Erbeinsetzung nach Vermögensgruppen; Abgrenzung
von Erbeinsetzung und Vermächtnis; Voraussetzungen der ergänzenden
Testamentsauslegung bei unerwartetem Vermögenserwerb des Erblassers nach
Testamentserrichtung
BGH, Beschluss vom 12. Juli 2017 - IV
ZB 15/16 - OLG Düsseldorf
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
1. Zur ergänzenden Testamentsauslegung.
2. Wenn der Erblasser durch letztwillige Zuwendung einer Sachgesamtheit den
Nachlass erschöpfen und gleichzeitig einen Bedachten zum Alleinerben
einsetzen wollte, ist im Einzelfall zu prüfen, ob die durch Auslegung
ermittelte Erbeinsetzung nach dem Regelungsplan des Erblassers auch einen
nachfolgenden, unvorhergesehenen Vermögenserwerb erfassen sollte.
Zentrale Probleme:
Ein schöner Erbrechtsfall mit einigen
Klassikerproblemen, den der Senat nicht endgültig löst, sondern zur
Tatsachenfeststellung zurückverweist. Im Mittelpunkt steht eine
Erbeinsetzung nach Vermögensgruppen (s. dazu auch
BGH NJW 1997, 392 sowie BGH v. 22.3.2006 - IV ZR
93/05):
Wenn ein Erblasser einem Begünstigten einen Einzelgegenstand zuwendet, der
aber sein wesentliches Vermögen oder einen wesentlich Bruchteil davon
ausmacht, kann entgegen der Vermutung des § 2087 II BGB dennoch eine
Erbeinsetzung vorliegen. Soll diesen Gegenstand zunächst ein andere benutzen
dürfen, kann das mit einem Vermächtnis verbunden sein oder eine Vor- und
Nacherbschaft darstellen. Im vorliegenden Fall hatte die Erblasserin nach
Errichtung des Testaments, in welchem sie den zu diesem Zeitpunkt
wesentlichen Vermögensbestandteil eine Großnichte zugewendet hatte, noch
überraschend erhebliches Vermögen erworben. Hier geht es nun darum, ob das
Anlass zu einer ergänzenden Testamentsauslegung gibt. Ein wenig kompliziert,
aber voller Grundsatzfragen. Lesen!
©sl 2017
Gründe:
1 I. Die verwitwete Erblasserin verstarb am 11. Oktober 2015 mit letztem
Wohnsitz in X.. Sie hinterließ keine Kinder. Der Beteiligte
zu 2 war ihr letzter Lebensgefährte. Der Beteiligte zu 1
ist ihr Bruder, die Beteiligte zu 4 dessen Ehefrau.
Die Beteiligte zu 3 ist eine Großnichte des vorverstorbenen
Ehemannes und das Patenkind eines ebenfalls vorverstorbenen, früheren
Lebensgefährten der Erblasserin.
2 Unter dem 3. September 2007 errichtete die Erblasserin ein eigenhändiges
Testament folgenden Inhalts:
"Mein letzter Wille
Für den Fall meines Todes verfüge ich:
1) Haus- und Grundbesitz in X. , An d. H. S. 5a, incl. der gesamten
Einrichtung sollen ... [dem Beteiligten zu 2] bis an sein Lebensende zur
eigenen Nutzung zur Verfügung stehen. Er ist verpflichtet den gesamten
Besitz zu pflegen, ausreichend zu versichern und erforderliche Reparaturen
zu veranlassen.
2) Nach dem Ableben ... [des Beteiligten zu 2] geht das gesamte
Objekt an ... [die Beteiligte zu 3] über.
3) Eventuell noch vorhandenes Bar- oder Anlagevermögen sollen für meine
Beerdigung und die Grabpflege der Gruft und des Einzelgrabes meiner Mutter
eingesetzt werden.
4) Meinen Schmuck soll meine Schwägerin . [die Beteiligte zu 4] erhalten.
Hier hat jedoch ... [der Beteiligte zu 2] das Recht des Einbehaltes."
3 Am 4. Juni 2015 verstarb ein ehemaliger Kriegskamerad des Vaters der
Erblasserin, der sie zu seiner Alleinerbin bestimmt und ein
beträchtliches Vermögen hinterlassen hatte.
4 Der Beteiligte zu 1 [= Bruder der Erblasserin] ist der Auffassung, nach
dem Tode seiner Schwester sei gesetzliche Erbfolge eingetreten, während die
Beteiligte zu 3 meint, testamentarische Erbin geworden zu sein. Beide haben
die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der den jeweiligen Antragsteller
als Alleinerben der Erblasserin ausweist.
5 Das Nachlassgericht hat die zur Begründung des Antrags der Beteiligten zu
3 erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und den
Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht
hat diese Entscheidung dahin abgeändert, dass es auch den Antrag der
Beteiligten zu 3 zurückgewiesen hat. Hiergegen richten sich die vom
Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3 und die
Anschlussrechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1, mit denen beide Beteiligten
ihre Erbscheinsanträge weiterverfolgen.
6 II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung
des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens, soweit der
Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 3 zurückgewiesen worden ist, unter
Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht (§ 74 Abs. 6 Satz 2 Alt.
1 FamFG).
7 1. Das Beschwerdegericht hat in seiner Entscheidung (ZEV 2017, 143)
ausgeführt, die Beteiligte zu 3 sei nicht Alleinerbin nach der Erblasserin
geworden.
8 Zwar sei deren Testament ursprünglich in diesem Sinne auszulegen gewesen.
Die Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB, nach der die testamentarische
Zuwendung einzelner Gegenstände oder Gruppen von Gegenständen im Zweifel als
Vermächtnisanordnung anzusehen sei, greife nicht ein, wenn der Erblasser
praktisch sein gesamtes Vermögen unter den bedachten Personen aufteile. Es
stehe nicht im Streit, dass die Erblasserin über ihr gesamtes Vermögen zum
Zeitpunkt der Testamentserrichtung verfügt habe. Es sei auch nicht davon
auszugehen, dass die Erblasserin neben den im Testament angeordneten
Zuwendungen die gesetzliche Erbfolge habe eintreten lassen wollen. Nach dem
Wertverhältnis der zugewandten Gegenstände sei das Testament zunächst dahin
auszulegen gewesen, dass die Beteiligte zu 3 Alleinerbin geworden sei, weil
sie nach dem Willen der Erblasserin das Hausgrundstück sowie dessen
Einrichtung und damit den im Zeitpunkt der Testamentserrichtung weitaus
größten Teil ihres Vermögens erhalten sollte. Dass das Grundstück nach dem
Testamentswortlaut erst nach dem Tod des Beteiligten zu 2 auf die Beteiligte
zu 3 übergehen sollte, stehe dem nicht entgegen, da es dem Beteiligten zu 2
lediglich "zur eigenen Nutzung zur Verfügung stehen" solle, das Eigentum an
diesem aber die Beteiligte zu 3 unmittelbar habe erhalten sollen.
9 Allerdings gebe der Vermögenszuwachs der Erblasserin durch die Erbschaft
nach dem Kriegskameraden ihres Vaters Anlass zu einer ergänzenden
Testamentsauslegung, die dazu führe, lediglich von einer Teilerbeinsetzung
zugunsten der Beteiligten zu 3 auszugehen. Habe der Erblasser - wie hier -
im Testament durch Zuwendung bestimmter Vermögensgegenstände eine
Erbeinsetzung vorgenommen, stelle sich die Frage, ob sich daran durch einen
weiteren Vermögenserwerb etwas ändere. Im Falle nachträglicher Änderungen in
dem bei Testamentserrichtung vorhandenen Vermögensbestand komme die
ergänzende Auslegung zur Anwendung, wenn es für die Auslegung auf das
Wertverhältnis der zugewandten Gegenstände ankomme.
10 Eine solche Änderung sei hier eingetreten. Es sei davon auszugehen, dass
die der Erblasserin zugewandte Erbschaft eine nennenswerte Summe umfasse,
aufgrund derer das Hausgrundstück nun nicht mehr den weitaus größten
Vermögensgegenstand im Nachlass der Erblasserin darstelle. Habe der
Erblasser nach seiner Vorstellung im Zeitpunkt der Testamentserrichtung im
Wesentlichen über sein gesamtes Vermögen verfügt, sei zu prüfen, ob ein
späterer Vermögenserwerb dazu führe, im Wege ergänzender Auslegung anstelle
der durch Einzelzuwendung gewollten Erbeinsetzung lediglich eine
Teilerbeinsetzung anzunehmen. Im vorliegenden Fall sei dem Testament zu
entnehmen, dass die Erblasserin beabsichtigt habe, der Beteiligten zu 3
lediglich das Hausgrundstück zuzuwenden. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür
vor, dass sie der Beteiligten zu 3 eine Erbenstellung habe zukommen lassen
und den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge habe ausschließen wollen. Nachdem
die Erblasserin hinsichtlich des aus der Erbschaft erworbenen Vermögens
keine Verfügung getroffen habe, greife die gesetzliche Auslegungsregel des §
2088 Abs. 1 BGB ein, nach der hinsichtlich dieses Nachlassteils gesetzliche
Erbfolge eingetreten sei.
11 2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der
gegebenen Begründung durfte das Beschwerdegericht den Erbscheinsantrag der
Beteiligten zu 3 nicht zurückweisen.
12 Ob das Testament vom 3. September 2007 aufgrund des späteren
Vermögenserwerbs ergänzend dahingehend auszulegen ist, dass die Beteiligte
zu 3 als gewillkürte Miterbin anzusehen ist, kann im
Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt überprüft werden. Die Aufgabe
der (auch ergänzenden) Testamentsauslegung ist grundsätzlich dem Tatrichter
vorbehalten. Seine Auslegung kann aber mit der Rechtsbeschwerde angegriffen
werden, wenn sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und
Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt (vgl. Senatsurteil
vom 24. Februar 1993 - IV ZR 239/91, BGHZ 121, 357, 363 m.w.N.; st. Rspr.).
Danach ist eine ergänzende Testamentsauslegung auch dann rechtsfehlerhaft,
wenn ihr unzureichendeFeststellungen tatsächlicher Art zugrunde liegen oder
der Tatrichter anerkannte Auslegungsregeln nicht beachtet hat. Beides ist
hier der Fall. Auf der Grundlage der vom Beschwerdegericht getroffenen
tatsächlichen Feststellungen lässt sich nicht beurteilen, ob die
Voraussetzungen für eine ergänzende Auslegung im Streitfall vorliegen.
13 a) Hierzu ist zunächst erforderlich, dass die letztwillige
Verfügung der Erblasserin eine ungewollte Regelungslücke aufweist.
14 aa) Eine solche liegt vor, wenn ein bestimmter, tatsächlich
eingetretener Fall vom Erblasser nicht bedacht und deshalb nicht geregelt
wurde, aber geregelt worden wäre, wenn der Erblasser ihn bedacht hätte
(vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 1963 - V ZR 15/62, WM 1963, 999
unter II 4). Ein nach Testamentserrichtung eingetretenes Ereignis
kommt hierfür in Betracht, falls dessen Kenntnis für die Entschließung des
späteren Erblassers bedeutsam gewesen wäre (RGRK/Johannsen, 12.
Aufl. § 2084 Rn. 20; vgl. auch Senatsurteil vom 21. Juni 1954 - IV ZR 221/53
unter B II 3 [S. 22 f.]; Staudinger/Otte (2013), Vorb. zu §§ 2064-2086 BGB
Rn. 77). Das kann auch ein unerwarteter Vermögenserwerb des
Erblassers sein (vgl. BayObLG FamRZ 1989, 1348 f.; KG NJW 1971,
1992; OLG München FamRZ 2011, 1817, 1820; MünchKomm-BGB/Schlichting, 5.
Aufl. § 2087 Rn. 12; Staudinger/Otte aaO Rn. 90).
15 Ob danach von einer planwidrigen Unvollständigkeit der Verfügung
von Todes wegen auszugehen ist, kann nicht schematisch anhand des Wortlauts
der letztwilligen Verfügung festgestellt werden. Vielmehr ist eine wertende
Gesamtbetrachtung aller Umstände bei Testamentserrichtung vorzunehmen
(MünchKomm-BGB/Leipold, 7. Aufl. § 2084 BGB Rn. 84; Soergel/Loritz, 13.
Aufl. § 2084 BGB Rn. 38).
16 bb) Legt man die - von der Rechtsbeschwerde als für sie günstig
hingenommene - Annahme des Beschwerdegerichts zugrunde, die testamentarische
Zuwendung des Hausgrundstücks sei als unbedingte Einsetzung der Beteiligten
zu 3 als Alleinerbin anzusehen, fehlt es bisher an tragfähigen
Feststellungen zu einer ungewollten Regelungslücke.
17 Allein der Umstand, dass die Erblasserin durch Zuwendung einzelner
Gegenstände über ihr gesamtes Vermögen zum Zeitpunkt der
Testamentserrichtung verfügte, dabei aber keine gesonderte Anordnung
hinsichtlich der späteren Erbschaft nach dem Kriegskameraden ihres Vaters
traf, macht ihr Testament nicht ohne weiteres lückenhaft, weil
insoweit nicht isoliert auf den Verfügungstext abgestellt werden kann.
Vielmehr ist dann, wenn der Erblasser durch Zuwendung einer Sachgesamtheit
den Nachlass erschöpfen und gleichzeitig einen Bedachten zum Alleinerben
einsetzen wollte, im Einzelfall zu prüfen, ob die durch Auslegung ermittelte
Erbeinsetzung nach dem Regelungsplan des Erblassers auch einen
nachfolgenden, unvorhergesehenen Vermögenserwerb erfassen sollte
(vgl. Soergel/Loritz aaO § 2087 BGB Rn. 19).
18 Diese Prüfung ist - entgegen der Meinung des Beschwerdegerichts -
von der Frage zu trennen, ob sich durch den späteren Vermögenszufluss an der
Erbeinsetzung, die in der Zuwendung von Vermögensstücken zu erblicken ist,
selbst etwas ändert. Dies hat der Senat in seinem vom
Beschwerdegericht zitierten Urteil vom 22. März 1972 (IV ZR 134/70)
abgelehnt und ausgeführt, für die - nicht ergänzende - Auslegung sei
nur der bei Testamentserrichtung vorhanden gewesene Wille des Erblassers
maßgebend (FamRZ 1972, 561 unter 3; bestätigt durch Senatsurteil
vom 16. Oktober 1996 - IV ZR 349/95, NJW 1997, 392 unter 2 b; a.A. Otte, ZEV
2017, 146). Ein solcher ist aber nicht gleichbedeutend mit dem
Gesamtplan des Erblassers, der diesem Willen zugrunde liegt und für die
Ermittlung einer Regelungslücke bestimmend ist.
19 Insofern geht das Beschwerdegericht fehl, wenn es annimmt, dass
die ergänzende Testamentsauslegung im Falle nachträglicher Änderungen in dem
bei Testamentserrichtung vorhandenen Vermögensbestand eröffnet sei, falls es
für die Testamentsauslegung auf das Wertverhältnis der zugewandten
Gegenstände ankomme. Vielmehr ist auch in solchen Konstellationen im
jeweiligen Einzelfall zunächst zu klären, ob sich die kraft Auslegung
ermittelten letztwilligen Verfügungen des Erblassers angesichts der damit
verfolgten Ziele als lückenhaft erweisen (vgl. MünchKomm-BGB/Leipold,
7. Aufl. § 2084 BGB Rn. 84; Kanzleiter, MittBayNot 2011, 508, 509).
20 cc) Ob sich im Streitfall eine ungewollte Regelungslücke ergibt, hat das
Beschwerdegericht nicht festgestellt. Der Senat kann dies nicht selbst
entscheiden, weil sich aus den tatsächlichen Feststellungen der
angefochtenen Entscheidung nicht entnehmen lässt, welchen Regelungsplan die
Erblasserin mit ihrem Testament verfolgte.
21 Zwar führt das Beschwerdegericht aus, die Erblasserin habe der
Beteiligten zu 3 ausschließlich ihr Hausgrundstück zuwenden wollen,
was für das Vorliegen einer Regelungslücke spräche (vgl. Soergel/Loritz
aaO § 2084 BGB Rn. 43). Diese Feststellung steht aber - wie die
Rechtsbeschwerde zutreffend rügt - in Widerspruch zur Annahme, dass
"ursprünglich" von der Einsetzung der Beteiligten zu 3 zur Alleinerbin
auszugehen gewesen sei.
22 Entsprechendes gilt für die Aussage des Beschwerdegerichts, es fehle an
Anhaltspunkten dafür, dass die Erblasserin der Beteiligten zu 3 eine
Erbenstellung habe zukommen lassen wollen; das ist nicht mit den
Ausführungen im angefochtenen Beschluss in Einklang zu bringen, dass die
Beteiligte zu 3 nach dem Willen der Erblasserin das Eigentum an dem
Hausgrundstück als Erbin unmittelbar habe erhalten sollen.
23 b) Auch wenn man mit dem Beschwerdegericht eine entsprechende
Regelungslücke unterstellt, steht nicht fest, ob im Streitfall eine
ergänzende Testamentsauslegung eröffnet wäre, weil dies - wie die
Rechtsbeschwerde zu Recht hervorhebt - weiter voraussetzt, dass ein
hypothetischer Wille der Erblasserin ermittelt werden kann, anhand dessen
die vorhandene Lücke geschlossen werden könnte.
24 aa) Dabei handelt es sich nicht um den mutmaßlichen wirklichen
Willen der Erblasserin, sondern den Willen, den sie vermutlich gehabt hätte,
wenn sie die planwidrige Unvollkommenheit der letztwilligen Verfügung im
Zeitpunkt ihrer Errichtung erkannt hätte (vgl. RGZ 142, 171, 175;
KG NJW 1971, 1992; Avenarius in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB 11. Aufl. §
2084 Rn. 15; RGRK/Johannsen, 12. Aufl. § 2084 BGB Rn. 21; Muscheler,
Erbrecht I Rn. 1863; Bartz, NJW 1972, 1174, 1175). Insoweit darf -
wie das Beschwerdegericht zu Recht erkannt hat - ein den Verhältnissen
entsprechender Erblasserwille nur unterstellt werden, wenn er auf eine
bestimmte, durch Auslegung der letztwilligen Verfügung erkennbare
Willensrichtung des Erblassers zurückgeführt werden kann
(Senatsurteil vom 15. Dezember 1956 - IV ZR 238/56, BGHZ 22, 357, 360; RGZ
142, 171, 175). Lässt sich ein solcher Wille nicht feststellen, so
muss es trotz vorhandener Regelungslücke bei dem bisherigen
Auslegungsergebnis verbleiben (vgl. OLG Hamm FamRZ 1997, 121, 123;
MünchKomm-BGB/Leipold, 7. Aufl. § 2084 Rn. 93; Hammann, ErbR 2014, 420, 424;
wohl a.A. Otte, ZEV 2017, 146, 147).
25 bb) Auch einen entsprechenden hypothetischen Willen hat das
Beschwerdegericht nicht festgestellt. Vielmehr hat es ausschließlich auf den
von ihm angenommenen tatsächlichen Willen der Erblasserin abgestellt, nach
dem die Beteiligte zu 3 nur das Hausgrundstück habe erhalten sollen. Im
Übrigen hat es sich darauf beschränkt, das Fehlen von Anhaltspunkten
festzustellen, die für eine Erbenstellung der Beteiligten zu 3 und gegen
einen letztwilligen Ausschluss der gesetzlichen Erbfolge sprächen. Von
diesem Ansatzpunkt aus konsequent hat es schließlich auf die gesetzliche
Auslegungsregel des § 2088 Abs. 1 BGB abgestellt, die indes die Ermittlung
des maßgeblichen hypothetischen Erblasserwillens nicht ersetzen kann.
26 cc) Die fehlende Feststellung kann der Senat nicht nachholen. Sollte dem
Beschwerdegericht eine solche auch nach Zurückverweisung nicht möglich sein,
bliebe es bei der Erbeinsetzung, wie sie sich nach Auslegung des Testaments
vom 3. September 2007 ergibt.
27 3. Die Zurückweisung des Erbscheinsantrags der Beteiligten zu 3 erweist
sich auch nicht aus einem anderen Grund im Ergebnis als richtig.
Zwar bestehen rechtliche Zweifel an der Annahme des Beschwerdegerichts, dass
die Erblasserin die Beteiligte zu 3 ursprünglich zu ihrer unbeschränkten
Alleinerbin eingesetzt habe (hierzu a und b). Der Senat kann aber
anhand der getroffenen Feststellungen eine entsprechende gewillkürte
Erbfolge auch nicht ausschließen (hierzu c).
28 a) Dabei ist es - anders als die Rechtsbeschwerdeerwiderung meint -
im Ausgangspunkt aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das
Beschwerdegericht die Zuwendung des Hausgrundstücks im Sinne einer
Erbeinsetzung zugunsten der Beteiligten zu 3 gewertet hat.
29 Rechtsfehlerfrei hat es seiner Beurteilung zugrunde gelegt, dass
im Falle testamentarischer Zuwendung einzelner Gegenstände die
Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB dann nicht Platz greift, wenn durch
Auslegung die Zweifel überwunden sind, die zur gegenteiligen Auslegung als
Vermächtnis durchgreifen müssten (Senatsurteil vom 22. März 1972 -
IV ZR 134/70, FamRZ 1972, 561 unter 3 m.w.N.). Eine Erbeinsetzung
kann trotz Zuwendung nur einzelner Gegenstände anzunehmen sein, wenn der
Erblasser sein Vermögen vollständig den einzelnen Vermögensgegenständen nach
verteilt hat, wenn er dem Bedachten die Gegenstände zugewendet hat, die nach
seiner Vorstellung das Hauptvermögen bilden, oder nur Vermächtnisnehmer
vorhanden wären und nicht anzunehmen ist, dass der Erblasser überhaupt keine
Erben berufen und seine Verwandten oder seinen Ehegatten als gesetzliche
Erben ausschließen wollte (Senatsurteil vom 19. Januar 2000 - IV ZR
157/98, ZEV 2000, 195 unter I 2 b aa m.w.N.). Ebenso begegnet es
keinen rechtlichen Bedenken, die Zuwendung des wertmäßigen
Hauptnachlassgegenstands, etwa eines Hausgrundstücks, als Erbeinsetzung des
Bedachten anzusehen, wenn der Nachlass dadurch im Wesentlichen erschöpft
wird oder der objektive Wert das übrige Vermögen an Wert so erheblich
übertrifft, dass der Erblasser ihn als seinen wesentlichen Nachlass
angesehen hat (BayObLG FamRZ 2006, 147, 148; BayObLGR 2005, 34; OLG
Naumburg OLGR 2007, 355 f.; RGRK/Johannsen aaO § 2087 Rn. 8).
30 Dass diese Voraussetzungen für die Zuwendung des Hausgrundstücks durch
die Erblasserin an die Beteiligte zu 3 vorliegen, stellt auch die
Rechtsbeschwerdeerwiderung nicht in Abrede. Sie meint jedoch, dass damit
lediglich besonderer Anlass zu der - vom Beschwerdegericht unterlassenen -
Prüfung bestanden habe, ob entgegen § 2087 Abs. 2 BGB eine Erbeinsetzung
vorliege (so auch: Staudinger/Otte (2013), § 2087 BGB Rn. 19). Das trifft
indes nicht zu. Vielmehr bildet das Vorliegen einer Erbeinsetzung in solchen
Fällen die Regel, weil ansonsten im Falle des Fehlens weiterer Indizien die
gesetzliche Zweifelsregelung eingriffe und zu dem vom Erblasser mutmaßlich
nicht gewollten Ergebnis führte, dass es an einer Berufung von Erben durch
letztwillige Verfügung überhaupt mangelt (vgl. Senatsurteil vom 19. Januar
1972 - IV ZR 1208/68, DNotZ 1972, 500; BayObLGR aaO; OLG Naumburg aaO;
MünchKomm-BGB/Rudy, 7. Aufl. § 2087 BGB Rn. 9).
31 b) Das Beschwerdegericht hat aber rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob im
Streitfall ausnahmsweise eine von den vorstehenden Grundsätzen abweichende
Testamentsauslegung geboten ist.
32 Wie die Rechtsbeschwerdeerwiderung zutreffend hervorhebt, kommt es bei
der Entscheidung, ob eine Person als Erbe eingesetzt ist, wesentlich darauf
an, wer nach dem Willen des Erblassers den Nachlass regeln und die
Nachlassschulden, zu denen auch die Bestattungskosten zählen, zu tilgen hat
und ob der Bedachte unmittelbare Rechte am Nachlass oder nur Ansprüche gegen
andere Bedachte erwerben soll (BayObLG FamRZ 1986, 604, 605; FamRZ
1986, 835, 837; Münch-Komm-BGB/Rudy aaO Rn. 8; Soergel/Loritz aaO § 2087 BGB
Rn. 4).
33 Dabei kommt der im Rahmen der ergänzenden Testamentsauslegung geäußerten
Annahme des Beschwerdegerichts, die Erblasserin habe der Beteiligten zu 3
allein das Hausgrundstück zuwenden wollen, entgegen der Ansicht der
Rechtsbeschwerdeerwiderung keine Bedeutung zu; angesichts der oben
dargelegten Widersprüchlichkeit (vgl. hierzu oben unter II 2 a cc) bietet
diese Annahme keine tragfähige Auslegungsgrundlage.
34 Das Beschwerdegericht hat aber im Rahmen seiner Auslegung dem Umstand nur
unzureichend Beachtung geschenkt, dass der fragliche Grundbesitz zunächst
dem Beteiligten zu 2 bis an sein Lebensende zur Verfügung stehen und dann
erst auf die Beteiligte zu 3 übergehen sollte. Die insofern
vorgenommene Auslegung als Vermächtnis eines Wohnrechts zugunsten des
Beteiligten zu 2 ist zwar denkbar. Dabei hat das Beschwerdegericht aber
rechtsfehlerhaft (vgl. hierzu Senatsurteil vom 24. Februar 1993 -
IV ZR 239/91, BGHZ 121, 357, 363) die ebenfalls in Betracht kommende
Auslegungsmöglichkeit nicht in Erwägung gezogen, dass der Beteiligte zu 2
als Vorerbe und die Beteiligte zu 3 als Nacherbin im Sinne des § 2100 BGB
bedacht sein könnten.
35 c) Der Senat kann über die Auslegung des Testaments insoweit nicht selbst
entscheiden, weil auch hierfür die tatsächlichen Feststellungen nicht
ausreichen.
36 So ist nicht geklärt, wer nach dem Willen der Erblasserin den Nachlass
regeln und die Nachlassverbindlichkeiten tragen sollte. Insbesondere wäre
insofern von Belang, wer aus ihrer Sicht die Grabpflegeauflage nach Ziff. 3
des Testaments erfüllen sollte; dies wird entgegen der Meinung des
Beschwerdegerichts nicht teilweise dadurch beantwortet, dass die Beteiligte
zu 3 im Verfügungstext insoweit nicht als Beschwerte benannt wurde.
37 Dass entsprechende Feststellungen nicht getroffen werden können, steht
nicht fest, nachdem der Beteiligte zu 2, der laut seiner schriftlichen
Stellungnahme vom 7. Dezember 2015 die letzten 15 Lebensjahre der
Erblasserin mit dieser zusammengelebt hatte, zu entsprechenden Äußerungen
seiner Lebensgefährtin, die unter Umständen Rückschlüsse auf ihren Willen
bei Testamentserrichtung erlauben könnten, bislang nicht befragt worden ist.
38 III. Die Anschlussrechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das
Beschwerdegericht hat die gegen die Zurückweisung seines Erbscheinsantrags
gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1 zu Recht zurückgewiesen. Die
Annahme, dass er nicht Alleinerbe geworden sei, ist aus Rechtsgründen nicht
zu beanstanden.
39 1. Die Auslegung, dass zumindest einer der im Testament genannten
Bedachten gewillkürter Erbe werden sollte, ist frei von Rechtsfehlern.
Die Begründung der Anschlussrechtsbeschwerde deckt keine
entsprechenden Mängel auf, sondern versucht lediglich die Auslegung des
Beschwerdegerichts durch die eigene des Beteiligten zu 1 zu ersetzen. Vom
Beschwerdegericht nicht beachtete Anhaltspunkte, die dafür sprächen, dass
die Erblasserin trotz vollständiger Verteilung ihres im Zeitpunkt der
Testamentserrichtung vorhandenen Nachlasses überhaupt keinen Erben berufen
wollte, zeigt die Anschlussrechtsbeschwerde nicht auf; sie sind auch
anderweitig nicht erkennbar.
40 2. Nichts anderes folgt aus den Grundsätzen der ergänzenden
Testamentsauslegung. Zwar ist nicht auszuschließen, dass das
Beschwerdegericht nach Zurückverweisung der Sache zu einer abweichenden
Erbfolge gelangt. Dies kann aber nicht dazu führen, dass die
ursprüngliche Einsetzung des oder der durch die Erblasserin gewillkürten
Erben gänzlich entfiele. Denn die Berufung zum Erben setzt nicht
notwendig voraus, dass ihm ein mehr oder weniger großer oder sogar der
größte Teil des Nachlasses verbleibt (Senatsurteil vom 7. Juli 2004 - IV ZR
135/03, ZEV 2004, 374 unter II 2).
|