Beklagten zu 1 und 2 nach dem Erkennen des Absinkens der Boje habe zu einer
zeitlichen Verzögerung der Rettung von mindestens drei Minuten geführt.
Überdies macht die Klägerin geltend, die verwendete Befestigung der Bojen am
Beckengrund habe nicht den Anforderungen an die Verkehrssicherungspflichten
in Schwimmbädern entsprochen.
6 Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 500.000
€, eine monatliche Schmerzensgeldrente von 650 €, die Erstattung
vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 14.716,20 € sowie die
Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtlichen zukünftig
entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, welcher auf
den Unglücksfall zurückzuführen ist, soweit die Ansprüche nicht auf einen
Dritten, insbesondere auf Sozialversicherungsträger, übergegangen sind.
7 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist vor dem
Oberlandesgericht ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer von dem erkennenden Senat
zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche gegen die
Beklagte zu 3 weiter.
Entscheidungsgründe
8 Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der
angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die
Vorinstanz.
I.
9 Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Verwendung der Bojen nebst ihrer
Befestigung sei nicht pflichtwidrig. Insbesondere ergebe sich unter
Zugrundelegung der Ergebnisse des hierzu eingeholten
Sachverständigengutachtens aus der Unüblichkeit der gewählten Abgrenzung des
Sprungbereichs keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Vielmehr
trage jedwede Art der Abgrenzung jeweils eine spezifische Gefahr für die
Schwimmer in sich.
10 Zwar rüge die Klägerin zu Recht, dass sie früher hätte gerettet werden
können, wenn die Beklagten zu 1 und 2 sofort gehandelt hätten.
Selbst wenn man aber der Klägerin darin folge, dass die zu verantwortende
Verzögerung drei Minuten betragen habe, führe dies nicht zu einer Haftung
der Beklagten zu 3. Ausgehend von der mitgeteilten und möglichen
Unterwasser-Liegezeit der Klägerin von drei bis zehn Minuten könne nicht
festgestellt werden, dass die Hirnschädigungen bei einer drei Minuten
früheren Rettung ausgeblieben oder in geringerem Umfang eingetreten wären.
Wäre die Klägerin drei Minuten früher gerettet worden, hätte die dann noch
zugrunde zu legende Verweilzeit unter Wasser etwa sieben Minuten betragen
und damit die Dauer von drei bis fünf Minuten deutlich überschritten, nach
der den sachverständigen Ausführungen zufolge die konkreten Schädigungen der
Klägerin bereits hätten eingetreten sein können.
11 Auch die von der Klägerin behaupteten organisatorischen Mängel und
Pflichtwidrigkeiten begründeten keine Haftung der Beklagten zu 3. Dass sich
die von der Klägerin behauptete fehlende oder mangelhafte Qualität der
Auswahl und Ausbildung des eingesetzten Personals, abgesehen von der
verzögerten Rettung, negativ auf den Rettungsvorgang ausgewirkt habe, sei
weder dargetan noch ersichtlich. Auch bestehe keine Pflicht der
Badeaufsicht, jeden der anwesenden Schwimmer ständig zu beobachten.
Dementsprechend müsse die Beklagte zu 3 den Badebetrieb auch nicht in dieser
Weise organisieren. Die abgesenkte Boje allein habe nicht zu einer
sofortigen eigenen Handlungspflicht der Bediensteten der Beklagten zu 3
geführt, jedenfalls stehe einer Haftung der fehlende
Kausalitätsnachweis entgegen.
12 Beweiserleichterungen griffen zugunsten der Klägerin nicht ein. Die
Voraussetzungen für die Annahme eines Anscheinsbeweises seien nach den
sachverständigen Feststellungen nicht gegeben. Es fehle an einem
pflichtwidrigen Handeln beziehungsweise an einem typischen Geschehensablauf.
Auch liege keinerlei grob fahrlässiges Verhalten der Bediensteten
der Beklagten zu 3 vor, was bei Hinzutreten weiterer Umstände gegebenenfalls
zu einer Beweiserleichterung hätte führen können.
II.
13 Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Auf der Grundlage des
bisherigen Sach- und Streitstandes ist ein Schadensersatzanspruch der
Klägerin gegen die Beklagte zu 3 nicht auszuschließen.
14 1. Das Berufungsgericht hat gemeint, die Forderung der Klägerin scheitere
an der fehlenden Ursächlichkeit der ihrem Vorbringen zufolge verzögerten
Einleitung und Durchführung ihrer Rettung für die eingetretenen
gesundheitlichen Schäden. Bei dieser Würdigung hat es einen entscheidenden
Punkt unberücksichtigt gelassen.
15 a) Zu Recht allerdings ist die Vorinstanz davon ausgegangen, dass
die Ursächlichkeit der der Badeaufsicht vorgeworfenen Versäumnisse für die
bei der Klägerin infolge der Sauerstoffunterversorgung eingetretenen
gesundheitlichen Beeinträchtigungen nur besteht, wenn diese bei
pflichtgemäßer Erfüllung der Aufsichts- und Rettungspflichten vermieden
worden wären (vgl. z.B. Senat, Urteile vom 25. September 1952 - III
ZR 322/51, BGHZ 7, 198, 204; vom 29. November 1973 - III ZR 211/71, NJW
1974, 453, 455 und vom 21. Oktober 2004 - III ZR 254/03, NJW 2005, 68, 71;
Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl., § 823 Rn. 2), wobei die bloße
Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen
(Senatsurteile vom 29. November 1973 aaO und vom 21. Oktober 2004 aaO).
16 b) Das Berufungsgericht hat bei seiner Kausalitätsbetrachtung jedoch
allein die Behauptung der Klägerin den Blick genommen, ihre Rettung sei um
mindestens drei Minuten verzögert worden. Dabei ist ihr weiterer Sachvortrag
unberücksichtigt geblieben, bei einer pflichtgemäßen Aufsicht hätte
innerhalb von ein bis zwei Minuten auffallen müssen, dass die Boje abgesenkt
gewesen sei, und die gebotenen Rettungsmaßnahmen hätten sodann innerhalb von
einer Minute durchgeführt werden können. Die Richtigkeit dieses
beweisbewehrten Vortrags unterstellt, wären die dauerhaften Hirnschäden der
Klägerin bei entsprechendem Handeln der Beklagten zu 1 und 2 vermieden
worden. Sie wäre dann insgesamt für maximal drei Minuten unter Wasser von
der Sauerstoffzufuhr abgeschnitten gewesen. Nach dem ebenfalls unter Beweis
gestellten Vorbringen der Klägerin, das von den in der Vorinstanz zugrunde
gelegten, von den Parteien nicht angegriffenen Ausführungen des
rechtsmedizinischen Sachverständigen im Ermittlungsverfahren jedenfalls im
Ansatz gestützt wird, traten die von ihr erlittenen Hirnschäden frühestens
nach drei Minuten auf. Das Berufungsgericht wird dementsprechend
Feststellungen zu dem unberücksichtigt gebliebenen Vorbringen der Klägerin
nachzuholen haben.
17 c) In diesem Zusammenhang wird es sich auch mit dem Pflichtenkatalog der
Beklagten zu 1 und 2 zu befassen haben, zu dem es - von seinem
Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bislang keine näheren Feststellungen
getroffen hat. Hierbei wird Folgendes zu beachten sein:
18 aa) Die Badeaufsicht hat zwar, wie die Vorinstanz in anderem
Kontext ausgeführt hat, nicht die Verpflichtung zur lückenlosen Beobachtung
eines jeden Schwimmers (KG, KGR 1999, 384, 385 sowie MüKoBGB/Wagner,
7. Aufl., § 823 Rn. 654). Es kann und muss im Schwimmbadbetrieb
nicht jeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden,
da eine Sicherheit, die jeden Gefährdungsfall ausschließt, nicht erreichbar
ist (BGH, Urteil vom 21. März 2000 - VI ZR 158/99, NJW 2000, 1946).
Die Schwimmaufsicht ist jedoch verpflichtet, den Badebetrieb und
damit auch das Geschehen im Wasser zu beobachten und mit regelmäßigen
Kontrollblicken daraufhin zu überwachen, ob Gefahrensituationen für die
Badegäste auftreten. Dabei ist der Beobachtungsort so wählen, dass der
gesamte Schwimm- und Sprungbereich überwacht und auch in das Wasser
hineingeblickt werden kann, was gegebenenfalls häufigere Standortwechsel
erfordert (BGH, Urteile vom 2. Oktober 1979 - VI ZR 106/78, NJW
1980, 392, 393 und vom 21. März 2000 aaO S. 1947; KG aaO; OLG Koblenz, OLGR
2001, 50, 53; BeckOK BGB/Förster, § 823 Rn. 547 [Stand: 15. Juni 2017];
Wagner aaO; vgl. auch Nr. 5 der Richtlinie R 94.05 der Deutschen
Gesellschaft für das Badewesen e.V. zur Verkehrssicherungs- und
Aufsichtspflicht in öffentlichen Bädern während des Badebetriebs in der
Fassung von Februar 2008). Das Berufungsgericht wird Feststellungen dazu zu
treffen haben, ob bei Anwendung dieser Maßstäbe das Absinken der Boje, in
deren Seil sich die Klägerin verfangen hatte, ihrem Vortrag entsprechend
innerhalb von ein bis zwei Minuten hätte bemerkt werden müssen.
19 bb) Zu den Aufgaben der Aufsichtspersonen in einem Schwimmbad
gehört es weiter, in Notfällen für rasche und wirksame Hilfeleistung zu
sorgen (OLG Saarbrücken VersR 1994, 60, 61; vgl. auch Wagner aaO).
Die Auffassung des Berufungsgerichts, eine "sofortige eigene
Handlungspflicht" der Beklagten zu 1 und 2 sei durch die abgesenkte Boje
nicht begründet worden, wird dem Pflichtenkreis der Aufsichtspersonen in
einem Schwimmbad nicht gerecht. Vielmehr hätte der Umstand, dass eine der
Bojen jedenfalls teilweise unter die Wasseroberfläche geraten war, die
Badeaufsicht dazu veranlassen müssen, sogleich selbst die Ursache hierfür zu
klären und die Klägerin zu retten. Dies gilt unabhängig davon, ob - was
zwischen den Parteien streitig ist - die schwimmende Markierung nur ein
wenig herabgezogen war, oder sie sich vollständig unter Wasser befand, da
sie auch nach dem Beklagtenvortrag jedenfalls so weit heruntergezogen worden
war, dass dies die Aufmerksamkeit der Beklagten zu 1 erregte. Der Aufsicht
hätte gerade im Hinblick auf die vergleichsweise lockere Verbindung der Boje
mit der Befestigung am Schwimmbadgrund bewusst sein müssen, dass die
Absenkung der Boje auch durch einen in Not geratenen Badegast verursacht
worden sein konnte. Dass in der Vergangenheit Befestigungsseile bereits
häufiger von Kindern und Jugendlichen zusammengeknotet worden und die
Schwimmkörper dadurch ganz oder teilweise unter die Wasseroberfläche geraten
waren, rechtfertigte es nicht, davon abzusehen, sofort selbst die Situation
zu klären. Da die abgesenkte Boje jedenfalls auch auf eine in Lebensgefahr
befindliche Person hindeuten konnte, mithin höchste Güter auf dem Spiel
standen, war die Badeaufsicht der Beklagten zu 3 auch dann zu einem
sofortigen eigenen Eingreifen verpflichtet, wenn sich in der Vergangenheit
die Ursache herabgezogener Schwimmkörper im Nachhinein immer wieder als
vergleichsweise harmlos herausgestellt hatte und keine besondere Eile
geboten gewesen war.
20 Nachdem die Auffälligkeit der Boje bemerkt worden war, hätte sich
daher jedenfalls einer der Beklagten zu 1 und 2 sofort selbst in das Wasser
begeben müssen. Das Vorgehen, stattdessen zunächst zwei in der Nähe
befindliche Mädchen zu befragen und sodann auf die Hilfe eines 13- oder
14-jährigen Jungen zurückzugreifen, den die Beklagte zu 1 bat, zu der Boje
zu schwimmen und nach dem Befestigungsseil zu tauchen, war deshalb
pflichtwidrig, zumal letzterer hierdurch seinerseits einer Gefahr ausgesetzt
wurde. Dies gilt auch für das Verhalten des Beklagten zu 2, der sich erst in
das Wasser begab, nachdem er seine Schwimmbrille aus dem Gerätehaus geholt
hatte. War die Schwimmbrille zur Rettung von in Not geratenen Personen
erforderlich, hätte er sie ständig bei sich führen müssen.
21 Dementsprechend wird das Berufungsgericht auch Feststellungen dazu zu
treffen haben, wie lange es gedauert hätte, wenn sich die Badeaufsicht
sofort zur Unfallstelle begeben und die Klägerin gerettet hätte, nachdem die
herabgezogene Boje bemerkt worden war.
22 2. Gelingt der Klägerin der Kausalitätsnachweis auf Grundlage der
erforderlichen weiteren Feststellungen nicht, ist - wie das Berufungsgericht
nicht verkannt hat - zugunsten der Klägerin das Eingreifen einer
Beweislastumkehr zu prüfen.
23 a) Im Arzthaftungsrecht führt ein grober Behandlungsfehler, der
geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art
herbeizuführen, regelmäßig zur Umkehr der objektiven Beweislast für den
ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem
Gesundheitsschaden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Mai
2016 - VI ZR 247/15, BGHZ 210, 197 Rn. 11 mwN; siehe auch § 630h Abs. 5
BGB). Diese beweisrechtlichen Konsequenzen aus einem grob
fehlerhaften Behandlungsgeschehen knüpfen daran an, dass die nachträgliche
Aufklärbarkeit des tatsächlichen Behandlungsgeschehens wegen des besonderen
Gewichts des ärztlichen Fehlers und seiner Bedeutung für die Behandlung in
einer Weise erschwert ist, dass der Arzt nach Treu und Glauben - also aus
Billigkeitsgründen - dem Patienten den vollen Kausalitätsnachweis nicht
zumuten kann. Die Beweislastumkehr soll einen Ausgleich dafür
bieten, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden
Ursachen wegen der elementaren Bedeutung des Fehlers besonders verbreitert
oder verschoben worden ist (BGH, Urteil vom 10. Mai 2016 aaO mwN; siehe auch
Koch, NJW 2016, 2461, 2462 f). Dabei ist ein Behandlungsfehler nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann als grob zu bewerten,
wenn ein Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder
gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen
hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er
einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (z.B. BGH, Urteil vom 17.
November 2015 - VI ZR 476/14, NJW 2016, 563 Rn. 14; Palandt/Weidenkaff aaO §
630h Rn. 9; jeweils mwN).
24 Wegen der Vergleichbarkeit der Interessenlage gelten die
vorgenannten Beweisgrundsätze entsprechend bei grober Verletzung sonstiger
Berufs- oder Organisationspflichten, sofern diese, ähnlich wie beim
Arztberuf, dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer dienen.
Wer eine besondere Berufs- oder Organisationspflicht, andere vor Gefahren
für Leben und Gesundheit zu bewahren, grob vernachlässigt hat, kann nach
Treu und Glauben die Folgen der Ungewissheit, ob der Schaden abwendbar war,
nicht dem Geschädigten aufbürden. Auch in derartigen Fällen kann die
regelmäßige Beweislastverteilung dem Geschädigten nicht zugemutet werden.
Der seine Pflichten grob Vernachlässigende muss daher die
Nichtursächlichkeit festgestellter Fehler beweisen, die allgemein als
geeignet anzusehen sind, einen Schaden nach Art des eingetretenen
herbeizuführen (Senat, Urteil vom 11. Mai
2017 - III ZR 92/16, NJW 2017, 2108 Rn. 24, für BGHZ vorgesehen; BGH,
Urteile vom 13. März 1962 - VI ZR 142/61, NJW 1962, 959 f und vom 10.
November 1970 - VI ZR 83/69, NJW 1971, 241, 243; siehe auch BGH, Urteil vom
15. November 2001 - I ZR 182/99, NJW-RR 2002, 1108, 1112 zur
Beweislastumkehr bei grob fahrlässigem Organisationsverschulden im
Transportrecht; OLG Köln, VersR 1970, 229 zur Frage der Beweislastumkehr bei
unterbliebener Überwachung der elektrischen Versorgungsanlage eines
Verkaufskiosks auf einem Kirmesplatz; Palandt/Grüneberg aaO § 280 Rn. 38a).
25 Dies trifft auch auf die von den Beklagten zu 1 und 2 wahrgenommene
Badeaufsicht zu. So hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass ein
Schwimmmeister, der durch grobe Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht den
seiner Obhut anvertrauten Schwimmschüler in eine Gefahrenlage gebracht hat,
die geeignet war, den eingetretenen Ertrinkungstod herbeizuführen, beweisen
muss, dass der Verunglückte auch bei sorgfältiger Überwachung nicht hätte
gerettet werden können (Urteil vom 13. März 1962 aaO). Den Beklagten
zu 1 und 2 oblag als Schwimmmeistern am Unfalltag die Aufgabe, die
Badegeäste durch eine ordnungsgemäße Überwachung des Badebetriebs vor
Schäden an Leben und Gesundheit - insbesondere aufgrund von Badeunfällen -
zu bewahren. Auch war eine nicht sachgerechte Ausübung dieser Berufspflicht
allgemein geeignet, Schäden nach Art des bei der Klägerin eingetretenen
Schadens (schwerste Hirnschädigungen durch Sauerstoffentzug aufgrund
unfreiwillig langer Verweildauer unter Wasser) herbeizuführen.
26 Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten
Rechtsauffassung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 3 ist die
gegebene Interessenlage - ebenso wie in den der
Senatsentscheidung vom 11. Mai 2017 (aaO Rn. 28) und dem Urteil des VI.
Zivilsenats vom 13. März 1962 (aaO) zugrunde liegenden Fällen -
vergleichbar mit der im Arzthaftungsrecht. Die Pflichten der
Badeaufsicht dienen wegen der dem Schwimmbetrieb immanenten spezifischen
Gefahren für die Gesundheit und das Leben der Badegäste besonders und in
erster Linie dem Schutz dieser Rechtsgüter. Sie haben deshalb entgegen der
Ansicht der Beklagten zu 3 nicht den Charakter bloßer, in jedweder
Rechtsbeziehung bestehender Nebenpflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB.
27 Die Verletzung dieser Kernpflichten der Schwimmaufsicht ist, wenn ein
Badegast einen Gesundheitsschaden erleidet - nicht anders als bei ärztlichen
Pflichtverstößen - dazu geeignet, aufgrund der im Nachhinein nicht mehr
exakt rekonstruierbaren Vorgänge im menschlichen Organismus erhebliche
Aufklärungserschwernisse in das Geschehen hineinzutragen, so dass es der
Billigkeit entspricht, für den Fall einer groben Pflichtverletzung dem
Geschädigten die regelmäßige Beweislastverteilung nicht mehr zuzumuten.
28 b) Ob die Beklagten zu 1 und 2 die ihnen obliegenden Pflichten grob
vernachlässigt haben, unterliegt der tatrichterlichen Würdigung durch das
Berufungsgericht.
29 Die bisher hierzu angestellten Erwägungen der Vorinstanz gegen Ende der
Gründe des angefochtenen Urteils, "nach allem" liege "zur Überzeugung des
Senats keinerlei grob fahrlässiges Verhalten der Bediensteten der Beklagten"
vor, enthalten noch nicht die gebotene Auseinandersetzung mit den besonderen
Umständen des Einzelfalls (siehe hierzu die vorläufige prognostische
Würdigung im Senatsbeschluss vom 11. Mai 2017, mit dem der Senat den
Parteien einen Vergleichsvorschlag unterbreitet hat). Dies wird nachzuholen
sein.
30 3. Gelangt das Berufungsgericht im Rahmen der gebotenen erneuten
Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis, dass die Beklagten zu
1 und 2 die ihnen übertragenen Pflichten zwar nicht grob, wohl aber
einfach fahrlässig verletzt haben, ist auf der Grundlage des bisherigen
Sach- und Streitstandes entgegen der insoweit nicht näher begründeten
Auffassung der Vorinstanz zugunsten der Klägerin von einer
Beweiserleichterung für die Schadensursächlichkeit der Pflichtverletzungen
der Beklagten zu 1 und 2 auszugehen.
31 Nach der ständigen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung
ist in Fällen der Verletzung von Aufsichts- und Überwachungspflichten eine
tatsächliche Vermutung für die Schadensursächlichkeit bereits anzunehmen,
wenn eine ordnungsgemäße Beaufsichtigung an sich geeignet gewesen wäre, den
Schaden zu verhindern, beziehungsweise sich gerade diejenige Gefahr
verwirklicht hat, der durch die verletzte Verhaltenspflicht begegnet werden
sollte (vgl. zum Amtshaftungsrecht Senatsurteile vom 22. Mai 1986 -
III ZR 237/84, NJW 1986, 2829, 2831 f und vom 21. Oktober 2004 - III ZR
254/03, NJW 2005, 68, 71 f; zur Verletzung bürgerlich-rechtlicher
Verkehrssicherungspflichten vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1993 - VI ZR
271/92, NJW 1994, 945, 946; OLG Koblenz aaO S. 54; OLG Köln, Urteil vom 15.
April 2003 - 7 U 122/02, juris Rn. 12 f). Diese Voraussetzungen sind
erfüllt. Die den Beklagten zu 1 und 2 obliegende Überwachungs- und
die darauf aufbauende Rettungspflicht waren an sich geeignet,
gesundheitliche Schäden zu verhindern, die dadurch eintreten, dass ein
Badegast nicht mehr auftauchen kann und unter Wasser bleibt. Bei dem
vorliegenden Badeunfall hat sich auch eben jene Gefahr verwirklicht, der
durch die den Beklagten zu 1 und 2 obliegenden (Kern-)Pflichten
entgegengewirkt werden sollte.
32 4. Sollte das Berufungsgericht lediglich ein einfach fahrlässiges
Verschulden der Beklagten zu 1 oder 2 annehmen, kann sich die Beklagte zu 3
nicht mit Erfolg auf die in § 10 Abs. 1 der Bade- und Benutzungsordnung
enthaltene Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit
berufen.
33 a) Es bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob sich die Haftung
der Beklagten zu 3 nach den Amtshaftungsgrundsätzen (§ 839 Abs. 1 BGB i.V.m.
Art 34 Satz 1 GG) richtet, was das Berufungsgericht angenommen hat (so
bereits in seinem vorgenannten Urteil aaO), oder ungeachtet der
öffentlichrechtlichen Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses von einer
privatrechtlichen Verkehrssicherungspflicht auszugehen ist, deren Verletzung
dem allgemeinen Deliktsrecht (§§ 823, 831 BGB) unterfällt (siehe in Bezug
auf kommunal betriebene Schwimmbäder mit öffentlich-rechtlichem
Benutzungsverhältnis OLG München, VersR 1972, 472, 473 und OLG Saarbrücken
aaO S. 60; wohl auch OLG Düsseldorf NVwZ-RR 1995, 65) In beiden Fällen ist
der Haftungs-ausschluss unwirksam.
34 b) Für eine etwaige Haftung nach den Grundsätzen des Amtshaftungsrechts
gilt dies bereits deshalb, weil nach ständiger Senatsrechtsprechung
Satzungen, wie sie die Bade- und Benutzungsordnung darstellt, nicht geeignet
sind, die gemäß Art. 34 Satz 1 GG grundsätzlich den Staat oder eine
entsprechende Körperschaft treffende Haftung einzuschränken. Ein
Ausschluss oder eine Beschränkung der Amtshaftung bedürfen vielmehr einer
besonderen gesetzlichen Grundlage (Senatsurteile vom 17. Mai 1973 -
III ZR 68/71, BGHZ 61, 7, 14 f und vom 7. Juli 1983 - III ZR 119/82, NJW
1984, 615, 617, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 88, 85; Ossenbühl/Cornils
aaO S. 97; BeckOGK/Dörr, BGB, § 839 Rn. 711 f [Stand: 1. Juli 2017], jew.
mwN), die hier nicht ersichtlich ist.
35 Auch eine etwaige Haftung nach §§ 823, 831 BGB konnte durch die
Bade- und Benutzungsordnung nicht beschränkt werden. Dies gilt
bereits deshalb, weil die darin enthaltenen Regelungen ausschließlich das
zwischen der Gemeinde und den Badegästen zustande kommende
öffentlich-rechtliche Benutzungsverhältnis gestalten. Rechtsfolgen für eine
allgemeine deliktische Haftung, welche an die privatrechtliche
Verkehrssicherungspflicht anknüpft, können sich hieraus nicht ergeben.
Sollte der Haftungsausschluss in der Bade- und Benutzungsordnung
indessen in Richtung auf die privatrechtliche Verkehrssicherungspflicht
(auch) als Allgemeine Geschäftsbedingung auszulegen sein, scheitert seine
Wirksamkeit für die vorliegende Fallgestaltung jedenfalls daran, dass eine
Kardinalpflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit in Rede steht
(vgl. § 307 Abs. 2 Nr. 2, § 309 Nr. 7 Buchst. a BGB; siehe auch OLG Hamm
VersR 1996, 717, 729; BGH, Urteil vom 23. Februar 1984 - VII ZR 274/82, NJW
1985, 3016, 3018; MüKoBGB/Wurmnest, 7. Aufl., § 307 Rn. 74 mwN).
36 2. Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie gemäß § 563
Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
37 In der neuen Tatsacheninstanz wird auch Gelegenheit für das
Berufungsgericht bestehen, sich gegebenenfalls mit den weiteren Rügen der
Revision, insbesondere gegen die Ablehnung einer (Verkehrssicherungs-)Pflichtver-letzung
aufgrund der gewählten Art der Befestigung der zur Abgrenzung des
Sprungbereichs verwendeten Bojen, auseinanderzusetzen. Hierauf einzugehen,
hat der Senat im vorliegenden Verfahrensstadium keine Veranlassung.
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