Anfechtung eines Erbvertrags, Wirksamwerden der
Anfechtungserklärung; "Begebungswille" als Wirksamkeitsvoraussetzung einer
empfangsbedürftigen schriftlichen Willenserklärung
BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 - IV ZR
224/12 - OLG Frankfurt am Main
Fundstelle:
NJW 2013, 3306
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
1. Die Begebung einer notariellen
Anfechtungserklärung nach § 2281 BGB unterliegt nicht dem
Beurkundungserfordernis des § 2282 Abs. 3 BGB.
2. Die Beweisregel des § 416 ZPO erstreckt sich auf die Begebung einer
schriftlichen Willenserklärung auch, wenn ihre Übermittlung noch von einer
gesonderten Weisung des Erklärenden abhängen soll (Fortführung der
Senatsurteile vom 8. März 2006 - IV ZR 145/05, NJW-RR 2006, 847 Rn. 13 und
vom 18. Dezember 2002 - IV ZR 39/02, NJW-RR 2003, 384 unter II.).
Zentrale Probleme:
Es geht um die Anfechtung eines Erbvertrags. Der Erblasser hatte mit
seiner verstorbenen Ehefrau aus erster Ehe einen Erbvertrag abgeschlossen,
aufgrund dessen eine von ihm gegr ündete
Stiftung zum Alleinerben eingesetzt wurde. Nach dem Tode seiner Ehefrau
heiratete er erneut und erklärte die Anfechtung des Erbvertrags. Die
Anfechtung dürfte hier nach § 2281 Abs. 1 BGB i.V.m. § 2079 BGB erfolgt sein
(Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten = der neuen
Ehefrau). Nach § 2282 Abs. 3 BGB bedarf diese Anfechtungserklärung der
notariellen Beurkundung. Diese war hier erfolgt, jedoch hatte der Erblasser
den Notar angewiesen, die Erklärung erst auf seine ausdrückliche Anweisung
an das Nachlassgericht zu übermitteln. Da die Anfechtungserklärung nach §
2081 Abs. 1 BGB gegenüber dem Nachlassgericht zu erfolgen hat, also
amtsempfangsbedürftig ist, stellte sich hier die Frage, ob auch die
ausdrückliche vorbehaltene Aufforderung zur Übermittlung der
Anfechtungserklärung an das Nachlassgericht der notariellen Form bedurft
hätte. Der Senat verneint das mit überzeugender Begründung.
Das ist an sich eine Detailfrage des Erbrechts, jedoch enthält die
Entscheidung grundlegende Ausführungen über das Wirksamwerden
empfangsbedürftiger Willenserklärungen, insbesondere zum Problem der
sog. "abhandengekommenen Willenserklärung" (s. dazu bei Tz. 17
ff) : Die Wirksamkeit einer empfangsbedürftigen
schriftlichen Willenserklärung setzt neben Abgabe und Zugang voraus, dass
sie mit dem Willen des Erklärenden in den Verkehr gebracht wurde (sog.
Begebungswille; s. dazu auch den "Klassiker" RGZ 61,
415). Diese Begebung ist auch bei formgebundenen Willenserklärungen
formfrei. Wird sie ohne den Willen des Erklärenden in den Verkehr gebracht
(sog. "abhandengekommene Willenserklärung"), liegt keine wirksame
Willenserklärung vor. Es bedarf in diesem Fall daher auch keine Anfechtung
durch den vermeintlich Erklärenden.
©sl 2013
Tatbestand:
1 Die Parteien streiten um die
Erbenstellung nach dem am 17. Oktober 2010 im Alter von 91 Jahren
verstorbenen R. S. (Erblasser).
2 Dieser war in erster Ehe mit der am 9. Februar 2009 verstorbenen
I. S. verheiratet gewesen. Am 3. Dezember 2002 schloss er mit ihr einen
notariell beurkundeten Erbvertrag, in dem sie die von ihnen errichtete
Stiftung des bürgerlichen Rechts, die Beklagte, als Alleinerbin des
Erblassers einsetzten, ein Vermächtnis für I . S. aussetzten, jeweils einen
Pflichtteilsverzicht erklärten und ein einseitiges Rücktrittsrecht
ausschlossen. Durch ergänzende notariell beurkundete letztwillige Verfügung
vom 3. Dezember 2005 bestimmten die Eheleute unter anderem den Sohn des
Erblassers als Testamentsvollstrecker, der seit 2009
alleinvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied der Stiftung ist.
3 Am 30. Juli 2009 heiratete der Erblasser die Klägerin und
bestimmte sie mit handschriftlicher letztwilliger Verfügung vom 7. August
2009 zu seiner Alleinerbin. Mit notarieller Urkunde vom 28.
August 2009 erklärte er unter vorsorglichem Widerruf aller letztwilligen
Verfügungen mit Ausnahme der vom 7. August 2009 die Anfechtung des
Erbvertrages und bat den Notar um Übermittlung einer Ausfertigung
an das zuständige Nachlassgericht, wobei folgender Zusatz eingefügt ist:
"Dies soll allerdings erst erfolgen, wenn ihm der Erschienene oder ein
hierzu Bevollmächtigter diesbezüglich gesondert schriftlich Mitteilung
macht."
4 In zwei weiteren notariellen Urkunden vom gleichen Tag erteilte der
Erblasser dem Streithelfer zu 2, einem Rechtsanwalt, Generalvollmacht und
setzte ihn als Testamentsvollstrecker anstelle seines Sohnes ein. Mit
Schreiben vom 23. Dezember 2009 bat Rechtsanwalt Z. für den nach Diktat
verreisten Generalbevollmächtigten den beurkundenden Notar, Streithelfer zu
1, namens und in Vollmacht des Erblassers, die Anfechtungserklärung beim
Nachlassgericht einzureichen. Am 28. Dezember 2009 ging dort eine
Ausfertigung der notariellen Urkunde vom 28. August 2009 mit einem
Anschreiben des Streithelfers zu 1 vom 23. Dezember 2009 ein. Das
Nachlassgericht veranlasste die Zustellung an die Beklagte, die am 11.
Januar 2010 erfolgte.
5 Mit Beschluss vom 11. November 2010 ordnete das Amtsgericht
Nachlasspflegschaft zur Sicherung und Verwaltung des Nachlasses des
Erblassers an. Die dagegen eingelegten Rechtsmittel hatten keinen Erfolg
(Senatsbeschluss vom 13. September 2012 - IV ZB 23/11, ZEV 2013, 39).
6 Das Landgericht hat der Klage auf Feststellung, dass die Klägerin
aufgrund letztwilliger Verfügung und Anfechtung des Erbvertrages Alleinerbin
des Erblassers geworden ist, stattgegeben; das Oberlandesgericht
hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt die
Beklagte weiterhin Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
7 Die Revision hat keinen Erfolg.
8 I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt (ZEV 2012, 542 m. Anm. Keim 548),
die Klägerin sei aufgrund letztwilliger Verfügung des Erblassers vom 7.
August 2009 dessen Alleinerbin geworden. Die Anfechtung des Erbvertrages sei
formwirksam am 28. August 2009 erklärt worden. Der in die Urkunde
aufgenommene Vorbehalt, die Anfechtungserklärung erst nach entsprechender
Anweisung beim Nachlassgericht einzureichen, stelle eine Treuhandauflage
dar, die sich an den beurkundenden Notar richte und nicht Bestandteil der
Anfechtungserklärung sei. Der notariellen Form habe nur die
Anfechtungserklärung als solche, nicht aber deren Begebung bedurft. Sei eine
empfangsbedürftige Willenserklärung zugegangen, streite eine Vermutung
dafür, dass sie mit Willen des Erklärenden in den Verkehr gelangt sei. Die
formelle Beweiskraft der Urkunde werde nicht dadurch entkräftet, dass der
Treuhandauftrag zu ihrem Vol l-zug mit in die Urkunde aufgenommen worden
sei. Es hätte damit der Beklagten oblegen, den fehlenden Begebungswillen des
Erblassers zu beweisen, ein Beweisantritt sei aber nicht erfolgt.
9 II. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.
10 1. Das Berufungsgericht hat revisionsrechtlich beanstandungsfrei
festgestellt, dass der Erblasser die Anfechtung des Erbvertrages erklärt
hat.
11 a) Für die Feststellung des in der Anfechtungserklärung
enthaltenen Erblasserwillens gelten die allgemeinen Auslegungsregeln der §§
133, 2084 BGB. Hiernach ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen
und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften
(Senatsbeschluss vom 17. Juli 2012 - IV ZB 23/11, ZEV 2013, 36 Rn. 14;
Senatsurteile vom 24. Juni 2009 - IV ZR 202/07, ZEV 2009, 459 Rn. 25; vom 8.
Dezember 1982 - IV ZR 94/81, BGHZ 86, 41, 45). Dabei müssen nicht
nur der gesamte Text der Verfügung, sondern auch alle dem Richter
zugänglichen Umstände außerhalb der Urkunde ausgewertet werden, die zur
Aufdeckung des Erblasserwillens möglicherweise dienlich sind
(Senatsurteil vom 24. Juni 2009 aaO). Abzustellen ist aber stets auf den
Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Erklärung. Danach eingetretene
Umstände können nur Bedeutung erlangen, soweit sie Rückschlüsse hierauf
zulassen (BayObLG NJW 1996, 133).
12 b) Es obliegt in erster Linie dem Tatrichter, die Anfechtungserklärung
auszulegen. Seine Auslegung kann mit der Revision nur erfolgreich
angegriffen werden, wenn gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze,
Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt, wesentlicher
Auslegungsstoff außer Acht gelassen oder in Betracht kommende andere
Auslegungsmöglichkeiten nicht in Erwägung gezogen werden (Senatsurteil vom
24. Februar 1993 - IV ZR 239/91, BGHZ 121, 357, 363 m.w.N.). Dies führt
dazu, dass sich im Ergebnis sogar widersprechende tatrichterliche
Auslegungen als vom Revisionsgericht nicht zu beanstanden erweisen können.
Deshalb ergeben sich im Streitfall revisible Rechtsfehler nicht bereits
daraus, dass der Senat die vom Beschwerdegericht hinsichtlich der Anordnung
der Nachlasspflegschaft vertretene abweichende Auslegung im
Rechtsbeschwerdeverfahren unbeanstandet gelassen hat (vgl. Senatsbeschlüsse
vom 13. September 2012 - IV ZB 23/11, ZEV 2013, 39 Rn. 4; vom 17. Juni 2012
- IV ZB 23/11, ZEV 2013, 36 Rn. 12).
13 c) Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Anfechtung des
Erblassers in der notariellen Urkunde vom 28. August 2009 sei unbedingt
erklärt worden und der in der Urkunde aufgenommene Vorbehalt sei lediglich
als aufgeschobene Begebung zu verstehen, ist schon nach dem Wortlaut der
Urkunde rechtlich jedenfalls vertretbar. Der Erblasser hat in Ziff.
II Abs. 1 erklärt, dass er den Erbvertrag vom 3. Dezember 2002 nebst den
nachfolgenden letztwilligen Verfügungen nach § 2281 Abs. 1 BGB anfechte.
Ziff. II Abs. 2 Satz 1 enthält die Anweisung an den Notar, die
Anfechtungserklärung dem zuständigen Nachlassgericht zu übermitteln. Damit
sind alle erforderlichen Erklärungen des Erblassers in der notariellen
Urkunde aufgenommen. Für die notarielle Beurkundung etwa einer bloßen
Anfechtungsabsicht oder nur bedingten Anfechtung im Zeitpunkt der Erklärung
besteht kein Anhalt. Der mit einem zeitlichen Aufschub der Begebung, die für
jede empfangsbedürftige Willenserklärung im Anschluss an die Erklärung
erforderlich ist, verbundene Vorbehalt lässt keine maßgeblichen Rückschlüsse
auf eine noch nicht endgültig gemeinte Anfechtung zu. Dem Erblasser kam es
bei Niederschrift seiner Erklärung vielmehr ersichtlich darauf an, dass die
früher beurkundeten Erklärungen zukünftig keine Wirksamkeit mehr entfalten
sollten. Dies wird auch durch Ziff. III verdeutlicht. Dort heißt es in Abs.
1:
"Vorsorglich widerrufe ich alle letztwilligen Verfügungen mit Ausnahme des
vorgenannten und bestätigten Testaments vom 07.08.2009 sowie heute
beurkundeter Erklärungen."
14 Zu Recht weist das Berufungsgericht - in anderem Zusammenhang - darauf
hin, dass der Erblasser in der von ihm am 2. Oktober 2010 errichteten
Urkunde nochmals bestätigt hat, die Anfechtung des Erbvertrages durch die am
28. August 2009 errichtete und dem Nachlassgericht am 28. Dezember 2009
übermittelte notarielle Urkunde erklärt zu haben.
15 2. Rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Auffassung
des Berufungsgerichts, die Anweisung an den Notar, die Anfechtungserklärung
dem Nachlassgericht zu übermitteln, habe nicht gesonderter notarieller
Beurkundung bedurft. Nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte,
Gesetzessystematik und einhelliger Auffassung der Rechtsprechung und
Literatur erstreckt sich das Erfordernis notarieller Beurkundung allein auf
die Erklärung der Anfechtung.
16 a) Dem Wortlaut des § 2282 Abs. 3 BGB ist zu entnehmen, dass nur
die Anfechtungserklärung der notariellen Beurkundung bedarf.
17 Die
Anfechtung des Erbvertrages nach § 2281 BGB ist eine empfangsbedürftige
Willenserklärung, für die § 130 BGB gilt
(Senatsurteil vom 16. April 1953 - IV ZB 25/53, BGHZ 9, 233 f.; RGZ 65, 270,
272). Sie erfordert neben der Erklärung der Anfechtung deren Abgabe
und Zugang. Geht die abgegebene Erklärung nicht zu, so wird sie
nicht wirksam. Die Abgabe der Willenserklärung ist der entscheidende
Moment, auch wenn für das Wirksamwerden der Zugang notwendig ist und die
Wirksamkeit erst im Zeitpunkt des Zugangs eintritt (Flume, Das
Rechtsgeschäft 2. Band 3. Aufl. S. 225 f.). Abgegeben ist die
Erklärung, wenn der Erklärende seinen rechtsgeschäftlichen Willen erkennbar
so geäußert hat, dass an der Endgültigkeit der Äußerung kein Zweifel möglich
ist (Palandt/Ellenberger, BGB 72. Aufl. § 130 Rn. 4). Bei
einer empfangsbedürftigen schriftlichen Willenserklärung muss zu ihrer
Wirksamkeit die Begebung hinzukommen, d.h. sie muss mit dem Willen des
Erklärenden in den Verkehr gebracht worden sein (Senatsurteil vom
18. Dezember 2002 - IV ZR 39/02, NJW-RR 2003, 384 unter II; BGH, Urteil vom
30. Mai 1975 - V ZR 206/73, BGHZ 65, 13, 14). Dem Beurkundungszwang
unterliegt nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 2282 Abs. 3 BGB nur die
gemäß § 2282 Abs. 1 Satz 1 BGB höchstpersönliche Erklärung der Anfechtung,
d.h. die Abgabe der Willenserklärung, nicht hingegen deren Begebung.
18 b) Die Formfreiheit der Begebung empfangsbedürftiger Willenserklärungen
entspricht dem historischen Willen des Gesetzgebers.
19 In den Protokollen der Kommission zur zweiten Lesung des BGB findet sich
zum jetzigen § 128 BGB der Hinweis, dass bei empfangsbedürftigen einseitigen
Willenserklärungen der Zugang nicht der Beurkundung bedarf:
" [...] Rede man von Beurkundung, so sei selbstverständlich, daß nur
beurkundet werden könne, was vor Gericht oder Notar erfolgt sei. Verlange
das Gesetz, daß eine Erklärung gerichtlich oder notariell beurkundet werden
müsse, so erhelle aus der Vorschrift mit genügender Deutlichkeit, daß nicht
auch das Zugehen der Erklärung an den anderen Theil den Gegenstand der
Beurkundung bilde -, ein Ergebnis, das mit den Anforderungen des Verkehrs in
Einklang stehe." (Prot. V 438)
20 Nach dem Verständnis des historischen Gesetzgebers erfasst die
Formfreiheit auch die Begebung. Darauf weisen ferner die weiteren
Erörterungen der Kommission hin, wonach es zur notariellen Beurkundung eines
Vertrages genügt, wenn zunächst der Antrag und sodann die Annahme des
Antrags von einem Notar beurkundet werden. Ausdrücklich abgelehnt wurde
hingegen eine Alternativfassung, nach der für die Beurkundung ein Ersuchen
des Antragenden um Vorlage durch ein Gericht oder einen Notar und eine
Vorlage des Antrags durch ein Gericht oder einen Notar notwendig gewesen
wären; formbedürftig wären danach das Ersuchen, die Vorlegung sowie die
Annahme des Antrags gewesen (Prot. V 434 f., 439 ff.). Das Ersuchen des
Antragenden, dem anderen Teil den Antrag vorzulegen, hätte strukturell der
Begebung entsprochen, weil dies die mit Wissen und Wollen bewirkte
Entäußerung der Willenserklärung dargestellt hätte. Der Ablehnung der
Formbedürftigkeit des Ersuchens (Prot. V 440 ff.) ist zu entnehmen, dass der
historische Gesetzgeber diesbezüglich Formfreiheit insgesamt wollte.
21 Die Beratungen der Kommission belegen weiter, dass nach der Wertung des
historischen Gesetzgebers die für ihn maßgeblichen Zwecke des
Beurkundungserfordernisses einer Formfreiheit der Begebung nicht
entgegenstehen. Die Kommission erkannte, dass die Formfreiheit der Begebung
Beweisschwierigkeiten bezüglich der willentlichen Entäußerung von
Vertragserklärungen schaffen kann, meinte aber, dies sei im Hinblick auf die
Bedürfnisse des Verkehrs hinzunehmen (vgl. Prot. V 440 f.). Zwar wurde die
Beurkundung empfangsbedürftiger einseitiger Willenserklärungen von der
Kommission im Kontext des jetzigen § 128 BGB erörtert. Für diese gelten aber
die Überlegungen zur Formfreiheit der Begebung in gleicher Weise wie für
Vertragserklärungen. Anhaltspunkte für einen unterschiedlichen Maßstab des
historischen Gesetzgebers sind nicht ersichtlich.
22 c) Auch die Formvorschrift des § 766 Satz 1 BGB spricht dafür,
dass die Begebung nicht der für die Abgabe der Willenserklärung maßgeblichen
Form unterliegt. Danach ist zur Gültigkeit des Bürgschaftsvertrages die
schriftliche Erteilung der Bürgschaftserklärung erforderlich. Erteilung
bedeutet, dass zum Wirksamwerden der unter Wahrung der Schriftform
abgegebenen Erklärung die Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde allein nicht
genügt, hinzukommen muss, dass sich der Bürge hinsichtlich der in der
Bürgschaftsurkunde verkörperten Willenserklärung gegenüber dem Gläubiger
entäußert (MünchKomm-BGB/Habersack, 5. Aufl. § 766 Rn. 24). Dies
stellt die Begebung der Bürgschaftsurkunde dar. Die Erteilung selbst
geschieht in der Regel durch Übergabe der Bürgschaftsurkunde (MünchKomm-BGB/Habersack
aaO; RGZ 126, 121, 122) und damit gerade nicht schriftlich.
23 d) Angesichts dessen besteht kein Grund, die Formfreiheit der Begebung in
Frage zu stellen, was auch in Rechtsprechung und Schrifttum übereinstimmend
so gesehen wird.
24 aa) Bundesgerichtshof und Reichsgericht haben sich im Zusammenhang mit
dem Widerruf wechselseitig abhängiger Verfügungen in einem
gemeinschaftlichen Testament wiederholt damit befasst, ob empfangsbedürftige
Willenserklärungen dem Erklärungsgegner noch nach dem Tod des Erklärenden
wirksam zugehen können (BGH, Urteil vom 19. Oktober 1967 - III ZB 18/67,
BGHZ 48, 374; Senatsurteil vom 16. April 1953 - IV ZB 25/53, BGHZ 9, 233;
RGZ 65, 270). Die Beurteilung erfolgte jeweils am Maßstab des § 130 Abs. 2
BGB, nach dem es für die Wirksamkeit der Willenserklärung ohne Einfluss ist,
wenn der Erklärende nach deren Abgabe verstirbt. Entscheidend ist, dass der
Erklärende vor seinem Tod alles getan hat, was von seiner Seite erforderlich
war, damit die Erklärung dem anderen Teil zugeht (so schon RGZ 65, 270,
274). Diese Ausführungen betrafen nur die Abgabe ("formgerecht erklärt"),
nicht jedoch die anschließende Begebung.
25 bb) Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich nichts anderes aus dem
Erfordernis, dass dem Empfänger einer Anfechtungserklärung deren Urschrift
oder Ausfertigung zugehen muss, der Zugang einer beglaubigten Abschrift
hingegen nicht ausreicht (BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1967 - III ZB
18/67, BGHZ 48, 374, 377 und Urteil vom 28. September 1959 - III ZR 112/58,
BGHZ 31, 5, 7; OLG Celle NJW 1964, 53, 54; BayObLGZ 1963, 260, 264). Dass
über die Anfechtungserklärung hinaus noch zusätzlich die Begebung notariell
beurkundet werden müsste, lässt sich den Entscheidungen nicht entnehmen.
26 e) In Übereinstimmung damit bedarf auch nach einhelliger Ansicht
der Literatur nur die Erklärung der Anfechtung der notariellen Beurkundung
nach § 2282 Abs. 3 BGB, nicht aber deren Zugang (Staudinger/
Kanzleiter, BGB Neubearb. 1998 § 2282 Rn. 6; MünchKomm-BGB/Mu-sielak, 5.
Aufl. § 2282 Rn. 4; Soergel/Wolf, BGB 13. Aufl. § 2282 Rn. 4; Planck/Greiff,
BGB 4. Aufl. § 2282 Rn. 2). Dies muss ebenso für den Begebungsakt der
Anfechtungserklärung gelten (Palandt/Weidlich, BGB 72. Aufl. § 2282 Rn. 1
unter Hinweis auf die Entscheidung des Berufungsgerichts); Begebung und
Zugang von Willenserklärungen sind tatsächliche willensgetragene Vorgänge,
auf die sich die mit der Beurkundung verbundenen Zwecke - zuverlässige und
sachkundige Beratung, eindeutige Feststellung des erklärten Willens,
Warnfunktion vor übereilten Entscheidungen - nicht erstrecken (Michalski,
WiB 1997, 785, 786 f.; Kanzleiter aaO § 2296 Rn. 7). Ein zeitlicher Aufschub
der Begebung ändert daran nichts.
27 3. Im Ergebnis zu Recht sieht es das Berufungsgericht aufgrund der
Vorlage der notariellen Urkunde vom 28. August 2009 als bewiesen an, dass
diese vom Erblasser persönlich abgegeben und begeben worden ist.
28 a) Nach der gesetzlichen Beweisregel des § 416 ZPO begründet eine von dem
Aussteller unterschriebene Privaturkunde vollen Beweis dafür, dass die in
ihr enthaltenen Erklärungen von dem Aussteller abgegeben worden sind. Der
Senat hat die Beweisregel des § 416 ZPO auf die Begebung einer schriftlichen
Willenserklärung erstreckt (Senatsurteile vom 8. März 2006 - IV ZR 145/05,
NJW-RR 2006, 847 Rn. 13 und vom 18. Dezember 2002 - IV ZR 39/02, NJW-RR
2003, 384 unter II).
29 Das gilt auch hier. Die Urkunde enthält zwar den Zusatz, dass die
Begebung auf gesonderte Anweisung erfolgen soll. Dies führt aber nicht dazu,
dass sie damit dem Anwendungsbereich des § 416 ZPO entzogen wäre und die
Begebung der in dieser Privaturkunde enthaltenen Erklärung zum Gegenstand
einer gesetzlichen oder einer auf einen Erfahrungssatz gegründeten
tatsächlichen Vermutung würde (so aber Keim ZEV 2012, 548). Die
Übermittlungsanweisung betrifft nur das jeder einem abwesenden
Erklärungsempfänger gegenüber abzugebenden empfangsbedürftigen
Willenserklärung immanente Auseinanderfallen von Erklärung und
Wirksamwerden. Die in § 416 ZPO angeordnete, das Gericht bindende
Beweiswirkung hängt aber nicht von Umständen der Erklärung, ihrer Begebung
oder des Zugangs ab, sondern allein von der in den Verkehr gelangten echten
Urkunde. Diese Wirkung tritt mit Erfüllung des Tatbestands der Norm des §
416 ZPO ein. Für eine richterliche Überzeugungsbildung ist im Umfang der
gesetzlichen Beweisregel kein Raum. Durch Vorlage der die
Anfechtungserklärung enthaltenden notariellen Urkunde vom 28. August 2009
ist damit bewiesen, dass die Erklärung vom Erblasser gemäß § 2282 Abs. 1 BGB
persönlich abgegeben und von ihm begeben wurde.
30 b) Das Berufungsgericht hat im Ergebnis auch richtig entschieden; die
Beklagte hat den Beweis nicht geführt, dass die Begebung ohne Willen des
Erblassers erfolgt ist.
31 Gegen die Beweiswirkung des § 416 ZPO kann der Beweis angetreten werden,
dass die Urkunde nicht willentlich begeben worden ist. Erforderlich dafür
ist der Gegenteilsbeweis (Senatsurteil vom 8. März 2006 - IV ZR 145/05,
NJW-RR 2006, 847; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO 3. Aufl. § 416 Rn. 33;
Preuß in Prütting/Gehrlein, ZPO 4. Aufl. § 416 Rn. 20; Zöller/Geimer, ZPO
29. Aufl. § 416 Rn. 9; HK-ZPO/Eichele, 5. Aufl. § 416 Rn. 6). Im
Anwendungsbereich gesetzlicher Beweisregeln - wie § 416 ZPO - ist nach § 286
Abs. 2 ZPO die freie Beweiswürdigung ausgeschlossen (Zöller/Greger, ZPO 29.
Aufl. § 286 Rn. 3), sodass Umstände innerhalb und außerhalb der Urkunde
diese auch nicht erschüttern können. Der Beklagten oblag es mithin zu
beweisen, dass die notarielle Urkunde ohne Willen des Erblassers
eigenmächtig durch einen Vertreter in den Verkehr gelangt ist. Diesen Beweis
hat sie nicht erbracht. Sie ist mangels Beweisantritts vom Berufungsgericht
zu Recht als beweisfällig angesehen worden.
32 4. Unbegründet ist schließlich die weitere Rüge der Revision, das
Berufungsgericht hätte Beweis darüber erheben müssen, ob die Klägerin die
Bedingung in dem ergänzenden notariellen Testament vom 23. November 2009
erfüllt hat, bis zum Tod des Erblassers im gemeinsamen Haushalt zu wohnen
und ihn im Falle dauernder Pflegebedürftigkeit zu pflegen. Entgegen der
Ansicht der Revision stellt es keine vorweggenommene Beweiswürdigung dar,
dass das Berufungsgericht die von der Beklagten benannte Privatsekretärin
des Erblassers nicht als Zeugin dazu vernommen, sondern nur deren
schriftliche Aufzeichnungen ausgewertet hat. Die Beklagte hat ein
Erinnerungsprotokoll der Zeugin über den Verlauf der letzten Tage vor dem
Tod des Erblassers in das Verfahren eingeführt und sich deren Ausführungen
bei ihrem Sachvortrag zur angeblich nicht erfüllten Pflegeklausel
ausdrücklich zu Eigen gemacht. Diesen Parteivortrag hat das Berufungsgericht
seiner tatrichterlichen Würdigung zugrunde gelegt. Dabei hat es die
Pflegeklausel so ausgelegt, dass die Klägerin Pflege im engeren Sinne nicht
selbst erbringen, sondern lediglich in gewissem zeitlichem Umfang
"persönlich nach dem Erblasser mit Blick auf sein Wohlergehen" schauen
musste. Im Zusammenhang damit wertet es den Inhalt der Aufzeichnungen der
Zeugin dahin, dass unzureichende Pflegeleistungen der Klägerin nicht
dokumentiert seien. Das ist eine revisionsrechtlich nicht zu beanstandende
Würdigung des Sachvortrags der Beklagten. Eine Vernehmung der Zeugin war
danach nicht mehr geboten.
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