Voraussetzungen einer
Feststellungsklage (§ 256 ZPO) auf Feststellung der Ersatzpflicht
zukünftiger Schäden; Anforderungen an das Feststellungsinteresse
BGH, Beschluss vom 9.
Januar 2007 - VI ZR 133/06
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
1. Eine Klage auf
Feststellung der deliktischen Verpflichtung eines Schädigers zum Ersatz
künftiger Schäden ist zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts
besteht. Ein Feststellungsinteresse ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht
des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem
Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (im Anschluss an Senat,
Urteile vom 20. März 2001 - VI ZR 325/99 - VersR 2001, 876 f.; vom 16.
Januar 2001 - VI ZR 381/99 -VersR 2001, 874 f.).
2. Eine solche Feststellungsklage ist begründet, wenn die sachlichen und
rechtlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs vorliegen, also
insbesondere ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu
den für die Zukunft befürchteten Schäden führen kann. Ob darüber hinaus im
Rahmen der Begründetheit eine gewisse Wahrscheinlichkeit des
Schadenseintritts zu verlangen ist, bleibt offen (im Anschluss an Senat,
Urteil vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99 - VersR 2001, 874, 875 m.w.N.)
Zentrale Probleme:
S. die Anm. zu
BGH v. 15.5.2003 ‑ I ZR
277/00 sowie zu
BGH
NJW 2000, 2280.
©sl 2007
Gründe:
1 Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg, soweit sich die Klägerin gegen
die Abweisung ihrer Anträge auf Feststellung der Ersatzverpflichtung der
Beklagten für sämtliche materiellen Schäden wendet, die ihr als Folgen des
ärztlichen Eingriffs am 18. Juni 1991 entstanden sind und entstehen werden
und soweit sie sich gegen die Abweisung ihres Antrags auf Feststellung der
Ersatzverpflichtung der Beklagten für die immateriellen Schäden wendet, die
ihr als Folgen dieses Eingriffs entstehen werden und nicht von der
Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld umfasst sind.
2 1. Die angefochtene Entscheidung verletzt mit der Abweisung dieser
Feststellungsanträge den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art.
103 Abs. 1 GG).
3 Zwar ist ein Gericht nicht verpflichtet, zu jedem Angriffsmittel im
Einzelnen Stellung zu nehmen (§ 313 Abs. 3 ZPO; Senat, Beschluss vom 24.
August 2005 - VI ZR 227/04 - n.v.; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2005 - III
ZR 263/04 - NJW 2005, 1432, 1433). Auch ist grundsätzlich davon auszugehen,
dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten
auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs ist nur dann festzustellen, wenn sich dies aus den
besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE 96, 205, 216 f.). Solche
Umstände liegen hier vor.
4 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Abweisung der
Feststellungsanträge ausschließlich auf die psychischen Schäden abgestellt,
die nach Ansicht der Klägerin künftig zu befürchten, nach Ansicht des
Berufungsgerichts aber von dem Zahlungsausspruch über das Schmerzensgeld
umfasst seien. Das vermag die Abweisung der Feststellungsbegehren nicht zu
tragen.
5 2. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist eine Klage auf
Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz bereits eingetretener und
künftiger Schäden zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts
besteht. Ein Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist nur zu verneinen,
wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund
gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (vgl.
Senat, Urteile vom 20. März 2001 - VI ZR 325/99 - VersR 2001, 876; vom 16.
Januar 2001 - VI ZR 381/99 - VersR 2001, 874, 875).
6 Ein zulässiger Feststellungsantrag ist begründet, wenn die sachlichen
und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen,
also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen
künftigen Schäden führen kann. Ob darüber hinaus im Rahmen der Begründetheit
eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist
(vgl. dazu Senat, Urteil vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99 - aaO; von
Gerlach VersR 2000, 525, 531 f.), bedarf unter den Umständen des Streitfalls
keiner abschließenden Entscheidung.
7 Nach diesen Grundsätzen hatte das Berufungsgericht Veranlassung näher
darzulegen, aus welchem Grund es die Feststellungsanträge der Klägerin
umfassend zurückgewiesen hat. Das beanstandet die Nichtzulassungsbeschwerde
mit Erfolg.
8 3. Der Antrag, die Ersatzverpflichtung der Beklagten für sämtliche
materiellen Schäden festzustellen, der mit einem bereits eingetretenen
Schaden begründet wurde, war nach den genannten Grundsätzen der
Rechtsprechung zulässig; davon ist das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler
ausgegangen.
9 Der Antrag war auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen auch nicht
unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Aufklärung zu dem Eingriff vom 18.
Juni 1991 für verspätet und den Eingriff dementsprechend als
haftungsbegründend für das zugesprochene Schmerzensgeld gewertet. Zugleich
ist es davon ausgegangen, dass die mit der Operation verbundenen Schmerzen
und Beschwerden sowie die daraus folgenden Beeinträchtigungen, insbesondere
die psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin einer
psychosomatisch-psychotherapeutischen Behandlung bedürften, welche gute
Erfolgsaussichten habe. Das Entstehen von Kosten für eine psychosomatische
Behandlung und damit die Entstehung eines materiellen Folgeschadens ist nach
der Lebenserfahrung wahrscheinlich. Die Kosten einer solchen Behandlung
wären mithin ein Folgeschaden des rechtswidrigen Eingriffs, der geeignet
ist, die begehrte Feststellung zu tragen. Die Klägerin hat zudem
vorgetragen, dass weitere materielle Schäden zu befürchten seien.
10 Hiernach durfte das Berufungsgericht den Antrag auf Feststellung der
Ersatzpflicht für sämtliche materiellen Schäden aus der Operation vom 18.
Juni 1991 nicht ohne hinreichende Begründung abweisen.
11 4. Im Ergebnis Entsprechendes gilt für die Abweisung der Klage auf
Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger immaterieller
Beeinträchtigungen.
12 Auch insoweit ist ein Feststellungsinteresse zu bejahen, weil ein
Grund bestehen kann, mit dem Eintritt von Spätschäden wenigstens zu rechnen
(vgl. Senat, BGHZ 116, 60, 75; Urteil vom 9. April 1991 - VI ZR 106/90 -
VersR 1991, 704, 705).
13 Das Berufungsgericht konnte auch diese Feststellungsklage nicht ohne
weitere tatsächliche Feststellungen als unbegründet abweisen. Es hat in der
nicht ausreichend aufgeklärten und daher rechtswidrigen Operation vom 18.
Juni 1991 einen haftungsrechtlich relevanten Eingriff gesehen. Damit lagen
die rechtlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Schmerzensgeld vor, wie
das Berufungsgericht mit der Zubilligung einer solchen Entschädigung selbst
erkannt hat. Eine Klage auf Feststellung der Ersatzverpflichtung für
künftige immaterielle Schäden schied nur aus, wenn ausschließlich
voraussehbare Schädigungsfolgen in Betracht standen, die von der Zubilligung
des Schmerzensgelds umfasst wären (Grundsatz der Einheitlichkeit des
Schmerzensgelds; vgl. dazu Senat, Urteil vom 14. Februar 2006 - VI ZR 322/04
- VersR 2006, 1090, 1091). Dieses Ergebnis hat das Berufungsgericht
ausschließlich mit psychischen Beeinträchtigungen begründet. Die Klägerin
hatte jedoch durch Vorlage des Gutachtens Dr. P. vom 23. April 2000
vorgetragen, es seien nicht nur psychische Schäden, sondern auch organische
Schäden wie Schrumpfungen von Narben und des Genitale eingetreten und die
Auswirkungen der Entfernung von Eierstock und Eileiter seien nicht
voraussehbar. Damit waren zukünftige immaterielle Beeinträchtigungen
aufgrund organischer Operationsfolgen möglich. Hierzu hätte das
Berufungsgericht Stellung nehmen müssen, denn derartige Folgen machen den
Eintritt von darauf beruhenden Beschwerden nach der Lebenserfahrung
wahrscheinlich. Dann aber kam eine Abweisung der Feststellungsklage auf
Ersatz künftiger immaterieller Schäden ohne weitere tatsächliche
Feststellungen nicht in Betracht.
14 Auch in diesem Zusammenhang bedarf es keiner Entscheidung der Frage,
ob zur Begründetheit der Feststellungsklage eine gewisse Wahrscheinlichkeit
des Schadenseintritts zu verlangen ist (vgl. Senat, Urteil vom 16.
Januar 2001 - VI ZR 381/99 - aaO m.w.N.). Diese wäre im hier zu
entscheidenden Fall zu bejahen.
15 5. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsurteil auf der
Nichtbeachtung des Vortrags der Klägerin beruht, ist es in dem
ausgesprochenen eingeschränkten Umfang aufzuheben und die Sache insoweit an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
16 6. Die weitergehende Nichtzulassungsbeschwerde hat dagegen keinen Erfolg.
Sie zeigt nicht auf, dass die Rechtssache im Übrigen grundsätzliche
Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts
erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Insbesondere ist insoweit eine
Verletzung von Verfahrensgrundrechten der Klägerin nicht ersichtlich. Von
einer weiteren Begründung wird abgesehen.
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