Haftung nach §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB BGB für
Falschangaben in der Anlageberatung; Kausalität, Beweislast: Vermutung
aufklärungsrichtigen Verhaltens
BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - II
ZR 273/12
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Die Ursächlichkeit einer
Verletzung der Aufklärungspflicht für den Beitritt zu einem geschlossenen
Immobilienfonds wird vermutet.
Zentrale Probleme:
Wer Schadensersatzanspr üche wegen
einer vorvertraglichen Informationspflichtverletzung geltend macht (§§ 280
Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB), hat neben der Pflichtverletzung
(Falschinformation oder Aufklärungspflichtverletzung) auch die Kausalität
der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden (hier die
Anlageentscheidung des Klägers) nachzuweisen. Da ein solcher Nachweis
außerordentlich schwierig ist, arbeitet die Rechtsprechung hierbei seit
langen mit einer „Vermutung aufklärungspflichtigen Verhaltens“. Dabei ist
noch nicht vollständig geklärt, ob es sich hierbei lediglich um einen
Anscheinsbeweis handelt, oder ob es sich um eine widerlegliche Vermutung,
das heißt um eine echte Beweislastumkehr handelt. Der Senat lässt das hier
offen und vermeidet somit ein Konflikt mit dem XI. Zivilsenat, der von einer
Beweislastumkehr ausgeht. S. dazu auch
BGH v. 15.7.2016 - V ZR 168/15.
©sl 2014
Tatbestand:
1 Der Kläger verlangt Schadensersatz
aus Prospekthaftung im weiteren Sinne. Er beteiligte sich im Jahr 1997 mit
250.000 DM nebst 5 % Agio über einen Treuhandkommanditisten an dem
geschlossenen Immobilienfonds D. GmbH & Co. M. und Be. , R. straße KG (im
Folgenden: Fonds). Unter Berufung auf verschiedene Prospektmängel begehrt er
von der Beklagten zu 1) als Gründungskomplementärin und der Beklagten zu 2)
als Gründungskommanditistin des Fonds im Wege des Schadensersatzes die
Rückabwicklung der Beteiligung.
2 Mit seiner Klage hat der Kläger Zahlung von 143.313,32 € nebst Zinsen
verlangt Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligungsrechte an dem Fonds.
Weiter hat er beantragt festzustellen, dass die Beklagten im Annahmeverzug
seien und dass sie verpflichtet seien, ihm allen künftigen Schaden aus der
Beteiligung zu ersetzen.
3 Das Landgericht hat der Klage nur teilweise stattgegeben. Das
Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom
erkennenden Senat zugelassene Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe:
4 Die Revision hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen
Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
5 I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
begründet:
6 Ob der verwendete Prospekt fehlerhaft gewesen sei, könne ebenso offen
bleiben wie die Höhe eines möglichen Schadens und die Frage der Verjährung.
Denn der Kläger habe jedenfalls nicht nachgewiesen, dass etwaige
Prospektfehler und eine möglicherweise unzutreffende Beratung durch den
Mitarbeiter der die Anlage vermittelnden B. , S. , ursächlich für den
Beitritt geworden seien. Der Kläger habe bei seiner Anhörung zwar ausgesagt,
dass er sich mit der Beteiligung eine Altersversorgung habe schaffen wollen
und den Prospekt mit S. durchgegangen sei und ihn ausführlich studiert habe.
Ergänzend habe der Kläger vorgetragen, dass mindestens drei
Beratungsgespräche mit S. stattgefunden hätten, wovon zwei in Gegenwart
seines Steuerberaters geführt worden seien, und dass S. dabei die Anlage als
hervorragende Zusatzversorgung im Alter herausgestellt habe. Dem stehe aber
die ebenso glaubhafte Aussage des Zeugen S. gegenüber, wonach dem Kläger im
Rahmen von regelmäßigen gemeinsamen Mittagessen der Prospekt übergeben
worden sei, ohne dass Beratungsgespräche geführt worden seien. Angesichts
dessen könne nicht festgestellt werden, welche Kenntnisse sich der Kläger
über den Fonds verschafft habe und welche Motive ihn zu dem Erwerb der
Beteiligung geleitet hätten. Es könne durchaus sein, dass die gerügten
Prospektfehler auf die Anlageentscheidung keinen Einfluss gehabt hätten.
7 II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand.
8 1. Das Berufungsgericht hat die Frage offen gelassen, ob die Beklagten
mittels der Verwendung eines inhaltlich falschen, irreführenden oder
unvollständigen Prospekts ihre Aufklärungspflicht aus dem
Vertragsanbahnungsverhältnis mit dem Kläger verletzt haben. Für das
Revisionsverfahren ist ein Aufklärungsfehler somit zu unterstellen. Dass die
Haftung der Gründungsgesellschafter aus Verschulden bei Vertragsschluss im
Streitfall auch den Kläger erfasst unabhängig davon, dass er sich nicht als
Kommanditist, sondern als Treugeber über einen Treuhandkommanditisten
beteiligen wollte, hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt.
9 2. Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht dagegen in
seiner Ansicht, die Klage sei unbegründet, weil sich anhand der
durchgeführten Beweisaufnahme einschließlich der Anhörung des Klägers nicht
feststellen lasse, welche Motive für den Kläger bei seiner
Anlageentscheidung ausschlaggebend gewesen seien, ob also die behaupteten
Prospektfehler ursächlich für die Anlageentscheidung gewesen seien. Damit
hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht rügt, die für eine
Anlageentscheidung geltenden Beweisgrundsätze verkannt.
10 a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
besteht bei einer unrichtigen oder unvollständigen Darstellung von für die
Anlageentscheidung wesentlichen Umständen eine tatsächliche Vermutung dafür,
dass die mangelhafte Prospektdarstellung für die Anlageentscheidung
ursächlich war (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1980 - II ZR 60/80, BGHZ
79, 337, 346; Urteil vom 15. Dezember 2003 - II ZR 244/01, ZIP 2004, 312,
313; Urteil vom 2. März 2009 - II ZR 266/07, ZIP 2009, 764 Rn. 6; Urteil vom
31. Mai 2010 - II ZR 30/09, ZIP 2010, 1397 Rn. 17 f.; Urteil vom 8. Mai 2012
- XI ZR 262/10, ZIP 2012, 1335 Rn. 28 ff.; Urteil vom 21. Februar 2013 - III
ZR 139/12, ZIP 2013, 935 Rn. 15). Durch unzutreffende oder
unvollständige Informationen des Prospekts wird in das Recht des Anlegers
eingegriffen, in eigener Entscheidung und Abwägung des Für und Wider darüber
zu befinden, ob er in das Projekt investieren will oder nicht. Das Bestehen
von Handlungsvarianten ist nicht geeignet, diese auf der Lebenserfahrung
beruhende tatsächliche Vermutung der Ursächlichkeit fehlerhafter
Prospektdarstellungen für die Anlageentscheidung bei Immobilien zu
entkräften, bei denen es in der Regel vordringlich um Sicherheit,
Rentabilität und Inflationsschutz geht (BGH, Urteil vom 31. Mai
2010 - II ZR 30/09, ZIP 2010, 1397 Rn. 17 f.). Nach der Auffassung
des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs handelt es sich dabei nicht
lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises,
sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung
(BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 28
ff.; Urteil vom 26. Februar 2013 - XI ZR 318/10, BKR 2013, 212 Rn. 18 f.).
11 b) Danach geht das non liquet im vorliegenden Fall zu Lasten der
Beklagten. Dabei kann offen bleiben, ob die Grundsätze des
Anscheinsbeweises anzuwenden oder eine Beweislastumkehr anzunehmen ist.
Die Beklagten haben die auf der Lebenserfahrung beruhende Vermutung
nicht widerlegen können, dass die behaupteten Prospektfehler für die
Anlageentscheidung des Klägers ursächlich waren. Aufgrund der
übereinstimmenden Bekundungen des Klägers und des Zeugen S. steht lediglich
fest, dass der Prospekt rechtzeitig vor der Anlageentscheidung dem Kläger
übergeben worden ist. Auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen
ein fehlerhafter Prospekt auch ohne Übergabe zu einem Aufklärungsmangel
führt (s. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2007 - II ZR 21/06, ZIP 2008, 412 Rn.
17; Urteil vom 13. Dezember 2012 - III ZR 70/12, juris Rn. 11; Urteil vom
23. April 2013, - XI ZR 405/11, BKR 2013, 280 Rn. 27), kommt es mithin nicht
an.
12 III. Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Die Sache
ist zurückzuverweisen, damit das Berufungsgericht die noch fehlenden
Feststellungen treffen kann.
|