Rechtsschutzbedürfnis für Feststellungsklage (§ 256 ZPO) bei möglicher Leistungsklage (Stufenklage, § 254 ZPO), Hemmung der Verjährung durch Klageerhebung und Beendigung bei Stillstand des Verfahrens nach neuem Schuldrecht (§ 204 I Nr. 1 BGB) - "Feststellungsinteresse III" -

BGH, Urteil vom 15. 5. 2003 ‑ I ZR 277/00


Fundstelle:

noch nicht bekannt


Zentrale Probleme:

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage des für eine Feststellungsklage notwendigen Feststellungsinteresses, welches fehlen kann, wenn dem Kl. auch eine Leistungsklage (hier: im Wege der Stufenklage) möglich ist. Die Entscheidung ist über den Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes hinaus sehr lehrreich. Sie zeigt nämlich, daß die Frage des Feststellungsinteresses nicht schematisch beantwortet werden kann, sondern es bestimmte Bereiche und Situationen (hier speziell die Praxis des gewerblichen Rechtsschutzes) geben kann, in welchen es trotz möglicher Leistungsklage dennoch ein Rechtsschutzbedürfnis nach einer Feststellungsklage geben kann. Bei dieser Interessenanalyse geht der BGH auch auf die durch die Schuldrechtsreform neu eingeführten Regelungen über den Neubeginn (§ 212 BGB, bisher "Unterbrechung") und die Hemmung der Verjährung (§§ 203 ff BGB). Dabei sind vermehrt Hemmungstatbestände an die Stelle bisheriger "Unterbrechungs (=Neubeginn)-Tatbestände" getreten. Im vorliegenden Fall geht es um den Einfluß der Klageerhebung auf die Verjährung. Der BGH legt dar, daß eine Leistungsklage nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB lediglich zu einer Hemmung der Verjährung führen würde, diese Hemmung aber bei im gewerblichen Rechtsschutz offenbar nicht ungewöhnlichen Stillstand des Verfahrens über 6 Monate beendet wäre (§ 204 Abs. 2 BGB). Da durch Leistungsklage geltend zu machenden Ansprüche hier aber ihrerseits einer sehr kurzen Verjährungsregelung von 6 Monaten unterliegen (§ 21 UWG), ist dem Kläger mit einer erfolgreichen Feststellungsklage wesentlich besser gedient: Der Anspruch verjährt dann nach § 197 Nr. 3 BGB in 30 Jahren!
Zur Feststellungsklage s. auch die Anm. zu BGH NJW 2000, 2280 sowie
BGH v. 9.1.2007 - VI ZR 133/06.

©sl 2003


Amtl. Leitsatz:

Das für eine Klage auf Feststellung der Schadensersatzverpflichtung nach § 256 I ZPO notwendige Feststellungsinteresse entfällt auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts auch unter Geltung des zum 1. 1. 2002 neu geregelten Verjährungsrechts regelmäßig nicht deshalb, weil der Kl. im Wege der Stufenklage auf Leistung klagen könnte.


Tatbestand:

Die Kl. ist Inhaberin eines ausschließlichen Nutzungsrechts an dem Computerprogramm „M. „. Sie schloß mit der Bekl. zu 1, einer GmbH, im Jahre 1994 einen Software-Vermarktungsvertrag über die Version „M. 3.4“ und im Jahre 1997 einen weiteren Vertrag über die Version „M. 4.5“ des Programms.
Der Bekl. zu 2 ist seit 1. 7. 1994 Geschäftsführer der Bekl. zu 1, deren Vertriebsleiterin seit 1995 die Bekl. zu 3 ist.
Die Kl. hat vorgetragen, die Bekl. zu 1 habe unerlaubt Vervielfältigungsstücke des Computerprogramms erstellt und diese ohne Abrechnung weiterveräußert.

Die Kl. hat beantragt,

1. die Bekl. als Gesamtschuldner zu verurteilen,

a) der Kl. Auskunft über die von ihnen vorgenommenen Vervielfältigungen des Computerprogramms mit der Bezeichnung „M. “ in den Versionen 3.4 OEM und 4.5 OEM sowie den Vertrieb der Vervielfältigungsstücke dieses Programms zu erteilen, insbesondere unter Angabe der Namen und Anschriften der gewerblichen und nicht gewerblichen Abnehmer, sowie unter Angabe der Mengen der kopierten und ausgelieferten Vervielfältigungsstücke,
b) der Kl. über den Umfang der vorstehend zu 1 a) beschriebenen Handlungen Rechnung zu legen und zwar unter Vorlage eines Verzeichnisses mit der Angabe der einzelnen Lieferungen unter Nennung
‑ der Liefermengen, Lieferzeiten, Lieferpreise und Namen und Anschriften der Abnehmer;
‑ der Gestehungskosten unter Angabe der einzelnen Kostenfaktoren;
‑ sowie des erzielten Gewinns;

2. festzustellen, dass die Bekl. gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Kl. allen Schaden zu erstatten, der ihr aus den vorstehend zu 1 bezeichneten Handlungen entstanden ist oder künftig noch entstehen wird.

Das LG hat die Bekl. antragsgemäß verurteilt. In der Berufungsinstanz haben die Parteien den Rechtsstreit bezogen auf den Auskunftsantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt. Das BerGer. hat die Verurteilung zur Rechnungslegung bestätigt, wobei es hinsichtlich des Bekl. zu 2 den 1. 7. 1994 und in bezug auf die Bekl. zu 3 das Jahr 1995 als Beginn bestimmt hat; die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung hat es dagegen aufgehoben und insoweit die Klage abgewiesen.
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Bekl. beantragen, verfolgt die Kl. ihr Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I. Das BerGer. hat den Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kl. hätte ihren Schadensersatzanspruch sogleich mit einer ‑ noch unbezifferten ‑ Leistungsklage im Wege der Stufenklage nach § 254 ZPO verfolgen können. Die Bezifferung des Schadens hänge allein von der Auskunft und Rechnungslegung der Bekl. ab. In einem solchen Fall müsse der Weg der Leistungsklage beschritten werden.

II. Die hiergegen gerichtete Revision hat Erfolg. Sie führt unter Berücksichtigung der übereinstimmenden Erledigterklärungen des Auskunftsbegehrens zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet.

1. Allerdings fehlt regelmäßig das für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage gem. § 256 I ZPO erforderliche Feststellungsinteresse, wenn der Kl. eine entsprechende Leistungsklage erheben kann. Dabei steht der Zulässigkeit einer Feststellungsklage grundsätzlich ebenfalls die Möglichkeit entgegen, eine Stufenklage i.S. des § 254 ZPO zu erheben, es sei denn, die Schadensentwicklung ist im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgeschlossen (BGH, Urt. v. 3.4.1996 ‑ VIII ZR 3/95, NJW 1996, 2097, 2098; Urt. v. 17.5.2001 ‑ I ZR 189/99, GRUR 2001, 1177 f. = WRP 2001, 1164 ‑ Feststellungsinteresse II).
Im gewerblichen Rechtsschutz und im Urheberrecht erfährt dieser Grundsatz jedoch Einschränkungen. Das rechtliche Interesse für eine Feststellungsklage entfällt in der Regel nicht bereits dadurch, dass der Kl. im Wege der Stufenklage auf Leistung klagen kann, weil die Feststellungsklage trotz an sich möglicher Leistungsklage meist durch prozeßökonomische Erwägungen geboten ist. Im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und im Urheberrecht bereitet die Begründung des Schadensersatzanspruchs häufig auch nach erteilter Auskunft Schwierigkeiten und erfordert eine eingehende sachliche Prüfung zur Berechnungsmethode des Schadens. Das Feststellungsurteil schützt den Verletzten zudem vor einer Verjährung im Umfang des gesamten Schadens. Der Senat hat daher bereits zur Rechtslage vor der Neuregelung des Verjährungsrechts zum 1. 1. 2002, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem BerGer. maßgeblich war, darauf abgestellt, dass sich in der Praxis die Erhebung der Stufenklage im Wettbewerbsrecht wegen der kurzen Verjährungsfrist von sechs Monaten (§ 21 UWG), aber auch im sonstigen gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht im Hinblick auf die dreijährige Verjährungsfrist als besonders nachteilig erwies (vgl. BGH GRUR 2001, 1177, 1178 ‑ Feststellungsinteresse II). Der Verletzte musste, wenn die zugesprochene Auskunft erteilt war, den Prozess fortsetzen. Ansonsten begann nach § 211 II BGB a.F. die Verjährungsfrist erneut zu laufen. Für den Verletzten brachte dies zusätzliche Schwierigkeiten mit sich, wenn es zum Streit darüber kam, ob die Auskunft vollständig erteilt war. Diese Erwägungen gelten nach der Neuregelung des Verjährungsrechts zum 1. 1. 2002 in noch stärkerem Maße, nachdem die Erhebung der Klage nach § 204 I Nr. 1 BGB nur eine Hemmung der Verjährung zur Folge hat, die binnen sechs Monaten nach einem Stillstand des Verfahrens endet (§ 204 II Satz 1 und 2 BGB).
Darüber hinaus entspricht es prozessualer Erfahrung, dass die Parteien solcher Verfahren nach erfolgter Auskunft und Rechnungslegung in den meisten Fällen auf Grund des Feststellungsurteils zu einer Regulierung des Schadens finden, ohne gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es besteht deshalb kein Anlass, dem Geschädigten aus prozessualen Gründen zu gebieten, das Gericht nach erfolgter Rechnungslegung mit einem Streit über die Höhe des Schadensbetrags zu befassen.
Aufgrund dieser im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht bestehenden Besonderheiten entspricht es für diesen Bereich einhelliger Meinung, dass das für eine Klage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht nach § 256 I ZPO erforderliche Interesse grundsätzlich auch dann besteht, wenn der Kl. im Wege der Stufenklage (§ 254 ZPO) auf Leistung klagen kann (vgl. BGH GRUR 2001, 1177, 1178 ‑ Feststellungsinteresse II, m.w. Nachw.).
2. Die Feststellungsklage ist begründet. Es ist außer Streit, dass auf Grund der vom BerGer. festgestellten Verletzungshandlungen ‑ entsprechend dem für erledigt erklärten Klageantrag I 1 a) in Verbindung mit den zeitlichen Beschränkungen (Haftung des Bekl. zu 2 ab 1. 7. 1994 und der Bekl. zu 3 ab 1995) ‑ der Kl. ein Schaden entstanden ist und möglicherweise noch entstehen wird. Für diesen haben die drei Bekl., soweit sie in zeitlicher Hinsicht übereinstimmend haften, gesamtschuldnerisch einzustehen. Deren Verantwortlichkeit ist vom BerGer. im Rahmen der Verurteilung zur Rechnungslegung festgestellt. Rechtliche Bedenken dagegen bestehen nicht.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I Satz 1, § 97 I, § 100 IV ZPO.