Anfechtung der
Erbschaftsannahme wegen Inhaltsirrtum nach § 119 I BGB
("Rechtsfolgenirrtum"), Abgrenzung zum Motivirrtum
BGH, Beschluss vom
05.07.2006, Az. IV ZB 39/05
Fundstelle:
JZ 2007, 419
BGHZ 168, 210
Amtl. Leitsatz:
Die irrige Vorstellung
des unter Beschwerungen als Alleinerbe eingesetzten
Pflichtteilsberechtigten, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um
seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren, rechtfertigt die
Anfechtung einer auf dieser Vorstellung beruhenden Annahme der Erbschaft.
Zentrale Probleme:
Es geht um die Anfechtung einer Erbschaftsannahme durch
Zeitablauf (§ 1943 Halbs. 2 BGB). Diese Fiktion einer Annahmeerklärung kann
wie eine Annahmeerklärung Gegenstand einer Irrtumsanfechtung sein (§ 1956
BGB). Als Anfechtungsgründe kommen hier die allgemeinen Regeln, d.h. §§ 119
ff BGB zur Anwendung, die §§ 1954 ff BGB enthalten nur Regelungen über Form
und Frist der Anfechtung. Hier hatte der Erbe die Annahme angefochten, weil
ihm nicht bewußt war, daß er wegen der Belastungen mit Vermächtnissen den
Pflichtteil (ausnahmsweise) gem. § 2306 I Halbs. 2 BGB auch im Fall der
Ausschlagung hätte verlangen können. Der BGH wertet dies entgegen einer
Entscheidung des BayObLG und der wohl hM als einen zur Anfechtung
berechtigenden Inhaltsirrtum in Form des Rechtsfolgenirrtums. Das ist
hochproblematisch, richtigerweise ist hier von einem bloßen Motivirrtum auszugehen.
S. dazu aber auch die zustimmende Anmerkung von Olzen/Schwarz JZ
2007, 420 ff. S. auch die Anm. zu
BGH v.
5.6.2008 - V ZB 150/07 sowie zu
BGH v. 22.3.2023 - IV ZB 12/22.
©sl 2006
Gründe:
A.
1
Die Beschwerdeführerin erstrebt eine Klärung der Erbfolge im
Erbscheinsverfahren. Der Erblasser hat seinen Sohn, den Beteiligten zu 1),
als Alleinerben eingesetzt, aber mit zahlreichen Vermächtnissen beschwert.
Die Beteiligte zu 2) wurde als Testamentsvollstreckerin eingesetzt. Das am
24. Juli 2003 eröffnete Testament wurde mit dem Eröffnungsprotokoll u.a. dem
Beteiligten zu 1) durch Schreiben vom 30. Juli 2003 zugesandt. Dieser hat am
8. Oktober 2003 notariell beglaubigt folgende Erklärung abgegeben:
"Am 07.07.2003 ist mein Vater ...
verstorben. Mein Vater ... hat ein Testament hinterlassen, wonach ich
... zum Alleinerben berufen bin. Da ich die Erbschaft nicht fristgerecht
ausgeschlagen habe, gilt die Erbschaft als angenommen.
Ich fechte hiermit die Annahme der Erbschaft wegen Irrtums an und
schlage die Erbschaft aus allen Berufungsgründen ohne jede Bedingung
aus. Der Nachlass ist derart mit Vermächtnissen belastet, dass mein
Pflichtteil gefährdet ist. Dieser Umstand war mir zum Zeitpunkt der
Annahme nicht bekannt. Wäre mir dieser Umstand bekannt gewesen, hätte
ich die Erbschaft zu keiner Zeit annehmen wollen."
2
Diese Erklärung ging am 13. Oktober 2003 beim Nachlassgericht ein. Auf ihrer
Grundlage beantragte die Beteiligte zu 2) vor der Rechtspflegerin des
Nachlassgerichts einen Erbschein, der die gesetzliche Erbfolge nach Wegfall
des Beteiligten zu 1) ausweisen sollte. Dieser Erbschein wurde am 1. April
2004 erteilt. Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 20. April
2004 hat die Beteiligte zu 2) die Einziehung des Erbscheins gemäß § 2361 BGB
angeregt und die Auffassung vertreten, die Anfechtung der Versäumung der
Ausschlagungsfrist durch den Beteiligten zu 1) sei unwirksam. Am Verfahren
sind außer den bereits Genannten auch die im Erbschein vom 1. April 2004
aufgeführten gesetzlichen Erben sowie eine testamentarisch bedachte
Vermächtnisnehmerin beteiligt.
3
Das Amtsgericht als Nachlassgericht hat nach Durchführung von Ermittlungen
die Einziehung des Erbscheins durch Beschluss vom 9. Dezember 2004
abgelehnt. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) blieb ohne Erfolg. Auf ihre
weitere Beschwerde hat das Oberlandesgericht die Sache gemäß § 28 Abs. 2 FGG
dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt (vgl. FamRZ 2006, 578 = ZEV
2006, 168).
B.
4
Auch die weitere Beschwerde hat keinen Erfolg.
5
I. 1. Das Oberlandesgericht möchte der Feststellung des Landgerichts folgen,
wonach der Beteiligte zu 1) die durch Vermächtnisse beschwerte Erbschaft
u.a. deshalb nicht ausgeschlagen habe, weil er irrig glaubte, andernfalls
den Pflichtteil, auf den es ihm ankam, zu verlieren. Das Oberlandesgericht
hält einen solchen Rechtsirrtum für einen nach §§ 119 Abs. 1, 1955, 1956 BGB
erheblichen Inhaltsirrtum und damit die zugleich mit der Anfechtung erklärte
Ausschlagung des Beteiligten zu 1) für wirksam. Es möchte deshalb die
weitere Beschwerde zurückweisen.
6
An dieser Entscheidung sieht es sich durch die Rechtsprechung des
Bayerischen Obersten Landesgerichts gehindert (BayObLG NJW-RR 1995, 904,
906; ZEV 1998, 431, 432), wonach bei Annahme der Erbschaft der Verlust des
in § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB vorgesehenen Ausschlagungsrechts sowie des nach
Ausschlagung zu beanspruchenden Pflichtteilsanspruchs nur mittelbare
Rechtsfolgen sind, auf deren Unkenntnis eine Anfechtung der unmittelbar
erklärten Erbschaftsannahme nicht gestützt werden könne. Diese
Rechtsprechung erfasst auch den vorliegenden Fall, obwohl der Beteiligte zu
1) - anders als in den vom Bayerischen Obersten Landesgericht entschiedenen
Fällen - die Erbschaft nicht durch ausdrückliche Erklärung angenommen,
sondern lediglich nicht fristgerecht ausgeschlagen hat. Denn die Versäumung
der Ausschlagungsfrist wird hinsichtlich ihrer Anfechtbarkeit durch § 1956
BGB der Erklärung einer Annahme gleichgestellt. Dies gilt auch für die
Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB wegen eines Irrtums etwa über die Folgen
des Ablaufs der Ausschlagungsfrist (RGZ 143, 419, 423 f.; OLG Hamm OLGZ
1985, 286, 287 f.; MünchKomm-BGB/Leipold, 4. Aufl. § 1956 Rdn. 7 f.). Wie
das vorlegende Oberlandesgericht weiter zutreffend ausführt, würde deshalb
der hier vorliegende Irrtum über das Bestehen des dem Erben in § 2306 Abs. 1
Satz 2 BGB eingeräumten Ausschlagungsrechts, folge man dem Bayerischen
Obersten Landesgericht, als eine nur mittelbare Folge der gemäß § 1956 BGB
zu fingierenden Annahmeerklärung deren Anfechtung nicht rechtfertigen.
Vielmehr würde der angegriffene Beschluss des Landgerichts aufgehoben und
die Sache zu weiteren Ermittlungen hinsichtlich eines zusätzlichen Irrtums
des Be-teiligten zu 1) über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des
Nachlasses (§ 119 Abs. 2 BGB), nämlich die Unkenntnis einer erheblichen
Nachlassverbindlichkeit während der Ausschlagungsfrist, zurückverwiesen
werden müssen.
7
Damit sind die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 FGG gegeben. Dass das
Bayerische Oberste Landesgericht inzwischen nicht mehr besteht, ändert hier
nichts an der Zulässigkeit der Vorlage (vgl. RGZ 148, 207, 209). Der
Bundesgerichtshof hat über die weitere Beschwerde zu entscheiden.
8
2. Das Rechtsmittel ist zulässig (§§ 27, 29 FGG). Die Befugnis der
Beteiligten zu 2) zur weiteren Beschwerde folgt bereits daraus, dass ihre
erste Beschwerde ohne Erfolg geblieben ist. Das Landgericht hat die
Beteiligte zu 2) auch zur Erstbeschwerde zutreffend für gemäß §§ 19, 20 FGG
befugt gehalten. Gegen die Ablehnung der Einziehung eines Erbscheins
beschwerdeberechtigt ist jeder, der die Erteilung eines (anderen) Erbscheins
beantragen kann. Die Beteiligte zu 2) ist als Testamentsvollstreckerin
befugt, Erbscheinsanträge zu stellen (vgl. Winkler, Der
Testa-mentsvollstrecker 17. Aufl. Rdn. 726; MünchKomm-BGB/Zimmermann, aaO §
2203 Rdn. 10; MünchKomm-BGB/J. Mayer, § 2361 Rdn. 49). Ihrer
Beschwerdebefugnis steht nicht entgegen, dass der Erbschein, dessen
Einziehung sie betreibt, auf ihren eigenen Antrag erteilt worden ist. Im
Erbscheinsverfahren ist der Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln; ob ein
bereits erteilter Erbschein unrichtig und daher nach § 2361 BGB einzuziehen
ist, muss ohne Rücksicht auf Vorbringen und Anträge der Beteiligten
entschieden werden. Deshalb kann auch derjenige, dem ein Erbschein
antragsgemäß erteilt worden ist, gegen dessen Erteilung Beschwerde mit dem
Ziel der Einziehung einlegen (BayObLG FamRZ 1991, 617, 618; NJW-RR 1995,
904; OLG Hamm ZEV 2003, 31, 32).
9
II. Die weitere Beschwerde ist nicht begründet.
10
1. Das Landgericht hat im Ergebnis mit Recht festgestellt, der Beteiligte
zu 1) habe sich bis zum Ablauf der Ausschlagungsfrist jedenfalls darüber
geirrt, dass er die mit Vermächtnissen belastete Erbschaft hätte ausschlagen
müssen, um den von ihm erstrebten Pflichtteilsanspruch zu erlangen (§ 2306
Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Ausschlagungsfrist wurde spätestens durch den
Zugang des am 30. Juli 2003 an den Beteiligten zu 1) abgesandten Schreibens
des Nachlassgerichts über die Eröffnung und den Inhalt des Testaments in
Lauf gesetzt; sie endete mithin am 11. oder 12. September 2003 (§§ 1944,
2306 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbs. BGB). Nach dem Vortrag des Beteiligten zu 1)
ging ihm das eröffnete Testament schon am 25. Juli 2003 zu; danach lief die
Ausschlagungsfrist bereits am 5. September 2003 ab. Jedenfalls ist die
Feststellung nicht zu beanstanden, dass der Beteiligte zu 1) seinen Irrtum
erst unmittelbar vor seiner notariellen Erklärung vom 8. Oktober 2003
erkannt hat. Die Anfechtungsfrist des § 1954 BGB ist also gewahrt.
11
a) Der Beteiligte zu 1) hat am Ende seines Schreibens an das Nachlassgericht
vom 19. Mai 2004 vorgetragen, er sei dem Rechtsirrtum erlegen gewesen, dass
ihm der Pflichtteil auch dann zustehe, wenn er das Erbe nicht ausschlage.
Auf Fragen des Nachlassgerichts dazu, wann er Kenntnis von der Möglichkeit,
die Erbschaft auszuschlagen, von der Fristgebundenheit der
Ausschlagungserklärung und den Rechtsfolgen des Fristablaufs erhalten habe,
antwortete der Beteiligte zu 1) mit Schreiben vom 11. Juni 2004 u.a., dass
man eine Erbschaft wegen Überschuldung ausschlagen könne, sei ihm seit
längerem bekannt. Er habe aber aus dem Buch "ZDF-WISO - Erben und Vererben",
das er Anfang September 2003 gekauft habe, den Eindruck gewonnen, dass er
die Erbschaft nicht ausschlagen dürfe, weil er sonst das Pflichtteilsrecht
verliere, dass er aber den Rest, der auf den Pflichtteil fehle, auch dann
herausverlangen könne, wenn das Ererbte nicht den Wert der Hälfte des
gesetzlichen Erbteils erreiche. Auf weitere Nachfrage des Nachlassgerichts
teilte der Beteiligte zu 1) mit, von der Fristgebundenheit der Ausschlagung
habe er am 26. September 2003 durch ein Schreiben der Beteiligten zu 2)
erfahren und daraufhin den Notar aufgesucht, der die Erklärung vom 8.
Oktober 2003 beglaubigt hat.
12
b) Die Beteiligte zu 2) macht mit ihren Rechtsmitteln geltend, von einem
Irrtum, das Pflichtteilsrecht stehe dem Beteiligten zu 1) auch ohne
Ausschlagung zu, sei in der Anfechtungserklärung vom 8. Oktober 2003 nicht
einmal andeutungsweise die Rede. Die Behauptung, dass der Beteiligte zu 1)
bis zum Ablauf der Ausschlagungsfrist dem genannten Irrtum unterlegen habe,
werde bestritten. Die Vorinstanzen hätten die Beteiligten nicht darauf
hingewiesen, dass die Anfechtung unter diesem Gesichtspunkt begründet sein
könne. Die Auszüge aus erbrechtlichen Erläuterungsbüchern, auf die sich der
Beteiligte zu 1) beziehe, seien der Beteiligten zu 2) nicht zugänglich
gemacht worden. Der Beteiligte zu 1) habe bereits in seinem Schreiben an die
Beteiligte zu 2) vom 21. August 2003 im Hinblick auf die vom Erblasser
ausgesetzten Vermächtnisse seine Enttäuschung über das Testament zum
Ausdruck gebracht mit der Begründung, wenn er enterbt worden wäre, würde der
ihm gesetzlich zustehende Pflichtteil ungefähr doppelt so hoch sein. Da der
Beteiligte zu 1) am Ende dieses Schreibens die Beteiligte zu 2) aufgefordert
habe, ein Nachlassverzeichnis gemäß § 2215 BGB zu erstellen, habe er die
Erbschaft durch schlüssiges Verhalten angenommen. Die erstmals mit den
Schreiben vom 19. Mai und 11. Juni 2004 vorgebrachten Anfechtungsgründe
seien verfristet.
13
c) Diese Rügen greifen nicht durch.
14
aa) Das Landgericht hat im Schreiben des Beteiligten zu 1) vom 21. August
2003 keine Annahme der Erbschaft durch schlüssiges Verhalten gesehen. Diese
tatrichterliche Würdigung ist nicht rechtsfehlerhaft, weil das Schreiben
gerade offen lässt, welche Konsequenzen der Beteiligte zu 1) aus seiner
Enttäuschung über das Testament ziehen werde. In diesem Zusammenhang kommt
der Inanspruchnahme des dem Erben zustehenden Anspruchs auf ein
Nachlassverzeichnis aus § 2215 BGB keine entscheidende Bedeutung für eine
Annahme der Erbschaft zu, wie das Oberlandesgericht mit Recht angenommen
hat. Denn das Nachlassverzeichnis diente (ebenso wie weitere Nachforschungen
des Beteiligten zu 1)) erst einer Klärung des Nachlasswertes. Von dessen
Höhe hing es ab, ob und in welchem Umfang der Pflichtteilsanspruch durch
Erfüllung der Vermächtnisse beeinträchtigt werden würde. Mithin kann hier
von einer Annahme der Erbschaft nicht vor Ablauf der Ausschlagungsfrist
ausgegangen werden (§§ 1943, 1944 BGB).
15
bb) Bereits das Schreiben des Beteiligten zu 1) vom 21. August 2003 zeigt,
dass er sich mit der Frage beschäftigte, wie er trotz der im Testament
angeordneten Vermächtnisse jedenfalls die Hälfte seines gesetzlichen
Erbteils erhalten könne. Der Beteiligte zu 1) hat am 29. August 2003 die
Räume des Erblassers und den Nachlassbestand besichtigt und Bankordner
eingesehen. Mit Schreiben vom 1. September 2003 teilte der Beteiligte zu 1)
der Beteiligten zu 2) mit, da er den gesetzlichen Pflichtteil haben wolle,
bitte er sie, die im Testament angeordneten Vermächtnisse nicht zur
Ausführung zu bringen. Angesichts der in diesem Schreiben zum Ausdruck
kommenden Entscheidung des Beteiligten zu 1), auf jeden Fall seinen
Pflichtteil in Anspruch zu nehmen, auch wenn der letzte Wille des Erblassers
deshalb nicht in vollem Umfang erfüllt werde, hätte sich aufgedrängt, die
Erbschaft innerhalb der noch laufenden Frist im Hinblick auf § 2306 Abs. 1
Satz 2 BGB auszuschlagen. Es liegt nahe, dass dies nur deshalb nicht
geschehen ist, weil der Beteiligte zu 1) die Notwendigkeit einer
Ausschlagung und die hierfür bestehende Frist nicht gekannt hat.
16
cc) Fraglich könnte allenfalls sein, ob dieser Irrtum bis zum Ende der
Ausschlagungsfrist fortdauerte und ob er der Anfechtungserklärung vom 8.
Oktober 2003 zugrunde gelegt worden ist. Dass bei Erfüllung der vom
Erblasser ausgesetzten Vermächtnisse für den Beteiligten zu 1) weniger als
sein Pflichtteil verbleiben würde, hat er zwar schon vor Ablauf der
Ausschlagungsfrist erkannt, wie sein Schreiben an die Beteiligte zu 2) vom
1. September 2003 zeigt. Der Beteiligte zu 1) sah darin aber keine
Gefährdung seines Anspruchs auf den Pflichtteil, weil er irrig meinte, auch
ohne Ausschlagung der Erbschaft vom Nachlass jedenfalls den Pflichtteil
beanspruchen zu können. Die Gefährdung des Pflichtteils ergab sich also
gerade aus der Unkenntnis des § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dass jedenfalls auch
diese Fehlvorstellung mit der Anfechtungserklärung vom 8. Oktober 2003
gemeint sei, konnte das Landgericht der notariell beglaubigten Erklärung bei
verständiger Auslegung unter Berücksichtigung der glaubhaften Angaben des
Beteiligten zu 1) rechtsfehlerfrei entnehmen.
17
dd) Soweit die Beteiligte zu 2) geltend macht, das Landgericht habe nicht
darauf hingewiesen, dass ein Irrtum über die Notwendigkeit einer
Ausschlagung gemäß § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB in Betracht komme, wird
übersehen, dass schon das Amtsgericht seine Entscheidung auf diesen
Gesichtspunkt gestützt hatte. Im Übrigen werden keine zusätzlichen, bisher
unberücksichtigt gebliebenen Beweismittel vorgetragen; die Beteiligte zu 2)
behauptet vielmehr lediglich, dass ein derartiger Sachverhalt, den sie
selbst schon wiederholt bestritten habe, auch von den übrigen Beteiligten
mit Nachdruck bestritten worden wäre. Das hätte der Feststellung eines
solchen Irrtums indessen im Ergebnis nicht entgegengestanden. Die
Feststellung eines solchen Irrtums steht auch nicht in Widerspruch zu der
weiteren Behauptung des Beteiligten zu 1), er habe die Ausschlagungsfrist
vor dem Schreiben der Beteiligten zu 2) vom 26. September 2003 nicht
gekannt. Es liegt im Gegenteil eher fern, dass der Beteiligte zu 1), wenn er
die Notwendigkeit einer Ausschlagung gemäß § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht
kannte, gleichwohl über deren Fristgebundenheit unterrichtet gewesen wäre.
Das kann aber auf sich beruhen, weil eine eventuelle Kenntnis der
Ausschlagungsfrist jedenfalls nichts daran änderte, dass der Beteiligte zu
1) irrig glaubte, die Erbschaft keinesfalls ausschlagen zu dürfen, um seinen
Pflichtteilsanspruch nicht zu verlieren. Zweifel an dem Vorliegen eines
Irrtums über die Notwendigkeit einer Ausschlagung nach § 2306 Abs. 1 Satz 2
BGB ergeben sich schließlich nicht daraus, dass der Beteiligte zu 1)
einräumt, sich mit Hilfe von erbrechtlichen Erläuterungsbüchern informiert
zu haben. Er hat daraus eine Seite in Kopie vorgelegt, wonach nicht
pflichtteilsberechtigt ist, wer das Erbe ausschlägt; weiter heißt es dort,
wenn der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten mit Vermächtnissen
beschwere, so dass das Vererbte nicht den Wert der Hälfte des gesetzlichen
Erbteils erreiche, habe der Pflichtteilsberechtigte das Recht, den Rest
herauszuverlangen. Diese Kopie ist ausweislich der Akten dem
Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2) vom Nachlassgericht zur
Kenntnis gebracht worden. Selbst wenn in den vom Beteiligten zu 1) zu Rate
gezogenen Erläuterungsbüchern auch die Regelung in § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB
nicht unerwähnt geblieben sein sollte, ließe sich nicht ausschließen, dass
der Beteiligte zu 1) diesen Hinweis übersehen oder als Laie dessen Bedeutung
nicht zutreffend erfasst hat. Deshalb kam es auf die von der Beteiligten zu
2) vermisste Vorlage der Erläuterungsbücher zur Einsicht für alle
Beteiligten nicht entscheidend an.
18
2. Der danach jedenfalls rechtsfehlerfrei festgestellte Irrtum des
Beteiligten zu 1) über die Notwendigkeit einer Ausschlagung der belasteten
Erbschaft zur Erhaltung seines Anspruchs auf den Pflichtteil ist ein
erheblicher Anfechtungsgrund.
19
a) Worauf die Anfechtung gestützt werden kann, richtet sich allein nach §
119 BGB; die Sonderregeln der §§ 1954, 1955, 1957 BGB für Frist, Form und
Wirkung der Anfechtung ändern oder erweitern die Anfechtungsgründe nicht (BayObLG
ZEV 1998, 431, 432). Mithin kommt hier (abgesehen von einem Irrtum über
verkehrswesentliche Eigenschaften) insbesondere ein Irrtum über den Inhalt
der Erklärung in Betracht. Ein solcher Inhaltsirrtum kann auch darin gesehen
werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt,
weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen
erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger
Rechtsirrtum berechtigt aber nach ständiger Rechtsprechung nur dann zur
Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die
beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt
zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und
eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der
Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (vgl. BGHZ 134,
152, 156 m.w.N.).
20
b) Im Sinne dieser Unterscheidung geht das Bayerische Oberste
Landesgericht - wie einleitend erwähnt - bei der Anfechtung einer
ausdrücklich erklärten Erbschaftsannahme davon aus, dass die unmittelbar
angestrebte Rechtsfolge einer solchen Erklärung allein das Ziel sei, die
Stellung als Erbe einzunehmen; der infolgedessen eintretende Verlust des
Wahlrechts nach § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB sei dagegen nur eine mittelbare
Rechtsfolge, deren Unkenntnis die Anfechtung nicht rechtfertige (vgl.
BayObLG NJW-RR 1995, 904, 906; ZEV 1998, 431, 432). Dem ist die Literatur
weithin gefolgt (so MünchKomm-BGB/Leipold, aaO § 1954 Rdn. 9;
Staudinger/Otte, BGB 2000 § 1954 Rdn. 6; Soergel/Stein, BGB 13. Aufl. § 1954
Rdn. 2; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. § 8 VII 2 d). Wird die
Erbschaft dagegen nicht durch ausdrückliche Erklärung, sondern etwa durch
schlüssiges Verhalten des Erben angenommen (pro herede gestio), lässt das
Bayerische Oberste Landesgericht eine Anfechtung zu, wenn der Erbe weder
weiß noch will, dass er durch sein Verhalten das Recht verliert, die
Erbschaft auszuschlagen (BayObLGZ 1983, 153, 162 f.; NJW 1988, 1270,
1271; zustimmend Kipp/Coing, Erbrecht 14. Aufl. § 89 I 2) .
21
Dagegen hat das Oberlandesgericht Hamm bei einer Ausschlagungserklärung, die
in der Vorstellung erfolgt war, dadurch werde die (unter Beschränkungen und
Beschwerungen angeordnete, den Pflichtteil nicht übersteigende) Erbschaft in
Pflichtteilsansprüche umgewandelt, diese Umwandlung als die primär erstrebte
Rechtsfolge und nicht etwa nur als Nebenfolge der Ausschlagung angesehen (OLGZ
1982, 41, 49 f.). Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die im Antrag auf
Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbe liegende schlüssige Annahme der
(beschwerten) Erbschaft für anfechtbar gehalten, weil der seinen Pflichtteil
begehrende Erbe geglaubt habe, nur so seinen Pflichtteilsanspruch sichern zu
können, und nicht gewusst habe, dass er die Erbschaft gemäß § 2306 Abs. 1
Satz 2 BGB ausschlagen müsse, um den Pflichtteil zu erlangen; es hat die
Ansicht gebilligt, der Wegfall des Pflichtteilsanspruchs sei als ungewollte
Hauptfolge der Annahme anzusehen (FamRZ 2001, 946, 947; zustimmend Muscheler
in: Groll (Hrsg.), Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung 2. Aufl. unter C II Rdn.
101). Im Schrifttum hat vor allem Keim die Rechtsprechung des Bayerischen
Obersten Landesgerichts angegriffen und geltend gemacht, im Fall einer den
Pflichtteil zwar übersteigenden, aber beschränkten oder beschwerten
Erbschaft (§ 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB) sei der Verlust des Pflichtteilsrechts
infolge Annahme der Erbschaft deren wichtigste Rechtswirkung. "Mit der
ausdrücklichen Annahme einer Erbschaft glaubt der Rechtsunkundige niemals,
dass er gerade damit eine maßgebliche Beteiligung am Nachlass verlieren
könnte, oder umgekehrt, dass er ausgerechnet durch die Ausschlagung eine
wertmäßig größere Beteiligung am Erbe erhalten hätte" (ZEV 2003, 358, 360).
Wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB
vorliegen, sieht das vorlegende Oberlandesgericht in den rechtlichen
Auswirkungen einer Erbschaftsannahme auf das Pflichtteilsrecht eine der
Hauptwirkungen des Rechtsgeschäfts, weil das Gesetz in § 2306 Abs. 1 Satz 2
BGB die Möglichkeit der Ausschlagung gerade zu dem Zweck eröffne, unbelastet
von Beschränkungen und Beschwerungen den Pflichtteil geltend machen zu
können. Dem hat Haas in einer Anmerkung zugestimmt und seine bisher
abweichende Ansicht aufgegeben (Haas/Jeske, ZEV 2006, 172).
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c) Auch der Senat schließt sich der Ansicht des vorlegenden
Oberlandesgerichts an. Man kann die unmittelbaren und wesentlichen
Rechtsfolgen schon einer ausdrücklich erklärten Annahme der Erbschaft nicht
generell darauf beschränken, dass der Erklärende die sich aus der
letztwilligen Verfügung ergebende Rechtsstellung des Erben einnehmen will.
Wenn der zugedachte Erbteil zwar größer als der Pflichtteil ist, dem Erben
aber Beschränkungen oder Beschwerungen auferlegt sind, gehört zu den
unmittelbaren und wesentlichen Wirkungen der Erklärung einer Annahme der
Erbschaft keineswegs nur, dass der Erbe die ihm zugedachte Rechtsstellung
einnimmt, sondern ebenso, dass er das von § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB eröffnete
Wahlrecht verliert, sich für den möglicherweise dem Werte nach günstigeren
Pflichtteilsanspruch zu entscheiden. Für die hier vorliegende Annahme durch
Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist kann nichts anderes gelten, gleich
ob die Ausschlagungsfrist bewusst oder unbewusst nicht genutzt worden ist.
Der Verlust des Pflichtteilsrechts als Rechtsfolge solchen Verhaltens prägt
dessen Charakter nicht weniger als das Einrücken in die Rechtsstellung des
Erben; beide Folgen sind zwei Seiten derselben Medaille.
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Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) war daher zurückzuweisen.
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