Nachträgliche Umwandlung
einer Schenkung in einen entgeltlichen Vertrag ("Austausch des
Rechtsgrundes"); Einfluß auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § 2325
BGB; Beweislast für das Vorliegen einer Schenkung: Vermutung bei grobem
Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung
BGH, Urteil vom 14. Februar
2007 - IV ZR 258/05
Fundstelle:
NJW-RR 2007, 803
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
Vereinbart der
Erblasser, nachdem er ein Grundstück schenkweise übertragen hat,
nachträglich ein volles Entgelt für dieses Grundstück und die daraus vom
Erwerber bereits gezogenen Nutzungen, steht dem Pflichtteilsberechtigten
beim Erbfall kein Ergänzungsanspruch wegen der ursprünglichen Schenkung zu.
Zentrale Probleme:
Ein Pflichtteilsberechtigter hat zwar Anspruch auf seinen
Pflichtteil, grundsätzlich aber nicht auf dessen Werthaltigkeit. Wenn der
Erblasser sein Vermögen verbraucht, ist der Anspruch eben nicht werthaltig.
Anders ist dies in engen Grenzen im Falle der Schenkung. Hier kann der
Pflichtteilsberechtigte in bestimmten zeitlichen Grenzen nach § 2325 BGB
Ergänzung des Pflichtteils verlangen. Dieser Anspruch richtet sich primär
gegen den Erben: Der verschenkte Gegenstand wird dem Nachlaß fiktiv
zugerechnet, was die Berechnungsgrundlage des Pflichtteils erhöht. In
Ausnahmefällen richtet sich der Anspruch gegen den Beschenkten (§ 2329 Abs.
1 S. 1 BGB mit Rechtsfolgenverweisung auf das Bereicherungsrecht, d.h. §§
818 ff BGB, s. dazu auch
BGH NJW 2004, 1382 = BGHZ
157, 178). Darum geht
es hier. Der Erblasser hatte aber nachträglich eine Gegenleistung vereinbart
und auch erhalten. Sofern dies tatsächlich der Fall war und auch keine
gemischte Schenkung vorlag (insoweit wird zurückverwiesen), ist dies nach
der Entscheidung zulässig: Die Vertragsfreiheit gestattet es, den
Rechtsgrund einer Leistung nachträglich auszutauschen. Erhält und verbraucht
der Erblasser dann die Gegenleistung, ist der Pflichtteilsberechtigte
dagegen nicht geschützt. Er hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, daß
"etwas übrigbleibt". Hat der Erblasser die tatsächlich vereinbarte
Gegenleistung noch nicht erhalten, ist der Anspruch ohnehin
Nachlaßbestandteil und hat damit Einfluß auf die Höhe Pflichtteilsanspruchs.
©sl 2007
Tatbestand:
1 Der Kläger ist der nichteheliche Sohn des am 9. Oktober 2003 verstorbenen
Erblassers. Dieser hat die Beklagte, seine Ehefrau, als Alleinerbin
eingesetzt. Der Nachlass ist überschuldet. Der Kläger macht einen Anspruch
aus §§ 2325, 2329 BGB gegen die Beklagte als Beschenkte geltend.
2 Der Erblasser hatte sein mit einem Mehrfamilienhaus bebautes Grundstück
durch notariellen Vertrag vom 3. August 1995 unter Vorbehalt des Nießbrauchs
sowie eines (von verschiedenen Voraussetzungen abhängigen) Widerrufsrechts
der Beklagten "im Wege der Schenkung, also ohne jegliche Gegenleistung"
übertragen. Am 5. Juni 1996 schloss der Erblasser mit der Beklagten einen
notariellen Änderungsvertrag. Danach entfielen die vorbehaltenen Rechte des
Erblassers; dafür sowie für die bereits vollzogene Eigentumsübertragung
wurden Gegenleistungen der Beklagten vereinbart.
3 Der Kläger hält die nachträgliche Umwandlung der Schenkung in ein
entgeltliches Geschäft jedenfalls ihm gegenüber für unwirksam. Davon
abgesehen sei die Gegenleistung nur zum Schein vereinbart worden. Zumindest
liege eine gemischte Schenkung vor.
4 Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der
Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe:
5 Die Revision führt zur Zurückverweisung der Sache.
6 I. Das Berufungsgericht hält es aufgrund der Vertragsfreiheit für
zulässig, den Rechtsgrund einer bereits erbrachten Leistung nachträglich
durch die Vereinbarung eines anderen Rechtsgrundes zu ersetzen. Zu diesem
Zweck bedürfe es keiner Rückschenkung sowie einer erneuten, nunmehr
entgeltlichen Übertragung. Einer solchen Änderung des Rechtsgrundes stünden
schutzwürdige Interessen des Pflichtteilsberechtigten nicht entgegen, selbst
wenn die Gegenleistungen - wie hier - beim Erbfall nicht mehr im Vermögen
des Erblassers vorhanden waren.
7 Mit Rücksicht auf den Änderungsvertrag von 1996 sei von einer in vollem
Umfang entgeltlichen Übertragung des Grundstücks auszugehen. Der Erblasser
und die Beklagte hätten die gegenseitigen Leistungen der Höhe nach
jedenfalls vertretbar bewertet. Hinsichtlich des Grundstücks hätten sie sich
auf eine "Wertschätzung" des von ihnen zu diesem Zweck beauftragten
Architekten stützen können.
8 II. Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nur teilweise stand.
9 1. Allerdings ist der Revision nicht zu folgen, soweit sie meint, für
den Pflichtteilsergänzungsanspruch des Klägers komme es allein auf den
Vertrag des Jahres 1995 an.
10 a) Dieser Vertrag stand zwar nicht unter dem Vorbehalt, dass der
vereinbarte Rechtsgrund für die Grundstücksübertragung, nämlich Schenkung,
nachträglich durch einen anderen Rechtsgrund ersetzt werden könne (zu
solchen Fallgestaltungen vgl. BGH, Urteile vom 6. März 1985 - IVa ZR 171/83
- NJW-RR 1986, 164 unter III; vom 17. Juni 1992 - XII ZR 145/91 - NJW 1992,
2566 unter 2 b; OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 1518, 1519; Staudinger/Wimmer-Leonhardt,
BGB [2005] § 516 Rdn. 45). Auch wenn ein solcher Vorbehalt nicht
vereinbart worden ist, bestehen aber im Hinblick auf die Vertragsfreiheit
grundsätzlich keine Bedenken gegen eine Vertragsänderung, durch die für eine
bereits vollzogene Übertragung von Vermögensstücken ein anderer Rechtsgrund
festgelegt wird (so auch Soergel/Mühl/Teichmann, BGB 12. Aufl. § 516
Rdn. 19; Soergel-Dieckmann, BGB 13. Aufl. § 2325 Rdn. 7; Münch-Komm-BGB/Kollhosser,
4. Aufl. § 516 Rdn. 21; a.A. Staudinger/Wimmer-Leonhardt, aaO Rdn. 44).
Damit ist freilich nichts dazu gesagt, ob und inwieweit ein solcher
Änderungsvertrag Rückwirkungen entfaltet (zur Formbedürftigkeit des
ursprünglichen Vertrags vgl. OLG Hamm NJW-RR 1995, 567 f.).
11 b) Auf die Beziehungen der Vertragsparteien zueinander kommt es im
vorliegenden Fall nicht an, sondern darauf, ob der nachträglichen Änderung
des Rechtsgrundes auch Wirkungen im Verhältnis zu Dritten zukommen. Nach
einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist der Begriff der unentgeltlichen
Verfügung in bestimmten Vorschriften der damals maßgebenden Fassung des
Anfechtungsgesetzes im Sinne des Zwecks jener Vorschriften auszulegen,
nämlich die vollstreckbaren Rechte von Gläubigern gegen die Folgen
unentgeltlicher Vermögensübertragungen zu schützen. Deshalb könne die einmal
wegen Unentgeltlichkeit gegebene Anfechtbarkeit einer Verfügung nicht
nachträglich geheilt werden (BFHE 149, 204, 207 ff. = NJW 1988, 3174).
12 Diese Rechtsprechung ist auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch, der
hier geltend gemacht wird, nicht übertragbar. Zwar sichert dieser
Anspruch den Pflichtteilsberechtigten dagegen, dass sein Anspruch auf den
ordentlichen Pflichtteil durch lebzeitige, den Nachlass mindernde
Schenkungen des Erblassers umgangen wird (vgl. BGHZ 157, 178, 187). Das
Gesetz schränkt aber die Verfügungsbefugnis des Erblassers zu dessen
Lebzeiten nicht ein und schützt den Pflichtteilsberechtigten insbesondere
nicht gegen die Übertragung von Vermögensgegenständen, für die der Erblasser
ein Äquivalent erhält, selbst wenn dieses im Zeitpunkt des Erbfalls
verbraucht ist. Der Schutz ist vielmehr auf Schenkungen beschränkt.
Bei dem Beweis, es liege trotz behaupteter Einigung über eine angebliche
Entgeltlichkeit des Geschäfts eine Schenkung vor, wird indessen nach der
Rechtsprechung vermutet, dass der Erblasser und sein Vertragspartner sich in
Wahrheit über eine unentgeltliche Zuwendung verständigt haben, wenn zwischen
der Leistung des Erblassers und der vereinbarten Gegenleistung ein
auffallendes, grobes Missverhältnis besteht (st. Rspr., vgl. BGHZ 59,
132, 136; 82, 274, 281 f.; Senatsurteil vom 17. April 2002 - IV ZR 259/01 -
NJW 2002, 2469 unter 3 c m.w.N.).
13 Für den erst beim Erbfall entstehenden Anspruch des
Pflichtteilsberechtigten (§ 2317 Abs. 1 BGB) kann also nicht
unberücksichtigt bleiben, ob der Erblasser einen ursprünglich verschenkten
Vermögensgegenstand einschließlich daraus vom Empfänger gezogener Vorteile
zurückerhalten oder dafür nachträglich ein Entgelt vereinbart hat, das
jedenfalls nicht in grobem Missverhältnis zu seiner Leistung steht. In
solchen Fällen kann der Pflichtteilsberechtigte keinen Anspruch auf
Pflichtteilsergänzung erheben (Kornexl, ZEV 2003, 196, 197).
14 c) Dass der Pflichtteilsberechtigte auch nachträgliche Vereinbarungen
über die Entgeltlichkeit von lebzeitigen Geschäften des Erblassers hinnehmen
muss, solange zwischen Leistung und Gegenleistung kein auffallendes, grobes
Missverhältnis besteht, entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung.
Danach steht seit langem fest, dass der Erblasser seine Gegenleistung für
ihm erbrachte Dienste auch nachträglich in den genannten Grenzen erhöhen
kann (BGH, Urteil vom 15. März 1989 - IVa ZR 338/87 - NJW-RR 1989, 706
unter 1; RGZ 75, 325, 327; 94, 157, 159).
15 2. Das Berufungsgericht hat also mit Recht geprüft, ob das Grundstück
infolge des Änderungsvertrages von 1996 in vollem Umfang entgeltlich
übertragen worden ist. Seine Würdigung dazu ist jedoch nicht frei von
Verfahrensfehlern.
16 Die von der Beklagten aufgrund des Änderungsvertrages zu entgeltenden
Leistungen des Erblassers bestanden aus der Übertragung des Grundstücks
sowie der Überlassung der daraus seit seiner Übertragung im Jahre 1995 von
der Beklagten gezogenen Nutzungen. Der Kläger hat vorgetragen, das
Grundstück sei erheblich mehr wert gewesen, als die Vertragsschließenden im
Hinblick auf die von ihnen eingeholte Wertschätzung des Architekten
angenommen hätten. Er hat dieser Schätzung nicht nur sein nachvollziehbares
Misstrauen entgegengesetzt, sondern schon in erster Instanz innerhalb dazu
nachgelassener Frist sachliche Einwände erhoben, die er in der
Berufungsbegründung aufrechterhalten hat. Sein Antrag, ein gerichtliches
Sachverständigengutachten einzuholen, hätte im Hinblick auf die - als
Parteivortrag der Beklagten zu wertende - Wertschätzung des Architekten nur
unberücksichtigt bleiben können, wenn der Tatrichter schon auf deren
Grundlage zu einer zuverlässigen Beantwortung der Beweisfrage hätte gelangen
können (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 1993 - VI ZR 243/92 - NJW
1993, 2382 unter II 3 b). Der Architekt ist aber inzwischen verstorben und
kann zu den Einwänden des Klägers nicht mehr angehört werden. Mit dem
streitigen Verkehrswert des Grundstücks und den dazu vom Kläger erhobenen
Einwänden haben sich die Vorinstanzen nicht auseinander gesetzt. Die
Auffassung des Berufungsgerichts, auf den objektiven Wert des Grundstücks
komme es nicht an, sondern nur auf die Vertretbarkeit des von den
Vertragsparteien vereinbarten Entgelts, greift zu kurz. Vielmehr kann der
Tatrichter das Vorliegen eines auffälligen, groben Missverhältnisses von
Leistung und Gegenleistung und auch die weitere Frage, ob trotz eines
solchen Missverhältnisses noch von vertretbaren Bewertungen der
Vertragsparteien ausgegangen werden kann, in aller Regel sinnvoll erst
prüfen, wenn er den Verkehrswert der Leistung und die dafür maßgebenden
Gesichtspunkte kennt.
17 Deshalb muss die Sache zur Einholung eines Sachverständigengutachtens
zurückverwiesen werden. Die weiteren Verfahrensrügen hat der Senat geprüft;
sie greifen aber nicht durch. Insoweit wird gemäß § 564 ZPO von einer
Begründung abgesehen.
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