Kündigungsrecht nach § 627 BGB beim
Dienstvertrag; negative Voraussetzung des "dauernden Dienstverhältnisses mit
festen Bezügen"
BGH, Urteil vom 22. September 2011 -
III ZR 95/11
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
a) Bei der Beauftragung eines Wirtschaftsprüfungsunternehmens mit der
internen Revision handelt es sich um einen Vertrag über die Leistung von
Diensten höherer Art, die auf Grund besonderen Vertrauens übertragen zu
werden pflegen.
b) Ein "dauerndes Dienstverhältnis mit festen Bezügen" erfordert, dass das
Dienstverhältnis ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Erheblichkeit und
persönlicher Bindung für den Dienstverpflichteten mit sich bringt, um ein
schützenswertes und gegenüber der Entschließungsfreiheit des
Dienstberechtigten vorrangiges Vertrauen auf die Fortsetzung des
Dienstverhältnisses begründen zu können. Ob diese Voraussetzung gegeben ist,
unterliegt der tatrichterlichen Würdigung des Einzelfalls.
Zentrale Probleme:
Eine interessante Entscheidung zum willkürlichen
Kündigungsrecht nach § 627 BGB beim Dienstvertrag (s. dazu auch die Anm. zu
BGH NJW 2010, 150
m.w.N.). Die Entscheidung legt sehr schön die ratio der Regelung dar und
befasst sich zentral mit der Frage des Ausschlusses eines solchen
Kündigungsrechts bei Vorliegen eines "dauernden Dienstverhältnisses mit
festen Bezügen". Der teleologischen Argumentation des Senats ist vollständig
zuzustimmen.
©sl 2011
Tatbestand:
1 Die Klägerin ist ein größeres Wirtschaftsprüfungsunternehmen und nimmt die
Beklagte auf Zahlung eines Honorarteilbetrags in Höhe von 6.000 € für das
Jahr 2009 in Anspruch.
2 Die Klägerin führte jährlich interne Revisionen in den deutschen
Standorten der Beklagten durch. Mit Vertrag vom 5./13. Juni 2007 beauftragte
die Beklagte die Klägerin für die Jahre 2009 bis 2011 unter Vereinbarung
eines Honorars von 63.000 € für 2009, 64.000 € für 2010 und 65.000 € für
2011. "In der Regel" waren jährlich zwei Revisionseinheiten zu je fünf Tagen
unter Einsatz von zwei Revisoren vor Ort mit anschließender Nachbearbeitung
vorgesehen. Im Mai, Juni und Juli 2009 kündigte die Beklagte diese
Vereinbarung mehrfach, zuletzt mit Hinweis auf § 627 BGB. Die Klägerin, die
für das Jahr 2009 noch keine Leistungen gegenüber der Beklagten erbracht
hatte, widersprach der Kündigung und bot der Beklagten ihre
Revisionstätigkeit mit Schreiben vom 10. Juni 2009 vergeblich an.
3 Das Landgericht hat die Kündigung der Beklagten als gemäß § 627 Abs. 1 BGB
wirksam angesehen und die Klage als unbegründet abgewiesen. Das
Oberlandesgericht hat die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin
zurückgewiesen und im Gefolge der in zweiter Instanz erhobenen Widerklage
der Beklagten festgestellt, dass der Klägerin aus der Vereinbarung keine
weitere Vergütung für das Jahr 2009 zustehe. Mit ihrer vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klage sowie das Begehren
auf Abweisung der Widerklage weiter.
Entscheidungsgründe:
4 Die zulässige Revision der Klägerin bleibt ohne Erfolg.
I.
5 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
6 Die Beklagte habe das Vertragsverhältnis gemäß § 627 Abs. 1 BGB wirksam
gekündigt. Bei der Durchführung von internen Revisionsarbeiten handele es
sich um Dienste höherer Art, die aufgrund besonderen Vertrauens übertragen
zu werden pflegen. Es liege kein - dem Kündigungsrecht nach § 627 Abs. 1 BGB
entgegenstehendes - dauerndes Dienstverhältnis mit festen Bezügen vor. Ein
"dauerndes Dienstverhältnis" setze voraus, dass die Dienstleistungskapazität
(Arbeitskraft) der Klägerin zu einem erheblichen Teil in Anspruch genommen
werde; daran fehle es, wenn durch die versprochene Dienstleistung (in einem
größeren Unternehmen) die Jahresarbeitskraft von nur zwei Mitarbeitern
lediglich zu jeweils etwa einem Zehntel gebunden werde. Zudem sei keine
Vereinbarung "fester Bezüge" erfolgt. Dies erfordere eine Vergütung, die
ihrem Umfang nach die Grundlage für die wirtschaftliche Existenz des
Dienstverpflichteten bilden könne und in diesem Sinne "erheblich" sei, wobei
maßgeblich auf die Verhältnisse der Klägerin als dienstverpflichtetes
Unternehmen, nicht hingegen auf die Verhältnisse der konkret für die
Dienstleistung eingesetzten Mitarbeiter der Klägerin, abgestellt werden
müsse. Für die Klägerin seien jährliche Einnahmen (Umsatzerlöse) von 63.000
€ bis 65.000 € nicht von einer derartigen Erheblichkeit. Überdies sei von
dem Vertragsverhältnis der Parteien auch nicht die konkrete wirtschaftliche
Existenz eines Mitarbeiters der Klägerin betroffen. Hiernach sei dem Schutz
der Entschließungsfreiheit des Dienstberechtigten der Vorrang einzuräumen.
II.
7
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Ohne
Rechtsfehler hat das Berufungsgericht einen Vergütungsanspruch der Klägerin
(§§ 611, 615 BGB) verneint, weil die Beklagte das Vertragsverhältnis gemäß §
627 Abs. 1 BGB wirksam gekündigt habe.
8 1. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Vereinbarung über die
Durchführung der internen Revision in den deutschen Standorten des
Unternehmens der Beklagten als einen Vertrag über die Leistung höherer
Dienste angesehen, die auf Grund besonderen Vertrauens übertragen zu werden
pflegen. Hiergegen erhebt die Revision auch keine Einwände.
9 Bei der Beurteilung, ob ein Dienstverhältnis der vorbezeichneten Art
vorliegt, kommt es, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat,
entscheidend darauf an, ob die versprochenen qualifizierten Dienste
im Allgemeinen, ihrer Art nach, nur kraft besonderen Vertrauens in die
Person des Dienstverpflichteten übertragen werden; hierbei ist auf die
typische Lage, nicht auf das im konkreten Einzelfall entgegengebrachte
Vertrauen abzustellen (BGH, Urteil vom 18. Oktober 1984 - IX ZR
14/84, NJW 1986, 373 mwN; RGZ 146, 116, 117). Das von § 627 Abs. 1
BGB vorausgesetzte generelle persönliche Vertrauen kann auch dann vorliegen,
wenn es sich bei dem Dienstverpflichteten - wie hier - um eine juristische
Person handelt (Senatsurteil vom 8.
Oktober 2009 - III ZR 93/09, NJW 2010, 150, 152 Rn. 19 mwN; vgl. auch
Senatsurteil vom 9. Juni 2011 - III ZR 203/10, BeckRS 2011, 16921, zur
Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Letzteres kommt insbesondere
in den Fällen in Betracht, in denen die Dienstleistung den persönlichen
Lebens- oder Geschäftsbereich des Dienstberechtigten betrifft und daher in
besonderem Maße Diskretion erfordert (Münch-KommBGB/Henssler, 5.
Aufl., § 627 Rn. 2 und 19), so etwa dann, wenn der
Dienstverpflichtete im Rahmen einer steuerberatenden oder
wirtschaftsprüfenden Tätigkeit Einblick in die Geschäfts-, Berufs-,
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Dienstberechtigten erlangt
(s. dazu BGH, Urteile vom 31. März 1967 - VI ZR 288/64, BGHZ 47,
303, 305 f; vom 19. November 1992 - IX ZR 77/92, NJW-RR 1993, 374 mwN und
vom 11. Februar 2010 - IX ZR 114/09, NJW 2010, 1520, 1521 Rn. 9 mwN).
Bei der Beauftragung mit derartigen Dienstleistungen legt der
Dienstberechtigte typischerweise einen gesteigerten Wert auf die persönliche
Zuverlässigkeit, Loyalität und Seriosität des Dienstverpflichteten;
beauftragt er eine juristische Person, so bezieht sich sein damit
verbundenes persönliches Vertrauen auf eine entsprechende Auswahl,
Zusammensetzung und Überwachung ihrer Organe und Mitarbeiter.
10 2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Würdigung des
Berufungsgerichts, bei dem Vertrag zwischen den Parteien handele es sich
nicht um ein dauerndes Dienstverhältnis mit festen Bezügen.
11 a) Entgegen der Ansicht der Revision genügt es für die in § 627 Abs. 1
BGB geregelte negative Voraussetzung des Kündigungsrechts nicht, dass nur
eines der Merkmale "dauerndes Dienstverhältnis" und "feste Bezüge" erfüllt
ist; vielmehr müssen beide Merkmale - kumulativ - vorliegen, weil
sie als gemeinschaftliche Bestandteile der negativen Voraussetzung und
aufeinander bezogen zu verstehen sind. Dies entspricht der
Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 80, 29; 146, 116, 117), des
Bundesgerichtshofs (s. etwa BGH, Urteile vom 31. März 1967 aaO S. 305 und
vom 13. Januar 1993 - VIII ZR 112/92, NJW-RR 1993, 505) und des
Bundesarbeitsgerichts (BAG, NJW 2006, 3453, 3454 Rn. 10) sowie der nahezu
einhelligen Ansicht im Schrifttum (Bamberger/Roth/Fuchs, BGB, 2. Aufl., §
627 Rn. 5; Erman/Belling, BGB, 13. Aufl., § 627 Rn. 5; s. auch MünchKommBGB/Henssler
aaO Rn. 12 und Staudinger/ Preis, BGB [2002], § 627 Rn. 17, die freilich
eine teleologische Reduktion des § 627 Abs. 1 BGB für bestimmte Fälle
erwägen, in denen ein dauerndes Dienstverhältnis ohne feste Bezüge
vereinbart worden ist). Die Notwendigkeit der Erfüllung beider Merkmale
ergibt sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung ("dauernden
Dienstverhältnis mit festen Bezügen"), der Regelungsabsicht des Gesetzgebers
(in den Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch sind als Beispiele für ein
"dauerndes Dienstverhältnis mit festen Bezügen" die Tätigkeiten des
Leibarztes, Hofmeisters und Syndikus genannt; Mugdan II S. 913, 1256)
und dem Zweck des Kündigungsrechts in § 627 Abs. 1 BGB. Dieser
besteht darin, dass die Freiheit der persönlichen Entschließung eines jeden
Vertragsteils bei ganz auf persönliches Vertrauen ausgerichteten
Dienstverhältnissen im weitesten Ausmaß gewährleistet werden soll; die
Entschließungsfreiheit des Dienstberechtigten tritt nur dort zurück, wo der
Dienstverpflichtete auf längere Sicht eine ständige Tätigkeit zu entfalten
hat und hierfür eine auf Dauer vereinbarte feste Entlohnung erhält, so dass
auf dessen Seite ein schutzwürdiges und überwiegendes Vertrauen auf
Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz begründet wird (s. BGH,
Urteile vom 18. Oktober 1984 aaO; vom 13. Januar 1993 aaO S. 506 und vom 11.
Februar 2010 aaO S. 1521 Rn. 19 f; BAG aaO S. 3454 Rn. 17).
12 b) Bei der näheren Bestimmung dessen, was unter einem dauernden
Dienstverhältnis mit festen Bezügen zu verstehen ist, ist neben dem
Sprachgebrauch und der Verkehrsauffassung (BGH, Urteil vom 31. März
1967 aaO S. 305; MünchKommBGB/Henssler aaO Rn. 13; Staudinger/Preis aaO Rn.
15) der Gesetzeszweck der Gewährleistung der persönlichen
Entschließungsfreiheit einerseits und des Schutzes des Vertrauens auf
Sicherung der wirtschaftlichen Existenz durch eine auf Dauer vereinbarte
feste Entlohnung andererseits maßgeblich zu berücksichtigen.
13 Hiernach muss ein Dienstverhältnis, um ein "dauerndes"
zu sein, die Erwerbstätigkeit des Verpflichteten zwar nicht vollständig oder
hauptsächlich in Anspruch nehmen; es setzt auch keine soziale und
wirtschaftliche Abhängigkeit des Verpflichteten voraus
(Senatsurteil vom 9. März 1995 - III ZR 44/94, NJW-RR 1995, 1058, 1059; BGH,
Urteile vom 31. März 1967 aaO S. 306; vom 8. März 1984 - IX ZR 144/83, BGHZ
90, 280, 282 f; vom 1. Februar 1989 - IV ZR 354/87, BGHZ 106, 341, 346 und
vom 19. November 1992 aaO; BAG aaO S. 3454 Rn. 16). Allerdings muss
eine gewisse persönliche Bindung zwischen den Vertragsparteien bestehen, an
der es fehlt, wenn ein Dienstleistungsunternehmen seine Dienste einer
großen, unbestimmten und unbegrenzten Zahl von Interessenten anbietet
(Senatsurteil vom 9. März 1995 aaO; BGH, Urteil vom 1. Februar 1989
aaO; MünchKommBGB/Henssler aaO Rn. 15). Dementsprechend ist es,
wovon auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, im Regelfall erforderlich,
dass das Dienstverhältnis die sachlichen und persönlichen Mittel des
Dienstverpflichteten nicht nur unerheblich beansprucht (vgl. BGH,
Urteil vom 11. Februar 2010 aaO S. 1522 Rn. 27). Der grundlegende
Gedanke, dass das "dauernde Dienstverhältnis" eine gewisse wirtschaftliche
Erheblichkeit und persönliche Bindung für den Dienstverpflichteten mit sich
bringen muss, um ein schützenswertes und überwiegendes Vertrauen auf seiner
Seite begründen zu können, spiegelt sich auch in dem Erfordernis der
Vereinbarung "fester Bezüge" wider. Hierzu bedarf es der Festlegung einer
Regelvergütung, mit der ein in einem dauernden Vertragsverhältnis stehender
Dienstverpflichteter als nicht unerheblichen Beitrag zur Sicherung seiner
wirtschaftlichen Existenz rechnen und planen darf (s. dazu BGH,
Urteile vom 19. November 1992 aaO S. 375; vom 13. Januar 1993 aaO; vom 23.
Februar 1995 - IX ZR 29/94, NJW 1995, 1425, 1430 und vom 11. Februar 2010
aaO S. 1521 Rn. 20; RGZ 146, 116, 117).
14 c) Diese Maßgaben hat das Berufungsgericht bei der ihm obliegenden
tatrichterlichen Würdigung (BGH, Urteil vom 31. März 1967 aaO S. 305; RGZ
146, 116, 117) beachtet. Angesichts der Größe des von der Klägerin
betriebenen Wirtschaftsprüfungsunternehmens, des vergleichsweise geringen
Umfangs der Inanspruchnahme seiner persönlichen und sachlichen Mittel sowie
der Höhe der vereinbarten Vergütung hat es das für ein "dauerndes
Dienstverhältnis mit festen Bezügen" im Sinne von § 627 Abs. 1 BGB
erforderliche gewisse Maß an wirtschaftlicher Erheblichkeit und persönlicher
Bindung, welches mit dem Dienstvertragsverhältnis für die Klägerin verbunden
sein muss, verneint und mithin der Entschließungsfreiheit der Beklagten
gegenüber dem Vertrauen der Klägerin auf die Fortsetzung des
Dienstverhältnisses und die Erzielung der verabredeten Einkünfte den Vorrang
eingeräumt. Dies ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden und hiergegen
bringt die Revision auch nichts Konkretes vor.
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