(Unbeachtlicher) Motivirrtum bei Anfechtung einer
"lenkenden" Erbausschlagung (sog. Rechtsfolgenirrtum)
BGH, Beschluss vom 22. März 2023 - IV ZB 12/22 - OLG Hamm
Fundstelle:
noch nicht bekannt für
BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
Irrt sich der eine Erbschaft Ausschlagende bei
Abgabe seiner Erklärung über die an seiner Stelle in die Erbfolge
eintretende Person, ist dies nur ein Irrtum über eine mittelbare Rechtsfolge
der Ausschlagungserklärung aufgrund anderer rechtlicher Vorschriften. Ein
solcher Motivirrtum berechtigt nicht zur Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 Alt.
1 BGB.
Zentrale Probleme:
Ein Erblasser stirbt unter Hinterlassung seiner Ehefrau
und von Abkömmlingen. Alle Abkömmlinge schlagen die Erbschaft aus, dartunter
auch der gemeinsame Sohn des Erblassers und seiner Ehefrau. Sie wollen damit
erreichen, dass die Ehefrau (d.h. ihre Mutter) Alleinerbin wird (sog.
"lenkende" Ausschlagung). Dabei wurde aber übersehen, dass der Erblasser
noch (Halb-)Geschwister hatte, die nunmehr - neben der Ehefrau - als
gesetzlich Erben zweiter Ordnung berufen sind (s. §§ 1953 II, 1925, 1930
BGB). Der Sohn ficht seine Ausschlagungserklärung durch Erklärung
gegenüber dem Nachlassgericht an (§ 1955 BGB). Zur Wirksamkeit der
Anfechtung bedarf es eines Anfechtungsgrunds. Hier kommt allenfalls ein
Inhaltsirrtum (§ 119 I Alt. 2 BGB ) in Gestalt eines sog.
"Rechtsfolgenirrtums" in Betracht. Die
Rechtsprechung vetritt hier einen relativ weiten Begriff des Inhaltsirrtums.
Danach ist der Rechtsfolgenirrtum dann als zur Anfechtung berechtigender
Inhaltsirrtum anzusehen, wenn "infolge Verkennung oder Unkenntnis seiner
rechtlichen Bedeutung ein Rechtsgeschäft erklärt ist, das nicht die mit
seiner Vornahme erstrebte, sondern eine davon wesentlich verschiedene
Rechtswirkung, die nicht gewollt ist, hervorbringt" RGZ 88, 278). Die
Rechtsprechung ist denn auch in vielen Fällen zu einem Lösungsrecht des
"Irrenden" von einem Rechtsgeschäft gekommen, das er zwar vornehmen wollte,
über dessen Folgen er sich freilich nicht im Klaren war. In der Literatur
wird hingegen eine engere Auffassung vertreten. Gebräuchlich ist die
Abgrenzung danach, ob sich der Irrtum auf gerade die Rechtsfolgen bezieht,
auf deren Herbeiführung die Erklärung nach ihrem Inhalt unmittelbar
gerichtet ist (dann Anfechtbarkeit), oder ob sich der Irrtum auf
"entferntere" Rechtsfolgen bezieht, die unabhängig vom Willen des
Erklärenden von der Rechtsordnung an die Willenserklärung geknüpft werden
(dann keine Anfechtbarkeit). Dem folgt hier auch der BGH, s. dazu bereits
BGH v. 5.6.2008 - V ZB 150/07 und
BGH v. 5.7.2006 - IV ZB 39/05 (wo ein
Inhaltsirrtum als Rechtsfolgenirrtum bejaht wurde).
©sl 2023
Gründe:
1 I. Die Beteiligten
erstreben eine Klärung der Erbfolge im Erbscheinsverfahren.
2 Der
Erblasser ist am 3. Juli 2018 verstorben, ohne eine letztwillige Verfügung
zu hinterlassen. Die Beteiligte zu 1 ist die Witwe des Erblassers,
der Beteiligte zu 2 ein gemeinsames Kind. Sämtliche Abkömmlinge des
Erblassers schlugen durch notariell beglaubigte Erklärungen gegenüber dem
Nachlassgericht die Erbschaft aus. Die fristgerecht beim Nachlassgericht
eingegangene Erklärung des Beteiligten zu 2 lautet auszugsweise:
"Ich, (...), schlage die Erbschaft hiermit aus allen in Betracht
kommenden Gründen aus."
3 Daraufhin beantragte die
Beteiligte zu 1 zunächst einen Erbschein, durch den sie als Alleinerbin
aufgrund gesetzlicher Erbfolge ausgewiesen werden sollte. Nachdem das
Nachlassgericht die Beteiligte zu 1 darauf hingewiesen hatte, dass sie gemäß
§ 1931 Abs. 1 BGB nur Alleinerbin sei, soweit weder Erben der ersten und
zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden seien, focht der Beteiligte zu 2
seine Ausschlagungserklärung durch notariell beglaubigte Erklärung
fristgerecht wegen Irrtums an, die auszugsweise wie folgt lautet:
"In
der Nachlasssache (.) fechte ich, (.), die Ausschlagungserklärung (.) wegen
Irrtums an. Ich und meine Geschwister haben die Erbschaft
ausgeschlagen, weil wir davon ausgingen, dass somit unsere Mutter, (.),
Alleinerbin ist und somit auch als Alleineigentümerin der Eigentumswohnung
(.) eingetragen wird. Nunmehr erhielt ich Kenntnis darüber, dass durch die
Ausschlagungserklärung sämtlicher Kinder unseres Vaters dessen
Halbgeschwister erben. Diese Halbgeschwister sind weder meiner
Mutter, meinen Geschwistern oder mir namentlich bekannt. Auch mein
Vater hatte zu diesen Halbgeschwistern keinen Kontakt. Erst mit
der Mitteilung des Nachlassgerichts (.) erfuhr ich durch meine Mutter am 2.
Oktober 2018, dass die Halbgeschwister meines Vaters durch meine
Erbausschlagung erben. (.)"
4 Daraufhin beantragte die Beteiligte
zu 1 einen gemeinschaftlichen Erbschein für sie und den Beteiligten zu 2 als
Miterben zu 1/2.
5 Sodann wies das Nachlassgericht darauf hin, dass
es die Anfechtungserklärung nicht als wirksam erachte, da es sich um einen
unbeachtlichen Motivirrtum handele, und gab Gelegenheit zur
Stellungnahme. Hierauf ergänzte der Beteiligte zu 2 seine
Anfechtungserklärung durch weitere notariell beglaubigte Erklärung unter
anderem wie folgt:
"Bei der Ausschlagung der Erbschaft ging
ich davon aus, dass die Erbschaft der übrig bleibenden Miterbin, meiner
Mutter, übertragen wird. Mir war nicht bekannt, dass die Erbschaft durch
meine Ausschlagung demjenigen anfällt, welcher berufen gewesen wäre, wenn
ich und meine Geschwister zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätten."
6 Ferner erklärten die Beteiligten mit anwaltlichem Schreiben,
der Beteiligte zu 2 sei im Zeitpunkt der Ausschlagung der Auffassung
gewesen, dass durch seine Ausschlagung und diejenige seiner Geschwister
die Erbanteile der Beteiligten zu 1 übertragen würden. Er sei also der
Auffassung gewesen, dass diese Erbteile ihr anwachsen würden.
7 Den
Erbscheinsantrag hat das Nachlassgericht zurückgewiesen. Im Rahmen der
dagegen gerichteten Beschwerde hat das Oberlandesgericht Ermittlungen zur
Identität der Erben zweiter Ordnung durchgeführt, die ergeben haben, dass
der Erblasser neben Halbgeschwistern auch eine Vollschwester hatte.
Daraufhin hat der Beteiligte zu 2 seine Anfechtungserklärung dahingehend
ergänzt, dass ihm auch nicht bekannt gewesen sei, dass sein Vater eine
Vollschwester gehabt habe. Sodann hat das Oberlandesgericht die Beschwerde
zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der
Beteiligten, mit der sie den Erbscheinsantrag weiterverfolgen.
8 II.
Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung unter anderem in ZEV 2022, 525
veröffentlicht ist, ist der Ansicht, der Beteiligte zu 2 sei nicht
neben der Beteiligten zu 1 zur Erbfolge gelangt, da er die Erbschaft wirksam
ausgeschlagen habe. Die Wirkung der Ausschlagung sei nicht durch
seine Anfechtungserklärung beseitigt worden. Die Anfechtung sei unwirksam,
da sich anhand seines Vorbringens ein rechtlich
beachtlicher Anfechtungsgrund nicht feststellen lasse. In der
ex-post-Sicht sei es offensichtlich, dass sich der Beteiligte zu 2 bei
seiner Ausschlagungserklärung in einem Rechtsirrtum befunden habe. Die
allgemeine Begründung der Anfechtung, der Beteiligte zu 2 habe darüber
geirrt, dass neben seiner Mutter noch Erben zweiter Ordnung zur Erbfolge
gelangen können, sei aus Rechtsgründen unbeachtlich, da es sich um einen
bloßen Motivirrtum handele. In diesen Fällen habe der Ausschlagende
nicht über die primäre Rechtsfolge (Verlust der Erbenstellung), sondern über
eine weitere, von Gesetzes wegen eintretende Rechtsfolge, nämlich den Anfall
bei einer bestimmten Person geirrt. Die Vorstellungen und die
Willensrichtung des Ausschlagenden seien für den rechtlichen Maßstab, was
als unmittelbare und was als mittelbare Rechtsfolge angesehen werden könne,
bedeutungslos. Die primäre Rechtsfolge der Ausschlagung sei nach § 1953 Abs.
1 BGB der Wegfall des Ausschlagenden. Dies bringe weitere Rechtsfolgen
hervor, nämlich den Anfall der Erbschaft oder des Erbteils bei anderen
Personen, weil das BGB einen erbenlosen Nachlass nicht kenne. § 1953 Abs. 2
BGB stelle insoweit nicht mehr als eine bereits durch § 1953 Abs. 1 BGB
vorgegebene Rechtsfolge klar. Wem die Erbschaft/der Erbteil nunmehr anfalle,
bestimme sich nicht nach § 1953 Abs. 2 BGB, sondern vielmehr allein nach den
Regeln der gesetzlichen Erbfolge oder den Regeln der gewillkürten Erbfolge
betreffend Ersatzerbfolge und Anwachsung. § 1953 Abs. 2 BGB besage
nicht mehr, als dass anstelle des Ausschlagenden eine andere Person an seine
Stelle trete. Hierüber irre der Ausschlagende aber nicht. Er irre
darüber, welche Person dies sei. Soweit schriftsätzlich vorgetragen worden
sei, der Beteiligte zu 2 habe die Vorstellung gehabt, sein Erbteil werde
seiner Mutter anwachsen beziehungsweise er übertrage hiermit seinen Erbteil,
werde dies in der obergerichtlichen Rechtsprechung als relevanter Irrtum
diskutiert. Für derartige Feststellungen biete der Vortrag der - rechtlich
vertretenen - Beteiligten aber keinerlei Anhaltspunkte, weshalb auch eine
amtswegige Sachaufklärung keine Grundlage habe. Soweit der Beteiligte zu 2
zusätzlich geltend mache, ihm sei unbekannt gewesen, dass sein Vater
(Halb-)Geschwister gehabt habe, sei dieser tatsächliche Irrtum für die
Ausschlagungserklärung jedenfalls nicht kausal geworden, da der Beteiligte
zu 2 diese infolge seines Rechtsirrtums auch bei Kenntnis von der Existenz
der (Halb-)Geschwister abgegeben hätte.
9 III. Das hält rechtlicher
Nachprüfung stand.
10 Die statthafte und auch im Übrigen zulässige
Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdegericht hat rechtsfehlerfrei
angenommen, dass der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins für die
Beteiligte zu 1 und den Beteiligten zu 2 als Miterben zu 1/2 unbegründet
ist, da der Beteiligte zu 2 infolge der Ausschlagung der Erbschaft nicht zur
Erbfolge gelangt ist. Die Wirkung der Ausschlagung ist nicht durch
die Anfechtung der Ausschlagungserklärung beseitigt worden.
11 1. Ursprünglich war der Beteiligte zu 2 als Sohn des Erblassers
nach gesetzlicher Erbfolge gemäß §§ 1924 Abs. 1, 1931 Abs. 1 Satz 1 Alt.
1, 1371 Abs. 1 BGB Miterbe. Seine Miterbenstellung hat er jedoch
rückwirkend verloren (§ 1953 Abs. 1 BGB), indem er gegenüber dem
Nachlassgericht form- und fristgerecht die Ausschlagung der Erbschaft
nach §§ 1944 Abs. 1, 1945 Abs. 1 BGB erklärt hat. Da die Erwartung
des Beteiligten zu 2, dass der Nachlass in vollem Umfang an die Beteiligte
zu 1 fallen werde, keinen Niederschlag in der Ausschlagungserklärung
gefunden hat, liegt darin keine Bedingung im Rechtssinne, die gemäß §
1947 BGB die Unwirksamkeit der Ausschlagung zur Folge hätte (vgl.
OLG Düsseldorf ZEV 2019, 469 Rn. 14; ZEV 2018, 85, 86 [juris Rn.
20]; Staudinger/Otte, BGB (2017) § 1954 Rn. 5 [Stand: 30. April 2021]
m.w.N.; Eickelberg, ZEV 2018, 489, 490 f.).
12 2. Die Wirkung
der Ausschlagung ist nicht durch die Anfechtungserklärung des Beteiligten zu
2 beseitigt worden (§ 142 Abs. 1 BGB).
13 Die form- (§ 1955
Abs. 1 Satz 2, § 1945 Abs. 1, § 129 Abs. 1 BGB) und fristgerecht (§ 1954
Abs. 1, Abs. 2 BGB) gegenüber dem Nachlassgericht (§ 1955 Satz 1 BGB)
erklärte Anfechtung ist unwirksam, da sich anhand des Vorbringens des
Beteiligten zu 2 kein rechtlich beachtlicher Anfechtungsgrund
feststellen lässt.
14 Die Ausschlagung der Erbschaft kann
ebenso wie deren Annahme nur nach den allgemeinen Vorschriften über
Willenserklärungen unter Lebenden gemäß §§ 119 ff. BGB angefochten werden.
Die Sonderregeln der §§ 1954, 1955 und 1957 BGB für Frist, Form und Wirkung
der Anfechtung der Ausschlagungserklärung ändern oder erweitern die
Anfechtungsgründe nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 5.
Juli 2006 - IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210 Rn. 19 m.w.N.).
15 Von
diesen Grundsätzen ausgehend hat das Beschwerdegericht zu Recht angenommen,
dass sich der Beteiligte zu 2 bei Abgabe der Ausschlagungserklärung nicht in
einem allein in Betracht kommenden Irrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 Alt. 1
BGB befand. Ein Inhaltsirrtum kann zwar auch darin gesehen werden,
dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das
Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt,
sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum
berechtigt aber nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene
Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt
(vgl. Senatsurteil vom 29. Juni 2016 - IV ZR 387/15, ZEV 2016, 574
Rn. 11; Senatsbeschluss vom 5. Juli 2006 - IV ZB
39/05, BGHZ 168, 210 Rn. 19; st. Rspr.). Dagegen ist der
nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die
zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein
Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher
Motivirrtum (Senatsurteil vom 29. Juni 2016 aaO;
Senatsbeschluss vom 5. Juli 2006 aaO; jeweils
m.w.N.).
16 Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist der Beteiligte
zu 2 keinem Irrtum über die unmittelbaren Rechtswirkungen der Ausschlagung
erlegen, soweit er geltend macht, er sei bei Abgabe der
Ausschlagungserklärung davon ausgegangen, dass somit seine Mutter
Alleinerbin sei. Dass er sich über die konkrete Person des
Nächstberufenen geirrt hat, begründet unabhängig davon, welche rechtlichen
oder tatsächlichen Fehlvorstellungen dem zugrunde lagen, z.B. irrige Annahme
einer Anwachsung beim verbleibenden Miterben oder Irrtum über Inhalt der
gesetzlichen Erbfolge im deutschen Erbrecht, lediglich einen unbeachtlichen
Motivirrtum. Es ist daher ohne Bedeutung, ob dem Beteiligten zu 2 auch
unbekannt war, dass sein Vater (Halb-)Geschwister hatte.
17
a) Die hier maßgebliche Frage, ob im Falle einer sogenannten
"lenkenden Ausschlagung", bei der es dem Ausschlagenden gerade um
den Eintritt des Anfalls an einen bestimmten Dritten ankommt, ein Irrtum
darüber, wem der Erbteil infolge der Ausschlagung anfällt, einen Irrtum
über die mittelbaren oder unmittelbaren Rechtsfolgen darstellt, ist
umstritten. Eine Auffassung sieht den Irrtum über die nächstberufene Person
stets als einen Irrtum über die unmittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung
und damit als einen beachtlichen Inhaltsirrtum an (OLG Düsseldorf
ZEV 2019, 469 Rn. 22; ZEV 2018, 85, 87 [juris Rn. 34]; wohl auch, im
Ergebnis aber offenlassend OLG Frankfurt ZEV 2021, 507 Rn. 22, 24 f.;
ebenfalls offengelassen von OLG Brandenburg ZEV 2022, 716 Rn. 16;
BeckOGK/ Rehberg, BGB § 119 Rn. 105 [Stand: 1. September 2022];
MünchKomm-BGB/Leipold, 9. Aufl. § 1954 Rn. 7; NK-BGB/Feuerborn, 4. Aufl. §
119 Rn. 51; NK-BGB/Ivo, 6. Aufl. § 1954 Rn. 7 f.; J. Schmidt in Erman,
BGB 16. Aufl. § 1954 Rn. 3c; Staudinger/Singer, BGB (2021) § 119 Rn. 73;
Ivo, ZEV 2017, 518, 519; Keim, ErbR 2022, 978 f.; ders., ErbR 2021,
1012, 1013 ff.; ders., ZEV 2020, 393, 400 f.). Eine andere
Auffassung geht in diesen Fällen hingegen - wie auch das Beschwerdegericht -
nur von einem Irrtum über die mittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung und
damit von einem unbeachtlichen Motivirrtum aus (vgl. KG ZEV 2020,
152 Rn. 26 f.; OLG Frankfurt ZEV 2017, 515 Rn. 16 ff.; OLG Hamm FGPrax 2011,
236, 236 f. [juris Rn. 7]; OLG München NJW 2010, 687 [juris Rn. 14];
OLG Schleswig ZEV 2005, 526 [juris Rn. 10 f.]; OLG Hamm ZEV 1998, 225; OLG
Düsseldorf NJW-RR 1998, 150, 151 [juris Rn. 33]; FamRZ 1997, 905 [juris Rn.
17]; OLG Stuttgart OLGZ 1983, 304, 306 f. [juris Rn. 24]; KG KGJ 35 A Nr. 19
00002; BeckOGK/Heinemann, BGB § 1954 Rn. 25 [Stand: 15. Dezember 2022];
BeckOK-BGB/Siegmann/Höger, § 1954 Rn. 7 [Stand: 1. Mai 2022];
Grüneberg/Weidlich, BGB 82. Aufl. § 1954 Rn. 5; Staudinger/Otte, BGB (2017)
§ 1954 Rn. 6 [Stand: 30. April 2021]; Naczinsky in Soergel, BGB 14. Aufl. §
1954 Rn. 3; Muscheler in Groll/ Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung
5. Aufl. § 22 Rn. 22.101a; Krätzschel in Krätzschel/Falkner/Döbereiner,
Nachlassrecht 12. Aufl. § 16 Rn. 20; Reul in Reul/Heckschen/Wienberg,
Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis 3. Aufl. § 5 Rn. 11; Eickelberg, ZEV
2018, 489, 495; Kollmeyer, ZEV 2021, 509; ders., ZEV 2017, 517, 518;
Musielak, ZEV 2016, 353, 356; Wendt, ErbR 2021, 562, 567).
18 b)
Die letztgenannte Auffassung trifft zu. Wenn sich der
Ausschlagende bei Abgabe der Ausschlagungserklärung über die nach
seinem Wegfall an seiner Stelle in die Erbfolge eintretende konkrete Person
irrt, ist dies nur ein Irrtum über eine mittelbare Nebenfolge der
Ausschlagungserklärung aufgrund anderer rechtlicher Vorschriften. Es
liegt ein Motivirrtum vor, der nicht zur Anfechtung berechtigt.
19 aa) Dafür sprechen Systematik und Wortlaut des § 1953 BGB.
Unmittelbare Rechtsfolgen der Ausschlagung sind danach der Wegfall der
Erbenstellung bei dem Ausschlagenden und der Anfall bei einer
anderen Person. Wer die Person des Nächstberufenen ist, regelt § 1953 BGB
nicht unmittelbar.
20 (1) Die Ausschlagung bewirkt,
dass der Ausschlagende die ihm zu gedachte Rechtsstellung aufgibt (§ 1953
Abs. 1 BGB) und diese Rechtsstellung dem Nächstberufenen anfällt (§ 1953
Abs. 2 BGB). Das steht mit dem Grundsatz des Vonselbsterwerbs in
Einklang, wonach die erbrechtliche Sukzession gemäß § 1922 Abs. 1 BGB mit
dem Erbfall kraft Gesetzes eintritt (vgl. BeckOGK/Preuß, BGB § 1922 Rn. 43
[Stand: 1. Februar 2023]).
21 Davon ist allerdings die Frage zu
unterscheiden, wer Erbe nach § 1953 Abs. 2 BGB und Gesamtrechtsnachfolger
des Erblassers ist. Die konkrete Bestimmung der nachrückenden Person
regelt § 1953 Abs. 2 BGB nicht. Sie richtet sich nach den Vorschriften über
die gesetzliche Erbfolge (§§ 1924 ff. BGB) oder im Rahmen der gewillkürten
Erbfolge vorrangig nach der Testamentsauslegung und nachrangig nach den §§
2069, 2094 Abs. 1 Satz 1 BGB. § 1953 Abs. 2 BGB stellt sich
lediglich als Vorgabe für die weitere Rechtsanwendung dar. Ein
Irrtum darüber führt damit, anders als die Rechtsbeschwerde meint, lediglich
zu einer fehlerhaften Anwendung der Vorschriften über die gesetzliche oder
gewillkürte Erbfolge, nicht jedoch über die wesentliche und unmittelbare
Rechtswirkung der Ausschlagung (vgl. KG ZEV 2020, 152 Rn. 27; OLG
Frankfurt ZEV 2017, 515 Rn. 16; OLG Hamm FGPrax 2011, 236, 237 [juris Rn.
7]). Einer Differenzierung, ob der Ausschlagende in diesem
Zusammenhang die gesetzliche oder gewillkürte Erbfolge verkennt und dies aus
rechtlichen Gründen oder aus tatsächlichen Gründen etwa wegen Unkenntnis
der Existenz eines Geschwisterteils des Erblassers geschieht, bedarf es
insofern nicht.
22 (2) Dafür spricht auch der
Sinngehalt des Wortes "ausschlagen". Dieser beinhaltet für den juristischen
Laien, dass der Ausschlagende nicht mehr Erbe sein will und er durch die
Ausschlagung seine Erbenstellung an eine andere Person verliert
(vgl. OLG Schleswig ZEV 2005, 526 [juris Rn. 11 ff.]), nicht aber,
dass anstelle des Ausschlagenden ein bestimmter Dritter Erbe werden soll.
23 bb) Dass das deutsche Erbrecht keinen herrenlosen Nachlass
kennt (vgl. BeckOGK/Heinemann, BGB § 1953 Rn. 2 [Stand: 15. Dezember 2022];
BeckOK-BGB/Siegmann/Höger § 1953 Rn. 1 [Stand: 1. Mai
2022]; MünchKomm-BGB/Leipold, 9. Aufl. § 1953 Rn. 1; NK-BGB/Ivo, 6. Aufl. §
1953 Rn. 1), steht der Annahme, § 1953 Abs. 2 BGB mache die Begünstigung
einer bestimmten Person zu einer nachrangigen, mittelbaren Folge, nicht
entgegen. Der Umstand, dass die konkrete Person des Nächstberufenen nach den
Vorschriften über die gesetzliche oder gewillkürte Erbfolge ermittelt werden
muss, führt nicht dazu, dass der Nachlass herrenlos wird. § 1953 Abs. 2 BGB
fingiert den Anfall der Erbschaft für den endgültigen Erben auf den
Zeitpunkt des Erbfalls (vgl. Senatsurteil vom 30. November 2022 - IV ZR
60/22, ZEV 2023, 103 Rn. 22 m.w.N.).
24 cc) Entgegen der Ansicht der
Rechtsbeschwerde ist die Anfechtung auch weder dadurch gerechtfertigt, dass
der Ausschlagende den Anfall der Erbschaft an eine bestimmte Person als das
primäre Ziel seiner Ausschlagung und seinen Wegfall als bloßes Mittel zu
diesem Zweck erachtet, noch durch eine sonstige an der Vorstellung oder
Willensrichtung des Ausschlagenden ausgerichtete wertende Betrachtung (a.A.
OLG Düsseldorf ZEV 2018, 85, 87 [juris Rn. 34]). Eine Rechtsfolge
wird nicht dadurch zu einer unmittelbaren, dass sie der Hauptgrund für die
Erklärung der Ausschlagung war (KG ZEV 2020, 152 Rn. 27; Lange, ZEV
2022, 527, 528; a.A. Keim, ErbR 2021, 1012, 1013 f.). Eine andere
Betrachtung würde - wovon auch das Beschwerdegericht ausgegangen ist - der
gesetzlichen Konzeption der §§ 119 ff. BGB und der §§ 1942 ff. BGB nicht
gerecht (ebenso KG aaO). Die Rechtsfolge anhand der Vorstellung und
Absicht des Ausschlagenden, mit der Ausschlagung falle die Erbschaft einer
bestimmten anderen Person an, zu qualifizieren, führte sie zudem dem
Inhalt der Ausschlagungserklärung zu, der hier allerdings ausschließlich
darin besteht, die Erbschaft nicht anzunehmen (vgl. Musielak, ZEV 2016,
353, 355 f.). Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung
beruhen nicht auf der Willensentschließung des Ausschlagenden (vgl.
BGH, Beschluss vom 5. Juni 2008 - V ZB 150/07, NJW
2008, 2442 Rn. 18 zur Grundstücks-Zwangsversteigerung), sondern
ergeben sich aus § 1953 BGB.
25 dd) Die Einschränkung der
Anfechtungsmöglichkeit im vorliegenden Fall ist überdies im Interesse der
Rechtssicherheit erforderlich, wovon auch das Beschwerdegericht unter
Bezugnahme auf § 1953 Abs. 3 BGB zutreffend ausgeht. Soweit die
Rechtsbeschwerde hiergegen einwendet, der Anfechtende müsse die gewollte
Lenkungswirkung belegen und plausibel machen und es lasse sich im
Erbscheinsverfahren regelmäßig eine schnelle Klärung der Sachlage
herbeiführen (vgl. Keim, ErbR 2022, 978, 979; ders., ErbR 2021, 1012, 1015),
verfängt dies nicht. Die erweiterte Anfechtungsmöglichkeit widerspräche der
besonderen Interessenlage bei der Ausschlagung, den durch den
Vonselbsterwerb (§ 1922 Abs. 1 BGB) herbeigeführten Schwebezustand durch
Annahme oder Fristablauf nach verhältnismäßig kurzer Zeit zu beseitigen. Die
denkbaren Beweggründe, die Veranlassung zu einer Ausschlagungserklärung
geben können, sind zudem unüberschaubar (vgl. BeckOK-BGB/Wendtland, § 119
Rn. 37.1 [Stand: 1. Februar 2023]). Es gilt daher, die
Anfechtbarkeit wegen eines Rechtsfolgenirrtums auf die Fälle zu begrenzen,
in denen sich - anders als hier - die Rechtsfolge, auf die sich der Irrtum
bezieht, nach der gesetzlichen Regelung und Systematik unmittelbar aus dem
Rechtsgeschäft bzw. der Willenserklärung ergibt, und hierdurch die
Stabilität des Erbschaftserwerbs zu erzielen (vgl. Schmidt, ErbR
2022, 929, 930 f.).
26 ee) Die Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen
Gesetzbuchs und das Leitbild des historischen Gesetzgebers bestätigen den
strengen Umgang mit der Anerkennung von Ausschlagungsanfechtungen und die
Verantwortung des Ausschlagenden, sich vor Abgabe der Erklärung über
die Umstände des Erbfalls rechtlich und tatsächlich kundig zu machen.
So besagen die Motive, dass eine allgemeine Anfechtung der
Ausschlagungserklärung wegen Irrtums nicht zugelassen sei. Dem Irrtum des
Ausschlagenden, welcher sich immer nur als ein Irrtum in den Motiven
darstellen werde, einen besonderen Einfluss beizumessen, werde sich nicht
rechtfertigen lassen (vgl. zu §§ 2040, 2041 BGB-E Mugdan, Die
gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich,
Band V S. 272; vgl. auch Wendt, ErbR 2021, 562, 566). Nach
allgemeinen Grundsätzen bleibe es Sache des Ausschlagenden, sich vor seiner
Entscheidung die vollständige Kenntnis von den letztwilligen Verfügungen des
Erblassers zu verschaffen. Ihm könne nicht gestattet werden, weil er seine
Lage wegen ihm unbekannt gebliebener letztwilliger Verfügungen des
Erblassers verkannt habe, nachträglich die Rechte derjenigen, an welche
in Folge seiner Ausschlagung ein Anfall erfolgt sei, in Frage zu stellen
(vgl. zu §§ 2040, 2041 BGB-E Mugdan aaO S. 273).
27 ff)
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde folgt ein anderes
Verständnis nicht daraus, dass der Senat in seinen Entscheidungen vom 5.
Juli 2006 (IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210)
zu § 2306 Abs. 1 BGB in der bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung und
vom 29. Juni 2016 (IV ZR 387/15, ZEV 2016, 574) zu § 2306 Abs. 1 BGB in der
derzeit geltenden Fassung einem die Erbschaft annehmenden Erben ein
Anfechtungsrecht zugestanden hat, weil der Erbe nicht gewusst hatte,
dass er das Pflichtteilsrecht im Falle der Ausschlagung nicht verliert
(ebenso KG ZEV 2020, 152 Rn. 30). Unmittelbare und
wesentliche Wirkung der Erklärung einer Annahme der Erbschaft ist danach,
dass der Erbe die ihm zugedachte Rechtsstellung einnimmt und er das von §
2306 Abs. 1 BGB eröffnete Wahlrecht verliert, sich für den möglicherweise
dem Werte nach günstigeren Pflichtteilsanspruch zu entscheiden. Dieser
Verlust des Pflichtteilsrechts als Rechtsfolge der Erbschaftsannahme ist
zwingende Folge des Einrückens in die Erbenstellung durch die Annahme der
Erbschaft (Senatsurteil vom 29. Juni 2016 aaO Rn. 21;
Senatsbeschluss vom 5. Juli 2006 aaO Rn. 22).
28 Mit einem
Irrtum über das pflichtteilsrechtliche Wahlrecht ist der vorliegende Fall
des Irrtums über die nach Ausschlagung nächstberufene Person nicht
vergleichbar. Das Wahlrecht und die Entstehung des
Pflichtteilsrechts sind in § 2306 Abs. 1 BGB zwingend und unmittelbar mit
der Ausschlagungserklärung verknüpft. Dass die Pflichtteilsberechtigung
daneben auch deren Feststellung in Person des Ausschlagenden nach § 2303 BGB
sowie die Zuwendung eines beschwerten oder beschränkten Erbteils gemäß §
2306 Abs. 1 BGB voraussetzt (vgl. Keim, ZEV 2020, 393, 400), ändert an
dieser Verknüpfung nichts. Die zur Bestimmung des Nächstberufenen
heranzuziehenden Regelungen der gesetzlichen oder gewillkürten Erbfolge
stellen dagegen keine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung dar.
Im Übrigen betreffen die Rechtsfolgen der §§ 2303, 2306 Abs. 1 BGB
die Person des Ausschlagenden selbst, während die Weiterleitung an den
Nächstberufenen eine Rechtsfolge betrifft, die allein in dessen Person
eintritt und damit den Ausschlagenden nicht berührt. Die Zulassung der
Anfechtung bei einem Irrtum über das pflichtteilsrechtliche Wahlrecht und
die Nichtzulassung bei einem Irrtum über die nach Ausschlagung
nächstberufene Person erscheinen schließlich auch aufgrund der Erwägungen
des historischen Gesetzgebers gerechtfertigt, wonach - anders als nach dem
Grundsatz, dass eine Anfechtung der Ausschlagungserklärung wegen Irrtums
nicht zuzulassen sei - für den Pflichtteilsberechtigten hiervon abgewichen
werden müsse (vgl. zu §§ 2040, 2041 BGB-E Mugdan, Die gesamten Materialien
zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band V S. 272, 273; dazu
Wendt, ErbR 2021, 562, 566).
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