Bürgschaft und Einreden aus dem Sicherungsvertrag; Täuschung durch Dritte  

BGH, Urteil v. 09.04.1992 - IX ZR 145/91  

Amtlicher Leitsatz

1. Die fahrlässige Unkenntnis der von einem Dritten verübten arglistigen Täuschung kann auch dann zu bejahen sein, wenn die Umstände des einzelnen Falles den Erklärungsempfänger veranlassen mußten, sich danach zu erkundigen, ob die ihm übermittelte Willenserklärung auf einer Täuschung beruht.
2. Wenn sich eine geplante Kreditgewährung zerschlägt, ist der Gläubiger wegen des Wegfalls des Sicherungszwecks grundsätzlich verpflichtet, eine für den geplanten Kredit erhaltene Bürgschaft an den Schuldner zurückzugewähren. Er darf sie nicht ohne weiteres zur zusätzlichen Sicherung eines früher ausgereichten Kredits behalten.  



Fundstellen:

NJW-RR 1992, 1005
LM § 123 BGB Nr. 75
MDR 1992, 961
BB 1992, 1456
DB 1992, 1721
WM 1992, 1016
ZIP 1992, 755



Zentrales Problem:

Vgl. Anm. zu BGHZ 107, 210



Zum Sachverhalt:

Am 30. 7. 1987 eröffnete P bei der Filiale der kl. Bank ein Konto. Die Kl. kaufte von ihm zwei Wechsel über 30000 DM und 60000 DM an. Außerdem erklärte sie sich grundsätzlich bereit, P Finanzierungsmittel in der von ihm gewünschten Höhe von 500000 bis 600000 DM für verschiedene Bauprojekte zur Verfügung zu stellen, falls er ausreichende Sicherheiten beibringe. Im September 1987 überbrachte P dem Filialleiter S der Kl. zwei Höchstbetragsbürgschaften, und zwar eine Bürgschaft des Zeugen A über 350000 DM sowie eine Bürgschaft des Sohnes des Bekl. über 250000 DM. Da die Kl. nur die Bürgschaft des A als werthaltig ansah, bewilligte sie P zunächst nur einen Kredit über 200000 DM. Nachdem dieser Kredit bereits ausgezahlt war, rief im Oktober 1987 der Bürge A bei dem Filialleiter S an und versuchte, seine Bürgschaftserklärung zu widerrufen, weil P diese abredewidrig an die Kl. weitergegeben habe. Der weitere Inhalt dieses Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig. Im November 1987 übergab P dem Filialleiter S eine vom Bekl. unterzeichnete Höchstbetragsbürgschaft über 250000 DM. Einige Zeit später rief auch der Bekl. bei S an und verlangte die Freistellung von der Bürgschaftsverpflichtung mit der Begründung, P habe die Bürgschaft abredewidrig an die Kl. weitergegeben. Weitere Kredite hat die Kl. P nicht bewilligt. Im Februar 1988 kündigte sie die Geschäftsverbindung mit P und nimmt nunmehr den Bekl. aus seiner Bürgschaft in Anspruch. LG und OLG haben der auf Zahlung von 250000 DM gerichteten Klage stattgegeben. Die Revision des Bekl. führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. stellt - von der Revision unbeanstandet - fest, daß die Kl. die vom Bekl. am 6. 11. 1987 unterzeichnete Bürgschaftserklärung am 9. 11. 1987 angenommen hat und daß damit ein wirksamer Bürgschaftsvertrag zwischen den Parteien zustande gekommen ist. Es hält eine vom Bekl. erklärte Anfechtung seiner Bürgschaftserklärung wegen arglistiger Täuschung nicht für gerechtfertigt und führt dazu aus: Der Bekl. möge zwar von P arglistig getäuscht worden sein. Diese Täuschung berechtige den Bekl. aber nicht zur Anfechtung seiner gegenüber der Kl. abgegebenen Erklärung, weil die Täuschung von einem Dritten i. S. des § 123 II BGB verübt worden sei. P sei weder Vertreter noch Erfüllungs- oder Verhandlungsgehilfe der Kl. gewesen. Er habe bei der Beibringung der Bürgschaft erkennbar nicht als Vertrauensperson der Kl., sondern im eigenen Interesse gehandelt. Die Kl. habe die von P verübte Täuschung weder positiv gekannt noch infolge Fahrlässigkeit nicht gekannt. Auch das im Oktober 1987 zwischen A und S geführte Telefongespräch lasse nicht den Schluß zu, daß S bei gehöriger Aufmerksamkeit die von P verübte Täuschung hätte erkennen müssen. Dem Bekl. stünden schließlich auch keine Gegenansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluß gegen die Kl. zu, die seine Bürgschaftsschuld ganz oder teilweise entfallen ließen. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.
1. Das BerGer. hat den Hauptschuldner P allerdings zu Recht als Dritten i. S. des § 123 II BGB angesehen. Für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist ein am Zustandekommen eines Vertrages Beteiligter dann nicht Dritter, wenn sein Verhalten dem des Anfechtungsgegners gleichzusetzen ist. Das gilt insbesondere für den vom Erklärungsempfänger beauftragten Verhandlungsführer oder -gehilfen sowie für den Beteiligten, der wegen seiner engen Beziehungen zum Erklärungsempfänger als dessen Vertrauensperson erscheint (BGH, NJW 1990, 1661 = LM § 276 (Fa) BGB Nr. 108 = BGHRBGBB § 123 Abs. 2 - Dritter 2 m. w. Nachw.). Eine derartige Stellung hatte P nicht im Verhältnis zur Kl. Daß der Gläubiger die Bürgschaftsurkunde entworfen und den Anstoß für die Verhandlungen mit dem Bürgen gegeben hat, macht den Schuldner noch nicht zur Vertrauensperson des Gläubigers (vgl. BGH, LM § 123 BGB Nr. 31; Kramer, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 123 Rdnr. 19; Palandt-Heinrichs, BGB, 51. Aufl., § 123 Rdnr. 14). Der Schuldner, der auf Veranlassung des Gläubigers mit jemandem auf der Grundlage wirtschaftlicher oder persönlicher Beziehungen wegen Übernahme einer Bürgschaft verhandelt, ist nicht schon deshalb Verhandlungsbeauftragter des Gläubigers, weil der Gläubiger ihn zu den Verhandlungen veranlaßt hat und ein dem Interesse des Schuldners gleichgerichtetes Interesse daran hat, daß jener die Bürgschaft übernimmt.
2. Die Ausführungen des BerGer. zur fahrlässigen Unkenntnis von der Täuschung durch P sind dagegen nicht frei von Rechtsirrtum.
a) Das BerGer. hat untersucht, ob die der Kl. bekannten Tatsachen geeignet waren, ihr bei gehöriger Aufmerksamkeit die Kenntnis zu vermitteln, daß der Zeuge P den Bekl. nur durch Täuschung als Bürgen gewonnen haben könne. Dieser Ansatz ist zu eng. Eine fahrlässige Unkenntnis kann auch dann zu bejahen sein, wenn die Umstände des einzelnen Falles den Vertragspartner veranlassen mußten, sich danach zu erkundigen, ob die ihm übermittelte Willenserklärung auf einer Täuschung beruht oder nicht (vgl. RGZ 104, 191 (194); BGH, NJW 1990, 387 = LM § 179 BGB Nr. 18 = WM 1989, 1848 (1849)). Wenn tatsächliche Anhaltspunkte gegeben sind, die Zweifel wecken, ob eine Willenserklärung einwandfrei zustande gekommen ist, dann gebietet es die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, daß der Erklärungsempfänger diesen Zweifeln nachgeht. Unterläßt er dies, so beruht seine Unkenntnis auf Fahrlässigkeit. Unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt hat das BerGer. die dem Zeugen S insbesondere durch den Anruf des Bürgen A bekannt gewordenen Umstände nicht gewürdigt. Nach den Feststellungen des BerGer. hatte der Zeuge A den Filialleiter S im Oktober 1987 angerufen und behauptet, P habe seine Bürgschaftserklärung abredewidrig an die Kl. weitergegeben, er, A, wolle deshalb die Staatsanwaltschaft einschalten. Das BerGer. hat offengelassen, ob A darüber hinaus noch gesagt hat, er habe die Bürgschaft zur Erlangung eines eigenen Kredits erteilt; wenn P sie zur Erlangung eines Kredits für eigene Zwecke eingesetzt habe, sei er ein Betrüger. Deshalb ist in der Revisionsinstanz von der Richtigkeit dieser weiteren Äußerung auszugehen. Hieraus ergab sich für die Kl. der nicht von der Hand zu weisende Verdacht, daß P auch die Bürgschaftserklärung des Bekl. mit unlauteren Mitteln erlangt haben könnte. Dieser Verdacht hätte sich auf einfache Weise klären lassen. S hätte lediglich, als P ihm die Bürgschaftserklärung des Bekl. überbrachte, beim Bekl. anrufen und ihn fragen müssen, ob seine Bürgschaft in Ordnung gehe. Es hätte auch genügt, wenn er dem Bekl. - wie er es im Falle A getan hatte - den Erhalt der Bürgschaftsurkunde schriftlich bestätigt hätte. Wenn der Bekl. daraufhin erklärt hätte, er sei von P bei Abgabe der Bürgschaftserklärung arglistig getäuscht worden, dann hätte die Kl. damit die arglistige Täuschung gekannt. Alsdann hätte sie die Bürgschaft nicht annehmen dürfen.
b) Die Revision rügt weiterhin zu Recht, daß das BerGer. bei der Prüfung der für den Zeugen S erkennbaren Verdachtsmomente den Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt hat. Nach Ansicht des BerGer. konnte S allenfalls bei dem Telefongespräch mit A Anhaltspunkte finden, um an der Seriosität des P zu zweifeln. Solche Anhaltspunkte ergaben sich jedoch auch aus anderen Umständen. So hatte P sein Versprechen, den Kredit von 200000 DM bis Ende Oktober 1987 zurückzuführen, nicht eingehalten. Bei Übergabe der Bürgschaft des Bekl. hat er dem Zeugen S eröffnet, daß die beiden am 10. und 11. 11. 1987 fälligen Wechsel, welche die Kl. angekauft hatte, von den Akzeptanten nicht eingelöst werden könnten. Auch die Angaben des P zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie zu den von ihm beabsichtigten Geschäften waren geeignet, Zweifel an seiner Seriosität zu wecken.
3. Soweit das BerGer. eine Haftung der Kl. aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen mit der Begründung verneint hat, die Voraussetzungen für eine Aufklärungspflicht der Kl. seien nicht erfüllt, begegnen seine Ausführungen keinen Bedenken. Die Kl. war nicht verpflichtet, die Verdächtigungen, die A gegenüber ihrem Kunden P ausgesprochen hatte, von sich aus dem Bekl. zu offenbaren. Die Verletzung vorvertraglicher Sorgfaltspflichten kommt jedoch noch unter einem anderen Gesichtspunkt in Betracht. Auch beim Abschluß eines Bürgschaftsvertrages treffen den Gläubiger die üblichen Sorgfaltspflichten, die aus dem bei der Anbahnung von Vertragsbeziehungen bestehenden Vertrauensverhältnis hergeleitet werden (vgl. Staudinger-Horn, BGB, 12. Aufl., § 765 Rdnr. 61). Hieraus kann sich ebenfalls eine Nachforschungspflicht der Kl. ergeben. Insoweit gelten die gleichen Erwägungen, wie sie oben zur fahrlässigen Unkenntnis einer arglistigen Täuschung dargelegt sind. Auch unter diesem Gesichtspunkt bedarf der Sachverhalt weiterer Aufklärung. Aus den dargelegten Gründen kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Sache ist an das BerGer. zurückzuverweisen.
II. Für den Fall, daß die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht durchgreift und der Bekl. auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen Befreiung von der Bürgschaft verlangen kann, wird das BerGer. nähere Feststellungen zu dem Sicherungszweck der Bürgschaft des Bekl. treffen müssen. Der Klageanspruch ist möglicherweise aus einem weiteren Grunde nicht gerechtfertigt. Nach dem Gesamtvorbringen der Parteien erscheint es gut möglich, daß diese Bürgschaft einen über den Ankauf der Wechsel und die im September 1987 ausgezahlten 200000 DM hinausgehenden weiteren Kredit an P absichern sollte. Die Kl. hat selbst vorgetragen, daß die Bürgschaften nicht den Ankauf und die Prolongierung der Wechsel hätten sichern sollen, sondern nur im Zusammenhang gestanden hätten mit dem Kreditwunsch des P in Höhe von 500000 bis 600000 DM. Der Zeuge S hat in seiner von den Parteien wiederholt in Bezug genommenen Aussage vor dem LG gesagt, aufgrund der als werthaltig angesehenen Bürgschaft des A habe er zusätzlich zu dem Ankauf der Wechsel einen Kredit von 200000 DM bewilligt. Er habe P gesagt, wenn er weiter an einem Kreditrahmen von 500000 bis 600000 DM interessiert sei, müsse er noch eine andere Bürgschaft beibringen. Wenn die Bürgschaft des Bekl. nach den Absprachen der Beteiligten einen über 200000 DM hinausgehenden weiteren Kredit an P absichern sollte, war der Sicherungszweck dieser Bürgschaft nie erfüllt. Denn dieser weitere Kredit ist unstreitig nicht gewährt worden. Nachdem es zur Gewährung des weiteren Kredits nicht mehr gekommen ist, hätte P von der Kl. die Rückgewähr der zur Sicherung dieses Kredits bestimmten Bürgschaft verlangen können (vgl. Senat, NJW 1989, 1482 = LM § 765 BGB Nr. 64). Wenn sich eine geplante Kreditgewährung zerschlägt, darf der Gläubiger eine für diesen Kredit übergebene Sicherheit nicht einfach behalten, um damit einen bereits früher ausgereichten Kredit zusätzlich abzusichern. Er muß die Sicherheit vielmehr an den Schuldner zurückgeben, um diesem zu ermöglichen, sich den gewünschten Kredit anderwärts zu besorgen. Dies kann auch der Bürge dem Gläubiger einredeweise entgegenhalten (§ 768 BGB). Daß die vorliegende Bürgschaft nach ihrem Wortlaut alle Forderungen der Kl. aus der Geschäftsbeziehung zu P sichern sollte, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Die Klausel über den Umfang der gesicherten Forderung kann erst eingreifen, wenn die Kl. überhaupt Rechte aus der Bürgschaft herleiten darf. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn der mit der Bürgschaft verfolgte Zweck von vornherein nicht erreicht worden ist.  



<- Zurück mit dem "Back"-Button Ihres Browsers!