Pflichtverletzung im
Anwaltsvertrag, Haftung und Zurechnungszusammenhang bei fehlerhafter
Rechtsanwendung durch das Gericht; Reichweite und Bedeutung von "iura novit
curia"
BGH, Urteil vom 18.
Dezember 2008 - IX ZR 179/07
Fundstelle:
NJW 2009, 987
Amtl. Leitsatz:
Unterlässt es der
Berufungsanwalt, auf ein die Rechtsauffassung seines Mandanten stützendes
Urteil des Bundesgerichtshofs hinzuweisen, und verliert der Mandant deshalb
den Prozess, wird der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Anwaltsfehler und
dem dadurch entstandenen Schaden nicht deshalb unterbrochen, weil auch das
Gericht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs übersehen hat.
Zentrale Probleme:
Eine sehr lehrreiche Entscheidung zum Pflichtenkreis des
Anwalts und zu seinen prozessualen Reaktionsmöglichkeiten, wenn das Gericht
einer falschen Rechtsauffassung folgt. Es geht um die Haftung eines
Rechtsanwalts wegen schlechter Prozeßführung. Der Anspruch, der hier noch
nach altem Recht unter dem Gesichtspunkt der "positiven Vertragsverletzung"
begründet ist, ergäbe sich heute aus §§ 280 I, 249 BGB. Da das
Dienstvertragsrecht (§§ 611 ff BGB), hier in Form eines
Geschäftsbesorgungsvertrages (§ 675 I BGB) kein eigenes Gewährleistungsrecht
kennt, ist auch die Rückforderung des gezahlten Entgelts nur über den Weg
des Schadensersatzes möglich.
Von Bedeutung ist die - nicht neue - Aussage, dass ein Fehler des Gerichts
den Anwalt gegenüber seinem Mandanten nicht entlastet, s. dazu bereits
BGH FamRZ 2003, 838.
Zentrale Aussage: "Mit Rücksicht auf das auch bei Richtern nur unvollkommene
menschliche Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit
eines Irrtums ist es Pflicht des Rechtsanwalts, nach Kräften dem Aufkommen
von Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenzuwirken." Wichtig ist hier
auch die Kausalität: Nach st. Rspr. kommt es nicht darauf an, wie das
Gericht bei pflichtgemäßem Verhalten des Anwalts entschieden hätte, sondern
wie es hätte entscheiden müssen. Der Anwalt kann sich also im
Regressprozeß nicht damit verteidigen, dass das Gericht ohnehin eine falsche
Entscheidung getroffen hätte. Von Bedeutung sind auch die Ausführungen zum
Zurechnungszusammenhang. S. dazu auch
BGH v. 25.10.2012 - IX ZR 207/11.
©sl 2009
Tatbestand:
1 Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung
eines Anwaltsvertrages. Die Klägerin, Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses,
nahm die Mieter einer ihrer Wohnungen auf Zahlung von Nebenkosten für die
Jahre 1998 bis 2000 in Anspruch. Streitig war u.a., ob die Mieter zur
anteiligen Zahlung von Versicherung und Grundsteuer verpflichtet waren. Vor
dem Amtsgericht vertrat die Klägerin sich selbst. Das Amtsgericht gab ihrer
Klage in den genannten Punkten mit der Begründung statt, die Mieter hätten
durch jahrelanges widerspruchsloses Zahlen der Umlage einer entsprechenden
Änderung des schriftlichen Vertrages zustimmt. Nachdem die Mieter Berufung
eingelegt hatten, beauftragte die Klägerin die beklagte Anwaltssozietät mit
ihrer Vertretung. Durch Urteil vom 11. Februar 2003 wies das
Berufungsgericht die Klage in den fraglichen Punkten ab, weil vorbehaltslose
Zahlungen von Mietern, die auch auf Rechtsirrtum beruhen könnten, nicht zu
einer Vertragsänderung führten.
2 Die Beklagte nahm die Klägerin sodann auf Zahlung von Anwaltshonorar in
Anspruch. Die Klage wurde in zwei Instanzen mit der Begründung abgewiesen,
die Beklagte habe die Klägerin unzureichend vertreten, insbesondere vor dem
Berufungsgericht nicht auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.
Mai 2000 (XII ZR 35/00, NJW-RR 2000, 1463) über den stillschweigenden
Abschluss einer Vereinbarung über zu tragende Nebenkosten durch jahrelange
Übung hingewiesen.
3 Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin Schadensersatz in Höhe
von 3.647,53 € (1.969,56 € entgangene Nebenkosten sowie Gerichtsund
Anwaltskosten). In den Vorinstanzen ist ihre Klage erfolglos geblieben. Mit
ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren
Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe:
4 Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
5 Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der für die beklagte Sozietät
handelnde Rechtsanwalt M. (fortan auch: die Beklagte) habe die ihm aufgrund
des Anwaltsvertrages obliegenden Pflichten verletzt, indem er im Prozess der
Klägerin gegen ihre Mieter weder in der schriftlichen Berufungserwiderung
noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht auf die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur stillschweigenden Vereinbarung über
die Umlegbarkeit von Nebenkosten hingewiesen habe. Zu dem Hinweis sei er
verpflichtet gewesen, um entweder das Gericht von der Richtigkeit der
Rechtsauffassung der Klägerin zu überzeugen oder es dazu zu bringen, die
Revision zuzulassen. Weil das Berufungsgericht die Entscheidung vom 29. Mai
2000 jedoch ebenfalls übersehen habe, bestehe kein Zurechnungszusammenhang
zwischen dem Fehler und dem eingetretenen Schaden, der in der Aberkennung
des Anspruchs auf Nebenkosten und der Verpflichtung zur Zahlung der
anteiligen Gerichts- und Anwaltskosten bestehe.
II.
6 Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
7 1. Die Beklagte hat die ihr aufgrund des Anwaltsvertrages obliegenden
Pflichten verletzt.
8 a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der mit
der Prozessführung betraute Rechtsanwalt seinem Mandanten gegenüber
verpflichtet, dafür einzutreten, dass die zugunsten des Mandanten
sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie
möglich ermittelt und bei der Entscheidung des Gerichts berücksichtigt
werden (BGH, Urt. v. 24. März 1988 - IX ZR 114/87, NJW 1988, 3013, 3016;
v. 4. Juni 1996 - IX ZR 51/95, NJW 1996, 2648, 2650; v. 24. Mai 2007 - IX ZR
142/05, WM 2007, 1425, 1426 f Rn. 14; Beschl. v. 19. Juni 2008 - IX ZR
111/05, ZMR 2008, 602; Zugehör NJW 2003, 3225, 3226 unter 2a). Zwar weist
die Zivilprozessordnung die Entscheidung und damit die rechtliche
Beurteilung des Streitfalles dem Gericht zu; dieses trägt für sein Urteil
die volle Verantwortung. Es widerspräche jedoch der rechtlichen und
tatsächlichen Stellung der Prozessbevollmächtigten in den
Tatsacheninstanzen, würde man ihre Aufgabe allein in der Beibringung des
Tatsachenmaterials sehen. Der Möglichkeit, auf die rechtliche Beurteilung
des Gerichts Einfluss zu nehmen, entspricht im Verhältnis zum Mandanten die
Pflicht, diese Möglichkeit zu nutzen (BGH, Urt. v. 4. Juni 1996, aaO).
Mit Rücksicht auf das auch bei Richtern nur unvollkommene menschliche
Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit eines
Irrtums ist es Pflicht des Rechtsanwalts, nach Kräften dem Aufkommen von
Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenzuwirken (BGHZ 174, 205, 210
Rn. 15; BGH, Urt. v. 25. Juni 1974 - VI ZR 18/73, NJW 1974, 1865, 1866).
Dies entspricht auch dem Selbstverständnis der Anwaltschaft (§ 1 Abs. 3
BORA).
9 b) Diese Pflicht hat die Beklagte verletzt, indem sie weder in der
schriftlichen Berufungserwiderung noch in der mündlichen Verhandlung noch in
einem auf ihren Antrag nachzulassenden Schriftsatz auf die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2000 (XII ZR 35/00, NJW-RR 2000, 1463) zur
konkludenten Vereinbarung über die Umlegung von Nebenkosten durch jahrelange
Übung hingewiesen hat.
10 aa) Im Ausgangsprozess hatte die Klägerin von ihren Mietern die Zahlung
anteiliger Versicherungskosten und anteiliger Grundsteuer verlangt. Im
schriftlichen Mietvertrag war nicht vorgesehen, dass diese Kosten auf die
Mieter umgelegt wurden. Die Klage konnte deshalb nicht auf den schriftlichen
Vertrag gestützt werden, sondern nur darauf, dass der Vertrag nachträglich
konkludent - durch vorbehaltsloses Zahlen der Umlage seit dem Jahre 1988 -
geändert worden war. In dem zitierten Beschluss vom 29. Mai 2000 hatte der
für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs eine Vertragsänderung durch jahrelange Übung für möglich
gehalten. Ein entsprechendes Urteil des für das Recht der Wohnungsmiete
zuständigen VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs erging kurz nach
Abschluss des Ausgangsprozesses, nämlich am 7. April 2004 (VIII ZR 146/03,
NJW-RR 2004, 877).
11 bb) Die Beklagte hätte in der Berufungserwiderung auf den genannten
Beschluss vom 29. Mai 2000 hinweisen müssen. Der Senat hat bereits
entschieden, dass der Rechtsanwalt, der die Vertretung der beklagten Partei
in einem Zivilprozess übernimmt, zu prüfen hat, ob die gegnerische Klage
eventuell schon an der fehlenden Schlüssigkeit scheitert. Sind bei
verkehrsüblicher Sorgfalt solche Mängel erkennbar, so hat der
Prozessbevollmächtigte sie grundsätzlich im Rechtsstreit geltend zu machen
(BGH, Urt. v. 24. Mai 2007, aaO). Übernimmt der Anwalt die Vertretung
eines Berufungsbeklagten, hat er ebenso zu prüfen, ob die mit der Berufung
verfolgte Rechtsverteidigung schon aus Rechtsgründen aussichtslos ist (oder
umgekehrt ohne weiteres Erfolg hat, so dass eine Klagerücknahme angezeigt
ist). Der Hinweis auf eine die Rechtsauffassung der Klägerin stützende
Entscheidung des Bundesgerichtshofs war geeignet, der gegnerischen Berufung
den Boden zu entziehen. Die Mieter hätten durch sie veranlasst werden
können, ihre Berufung zurückzunehmen. Das Gericht hätte sich ihr anschließen
können. Hätte es abweichen wollen, hätte es zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO) die
Revision zulassen müssen; hätte es die Entscheidung deshalb, weil der
vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall das gewerbliche Mietrecht und nicht
das Wohnraummietrecht betraf, für nicht einschlägig gehalten, wäre der
Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung erfüllt gewesen (§ 543 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 ZPO). Eine unterbliebene Zulassung hätte wegen des Entzugs
des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 GG) und wegen Verletzung des
Rechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20
Abs. 3 GG; vgl. BVerfG, Beschl. v. 4. November 2008 - 1 BvR 2587/06 Rn. 16)
mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können.
12 Ein mit verkehrsüblicher Sorgfalt arbeitender Anwalt hätte die
fragliche Entscheidung im Zuge der Bearbeitung des Mandats auch ohne
sonderliche Mühe auffinden und verarbeiten können. Sie war in dem Zeitpunkt,
als die Beklagte die Vertretung der Klägerin übernahm, bereits in mehreren
juristischen Zeitschriften veröffentlicht worden (NJW-RR 2000, 1463; NZM
2000, 961; Grundeigentum 2000, 1614) und wurde zudem in einem gängigen
Kommentar zum BGB nachgewiesen (Palandt/Weidenkaff, BGB 63. Aufl. § 535
Rn. 87).
13 cc) Unabhängig von den an eine sorgfältige Berufungserwiderung zu
stellenden Anforderungen war die Beklagte außerdem verpflichtet, auf den
Hinweis des Berufungsgerichts im Ausgangsprozess zu reagieren und dabei die
der Rechtsauffassung des Gerichts entgegenstehende Entscheidung des
Bundesgerichtshofs zu zitieren. In der mündlichen Verhandlung über die
Berufung der Mieter wies das Berufungsgericht darauf hin, dass seiner
Ansicht nach eine stillschweigende Abänderung der im schriftlichen
Mietvertrag getroffenen Vereinbarungen über die Nebenkosten nicht in
Betracht komme. Es bezog sich dabei auf eine „herrschende Meinung“ und
zitierte zwei landgerichtliche Urteile aus den Jahren 1982 und 1989 sowie
eine Kommentierung aus dem Jahre 1979 (Sternel, Mietrecht 2. Aufl. 1979 II
72; LG Darmstadt WuM 1989, 582; LG Wuppertal WuM 1982 Heft 11). Bei
ordnungsgemäßer Vorbereitung der mündlichen Verhandlung wäre die Beklagte in
der Lage gewesen, auf anderslautende jüngere Rechtsprechung und Literatur
hinzuweisen. Konnte sie dies nicht, hätte sie Schriftsatznachlass
beantragen, sich in das Problem einarbeiten (vgl. BGH, Urt. v. 22. September
2005 - IX ZR 23/04, WM 2005, 2197, 2198 m.w.N.) und im nachgelassenen
Schriftsatz auf den aktuellen Meinungsstand sowie insbesondere die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2000 hinweisen können. Gemäß
§ 139 Abs. 5 ZPO soll das Gericht dann, wenn einer Partei eine sofortige
Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich ist, eine Frist
bestimmen, in der die Partei die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen
kann. Einen Antrag auf Schriftsatznachlass hat die Beklagte jedoch nicht
gestellt.
14 dd) Entgegen der Ansicht der Beklagten entfielen die genannten
Pflichten nicht deshalb, weil das Gericht seinerseits zur umfassenden
rechtlichen Prüfung des Falles unter Auswertung der einschlägigen
Rechtsprechung und Literatur verpflichtet war. Schon nach der
Zivilprozessordnung ist Aufgabe des Anwalts nicht nur die Beibringung der
Tatsachengrundlage für die vom Richter zu treffende Entscheidung. Das zeigt
etwa die Vorschrift des § 137 Abs. 2 ZPO, die gemäß § 525 ZPO auch im
Berufungsrechtszug gilt. Nach § 137 Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO haben die Vorträge
der Parteien das Streitverhältnis auch in rechtlicher Beziehung zu umfassen.
Der in diesem Zusammenhang oft zitierte Satz "iura novit curia" betrifft das
Verhältnis der juristisch nicht gebildeten Naturalpartei zum Gericht
(vgl. Medicus AnwBl. 2004, 257, 260). Der Anwalt hat dagegen - ebenso wie
der Richter - die Befähigung zum Richteramt oder eine gleichwertige
Qualifikation (§ 4 Abs. 1 BRAO). Der Anwaltszwang (§ 78 ZPO), der die
Prozessparteien mit zusätzlichen Kosten belastet und ihren Zugang zu den
staatlichen Gerichten einschränkt, wäre nicht zu erklären, wenn Aufgabe des
Anwalts allein die Beibringung des Tatsachenmaterials wäre und nicht auch
die rechtliche Durchdringung des Falles. Vor allem aber richten sich die
Pflichten des Anwalts nicht nur nach der Zivilprozessordnung, sondern auch
und sogar in erster Linie nach dem zwischen ihm und dem Mandanten
geschlossenen Vertrag. Ein Vertrag über die Vertretung in einem
Berufungsverfahren umfasst das nach der Zivilprozessordnung für die Wahrung
der Rechte des Mandanten notwendige Minimum, also insbesondere die
Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung und die Antragstellung, erschöpft
sich hierin jedoch nicht. Nach der Verkehrsauffassung (§§ 133, 157 BGB) kann
der Mandant, der einen Anwalt mit der Wahrnehmung seiner Rechte im
Berufungsverfahren beauftragt hat, mehr als nur die schlichte Antragstellung
verlangen. Der Mandant erwartet und darf erwarten, dass der Anwalt auch die
rechtlichen Grundlagen des Falles durchdenkt. Dass jahrelange vorbehaltslose
Zahlungen als konkludente Abänderung eines schriftlichen Mietvertrages
verstanden werden konnten, war andererseits nicht so selbstverständlich,
dass ein Hinweis aus diesem Grund hätte unterbleiben können (vgl. etwa
die kritische Kommentierung von Schmidt-Futterer/Langenberg, Mietrecht 8.
Aufl. § 556 BGB Rn. 60). Dies galt umso mehr, nachdem das Gericht des
Ausgangsprozesses in der mündlichen Verhandlung hatte erkennen lassen, dass
es neuere Rechtsprechung und Literatur nicht berücksichtigt hatte.
15 2. Durch die genannten Fehler der Beklagten ist der Klägerin der geltend
gemachte Schaden - der Verlust des Anspruchs auf die Nebenkosten sowie die
anteiligen Kosten des Erstprozesses - entstanden.
16 a) Um die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung eines Rechtsanwalts für
den geltend gemachten Schaden festzustellen, ist zu prüfen, welchen Verlauf
die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten. Ist im
Haftpflichtprozess die Frage, ob dem Mandanten durch eine schuldhafte
Pflichtverletzung des Rechtsanwalts ein Schaden entstanden ist, vom Ausgang
eines anderen Verfahrens abhängig, muss das Regressgericht selbst prüfen,
wie jenes Verfahren richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre (BGHZ
133, 110, 111; 145, 256, 261; 163, 223, 227; 174, 205, 209 Rn. 9; Fahrendorf
in Rinsche/Fahren-dorf/Terbille, Anwaltshaftung 7. Aufl. Rn. 801; Fischer in
Zugehör/Fischer/Sieg/ Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rn. 1062
ff). Welche rechtliche Beurteilung das mit dem Vorprozess befasste
Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hätte, ist ohne Belang. Vielmehr
ist die Sicht des Regressgerichts maßgeblich. Dies gilt selbst dann, wenn
feststeht, welchen Ausgang das frühere Verfahren bei pflichtgemäßem
Verhalten des Anwalts genommen hätte (BGHZ 174, 205, 209 Rn. 9).
17 b) Die Klägerin hatte gegen ihre Mieter Anspruch auf Zahlung anteiliger
Versicherungskosten und anteiliger Grundsteuer. Nach mittlerweile
gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Umlegung
einzelner sonstiger Betriebskosten auch aufgrund jahrelanger Zahlung durch
stillschweigende Vereinbarung erfolgen (BGH, Urt. v. 7. April 2004 - VIII ZR
146/03, NJW-RR 2004, 877). Die Mieter der Klägerin hatten seit dem Jahre
1988 anteilige Versicherungskosten und anteilige Grundsteuer gezahlt. Der
Anspruch wurde jedoch aberkannt, weil das seinerzeit zur Entscheidung
berufene Gericht den bereits mehrfach zitierten Beschluss des
Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2000 (aaO) übersehen hatte. Hätte die
Beklagte auf den Beschluss hingewiesen, hätte das nicht geschehen dürfen.
Das Gericht hätte sich mit ihm auseinandersetzen müssen. Es hätte entweder
die Berufung der Mieter zurückweisen oder aber die Abweisung der Klage mit
der Zulassung der Revision verbinden müssen; die Revision der Kläger hätte
Erfolg haben müssen.
18 c) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist eine Kausalität zwischen
Pflichtverletzung und Schaden nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Gericht
"eigenverantwortlich" und "autonom" entschieden hat. Von einem
fehlenden Kausalzusammenhang könnte man ausgehen, wenn das Gericht den
Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2000 (aaO) gesehen, aber
bewusst unberücksichtigt gelassen hätte oder bewusst von ihm abgewichen wäre
(BGHZ 174, 205, 211 f Rn. 19 ff). Das hat die Beklagte in den
Tatsacheninstanzen jedoch nicht behauptet. Die Revisionserwiderung selbst
spricht von einer "auf unzureichender Rechtsrecherche zurückgehenden
Entschließung des Berufungsgerichts" im Ausgangsverfahren.
19 3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der
Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden nicht durch
den in der unzulänglichen rechtlichen Aufarbeitung des Ausgangsprozesses
liegenden gerichtlichen Fehler unterbrochen worden.
20 a) Beruht ein Schaden haftungsrechtlich auf mehreren Ursachen, die von
verschiedenen Personen gesetzt worden sind, so haften diese grundsätzlich
als Gesamtschuldner. Zivilrechtlich wird in diesen Fällen nicht danach
unterschieden, ob einzelne Ursachen wesentlicher sind als andere. Das gilt
grundsätzlich auch, wenn eine Ursache für sich allein den Schaden nicht
herbeigeführt hat, es dazu vielmehr des Hinzutretens weiterer Ursachen im
Sinne einer kumulativen Gesamtkausalität bedurfte. Demgemäß ist der Schaden
ebenfalls zu ersetzen, der letztlich erst durch das Eingreifen eines
Dritten, hier des Gerichts des Vorprozesses, eintritt (vgl. BGHZ 174,
205, 209 Rn. 11 m.w.N.).
21 Die Zurechenbarkeit fehlt in derartigen Fällen dann, wenn das
Eingreifen des Dritten den Geschehensablauf so verändert, dass der Schaden
bei wertender Betrachtung in keinem inneren Zusammenhang zu der vom
Rechtsanwalt zu vertretenden Vertragsverletzung steht. Der
Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Anwalts und dem
eingetretenen Schaden kann insbesondere dann unterbrochen sein, wenn dem
Gericht des Vorprozesses ein Fehler unterläuft. Das Gericht ist für die
Beachtung der ihm im öffentlichen Interesse obliegenden Verpflichtung, nach
den Regeln der Verfahrensvorschriften möglichst zu einer richtigen
Entscheidung zu gelangen, unabhängig von der Leistung des Anwalts
verantwortlich. Der gerichtliche Aufgabenbereich der Rechtsfindung muss in
die im Rahmen der Zurechnung gebotene wertende Betrachtungsweise einbezogen
werden (BGHZ 174, 205, 210 Rn. 12 f). Auf der anderen Seite ist der
Anwalt allerdings verpflichtet, seinen Mandanten vor Fehlentscheidungen der
Gerichte zu bewahren. Soweit sich deshalb in der gerichtlichen
Fehlentscheidung das allgemeine Prozessrisiko verwirklicht, das darin liegt,
dass das Gericht bei ordnungsgemäßem Vorgehen trotz des Anwaltsfehlers
richtig hätte entscheiden können und müssen, ist dem Anwalt der
Urteilsschaden haftungsrechtlich zuzurechnen (BGHZ 174, 205, 210 Rn. 15;
Fahrendorf, aaO Rn. 795; Fischer, aaO Rn. 1024, 1029).
22 b) Im vorliegenden Fall haben die Fehler der Beklagten die Rechtsfindung
nicht erschwert. Das Gericht war eigenständig zur Prüfung der Sach- und
Rechtslage verpflichtet. Es hätte bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt
selbst den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2000 (aaO) finden
und sich mit ihm auseinandersetzen müssen. Der Schadensbeitrag des
Gerichts überwiegt denjenigen der Beklagten jedoch nicht so weit, dass
letzterer dahinter ganz zurücktritt. Dem Gericht ist ein ähnlicher Fehler
unterlaufen wie der Beklagten. Das Gericht hat auch nicht unter
völlig ungewöhnlicher, sachwidriger und daher grober, schlechthin
unvertretbarer Verletzung seiner besonderen Pflichten eine Schadensursache
gesetzt, welche die vorangegangene anwaltliche Pflichtverletzung mit
Rücksicht auf Art, Gewicht und wechselseitige Abhängigkeit der
Schadensbeiträge so sehr in den Hintergrund rückt, dass bei wertender
Betrachtung gleichsam nur der Gerichtsfehler als einzige, endgültige
Schadensursache erscheint und der Anwaltsfehler nach dem Schutzzweck der
verletzten Vertragspflicht keine ins Gewicht fallende Bedeutung gegenüber
der vom Gericht zu verantwortenden Schadensursache hat (vgl. BGHZ 174,
205, 211 Rn. 18). Die Pflicht des Anwalts zur Rechtsprüfung und zu
Rechtsausführungen im Prozess dient auch und gerade dazu, den Mandanten vor
Fehlentscheidungen infolge nachlässiger Arbeit des zur Entscheidung
berufenen Richters zu bewahren; genau dieses Risiko hat sich verwirklicht.
Die Frage, ob ein Anwalt Vorsorge dagegen treffen muss, dass ein Gericht zur
Begründung seiner Entscheidung nur 15 bis 20 Jahre alte Rechtsprechung und
Literatur heranzieht, stellt sich hier nicht. Es geht nicht darum, welche
Entscheidungsgrundlagen das Gericht verwandt hat, sondern darum, dass es
eine einschlägige höchstrichterliche Entscheidung aus neuerer Zeit übersehen
hat. Spätestens nachdem das Gericht den Hinweis erteilt hatte, aus dem sich
ergab, dass die von ihm herangezogene Rechtsprechung und Literatur deutlich
veraltet war, hätte die Beklagte eingreifen müssen.
III.
23 Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist
aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da bisher keine Feststellungen zur
Schadenshöhe getroffen worden sind, ist die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). |