IPR: Konkludente Wahl des Erbstatuts gem. Art. 22
II EuErbVO, Anforderungen an den Rechtswahlwillen, unionsautonome Bestimmung
BGH, Beschluss vom 24. Februar 2021 - IV ZB 33/20 - OLG
München
Fundstelle:
NJW 2021, 1159
Amtl. Leitsatz:
Die Frage, ob der Erblasser eine konkludente
Rechtswahl im Sinne von Art. 22 Abs. 2 EuErbVO getroffen hat, ist
unionsautonom und nicht unter Rückgriff auf das hypothetisch gewählte Recht
zu beurteilen (hier: Wahl des deutschen Rechts für die Bindungswirkung in
einem zwischen einer deutschen Erblasserin und ihrem österreichischen
Ehemann geschlossenen Erbvertrag im Sinne von Art. 3 Abs. 1 b) EuErbVO).
Zentrale Probleme:
Im Mittelpunkt der Entscheidung geht es - neben
schwierigen Fragen der intertemporalen Anwendung der EuErbVO - um die Frage,
welche Anforderungen an eine konkludente Rechtswahl nach Art. 22 Abs. 2
EuErbVO zu stellen sind. Der Senat stellt zutreffend fest, dass diese Frage
autonom nach der EuErbVO, also unionsrechtlich auszulegen ist und daher ein
gesondertes Rechtswahlbewusstsein seitens des Erblassers nicht erforderlich
ist. Dem steht nicht entgegen, dass gem. Art. 22 Abs. 3 EuErbVO die
materielle Wirksamkeit der Rechtswahl dem gewählten Recht untersteht. Dabei
geht es um Fragen wie z.B. die Testierfähigkeit und der materiellen
Wirksamkeit eines Testaments, nicht aber um die Anforderungen an die
Rechtswahl also solche.
©sl 2021
Gründe:
1 I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die
Beteiligten zu 1 und 2 oder die Beteiligten zu 3 bis 6 Miterben der
am 22. Mai 2017 verstorbenen deutschen Staatsangehörigen Dr. Hannelore B.
(im Folgenden: Erblasserin) geworden sind. Die Erblasserin sowie ihr
am 19. Juni 2003 vorverstorbener Ehemann, österreichischer
Staatsangehöriger, hatten ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt seit 1995 in
Bad Reichenhall. Am 25. März 1996 errichteten sie in zwei
getrennten, aber im Wesentlichen wortgleichen eigenhändig ge- und
unterschriebenen Urkunden zwei mit "Gemeinschaftliches Testament"
überschriebene Schriftstücke folgenden Wortlauts:
"Ich, Frau
Dr. H.B. ... bin deutsche Staatsangehörige und habe keine Kinder. Ich,
Herr Prof. E.G. . bin österreichischer Staatsangehöriger und habe als
einzigen Abkömmling meine am ... geborene Tochter ..., die ihrerseits
verheiratet und österreichische Staatsangehörige ist. Wir sind
miteinander seit 30.V.95 verheiratet .
I.
Wir setzen uns
gegenseitig zu Alleinerben ein.
II.
Nach dem Tod des Zweiten
von uns sollen gemeinsame Schlusserben a) Frau G.G. . b) Herr U.G. .
c) Frau B.G. . d) Frau S.H. . (Beteiligte zu 3 bis 6) zu gleichen
Teilen sein.
III.
Die hier getroffene Verfügung von Todes
wegen (Erbeinsetzung, Schlusserbeneinsetzung u. Vermächtnisanordnung) sind
wechselseitig verbindlich. Sie können zu unserer beider Lebzeiten nur
gemeinschaftlich aufgehoben werden. Nach dem Tod eines von uns beiden ist
der überlebende Ehegatte nicht mehr berechtigt, die Erbeinsetzungen
und Vermächtnisanordnung abzuändern.
II
2 Die am 10. Oktober
2017 nachverstorbene Beteiligte zu 4 ist die Schwester der Erblasserin, die
Beteiligten zu 3, 5 und 6 sind die Kinder der Beteiligten zu 4. Mit
Testament vom 7. November 2013 verfügte die Erblasserin, dass sie ihr "Haus
und Inventar" sowie ihr "Barvermögen" den Beteiligten zu 1 und 2 vererbe.
Bereits mit einem auf den 1. November 2011 datierten Testament hatte sie
angeordnet, dass die Beteiligte zu 1 nach ihrem Ableben 30.000 € und diverse
Möbelstücke erhalten solle. In einem weiteren eigenhändig ge- und
unterschriebenen Schreiben der Erblasserin vom 4. Dezember 2013 heißt es
unter anderem:
"Sollte meine Schwester oder mein Neffe sowie Nichten
von meinen Konten Geld abgehoben haben, müssen sie diese an den Erben
zurückbezahlt werden. Ich hatte ihnen nie erlaubt Geld abzuheben. Dieses
Geld gehört zur Erbmasse..."
3 Die Beteiligten zu 1 und 2 haben nach
dem Tod der Erblasserin die Erteilung eines Erbscheins des Inhalts
beantragt, dass sie Erben zu je 1/2 geworden sind. Das Nachlassgericht hat
diesen Antrag mit Beschluss vom 19. April 2018 zurückgewiesen, da
sich die Erbfolge nach dem am 25. März 1996 errichteten gemeinschaftlichen
Testament richte. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde
zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Oberlandesgericht zugelassene
Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 und 2, mit der sie ihren
Erbscheinsantrag weiterverfolgen.
4 II. Die statthafte und auch im
Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
5
1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung unter anderem in ZEV 2021, 28
(m. Anm. von Bary a.a.O. 38) veröffentlicht ist, hat ausgeführt, die
Erbfolge nach der Erblasserin richte sich nach dem
wirksamen gemeinschaftlichen Testament vom 25. März 1996, dessen
Bindungswirkung den späteren Verfügungen der Erblasserin entgegenstehe.
Die Zulässigkeit des gemeinschaftlichen Testaments, das
unionsrechtlich einen Erbvertrag darstelle, richte sich nach dem durch Art.
83 Abs. 3, 1. Alt. i.V.m. Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die
Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von
Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden
in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (im
Folgenden: EuErbVO) berufenen deutschen Recht als Recht des Staates, in dem
die Erblasserin sowie ihr Ehemann ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt
hätten. Das gemeinschaftliche Testament sei ferner
gemäß Art. 25 Abs. 2 i.V.m. Art. 83 Abs. 3 Alt. 1 EuErbVO formell und
materiell wirksam. Auch insoweit sei jeweils auf deutsches Recht
abzustellen. Schließlich entfalte das gemeinschaftliche Testament
vom 25. März 1996 Bindungswirkung, die den späteren Verfügungen der
Erblasserin entgegenstehe. Auf die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen
Testaments finde deutsches Recht Anwendung. Dies ergebe sich aus einer
entsprechenden konkludenten Rechtswahl. Nach Art. 25 Abs. 3 EuErbVO
könnten die Parteien eines Erbvertrages im unionsrechtlichen Sinne auch für
die Bindungswirkung ihres Erbvertrages einschließlich der
Voraussetzungen für seine Auflösung das Recht wählen, das die Person oder
eine der Personen, deren Nachlass betroffen sei, gemäß Art. 22 EuErbVO unter
den darin genannten Bedingungen hätte wählen können. Das Testament
enthalte zwar keine ausdrückliche Wahl deutschen Rechts. Art. 83 Abs. 2
EuErbVO erfasse jedoch auch eine konkludente Wahl deutschen Rechts.
Das Vorliegen einer konkludenten Rechtswahl nach der EuErbVO sei
unionsautonom und nicht unter Rückgriff auf das hypothetische
Rechtswahlstatut zu entscheiden. Auf dieser Grundlage hätten die Erblasserin
und ihr verstorbener Ehemann für die Bindungswirkung übereinstimmend
konkludent deutsches Recht gewählt, was sich insbesondere aus der
verwendeten Terminologie sowie dem Zusammenspiel der Ziffern I bis III des
Testaments ergebe.
6 Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde
zur Klärung der Frage zugelassen, ob das Vorliegen einer
konkludenten Rechtswahl nach der EuErbVO unionsautonom oder unter Rückgriff
auf das hypothetische Rechtswahlstatut zu entscheiden sei. Diese
Frage sei entscheidungserheblich, da nach deutschem Recht hier nicht von
einer konkludenten Wahl deutschen Rechts auszugehen sei. Es
bestünden nicht genügend Anhaltspunkte, um bei den an dem gemeinschaftlichen
Testament Beteiligten ein nach deutschem Recht für eine konkludente
Rechtswahl erforderliches Erklärungsbewusstsein annehmen zu können.
7 2. Das hält der rechtlichen Überprüfung stand.
8 Das
Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass den Beteiligten zu 1 und 2
kein Anspruch auf Erteilung eines Erbscheins zusteht, der ihre Erbfolge zu
je 1/2 ausweist. Die Erbfolge der Erblasserin richtet sich vielmehr
nach dem wirksamen gemeinschaftlichen Testament vom 25. März 1996, dessen
Bindungswirkung gemäß §§ 2270 Abs. 2, 2271 Abs. 2 BGB den späteren
Verfügungen der Erblasserin zugunsten der Beteiligten zu 1 und 2
entgegensteht.
9 a) Das Beschwerdegericht hat zunächst
rechtsfehlerfrei entschieden, dass das zwischen der Erblasserin und
ihrem Ehemann am 25. März 1996 errichtete gemeinschaftliche Testament einen
Erbvertrag im Sinne von Art. 3 Abs. 1 b) EuErbVO darstellt. Die
EuErbVO ist anwendbar, da es sich um einen Nachlass mit
grenzüberschreitendem Bezug handelt, der sich hier aus der österreichischen
Staatsangehörigkeit des Ehemannes der deutschen Erblasserin ergibt (zum
grenzüberschreitenden Bezug vgl. etwa EuGH, Urteil vom 16. Juli 2020,
C-80/19, EU:C:2020:569, ZEV 2020, 628 Rn. 42-44, 39;
MünchKomm-BGB/Dutta, 8. Aufl. Art 1 EuErbVO Rn. 61).
10 Gemäß
Art. 3 Abs. 1 b) EuErbVO ist ein Erbvertrag eine Vereinbarung,
einschließlich einer Vereinbarung aufgrund gegenseitiger Testamente, die mit
oder ohne Gegenleistung Rechte am künftigen Nachlass oder künftigen
Nachlässen einer oder mehrerer an dieser Vereinbarung beteiligter Personen
begründet, ändert oder entzieht. Hierunter fällt auch das gemeinschaftliche
Testament nach deutschem Recht, das wechselbezügliche Verfügungen im Sinne
von § 2270 BGB enthält (vgl. Münch-Komm-BGB/Dutta, 8. Aufl. Art. 3
EuErbVO Rn. 11). Demgegenüber liegt hier kein gemeinschaftliches
Testament nach Art. 3 Abs. 1 c) EuErbVO vor, da es an der nach dieser
Regelung erforderlichen Errichtung der letztwilligen Verfügung in einer
einzigen Urkunde fehlt.
11 Da die Erblasserin am 22.
Mai 2017 verstorben ist, findet gemäß Art. 83 Abs. 1 EuErbVO diese
Verordnung auf ihre Rechtsnachfolge Anwendung. Die Übergangsvorschrift des
Art. 83 Abs. 3 EuErbVO bestimmt, dass eine - wie hier - vor dem 17. August
2015 errichtete Verfügung von Todes wegen zulässig sowie materiell und
formell wirksam ist, wenn sie die Voraussetzungen des Kapitels III erfüllt
oder wenn sie nach den zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung geltenden
Vorschriften des Internationalen Privatrechts in dem Staat, in dem der
Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, oder in einem Staat, dessen
Staatsangehörigkeit er besaß, oder in dem Mitgliedstaat, dessen Behörde mit
der Erbsache befasst ist, zulässig sowie materiell und formell wirksam ist.
Auf dieser Grundlage hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei und von
der Rechtsbeschwerde zu Recht nicht angegriffen entschieden, dass das
gemeinschaftliche Testament der Eheleute vom 25. März 1996 zulässig (Art.
83 Abs. 3 Alt. 1 EuErbVO i.V.m. Art. 25 Abs. 2 Unterabs. 1 EuErbVO) sowie
formell (Art. 83 Abs. 3 Alt. 1 i.V.m. Art. 27 EuErbVO) und materiell wirksam
ist (Art. 83 Abs. 3 Alt. 1 i.V.m. Art. 25 Abs. 2 Unterabs. 2 EuErbVO).
12 b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das
Beschwerdegericht ferner rechtsfehlerfrei entschieden, dass auf die
Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments vom 25. März
1996 deutsches Recht Anwendung findet. Zutreffend ist es zunächst
davon ausgegangen, dass die Frage, ob auf die Bindungswirkung deutsches
oder österreichisches Recht Anwendung findet, hier nicht offenbleiben kann,
da bindende Verfügungen von Todes wegen nach den revisionsrechtlich nicht zu
beanstandenden Feststellungen des Beschwerdegerichts nach österreichischem
Erbrecht allein in Erbverträgen möglich sind, die besonderer notarieller
Form bedürfen, welche hier nicht gewahrt ist.
13 Nach Art. 25
Abs. 3 EuErbVO können die Parteien für die Zulässigkeit, die materielle
Wirksamkeit und die Bindungswirkung ihres Erbvertrages einschließlich der
Voraussetzungen für seine Auflösung das Recht wählen, das die Person oder
eine der Personen, deren Nachlass betroffen ist, nach Art. 22 EuErbVO unter
den darin genannten Bedingungen hätte wählen können. Die Vorschrift des Art.
25 Abs. 3 EuErbVO findet hier über Art. 83 Abs. 2 EuErbVO Anwendung.
Hatte hiernach der Erblasser das auf seine Rechtsnachfolge von
Todes wegen anzuwendende Recht vor dem 17. August 2015 gewählt, so ist diese
Rechtswahl wirksam, wenn sie die Voraussetzungen des Kapitels III erfüllt
oder wenn sie nach den zum Zeitpunkt der Rechtswahl geltenden Vorschriften
des Internationalen Privatrechts in dem Staat, in dem der Erblasser seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hatte, oder in einem Staat, dessen
Staatsangehörigkeit er besaß, wirksam ist. Die Übergangsvorschrift des Art.
83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO erfasst nach der Rechtsprechung des Senats auch
Erbverträge und gestattet eine entsprechende Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO
(Senatsbeschluss vom 10. Juli 2019 - IV ZB 22/18, BGHZ 222, 365 Rn. 12 f.).
14 aa) Gemäß Art. 22 Abs. 2 EuErbVO muss die Rechtswahl
ausdrücklich in einer Erklärung in Form einer Verfügung von Todes wegen
erfolgen oder sich aus den Bestimmungen einer solchen Verfügung ergeben.
Eine ausdrückliche Rechtswahl haben die Erblasserin und ihr Ehemann noch den
aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Feststellungen des
Beschwerdegerichts in dem gemeinschaftlichen Testament vom 25. März 1996
nicht getroffen.
15 Das Beschwerdegericht hat jedoch
rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Erblasserin und ihr Ehemann
konkludent deutsches Recht für die Frage der Bindungswirkung gewählt haben.
Die Frage, ob das Vorliegen einer konkludenten Rechtswahl
unionsautonom oder unter Rückgriff auf das hypothetische Rechtswahlstatut -
hier auf das deutsche Recht - zu entscheiden ist, ist nach der Lösung des
Beschwerdegerichts entscheidungserheblich, da dieses angenommen hat, dass
nach deutschem Recht von einer konkludenten Wahl deutschen Rechts nicht
auszugehen sei, weil nicht genügend Anhaltspunkte bestünden, um bei
den an dem gemeinschaftlichen Testament Beteiligten ein nach deutschem Recht
für eine konkludente Rechtswahl erforderliches Erklärungsbewusstsein
anzunehmen (vgl. hierzu BeckOK-BGB/Lorenz, Art. 25 EGBGB Rn. 21
(Stand: 1. November 2020); Burandt/Schmuck in Burandt/Rojahn, EuErbVO Art.
22 Rn. 6; jurisPK-BGB/Sonnentag, 9. Aufl., Art. 22 EuErbVO Rn. 20
f.; Staudinger/Dörner, EGBGB (2007) Art. 25 Rn. 535). Demgegenüber
ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, auf der Grundlage einer
unionsautonomen Auslegung des Begriffs der konkludenten Rechtswahl hätten
die Erblasserin und ihr verstorbener Ehemann hier im Testament vom 25. März
1996 für die Bindungswirkung übereinstimmend deutsches Recht gewählt.
16 Die Frage, worauf bei der Rechtswahl für die
Bindungswirkung abzustellen ist, ist streitig. Teilweise
wird vertreten, insoweit sei auf das hypothetisch gewählte Recht abzustellen
(so etwa Köhler in Gierl/Köhler/ Kroiß/Wilsch, Internationales
Erbrecht 3. Aufl., Teil 1 EuErbVO § 4 Rn. 30; ders. in Kroiß/Horn/Solomon,
Nachfolgerecht 2. Aufl., Teil 3 Internationales Erbrecht EuErbVO Art. 22 Rn.
10; Burandt/Schmuck in Burandt/Ro-jahn, Erbrecht 3. Aufl. Art. 22 EuErbVO
Rn. 6; jurisPK-BGB/Sonnentag, 9. Aufl. Art. 22 EuErbVO Rn. 20; Leitzen, ZEV
2013, 128, 129; Pfeiffer, IPrax 2016, 310, 313; wohl auch Dörner, ZEV 2012,
505, 511; Schaub, Die EU-Erbrechtsverordnung in Hereditare - Jahrbuch für
Erbrecht und Schenkungsrecht 2013, S. 91, 115).
17 Die
überwiegende Auffassung nimmt demgegenüber - wie auch das Beschwerdegericht
- an, dass die Frage, ob eine konkludente Rechtswahl vorliegt, unionsautonom
zu bestimmen ist (MünchKomm-BGB/Dutta, 8. Aufl. Art. 22 EuErbVO Rn.
14; NK-BGB/Looschelders, 3. Aufl. Art. 22 EuErbVO Rn. 28; Erman/Stürner, BGB
16. Aufl. Art. 22 EuErbVO Rn. 12; Palandt/Thorn, BGB 80. Aufl. Art. 22
EuErbVO Rn. 6; BeckOGK/ J. Schmidt, EuErbVO Art. 22 Rn. 21 (Stand: 1.
November 2020); Zimmermann/Grau, Praxiskommentar Erbrechtliche Nebengesetze
EuErbVO Rn. 195; Schauer in Deixler-Hübner/Schauer, Kommentar zur
EU-Erbrechtsverordnung (EuErbVO) 2. Aufl. Art. 22 Rn. 14; Bauer in
Dutta/Weber, Internationales Erbrecht Art. 22 EuErbVO Rn. 19; Odersky in
Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und
Gestaltungspraxis 3. Aufl. § 15 Rn. 117; von Bary, ZEV 2021, 38, 39;
Cach/Weber, ZfRV 2013, 263, 265; Nordmeier, GPR 2013, 148, 151 f.;
Fornasier, FamRZ 2020, 1956 f.; Emmerich, Probleme der Anknüpfung im Rahmen
der EuErbVO, S. 187 f.; D. Stamatiadis, in Pamboukis, EU Succession
Regulation No 650/2012 Art. 22 Rn. 56; in diese Richtung auch OLG Köln ZEV
2019, 633 Rn. 10).
18 bb) Die letztgenannte Auffassung trifft
zu. Für eine unionsautonome Auslegung der konkludenten Rechtswahl spricht
schon der Wortlaut des Art. 22 Abs. 2 Alt. 2 EuErbVO. Hiernach muss sich die
Rechtswahl aus den Bestimmungen einer Verfügung von Todes wegen ergeben.
Damit hat der Unionsgesetzgeber bereits selbst eine Bestimmung des Begriffs
der konkludenten Rechtswahl vorgegeben (NK-BGB/Looschelders, 3.
Aufl. Art. 22 EuErbVO Rn. 28). Nach ständiger Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Union folgt aus den Erfordernissen sowohl der
einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des
Gleichheitssatzes, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die
für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung - wie hier - nicht
ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der
Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen (EuGH,
Urteil vom 1. März 2018, C-558/16, EU:C:2018:138, ZEV 2018, 205 Rn. 32
zur Qualifikation des § 1371 BGB).
19 Eine derartige
Verweisung auf nationales Recht lässt sich auch der Entstehungsgeschichte
nicht entnehmen. Der Kommissionsvorschlag von 2009 zu Art. 17 Abs.
2 EuErbVO sah noch ausdrücklich vor, dass die Wahl des auf die
Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbaren Rechts ausdrücklich erfolgen
muss (vgl. NK-BGB/Looschelders aaO Rn. 27; Münch-Komm-BGB/Dutta, 8. Aufl.
Art. 22 EuErbVO Rn. 13; Zimmermann, Praxiskommentar Erbrechtliche
Nebengesetze, 2. Aufl. EuErbVO Rn. 195). Demgegenüber hat sich der
Verordnungsgeber dann nach dem Vorbild von Art. 3 Abs. 1 Satz 2
Rom-I-Verordnung entschlossen, auch eine konkludente Rechtswahl zuzulassen
(vgl. BeckOGK/J. Schmidt, EuErbVO Art. 22 Rn. 20 [Stand: 1.
November 2020]; Emmerich, Probleme der Anknüpfung im Rahmen der EuErbVO, S.
188; NK-BGB/Looschelders, 3. Aufl. Art. 22 Rn. 27; MünchKomm-BGB/Dutta, 8.
Aufl. Art. 22 EuErbVO Rn. 13). Dabei werden - anders als Art. 3 Abs.
1 Satz 2 Rom-I-Verordnung - an die konkludente Rechtswahl keine
qualifizierten Anforderungen gestellt. Während es gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2
Rom-I-Verordnung erforderlich ist, dass sich die Rechtswahl eindeutig aus
den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergeben
muss, genügt für Art. 22 Abs. 2 EuErbVO bereits eine Rechtswahl, die sich
aus den Bestimmungen einer Verfügung von Todes wegen ergibt. Dieser
Unterschied rechtfertigt sich daraus, dass es bei der EuErbVO nicht um die
konkludente Rechtswahl durch zwei Parteien eines Vertrages mit
möglicherweise widerstreitenden Interessen geht, sondern um eine einseitige
konkludente Rechtswahl durch den Erblasser. Da hier seinem Willen zur
Geltung verholfen werden soll, erschien es sachlich gerechtfertigt, für die
konkludente Rechtswahl eine niedrigere Schwelle als in Art. 3 Abs. 1 Satz 2
Rom-I-Verordnung anzusetzen (BeckOKG/J. Schmidt, EuErbVO Art. 22
Rn. 20 [Stand: 1. November 2020]). Auch im Rahmen der
Rom-I-Verordnung wurde bereits überwiegend vertreten, dass die Frage, ob das
Verhalten der Parteien als konkludente Rechtswahl anzusehen ist,
unionsautonom auszulegen ist (BeckOGK/Wendland, Rom I-VO Art. 3 Rn.
126 [Stand: 1. Februar 2020]; Emmerich, Probleme der Anknüpfung im Rahmen
der EuErbVO, S. 186, 188 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass der
EU-Verordnungsgeber im Rahmen der EuErbVO eine andere Anknüpfung
wählen wollte, sind nicht ersichtlich.
20 Für eine
unionsautonome Auslegung sprechen ferner in systematischer Hinsicht die
Erwägungsgründe 39 und 40 der EuErbVO. Nach Erwägungsgrund 39 sollte eine
Rechtswahl ausdrücklich in Form einer Verfügung von Todes wegen erfolgen
oder sich aus den Bestimmungen einer solchen Verfügung ergeben. Eine
Rechtswahl könne als sich durch eine Verfügung von Todes wegen ergebend
angesehen werden, wenn z.B. der Erblasser in seiner Verfügung Bezug auf
spezifische Bestimmungen des Rechts des Staates, dem er angehöre, genommen
habe oder das Recht dieses Staates in anderer Weise erwähnt habe. Der
EU-Verordnungsgeber hat damit selbst Kriterien für eine unionsautonome
Rechtswahl aufgestellt. Diese wären überflüssig, wenn es für die Frage der
konkludenten Rechtswahl nicht auf eine unionsautonome Auslegung, sondern auf
eine solche nach dem hypothetisch gewählten nationalen Recht ankäme
(NK-BGB/ Looschelders 3. Aufl., Art. 22 EuErbVO Rn. 28; Odersky in
Hausmann/ Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und
Gestaltungspraxis, 3. Aufl. § 15 Rn. 117). Hierfür spricht auch Satz 1 von
Erwägungsgrund 40. Hiernach sollte eine Rechtswahl nach dieser Verordnung
auch dann wirksam sein, wenn das gewählte Recht keine Rechtswahl in
Erbsachen vorsieht. Käme es auf das hypothetisch gewählte materielle Recht
an, so wären diese Erwägungen überflüssig, wenn es in der gewählten
Rechtsordnung keine - oder jedenfalls keine konkludente - Rechtswahl gäbe
(vgl. auch Nordmeier, GPR 2013, 148, 152, 153).
21 Dem steht
entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch Art. 22 Abs. 3 EuErbVO
nicht entgegen. Hiernach unterliegt die materielle Wirksamkeit der
Rechtshandlung, durch die die Rechtswahl vorgenommen wird, dem gewählten
Recht. Insoweit bestimmt Satz 2 von Erwägungsgrund 40, die materielle
Wirksamkeit der Rechtshandlung, mit der die Rechtswahl getroffen werde,
solle sich nach dem gewählten Recht bestimmen, d.h. ob davon auszugehen sei,
dass die Person, die die Rechtswahl treffe, verstanden habe, was dies
bedeute, und dem zustimme. Mit der materiellen Wirksamkeit sind hier -
entsprechend der Regelung in Art. 26 Abs. 1 EuErbVO - etwa die
Testierfähigkeit, Testierverbote, die Zulässigkeit der Stellvertretung, die
Auslegung der Verfügung sowie Willensmängel gemeint. Hierauf kommt es
indessen erst nach der Beantwortung der vorrangigen Frage an, ob der
Erblasser - ausdrücklich oder konkludent -eine bestimmte Rechtsordnung
gewählt hat (vgl. Schauer in Deixler-Hüb-ner/Schauer, Kommentar zur
EU-Erbrechtsverordnung (EuErbVO) 2. Aufl. Art. 22 Rn. 16; Nordmeier, GPR
2013, 148, 153; Erman/Stürner, BGB 16. Aufl. Art. 22 EuErbVO Rn. 12).
22 Für eine unionsautonome Auslegung spricht nach dem Sinn und
Zweck der Vorschrift ferner die Anwendung einheitlicher Kriterien zur
Bestimmung, ob im jeweils zu beurteilenden Fall die Voraussetzungen für eine
konkludente Rechtswahl vorliegen oder nicht. Das Abstellen auf
das hypothetisch gewählte Recht hätte demgegenüber - worauf die
Rechtsbeschwerdeerwiderung zu Recht hinweist - zur Folge, dass in
vergleichbaren Fallkonstellationen gegebenenfalls unterschiedliche
Anforderungen an eine konkludente Rechtswahl zu stellen wären mit der Folge
einer uneinheitlichen Beurteilung, wann im Rahmen von Art. 22 Abs. 2 EuErbVO
eine konkludente Rechtswahl vorliegt.
23 Schließlich ist zu
berücksichtigen, dass die Übergangsbestimmungen des Art. 83 EuErbVO von dem
Ziel geprägt sind die Wirksamkeit - früherer - Verfügungen von Todes wegen
soweit irgend möglich aufrechtzuerhalten, sie aber gegebenenfalls auch zu
heilen (Senatsbeschluss vom 10. Juli 2019 - IV ZB 22/18, BGHZ 222, 365 Rn.
28; für die Anwendung des Grundsatzes des favor testamentii auch BeckOGK/J.
Schmidt, EuErbVO Art. 22 Rn. 26 [Stand: 1. November 2020]; Bauer in
Dutta/Weber, Internationales Erbrecht Art. 22 Rn. 20; a.A. Magnus, IPrax
2019, 8, 10; BeckOK BGB/Lorenz, Art. 25 EGBGB a.F. Rn. 21 [Stand: 1.
November 2020]).
24 cc) Ausgehend von einer unionsautonomen
Auslegung der konkludenten Rechtswahl hat das Beschwerdegericht in rechtlich
nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass die Erblasserin und ihr
Ehemann in dem gemeinschaftlichen Testament vom 25. März 1996 deutsches
Recht gewählt haben. Für die konkludente Wahl einer bestimmten
nationalen Rechtsordnung kann es insbesondere sprechen, wenn der
Erblasser Begriffe oder Rechtsinstitute verwendet, die gerade in dieser
Rechtsordnung spezifisch sind (vgl. Satz 2 Erwägungsgrund 39 zur
EuErbVO; ferner OLG Köln ZEV 2019, 633 Rn. 10: Bezugnahme auf Vorschriften
rumänischen Rechts in einem Testament; NK-BGB/Looschelders, 3. Aufl. Art.
22 EuErbVO Rn. 28; Palandt/Thorn, BGB 80. Aufl. Art. 22 EuErbVO Rn. 6; Bauer
in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht Art. 22 EuErbVO Rn. 20). Hier
haben die Erblasserin und ihr Ehemann unter anderem den Begriff der
Schlusserben verwendet, der im deutschen Recht anerkannt ist
(vgl. etwa Senatsurteil vom 28. September 2016 - IV ZR 513/15, ZEV 2016,
641 Rn. 13), nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts im
österreichischen Recht hingegen keine Verwendung findet.
Außerdem haben die Ehegatten bestimmt, dass ihre Verfügung von Todes wegen
wechselseitig verbindlich sein soll und zu ihren Lebzeiten nur
gemeinschaftlich aufgehoben werden kann, während nach dem Tod eines
Ehegatten der überlebende Ehegatte nicht mehr berechtigt ist, die
Erbeinsetzungen und Vermächtnisanordnungen abzuändern. Auch damit haben die
Erblasserin und ihr Ehemann Bezug auf die Regelungen des deutschen Rechts in
den §§ 2270 Abs. 1, 2271 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB genommen, während
im österreichischen Recht nach den Feststellungen des
Beschwerdegerichts gerade keine Bindung des überlebenden Ehegatten an ein
gemeinschaftliches Testament besteht.
25 c) Ein
Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß
Art. 267 Abs. 3 AEUV ist im Streitfall nicht veranlasst, da die
richtige Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Bestimmungen der
Europäischen Erbrechtsverordnung nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte,
Systematik, Sinn und Zweck sowie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Union zur autonomen Auslegung der Begriffe
einer Vorschrift des Unionsrechts (EuGH, Urteil vom 1. März 2018,
C-558/16, EU:C:2018:138, ZEV 2018, 205 Rn. 32) derart offenkundig
sind, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum verbleibt
(vgl. Senatsbeschluss vom 10. Juli 2019 - IV ZB 22/18, BGHZ 222, 365 Rn. 32;
EuGH, Urteile vom 28. Juli 2016, Association France Nature Environnement,
C-379/15, EU:C:20 1 6:603, ABl. EU 2016 Nr. C 350 S. 11 [juris Rn. 53]; vom
1. Oktober 2015, Doc Generici, C-452/14, EU:C:2015:644, GRUR Int. 2015, 1152
Rn. 43; vom 6. Oktober 1982, CILFIT, C-283/81, EU:C:1982:335, Slg. 1982,
3415 Rn. 16, 21).
26 III. Die Entscheidung wegen der Kosten beruht
auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 61 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GNotKG.
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