IZPR/ZPO: Doppelte Rechtshängigkeit iSv Art. 29
EuGVO und einseitige Erledigungserklärung in der Hauptsache nach deutschem
Zivilprozessrecht
BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 - IX
ZR 83/17 - LG Darmstadt
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
1. Eine bei einem deutschen Gericht erhobene
Klage ist von Anfang an unzulässig, wenn wegen desselben Anspruchs zwischen
denselben Parteien bereits eine Klage bei einem international zuständigen
Gericht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union anhängig ist.
2. Wird ein vor einem deutschen Gericht anhängiges Verfahren wegen einer in
einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union wegen desselben Anspruchs
zwischen denselben Parteien bereits anhängigen Klage ausgesetzt, bewirkt die
Feststellung der Zuständigkeit des ausländischen Gerichts im inländischen
Verfahren nicht die Erledigung der Hauptsache.
Zentrale Probleme:
Der Kl äger erhob wegen desselben
Anspruchs zunächst eine Klage in Österreich und anschließend eine solche in
Deutschland. Nachdem er mit der Klage in Österreich Erfolg hatte, erklärte
er im deutschen Verfahren die Erledigung in der Hauptsache. Dass sich der
Beklagte dieser Erledigungserklärung nicht anschloss, war im Rahmen einer
Klageänderung (§ 265 ZPO) darüber zu entscheiden, ob die Klage anfänglich
zulässig und begründet war und durch ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes
Ereignis unzulässig oder unbegründet wurde. Im Kern
geht es hier um das Zusammenspiel zwischen Art. 29 EuGVO und nationalem
Prozessrecht: Nach Art. 29 EuGVO wird bei einer ausländischen früheren
Rechtshängigkeit ausgesetzt, bis die Zuständigkeit des zuerst abgerufenen
Gerichts feststeht. Hier hatte der Kläger beim zuerst angerufenen Gericht
Erfolg und wollte dann bei später angerufenen (deutschen) Gericht die Klage
einseitig für erledigt erklären (s. dazu die Anm. zu
BGH, Urteil vom 21. März
2006 - VI ZR 77/05). Dazu hätte sein Klage zunächst zulässig und
begründet gewesen sein. Das verneint der BGH zu recht.
©sl 2018
Tatbestand:
1 Der Kläger ist Rechtsanwalt mit Niederlassung in
Salzburg, Österreich.
Er vertrat im Jahr 2013 den Beklagten sowie dessen ebenfalls in Deutschland
wohnhafte Geschwister in einem Zivilprozess vor dem Bezirksgericht Hallein
in Österreich. Das für seine Tätigkeit angefallene Honorar in Höhe von
3.447,54 € machte der Kläger nebst weiteren Kosten gegen den Beklagten und
dessen Geschwister als Auftraggeber in Österreich gerichtlich geltend. Seine
im Juli 2014 beim Bezirksgericht Hallein erhobene, auf Zahlung von insgesamt
3.965,18 € gerichtete Klage wurde an das Bezirksgericht Salzburg verwiesen
und dort mangels internationaler Zuständigkeit mit Beschluss vom 27. Februar
2015 abgewiesen. Der Kläger legte hiergegen Rekurs zum Landesgericht
Salzburg ein. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 20. August 2015 stellte
dieses die internationale Zuständigkeit des Bezirksgerichts Salzburg fest
und verwies das Verfahren im Übrigen an das Bezirksgericht zurück,
wo sich die Parteien am 6. Oktober 2015 in Höhe der Klageforderung
verglichen.
2 Im März 2015 hat der Kläger sein Honorar auch vor deutschen Gerichten
geltend gemacht, gegen den Beklagten beim Amtsgericht Groß-Gerau.
Dieses hat mit Beschluss vom 30. Juli 2015 das Verfahren bis zur
Entscheidung der österreichischen Gerichte über ihre Zuständigkeit
ausgesetzt. Nach dem Abschluss des Verfahrens in Österreich hat der
Kläger den Rechtsstreit vor dem Amtsgericht Groß-Gerau für erledigt erklärt.
Der Beklagte hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.
3 Das Amtsgericht hat die nunmehr auf Feststellung der Erledigung
gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das
Landgericht den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Mit seiner vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die
Wiederherstellung des Urteils des Amtsgerichts.
Entscheidungsgründe:
4 Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur
Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung des
Klägers.
I.
5 Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die ursprüngliche
Zahlungsklage habe sich nach Rechtshängigkeit dadurch erledigt, dass sich
die österreichischen Gerichte für international zuständig erklärt hätten, so
dass das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gleichen Inhalts in
Deutschland entfallen sei. Die Klage vor dem Amtsgericht Groß-Gerau
sei bei Einreichung nicht unzulässig gewesen. Die Vorschrift des §
261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO gelte nicht für den Fall von Klagen in
unterschiedlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Gemäß
Art. 29 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(ABl. Nr. L 351/1, fortan "EuGVVO nF") sei das Verfahren bei dem später
angerufenen Gericht auszusetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst
angerufenen Gerichts feststehe. Solange dieses nicht über seine
internationale Zuständigkeit entschieden habe, sei die Klage vor dem später
angerufenen Gericht schwebend zulässig. Art. 29 EuGVVO nF wolle es gerade
ermöglichen, dass bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen mit
demselben Streitgegenstand anhängig gemacht werden. Diesem Regelungszweck
liefe es zuwider, müsste ein Kläger, wenn sich das von ihm berechtigterweise
zuerst angerufene Gericht tatsächlich für zuständig erklärt, die Kosten des
zweiten Verfahrens tragen.
II.
6 Die Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht eine
Erledigung der Hauptsache festgestellt.
7 1. Wenn ein Kläger die Hauptsache für erledigt erklärt, der
Beklagte dem aber widerspricht und Klageabweisung beantragt, hat das Gericht
durch Urteil zu entscheiden, ob Erledigung eingetreten ist oder nicht
(BGH, Urteil vom 6. Dezember 1984 - VII ZR 64/84, NJW 1986, 588 f).
Die Hauptsache ist erledigt, wenn die Klage im Zeitpunkt des nach ihrer
Zustellung eingetretenen erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war
und durch das behauptete Ereignis unzulässig oder unbegründet wurde
(BGH, Urteil vom 17. Juli 2003 - IX ZR 268/02, BGHZ 155, 392, 395; vom 27.
Januar 2010 - VIII ZR 58/09, BGHZ 184, 128 Rn. 18; jeweils mwN). Das
Gericht muss die Klage abweisen, wenn eine der beiden Voraussetzungen nicht
vorlag (BGH, Urteil vom 17. April 1984 - IX ZR 153/83, BGHZ 91,
126, 127).
8 2. Von diesem Maßstab ist das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat aber zu
Unrecht angenommen, dass die vor dem Amtsgericht erhobene Zahlungsklage bis
zu der als maßgeblich angesehenen Entscheidung des Landesgerichts Salzburg
über die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte
schwebend zulässig gewesen und erst infolge dieser Entscheidung unzulässig
geworden sei. Die vor dem Amtsgericht erhobene Klage war von Anfang
an unzulässig, weil der Kläger wegen desselben Anspruchs gegen den Beklagten
bereits vor einem international zuständigen Gericht in Österreich einen
Rechtsstreit führte, der bis zu dessen vergleichsweiser Beendigung
rechtshängig blieb.
9 a) Die Rechtshängigkeit der Streitsache hat nach deutschem
Zivilprozessrecht die Wirkung, dass während der Dauer der Rechtshängigkeit
die Streitsache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden kann
(§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Dadurch soll verhindert werden,
dass der Beklagte und die Gerichte sich in mehreren Verfahren mit derselben
Sache befassen müssen und dass einander widersprechende Urteile ergehen
(vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 1952 - IV ZR 106/51, BGHZ 4, 314,
322; vom 17. Mai 2001 - IX ZR 256/99, NJW 2001, 3713; vom 7. März 2002 - III
ZR 73/01, NJW 2002, 1503 unter II. 1.). Das deutsche Prozessrecht
behandelt die anderweitige Rechtshängigkeit als negative
Prozessvoraussetzung, die von Amts wegen zu beachten ist (st.
Rspr., grundlegend RGZ 160, 338, 344 f; BGH, Urteil vom 15. Januar 1985 - X
ZR 16/83, WM 1985, 673; vom 28. Mai 2008 - XII ZR 61/06, BGHZ 176, 365 Rn.
19; MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl., § 261 Rn. 5 und 42).
Eine später gegen dieselbe Partei über denselben Streitgegenstand erhobene
Klage ist während der Dauer der anderweitigen Rechtshängigkeit von Anfang an
unzulässig (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2014 - XI ZB 17/13, WM
2015, 69 Rn. 15; BAG, NZA 2015, 124 Rn. 34; MünchKommZPO/Becker-Eberhard,
aaO § 261 Rn. 42).
10 b) § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO regelt unmittelbar nur die Wirkungen der
Rechtshängigkeit einer Streitsache vor einem deutschen Gericht. Die
Rechtshängigkeit der Streitsache vor einem ausländischen Gericht steht nach
der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Rechtshängigkeit vor
einem inländischen Gericht aber gleich, wenn das ausländische Urteil hier
anzuerkennen sein wird (vgl. etwa BGH, Urteil vom 18. März 1987 -
IVb ZR 24/86, WM 1987, 826; vom 12. Februar 1992 - XII ZR 25/91, FamRZ 1992,
1058, 1059; vom 24. Oktober 2000 - XI ZR 300/99, NJW 2001, 524, 525; vom 28.
Mai 2008, aaO Rn. 17). Sie steht unter dieser Voraussetzung einer
nachfolgenden Klage in gleicher Weise von Anfang an entgegen, wie gemäß §
261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO die anderweitige Rechtshängigkeit der Streitsache in
Deutschland.
11 c) Aus Art. 29 EuGVVO nF ergibt sich nicht, dass die in Deutschland
erhobene Klage abweichend von den vorstehenden Grundsätzen zunächst zulässig
war.
12 aa) Für den hier gegebenen Fall der doppelten Rechtshängigkeit einer
Streitsache bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten der Europäischen
Union bestimmt Art. 29 Abs. 1 und 3 EuGVVO nF, dass das später
angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen auszusetzen hat, bis die
Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht; sobald dies der
Fall ist, hat sich das später angerufene Gericht zugunsten des zuerst
angerufenen Gerichts für unzuständig zu erklären. Die
doppelte Rechtshängigkeit ein und desselben Streitgegenstandes ist danach
wie im deutschen Zivilprozessrecht auch im Verhältnis zwischen den Gerichten
verschiedener Mitgliedstaaten der Europäischen Union beachtlich und steht
einer Sachentscheidung des später angerufenen Gerichts entgegen. Im
Interesse einer geordneten und abgestimmten Rechtspflege innerhalb der
Gemeinschaft sollen so weit wie möglich Parallelverfahren und
widersprüchliche Entscheidungen in verschiedenen Mitgliedstaaten verhindert
werden (für Art. 21 des Übereinkommens von Brüssel von 1968 über die
gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen - ABl. EG 1972 Nr. L 299 S. 32,
EuGVÜ - Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 Nr. C 59 S. 1, 41; vgl. auch
Erwägungsgrund 21 der EuGVVO nF), die sich daraus ergeben können, dass einem
Kläger in den Zuständigkeitsbestimmungen die Wahl zwischen mehreren
Gerichtsständen in verschiedenen Mitgliedstaaten ermöglicht wird (für das
EuGVÜ Dohm, Die Einrede ausländischer Rechtshängigkeit im deutschen
internationalen Zivilprozess, 1996, S. 33; für Art. 27 der Verordnung (EG)
Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 - EuGVVO aF - Geimer in
Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 27 Rn. 1;
für Art. 29 EuGVVO nF Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozess- und
Kollisionsrecht, 4. Aufl., Art. 29 Brüssel Ia-VO Rn. 9).
13 bb) Die Regelung der Verordnung hat Vorrang vor dem Prozessrecht der
einzelnen Mitgliedstaaten (Simons in Simons/Hausmann, Brüssel I-Verordnung,
2012, vor Artt. 27-30 Rn. 15; Rauscher/Staudinger, aaO, Einl. Brüssel Ia-VO
Rn. 27 ff; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 261 Rn. 49, 53; MünchKommZPO/Becker-Eberhard,
5. Aufl., § 261 Rn. 73; zu Art. 21 EuGVÜ OLGR Stuttgart 2001, 288, 289).
Der Vorrang gilt jedoch nur insoweit, als die Regelung der
Verordnung reicht. Art. 29 EuGVVO nF bestimmt die Rechtsfolge der doppelten
Rechtshängigkeit dahin, dass sich das später angerufene Gericht, sobald die
Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, für unzuständig zu
erklären hat. In welcher Weise und auf wessen Kosten der später begonnene
Rechtsstreit prozessual beendet wird, überlässt die Regelung dem nationalen
Recht (vgl. Dohm, aaO S. 190). Die deutsche Rechtsprechung
hat schon zu den früheren Bestimmungen in Art. 21 EuGVÜ und Art. 27 EuGVVO
aF entschieden, dass die Klage bei dem später angerufenen Gericht als
unzulässig abzuweisen ist (BGH, Urteil vom 9. Oktober 1985, NJW
1986, 662; vom 8. Februar 1995 - VIII ZR 14/94, NJW 1995, 1758, 1759; vgl.
auch BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 - VI ZR 45/12, BGHZ 196, 180 Rn. 11).
Dies entspricht der Rechtslage nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO.
Die durch die anderweitige Rechtshängigkeit bewirkte Unzulässigkeit der
späteren Klage besteht von Anfang an. Deswegen ist
dem Kläger auch der Weg versperrt, die Kosten über eine Erledigungserklärung
auf den Beklagten abzuwälzen.
14 d) Selbst unter der Annahme, Art. 29 EuGVVO nF regle auch den Zeitpunkt,
ab dem die Klage beim später angerufenen Gericht unzulässig ist, träfe die
Ansicht des Berufungsgerichts, die spätere Klage sei bis zur Feststellung
der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts zulässig, nicht zu.
Eine solche vorübergehende Zulässigkeit der später erhobenen Klage
kann nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass Art. 29 Abs. 1 EuGVVO nF
eine Aussetzung des Verfahrens vorschreibt, bis die Zuständigkeit des zuerst
angerufenen Gerichts feststeht. Das Aussetzungsgebot betrifft ausschließlich
das vom Zweitgericht einzuhaltende Verfahren.
15 aa) Nach der ursprünglichen Regelung in Art. 21 EuGVÜ hatte sich, wenn
bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs
zwischen denselben Parteien anhängig gemacht wurden, das später angerufene
Gericht von Amts wegen zugunsten des zuerst angerufenen Gerichts für
unzuständig zu erklären. Falls die Unzuständigkeit des zuerst
angerufenen Gerichts geltend gemacht wurde, konnte das Gericht, das sich für
unzuständig zu erklären hätte, die Entscheidung aussetzen. Diese Regelung
brachte zum Ausdruck, dass eine zweite Klage unzulässig war, wenn in einem
anderen Vertragsstaat bereits eine Klage über denselben Anspruch vor einem
international zuständigen Gericht anhängig war. Durch Art. 8 des
Übereinkommens über den Beitritt des Königreichs Spanien und der
Portugiesischen Republik von 1989 (ABl. EG 1989 Nr. L 285, S. 1) wurde die
Regelung dahin geändert, dass die bisher fakultative Aussetzung
obligatorisch wurde. Eine sofortige Prozessabweisung durch das Zweitgericht
wurde in den Fällen als zu radikal angesehen, in denen die Erhebung der
zweiten identischen Klage zur Fristwahrung oder Verjährungsunterbrechung
erfolgte (vgl. hierzu für das Lugano-Übereinkommen Jenard/Möller, ABl. EG
1990 Nr. C 189 S. 57, 78 Nr. 64; übernommen für das EuGVÜ nF, vgl.
Cruz/Real/Jenard-Bericht zum Beitrittsübereinkommen 1989, ABl. EG 1990 Nr. C
189 S. 35, 48 Nr. 28). Der Ausgangspunkt, dass die zweite Klage angesichts
der bereits bei einem anderen, international zuständigen Gericht anhängigen
Klage unzulässig ist, änderte sich dadurch nicht. Es sollte lediglich
vermieden werden, dass nach sofortiger Abweisung der zweiten Klage ein neues
Verfahren eingeleitet werden musste, sofern sich später die Unzuständigkeit
des zuerst angerufenen Gerichts herausstellte (vgl. Bäumer, Die ausländische
Rechtshängigkeit und ihre Auswirkungen auf das internationale
Zivilverfahrensrecht, 1999, S. 192).
16 bb) Die Regelung in Art. 29 Abs. 1 und 3 EuGVVO nF entspricht, wie schon
die Vorgängerregelung in Art. 27 EuGVVO aF, im Wesentlichen derjenigen in
Art. 21 EuGVÜ nF. Auch sie schiebt lediglich die Befugnis des
Zweitgerichts, sich im Hinblick auf die doppelte Rechtshängigkeit für
unzuständig zu erklären, zeitlich hinaus (vgl. Stein/Jonas/Wagner,
ZPO, 22. Aufl., Art. 27 EuGVVO Rn. 58; Nieroba, Die europäische
Rechtshängigkeit nach der EuGVVO an der Schnittstelle zum nationalen
Zivilprozessrecht, 2006, S. 156). Das Zweitgericht hat die
Entscheidung des Erstgerichts zur internationalen Zuständigkeit abzuwarten
und im Verfahren bis dahin innezuhalten. Hierdurch sollen negative
Kompetenzkonflikte vermieden werden, die im Falle einer sofortigen Abweisung
der zweiten Klage wegen der anderweitigen Rechtshängigkeit drohten, wenn
sich das erste Verfahren letztlich doch mangels internationaler
Zuständigkeit als unzulässig erweist (für Art. 21 Abs. 2 EuGVÜ aF
JenardBericht, aaO, S. 41; MünchKomm-ZPO/Gottwald, 4. Aufl., Art. 27 EuGVVO
Rn. 21). Die Parteien sollen in einem solchen Fall nicht mit ihrem Prozess
von neuem beginnen müssen (für Art. 21 Abs. 2 EuGVÜ aF Jenard-Bericht, aaO;
für die EuGVVO nF Rauscher/Leible, aaO, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rn. 38;
Zöller/ Geimer, ZPO, 32. Aufl., Art. 29 EuGVVO Rn. 1). Damit ist den
Interessen des Klägers im Rahmen des von Art. 29 EuGVVO nF verfolgten
Regelungszwecks hinreichend Rechnung getragen. Eine weitergehende
Bevorzugung seiner Interessen gebietet Art. 29 EuGVVO nF nicht.
Insbesondere bezweckt die Bestimmung entgegen der Ansicht des
Berufungsgerichts nicht, dass ein Kläger gegen ein und denselben Beklagten
wegen desselben Streitgegenstandes bei Gerichten verschiedener
Mitgliedstaaten ohne Kostenrisiko gerichtlich vorgehen kann. Art.
29 EuGVVO nF dient auch dem Schutz des Beklagten vor der Gefahr, sich einer
doppelten Verurteilung und entsprechenden Kostenfolgen ausgesetzt zu sehen
(zu Art. 21 EuGVÜ BGH, Beschluss vom 28. November 1985 - III ZR 3/85, RIW
1986, 217 f).
17 3. Der Senat erachtet ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art.
267 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union im Streitfall
nicht für erforderlich. Der Regelungsumfang des Art. 29 EuGVVO nF
ist angesichts der Gesetzgebungsmaterialien derart offenkundig, dass
keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt. Der Senat ist davon
überzeugt, dass diese Gewissheit auch für die Gerichte der übrigen
Mitgliedstaaten und den Gerichtshof besteht (vgl. EuGH, Urteil vom
6. Oktober 1982 - C-283/81, Cilfit, Slg. 1982, 3415 Rn. 16). Das Verfahren
der Aussetzung und die prozessualen Folgen der Unzuständigkeit des später
angerufenen Gerichts richten sich hingegen nach nationalem Recht.
III.
18 Das Urteil des Berufungsgerichts kann deshalb keinen Bestand haben
und ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen
Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte
Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif
ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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