Staatshaftungsrecht, enteignungsgleicher
Eingriff; Erstreckung auf Nichtvermögensschäden (Änderung der Rspr.)
BGH, Urteil vom 7. September 2017 -
III ZR 71/17 - OLG Frankfurt am Main
Fundstelle:
noch nicht bekannt
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
Der allgemeine
Aufopferungsanspruch wegen eines hoheitlichen Eingriffs in die körperliche
Unversehrtheit ist nicht auf den Ersatz materieller Schäden begrenzt,
sondern umfasst auch nichtvermögensrechtliche Nachteile des Betroffenen
(Aufgabe der früheren Senatsrechtsprechung, Urteil vom 13. Februar 1956 -
III ZR 175/54, BGHZ 20, 61, 68 ff).
Zentrale Probleme:
Das Staatshaftungsrecht gehört zum Öffentlichen Recht,
unterliegt aber gem. Art. 14 III 3 GG dem Zivilrechtweg (s. auch § 40 II 1
VwGO). Vorliegend geht es um den aus § 74, 75 EinlPrALR gewohnheitsrechtlich
hergeleiteten Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff im Falle eines
rechtmäßigen hoheitlichen Eingriffs für ein sog. "Sonderopfer". Bislang
wurde hierbei ein Schmerzensgeldanspruch nicht begründet. In der
vorliegenden Entscheidung ändert der BGH diese Rspr.. Er stützt sich dabei
maßgeblich darauf, dass der Schmerzensgeldanspruch mittlerweile andere
Funktionen hat, was sich auch durch sine zwischenzeitlich erfolgte Regelung
im Allgemeinen Teil des Schuldrechts (§ 253 BGB) zeigt.
©sl 2017
Tatbestand:
1 Der Kläger verlangt vom
beklagten Land Ersatz materiellen und immateriellen Schadens wegen eines
Polizeieinsatzes, bei welchem er durch Anwendung unmittelbaren Zwangs im
Rahmen einer Maßnahme zur Identitätsfeststellung (§ 163b Abs. 1 StPO) eine
Schulterverletzung erlitt. Die Parteien streiten, soweit für das
Revisionsverfahren noch von Bedeutung, darum, ob ein Anspruch auf
Entschädigung aus Aufopferung auch Schmerzensgeld umfasst.
2 Das Landgericht hat dem Kläger Ersatz des geltend gemachten materiellen
Schadens zuerkannt, die Klage hinsichtlich der Schmerzensgeldforderung und
des Anspruchs auf Freistellung von hierauf entfallenden vorgerichtlichen
Rechtsanwaltskosten jedoch abgewiesen. Die hiergegen von beiden Parteien
eingelegten Rechtsmittel haben keinen Erfolg gehabt. Gegen das
Berufungsurteil richtet sich die Revision des Klägers, die das
Oberlandesgericht zu seinen Gunsten zugelassen hat.
Entscheidungsgründe
3 Die Revision führt, soweit zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist,
zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht.
I.
4 Das Oberlandesgericht ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht davon
ausgegangen, dass dem Kläger kein Schmerzensgeld zusteht (Urteil vom 26.
Januar 2017 - 1 U 31/15, juris). Zwar umfasse der Anspruch auf
Entschädigung aus Aufopferung Sonderopfer durch hoheitliche Eingriffe in
nicht vermögenswerte Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Freiheit. Jedoch
sei die Entschädigung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf die
aus dem Eingriff resultierenden vermögensrechtlichen Nachteile beschränkt
und umfasse damit kein Schmerzensgeld. Diese Rechtsprechung sei
auch nicht aufgrund der zum 1. August 2002 in Kraft getretenen Regelung in §
253 Abs. 2 BGB überholt. Zwar gelte nunmehr im Rahmen des
Schadensersatzrechts, dass unter anderem bei einer Körperverletzung auch
wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden sei, eine billige
Entschädigung in Geld gefordert werden könne. Der Anspruch aus Aufopferung
sei aber kein Anspruch auf Schadensersatz, sondern nur auf billige
beziehungsweise angemessene Entschädigung gerichtet. Wegen dieses
strukturellen Unterschieds könne § 253 Abs. 2 BGB auch nicht analog
angewandt werden. Andere Anspruchsgrundlagen auf Zahlung eines
Schmerzensgeldes schieden aus, wie das Landgericht, dessen diesbezügliche
Ausführungen mit der Berufung auch nicht angegriffen worden seien,
zutreffend festgestellt habe.
II.
5 Soweit das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Landgericht
angenommen hat, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen eines
Aufopferungsanspruchs dem Grunde nach gegeben sind und andere
Anspruchsgrundlagen nicht in Betracht kommen, ist dies revisionsrechtlich
nicht zu beanstanden und wird auch von keiner der Parteien in Frage
gestellt. Entscheidungserheblich ist damit, ob der allgemeine
Aufopferungsanspruch wegen eines hoheitlichen Eingriffs in die körperliche
Unversehrtheit auf den Ersatz materieller Schäden begrenzt ist. Insoweit
hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung, die eine solche
Begrenzung annimmt, nicht mehr fest.
6 1. Der Senat hat in seinem Urteil vom 13. Februar 1956 (III ZR 175/54,
BGHZ 20, 61, 68 ff) seine frühere Auffassung im Wesentlichen wie folgt
begründet:
7 Die Rechtsordnung und insbesondere das Schadensersatz- und
Entschädigungsrecht seien beherrscht von dem in § 253 BGB festgelegten
Grundsatz, dass ein Ausgleich in Geld nur für vermögensrechtliche
(materielle) Einbußen verlangt werden könne. Nur ganz ausnahmsweise gewähre
das Gesetz in §§ 847, 1300 BGB (a.F.) eine billige Entschädigung auch wegen
des Nicht-vermögensschadens. Es handele sich hierbei um Tatbestände, in
denen durch ein - vermeidbares - schuldhaftes Verhalten einem Dritten Unbill
zugefügt worden sei, und in diesen Fällen liege die ausnahmsweise für den
Schädiger im Gesetz normierte Verpflichtung zur Entschädigungsleistung über
den vermögensrechtlichen Schaden hinaus entscheidend mitbegründet in dem
Gedanken der Genugtuung, die der Schädiger dem Verletzten schulde.
Dementsprechend habe der Gesetzgeber bei allen sonstigen
Haftungstatbeständen, die ein Verschulden nicht voraussetzten und bei denen
infolgedessen auch der Genugtuungsgedanke keine entscheidende Rolle spielen
könne, insbesondere bei der sogenannten Gefährdungshaftung, davon abgesehen,
dem Geschädigten einen Ausgleich für immaterielle Schäden zu gewähren.
Von dem Grundsatz, dass nur für vermögensrechtliche Nachteile
Entschädigung zu gewähren sei, gingen auch die preußischen Bestimmungen der
§§ 74, 75 EinlALR aus, auf die das auch für die Gebiete außerhalb des Landes
Preußen anerkannte und gewohnheitsrechtlich fortgebildete Rechtsinstitut des
allgemeinen Aufopferungsanspruchs zurückgehe. Dementsprechend sei
auch in allen Fällen, in denen Aufopferungstatbestände in der Vergangenheit
eine besondere gesetzliche Regelung erfahren hätten, von einer Entschädigung
für nicht vermögensrechtliche Nachteile abgesehen worden. Aus all dem müsse
auf den Willen des Gesetzgebers geschlossen werden, dass eine Entschädigung
für immaterielle Schäden nur in den ausdrücklich normierten Sonderfällen der
§§ 847, 1300 BGB (a.F.) gewährt werden könne, im Übrigen aber - insbesondere
auch bei Vorliegen von Aufopferungstatbeständen - Schadensersatz und
Entschädigung auf den Ausgleich vermögensrechtlicher Nachteile beschränkt
bleiben solle. Zwar werde die Schutzwürdigkeit des Lebens und der Gesundheit
und ebenso der Freiheit von der Rechtsordnung besonders betont, indem das
Grundgesetz in Art. 2 neben dem Recht auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit das Recht des Einzelnen auf Leben und körperliche
Unversehrtheit und die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person als
verfassungsmäßig geschützte Grundrechte ausdrücklich garantiere. Dies
rechtfertige angesichts der Gesetzeslage aber nicht, die zu gewährende
billige Entschädigung unter Einschluss immaterieller Nachteile zu bestimmen.
Vielmehr müsse es dem Gesetzgeber überlassen bleiben, aus der in der
Verfassung zum Ausdruck kommenden Ordnung der Werte der einzelnen
Lebensgüter gegebenenfalls Folgerungen für eine andersartige Regelung des
Entschädigungsrechts zu ziehen und den in § 253 BGB normierten Grundsatz,
der nicht mehr allseits befriedigen könne, zu verlassen.
8 An dieser Auffassung hat der Senat in der Folgezeit in seiner älteren
Rechtsprechung festgehalten (vgl. nur Urteile vom 15. Oktober 1956 - III ZR
226/55, BGHZ 22, 43, 48, 50; vom 3. November 1958 - III ZR 139/57, BGHZ 28,
297, 301; vom 31. Januar 1966 - III ZR 118/64, BGHZ 45, 58, 77; vom 6. Juni
1966 - III ZR 167/64, NJW 1966, 1859, 1861, insoweit in BGHZ 45, 290 nicht
abgedruckt; vom 8. Juli 1971 - III ZR 67/68, NJW 1971, 1881, 1883 und vom
27. Mai 1993 - III ZR 59/92, BGHZ 122, 363, 368). Im Schrifttum wird diese
Senatsrechtsprechung regelmäßig ohne nähere Erörterung wiedergegeben (vgl.
nur BeckOGK/Dörr BGB § 839 Rn. 1199 [Stand 1. Juli 2017]; Palandt/Herrler,
BGB, 76. Aufl., Überbl. v. § 903 Rn. 16; Schiemann in Staudinger, BGB,
Neubearbeitung 2017, Vorbem zu §§ 249 ff Rn. 20; Stein/Itzel/Schwall,
Praxishandbuch des Amts- und Staatshaftungsrechts, 2. Aufl., Rn. 365),
teilweise aber auch eine Abkehr von der als überholt angesehenen
Rechtsprechung gefordert (vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6.
Aufl., S. 147 f; MüKoBGB/ Oetker, 7. Aufl., § 253 Rn. 20; siehe auch OLG
Frankfurt, NVwZ-RR 2014, 142, 143).
9 2. Die im Urteil vom 13. Februar 1956 dargestellte Gesetzeslage hat sich
zwischenzeitlich grundlegend geändert. Von einem Willen des Gesetzgebers,
die Ersatzpflicht im Schadensersatz- und Entschädigungsrecht bei Eingriffen
in immaterielle Rechtsgüter wie Leben, Freiheit oder körperliche
Unversehrtheit grundsätzlich auf Vermögensschäden zu beschränken, kann nicht
mehr ausgegangen werden.
10 a) Durch Art. 2 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung
schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl. I 2674) ist
§ 253 BGB -die bisherige Regelung („Wegen eines Schadens, der nicht
Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz
bestimmten Fällen gefordert werden.") wurde nunmehr Absatz 1 - durch
Einfügung eines Absatzes 2 in der Form geändert worden, dass dann, wenn
wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der
sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten ist, auch wegen des
Schadens, der Nichtvermö-gensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld
gefordert werden kann. Hiermit wurde - wie es im Gesetzentwurf der
Bundesregierung vom 7. Dezember 2001 (BT-Drucks. 14/7752 S. 1) heißt - ein
allgemeiner Anspruch auf Schmerzensgeld eingeführt, der über die bereits
erfasste außervertragliche Verschuldenshaftung hinaus auch die
Gefährdungshaftung und die Vertragshaftung mit einbezieht. Zur Begründung
(aaO S. 11, 14) wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass die
Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches, die das Recht der unerlaubten
Handlungen und des Schadensersatzes regelten, seit dessen Inkrafttreten zum
1. Januar 1900 nahezu unverändert geblieben seien. Zwar sei es der
Rechtsprechung aufgrund des hohen Abstraktionsgrades der Vorschriften
möglich gewesen, durch entsprechende Auslegung, aber auch durch richterliche
Rechtsfortbildung, eine Reihe von Anpassungen an die ge wandelten
Verhältnisse vorzunehmen. Dieser Weg sei jedoch dort an Grenzen gestoßen, wo
das Gesetz selbst Entscheidungen vorgegeben habe. Im Laufe der Zeit habe
sich zunehmend deutlicher gezeigt, dass manche dieser Grundentscheidungen
zum Schadensersatzrecht nur noch schwer mit den heutigen Verhältnissen und
Wertvorstellungen in Übereinstimmung zu bringen seien. Es entstünden
Haftungslücken, auch Gerechtigkeitsdefizite, die dieses Gesetz beseitigen
wolle. Dies gelte auch für den Ersatz des immateriellen Schadens bei Körper-
und Gesundheitsverletzungen, der nach geltendem Recht grundsätzlich nur im
Rahmen außervertraglicher Verschuldenshaftung gewährt werde, obwohl er unter
Ausgleichsgesichtspunkten bei der Gefährdungs- und Vertragshaftung
gleichermaßen in Betracht komme. Durch die Neuregelung werde nunmehr ein
einheitlicher und übergreifender Anspruch auf Schmerzensgeld bei
Verletzungen von Körper, Gesundheit, Freiheit oder sexueller
Selbstbestimmung geschaffen, der nicht mehr danach unterscheide, auf welchem
Rechtsgrund die Haftung für die Verletzung beruhe.
11 b) Durch diese Neuregelung hat der Gesetzgeber den bisher in § 253 BGB
normierten Grundsatz, auf den der Senat sein Urteil vom 13. Februar 1956
wesentlich gestützt hat, verlassen. Nunmehr kann im
Schadensersatzrecht bei Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der
Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schmerzensgeld verlangt werden.
Auch soweit der Senat in diesem Zusammenhang auf die Verschuldenshaftung und
den Gedanken der Genugtuung abgestellt hatte, ist dieser Argumentation nach
der Einbeziehung der Gefährdungshaftung in die Änderung des
Schadensersatzrechts die Grundlage entzogen, abgesehen davon, dass der
Gedanke der Genugtuung regelmäßig nur bei besonderen Fallgestaltungen eine
Rolle spielt, während für die Bemessung des Schmerzensgeldes der
Entschädigungs- oder Ausgleichsgedanke im Vordergrund steht (vgl.
nur BGH, Beschluss vom 16. September 2016 - VGS 1/16, VersR 2017, 180 Rn. 48
f mwN; siehe auch Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Zweiten
Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, BT-Drs.
14/7752 S. 15).
12 c) Auch im Bereich der vom Senat in seinem Urteil vom 13. Februar 1956
zitierten spezialgesetzlichen Regelungen haben sich Änderungen ergeben.
Während zum Beispiel in § 2 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Entschädigung
der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen vom 20. Mai 1898 (RGBl.
345) sowie in § 3 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Entschädigung für
unschuldig erlittene Untersuchungshaft vom 14. Juli 1904 (RGBl. 321) nur für
Vermögensschäden eine Haftung vorgesehen war, enthält nunmehr § 7 Abs. 1 des
Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) vom 8.
März 1971 (BGBl. I S. 157) eine Regelung, wonach im Falle der
Freiheitsentziehung aufgrund gerichtlicher Entscheidung auch der Schaden zu
ersetzen ist, der Nichtvermögensschaden ist. Die Polizei-und Ordnungsgesetze
der Länder - neben dem beklagten Land (§ 65 Abs. 2 HSOG) unter anderem
Berlin (§ 60 Abs. 2 ASOG Bln), Niedersachsen (§ 81 Abs. 2 Nds. SOG),
Rheinland-Pfalz (§ 69 Abs. 2 POG), Saarland (§ 69 Abs. 2 SPolG), Sachsen (§
53 Abs. 2 SächsPolG), Sachsen-Anhalt (§ 70 Abs. 2 SOG LSA) und Thüringen (§
69 Abs. 2 PAG) - enthalten inzwischen vielfach Regelungen zum Ersatz auch
des immateriellen Schadens bei der Verletzung des Körpers oder der
Gesundheit oder bei einer Freiheitsentziehung (zu letzterem siehe auch
Bayern in Art. 70 Abs. 7 Satz 2 PAG und Bremen in § 57 Abs. 1 Satz 2
BremPolG).
13 d) Nur ergänzend ist auch auf die Regelung in § 198 GVG (zu deren
Einordnung als staatshaftungsrechtlicher Anspruch sui generis, als
Aufopferungsanspruch oder als prozessuale Risikohaftung siehe Reiter, NJW
2015, 2554, 2555 ff) hinzuweisen, die im Rahmen der angemessenen
Entschädigung für überlange Verfahrensdauer auch Ersatz für immaterielle
Nachteile kennt.
14 e) Vor diesem Hintergrund kann - auch wenn es weiterhin in Teilbereichen
spezialgesetzliche Bestimmungen gibt, in denen die Rechtsfolgen
aufopferungsrechtlicher Tatbestände anders als in den vorerwähnten
Bestimmungen geregelt sind (vgl. etwa für Impfschäden die
versorgungsrechtliche Lösung in § 60 IfSG iVm den Vorschriften des
Bundesversorgungsgesetzes) - die Annahme des Senats in seinem Urteil vom 13.
Februar 1956, das Schadensersatz-und Entschädigungsrecht sei von dem Willen
des Gesetzgebers geprägt, Ersatzleistungen grundsätzlich auf
Vermögensschäden zu beschränken, sodass auch der Umfang der Entschädigung
aus Aufopferung nur unter Ausschluss des Schmerzensgeldes bestimmt werden
könne, nicht mehr aufrechterhalten werden.
15 3. Eine solche Beschränkung folgt auch nicht aus der Natur des
öffentlichrechtlichen Aufopferungsanspruchs.
16 a) Dieser Anspruch hat sich gewohnheitsrechtlich gemäß dem in § 75
EinlALR (1794) enthaltenen Rechtsgrundsatz entwickelt. Nach dieser
Bestimmung ist der Staat gehalten, denjenigen zu entschädigen, der seine
besonderen Rechte und Vorteile dem Wohl des Gemeinwesens aufzuopfern
genötigt wird. Der Grundsatz, der in dieser Vorschrift seinen gesetzlichen
Ausdruck gefunden hat, hat über den Bereich der früheren altpreußischen
Provinzen hinaus allgemeine Geltung erlangt (vgl. nur Senat, Urteil vom 19.
Februar 1953 - III ZR 208/51, BGHZ 9, 83, 85 f). Allerdings wurde vormals in
der Rechtsprechung (vgl. nur RGZ 122, 298, 301 f; 156, 305, 310) der
Ausgleich für Sonderopfer dahingehend eingeschränkt, dass er nur für
Eingriffe des Staates in das Eigentum beziehungsweise vermögenswerte Rechte,
nicht dagegen für Personenschäden - wie Verletzungen der Gesundheit oder des
Lebens - in Betracht kommt. Dieser im Wesentlichen auf die preußische
Kabinetsorder vom 4. Dezember 1831 (Gesetz-Sammlung für die Königlich
Preußischen Staaten, 5. 255, 257) gestützten, den Rechtsgrundsatz des § 75
EinlALR begrenzenden Auffassung ist der Senat allerdings in ständiger
Rechtsprechung nicht gefolgt (vgl. nur Urteil vom 19. Februar 1953 aaO S. 86
ff; siehe auch bereits Urteil vom 14. Juli 1952 - III ZR 95/51, BGHZ 7, 96,
99 f). Vielmehr ist auch ein Sonderopfer, das der Einzelne an immateriellen
Rechtsgütern zum Wohl der Allgemeinheit zu erbringen genötigt wird, zu
ersetzen (vgl. Senat, Urteil vom 19. Februar 1953 aaO S. 88 f). Bei einem
hoheitlichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit besteht das
Sonderopfer aber nicht nur in den daraus folgenden materiellen, sondern auch
in den daraus folgenden immateriellen Nachteilen.
17 b) Ein Ausschluss des Schmerzensgeldes folgt auch nicht aus dem
Umstand, dass der allgemeine Aufopferungsanspruch kein
Schadensersatzanspruch im Sinne der §§ 249 ff BGB ist. Der Anspruch aus
Aufopferung geht auf Leistung eines angemessenen beziehungsweise billigen
Ausgleichs für das dem Betroffenen hoheitlich auferlegte Sonderopfer
(vgl. nur Senat, Urteile vom 23. Oktober 1952 - III ZR 231/51, BGHZ
7, 331, 334; vom 15. Oktober 1956 - III ZR 226/55, BGHZ 22, 43, 48; vom 3.
November 1958 - III ZR 139/57, BGHZ 28, 297, 301 und vom 31. Januar 1966 -
III ZR 118/64, BGHZ 45, 58, 77). Der Anspruch auf Entschädigung kann
insoweit - wie in der Senatsrechtsprechung verschiedentlich im Zusammenhang
mit Vermögensschäden ausgeführt worden ist (vgl. nur Urteil vom 23. Oktober
1952 aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 10. Juni 1952 - GSZ 2/52, BGHZ 6,
270, 293, 295) - zwar im Einzelfall darin bestehen, dem Geschädigten
vollen Schadensersatz zuzubilligen, aber die Kriterien der Angemessenheit
und Billigkeit können auch Einschränkungen rechtfertigen. Insoweit ist der
Aufopferungsanspruch - anders als grundsätzlich der Anspruch auf
Schadensersatz - nicht seiner Natur nach auf restlosen Ersatz gerichtet.
Dieser Unterschied, auf den im Übrigen der Senat in seinem Urteil vom 13.
Februar 1956 auch nicht abgestellt hat, hat jedoch keinen inhaltlichen Bezug
zu der Frage, ob die Aufopferungsentschädigung auf vermögenswerte Nachteile
beschränkt ist. Die für den Umfang der Entschädigung maßgebliche
Angemessenheit und Billigkeit besagt nichts darüber, welche Arten von
Schäden von dem Anspruch erfasst sind.
18 c) Zu Unrecht verweist das beklagte Land für seine gegenteilige
Rechtsauffassung auf das Urteil des
V. Zivilsenats vom 23. Juli 2010 (V
ZR 142/09, NJW 2010, 3160). Diese Entscheidung
betrifft den Anspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Insoweit handelt es sich
um eine aus dem Grundstückseigentum abgeleitete Forderung, die dem
Interessenausgleich zwischen Nachbarn dient und auf dem Gedanken von Treu
und Glauben im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis beruht (vgl.
BGH aaO Rn. 7 f). Dieser Anspruch umfasst kein Schmerzensgeld. Der
V. Zivilsenat (aaO Rn. 9) hat insoweit auch eine analoge Anwendung des § 253
Abs. 2 BGB mit der Begründung abgelehnt, § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB sei kein
Schadensersatzanspruch.
19 Soweit das beklagte Land hieraus ableiten will, dass auch im
vorliegenden Fall Schmerzensgeld nicht in Betracht komme, weil der
allgemeine Aufopferungsanspruch für hoheitliche Eingriffe in
nichtvermögenswerte Rechtsgüter ebenfalls kein Schadensersatzanspruch sei,
ist dem entgegenzuhalten, dass es hier nicht um die Frage einer analogen
Anwendung des § 253 Abs. 2 BGB, sondern darum geht, ob die billige und
angemessene Entschädigung für ein im Zusammenhang mit einem hoheitlichen
Eingriff in die körperliche Unversehrtheit erbrachtes Sonderopfer von
vorneherein nur materielle und keine immateriellen Nachteile erfasst. Diese
Frage ist aber - soweit keine (spezial)gesetz-lichen Begrenzungen bestehen -
aus den vorstehenden Gründen zu verneinen.
III.
20 Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und
die Sache, da es weiterer tatrichterlicher Feststellungen zur Bemessung des
Aufopferungsanspruchs bedarf, an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§
563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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