1. Die fahrlässige Unkenntnis der von einem
Dritten verübten arglistigen Täuschung kann auch dann zu bejahen
sein, wenn die Umstände des einzelnen Falles den Erklärungsempfänger
veranlassen mußten, sich danach zu erkundigen, ob die ihm übermittelte
Willenserklärung auf einer Täuschung beruht.
2. Wenn sich eine geplante Kreditgewährung
zerschlägt, ist der Gläubiger wegen des Wegfalls des Sicherungszwecks
grundsätzlich verpflichtet, eine für den geplanten Kredit erhaltene
Bürgschaft an den Schuldner zurückzugewähren. Er darf sie
nicht ohne weiteres zur zusätzlichen Sicherung eines früher ausgereichten
Kredits behalten.
NJW-RR 1992, 1005
LM § 123 BGB Nr. 75
MDR 1992, 961
BB 1992, 1456
DB 1992, 1721
WM 1992, 1016
ZIP 1992, 755
Vgl. Anm. zu BGHZ 107,
210
Am 30. 7. 1987 eröffnete P bei der Filiale der kl. Bank ein Konto. Die Kl. kaufte von ihm zwei Wechsel über 30000 DM und 60000 DM an. Außerdem erklärte sie sich grundsätzlich bereit, P Finanzierungsmittel in der von ihm gewünschten Höhe von 500000 bis 600000 DM für verschiedene Bauprojekte zur Verfügung zu stellen, falls er ausreichende Sicherheiten beibringe. Im September 1987 überbrachte P dem Filialleiter S der Kl. zwei Höchstbetragsbürgschaften, und zwar eine Bürgschaft des Zeugen A über 350000 DM sowie eine Bürgschaft des Sohnes des Bekl. über 250000 DM. Da die Kl. nur die Bürgschaft des A als werthaltig ansah, bewilligte sie P zunächst nur einen Kredit über 200000 DM. Nachdem dieser Kredit bereits ausgezahlt war, rief im Oktober 1987 der Bürge A bei dem Filialleiter S an und versuchte, seine Bürgschaftserklärung zu widerrufen, weil P diese abredewidrig an die Kl. weitergegeben habe. Der weitere Inhalt dieses Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig. Im November 1987 übergab P dem Filialleiter S eine vom Bekl. unterzeichnete Höchstbetragsbürgschaft über 250000 DM. Einige Zeit später rief auch der Bekl. bei S an und verlangte die Freistellung von der Bürgschaftsverpflichtung mit der Begründung, P habe die Bürgschaft abredewidrig an die Kl. weitergegeben. Weitere Kredite hat die Kl. P nicht bewilligt. Im Februar 1988 kündigte sie die Geschäftsverbindung mit P und nimmt nunmehr den Bekl. aus seiner Bürgschaft in Anspruch. LG und OLG haben der auf Zahlung von 250000 DM gerichteten Klage stattgegeben. Die Revision des Bekl. führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. stellt - von der Revision unbeanstandet
- fest, daß die Kl. die vom Bekl. am 6. 11. 1987 unterzeichnete Bürgschaftserklärung
am 9. 11. 1987 angenommen hat und daß damit ein wirksamer Bürgschaftsvertrag
zwischen den Parteien zustande gekommen ist. Es hält eine vom Bekl.
erklärte Anfechtung seiner Bürgschaftserklärung wegen arglistiger
Täuschung nicht für gerechtfertigt und führt dazu aus: Der
Bekl. möge zwar von P arglistig getäuscht worden sein. Diese
Täuschung berechtige den Bekl. aber nicht zur Anfechtung seiner gegenüber
der Kl. abgegebenen Erklärung, weil die Täuschung von einem Dritten
i. S. des § 123 II BGB verübt worden sei. P sei weder Vertreter
noch Erfüllungs- oder Verhandlungsgehilfe der Kl. gewesen. Er habe
bei der Beibringung der Bürgschaft erkennbar nicht als Vertrauensperson
der Kl., sondern im eigenen Interesse gehandelt. Die Kl. habe die von P
verübte Täuschung weder positiv gekannt noch infolge Fahrlässigkeit
nicht gekannt. Auch das im Oktober 1987 zwischen A und S geführte
Telefongespräch lasse nicht den Schluß zu, daß S bei gehöriger
Aufmerksamkeit die von P verübte Täuschung hätte erkennen
müssen. Dem Bekl. stünden schließlich auch keine Gegenansprüche
aus Verschulden bei Vertragsschluß gegen die Kl. zu, die seine Bürgschaftsschuld
ganz oder teilweise entfallen ließen. Diese Ausführungen halten
der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.
1. Das BerGer. hat den Hauptschuldner P allerdings
zu Recht als Dritten i. S. des § 123 II BGB angesehen. Für die
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist ein am Zustandekommen eines
Vertrages Beteiligter dann nicht Dritter, wenn sein Verhalten dem des Anfechtungsgegners
gleichzusetzen ist. Das gilt insbesondere für den vom Erklärungsempfänger
beauftragten Verhandlungsführer oder -gehilfen sowie für den
Beteiligten, der wegen seiner engen Beziehungen zum Erklärungsempfänger
als dessen Vertrauensperson erscheint (BGH, NJW 1990, 1661 = LM §
276 (Fa) BGB Nr. 108 = BGHRBGBB § 123 Abs. 2 - Dritter 2 m. w. Nachw.).
Eine derartige Stellung hatte P nicht im Verhältnis zur Kl. Daß
der Gläubiger die Bürgschaftsurkunde entworfen und den Anstoß
für die Verhandlungen mit dem Bürgen gegeben hat, macht den Schuldner
noch nicht zur Vertrauensperson des Gläubigers (vgl. BGH, LM §
123 BGB Nr. 31; Kramer, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 123 Rdnr.
19; Palandt-Heinrichs, BGB, 51. Aufl., § 123 Rdnr. 14). Der Schuldner,
der auf Veranlassung des Gläubigers mit jemandem auf der Grundlage
wirtschaftlicher oder persönlicher Beziehungen wegen Übernahme
einer Bürgschaft verhandelt, ist nicht schon deshalb Verhandlungsbeauftragter
des Gläubigers, weil der Gläubiger ihn zu den Verhandlungen veranlaßt
hat und ein dem Interesse des Schuldners gleichgerichtetes Interesse daran
hat, daß jener die Bürgschaft übernimmt.
2. Die Ausführungen des BerGer. zur fahrlässigen
Unkenntnis von der Täuschung durch P sind dagegen nicht frei von Rechtsirrtum.
a) Das BerGer. hat untersucht, ob die der Kl.
bekannten Tatsachen geeignet waren, ihr bei gehöriger Aufmerksamkeit
die Kenntnis zu vermitteln, daß der Zeuge P den Bekl. nur durch Täuschung
als Bürgen gewonnen haben könne. Dieser Ansatz ist zu eng. Eine
fahrlässige Unkenntnis kann auch dann zu bejahen sein, wenn die Umstände
des einzelnen Falles den Vertragspartner veranlassen mußten, sich
danach zu erkundigen, ob die ihm übermittelte Willenserklärung
auf einer Täuschung beruht oder nicht (vgl. RGZ 104, 191 (194); BGH,
NJW 1990, 387 = LM § 179 BGB Nr. 18 = WM 1989, 1848 (1849)). Wenn
tatsächliche Anhaltspunkte gegeben sind, die Zweifel wecken, ob eine
Willenserklärung einwandfrei zustande gekommen ist, dann gebietet
es die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, daß der Erklärungsempfänger
diesen Zweifeln nachgeht. Unterläßt er dies, so beruht seine
Unkenntnis auf Fahrlässigkeit. Unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt
hat das BerGer. die dem Zeugen S insbesondere durch den Anruf des Bürgen
A bekannt gewordenen Umstände nicht gewürdigt. Nach den Feststellungen
des BerGer. hatte der Zeuge A den Filialleiter S im Oktober 1987 angerufen
und behauptet, P habe seine Bürgschaftserklärung abredewidrig
an die Kl. weitergegeben, er, A, wolle deshalb die Staatsanwaltschaft einschalten.
Das BerGer. hat offengelassen, ob A darüber hinaus noch gesagt hat,
er habe die Bürgschaft zur Erlangung eines eigenen Kredits erteilt;
wenn P sie zur Erlangung eines Kredits für eigene Zwecke eingesetzt
habe, sei er ein Betrüger. Deshalb ist in der Revisionsinstanz von
der Richtigkeit dieser weiteren Äußerung auszugehen. Hieraus
ergab sich für die Kl. der nicht von der Hand zu weisende Verdacht,
daß P auch die Bürgschaftserklärung des Bekl. mit unlauteren
Mitteln erlangt haben könnte. Dieser Verdacht hätte sich auf
einfache Weise klären lassen. S hätte lediglich, als P ihm die
Bürgschaftserklärung des Bekl. überbrachte, beim Bekl. anrufen
und ihn fragen müssen, ob seine Bürgschaft in Ordnung gehe. Es
hätte auch genügt, wenn er dem Bekl. - wie er es im Falle A getan
hatte - den Erhalt der Bürgschaftsurkunde schriftlich bestätigt
hätte. Wenn der Bekl. daraufhin erklärt hätte, er sei von
P bei Abgabe der Bürgschaftserklärung arglistig getäuscht
worden, dann hätte die Kl. damit die arglistige Täuschung gekannt.
Alsdann hätte sie die Bürgschaft nicht annehmen dürfen.
b) Die Revision rügt weiterhin zu Recht,
daß das BerGer. bei der Prüfung der für den Zeugen S erkennbaren
Verdachtsmomente den Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt
hat. Nach Ansicht des BerGer. konnte S allenfalls bei dem Telefongespräch
mit A Anhaltspunkte finden, um an der Seriosität des P zu zweifeln.
Solche Anhaltspunkte ergaben sich jedoch auch aus anderen Umständen.
So hatte P sein Versprechen, den Kredit von 200000 DM bis Ende Oktober
1987 zurückzuführen, nicht eingehalten. Bei Übergabe der
Bürgschaft des Bekl. hat er dem Zeugen S eröffnet, daß
die beiden am 10. und 11. 11. 1987 fälligen Wechsel, welche die Kl.
angekauft hatte, von den Akzeptanten nicht eingelöst werden könnten.
Auch die Angaben des P zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen
sowie zu den von ihm beabsichtigten Geschäften waren geeignet, Zweifel
an seiner Seriosität zu wecken.
3. Soweit das BerGer. eine Haftung der Kl. aus
dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen mit der Begründung
verneint hat, die Voraussetzungen für eine Aufklärungspflicht
der Kl. seien nicht erfüllt, begegnen seine Ausführungen keinen
Bedenken. Die Kl. war nicht verpflichtet, die Verdächtigungen, die
A gegenüber ihrem Kunden P ausgesprochen hatte, von sich aus dem Bekl.
zu offenbaren. Die Verletzung vorvertraglicher Sorgfaltspflichten kommt
jedoch noch unter einem anderen Gesichtspunkt in Betracht. Auch beim Abschluß
eines Bürgschaftsvertrages treffen den Gläubiger die üblichen
Sorgfaltspflichten, die aus dem bei der Anbahnung von Vertragsbeziehungen
bestehenden Vertrauensverhältnis hergeleitet werden (vgl. Staudinger-Horn,
BGB, 12. Aufl., § 765 Rdnr. 61). Hieraus kann sich ebenfalls eine
Nachforschungspflicht der Kl. ergeben. Insoweit gelten die gleichen Erwägungen,
wie sie oben zur fahrlässigen Unkenntnis einer arglistigen Täuschung
dargelegt sind. Auch unter diesem Gesichtspunkt bedarf der Sachverhalt
weiterer Aufklärung. Aus den dargelegten Gründen kann das Berufungsurteil
keinen Bestand haben. Die Sache ist an das BerGer. zurückzuverweisen.
II. Für den Fall, daß die Anfechtung
wegen arglistiger Täuschung nicht durchgreift und der Bekl. auch nicht
unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen Befreiung
von der Bürgschaft verlangen kann, wird das BerGer. nähere Feststellungen
zu dem Sicherungszweck der Bürgschaft des Bekl. treffen müssen.
Der Klageanspruch ist möglicherweise aus einem weiteren Grunde nicht
gerechtfertigt. Nach dem Gesamtvorbringen der Parteien erscheint es gut
möglich, daß diese Bürgschaft einen über den Ankauf
der Wechsel und die im September 1987 ausgezahlten 200000 DM hinausgehenden
weiteren Kredit an P absichern sollte. Die Kl. hat selbst vorgetragen,
daß die Bürgschaften nicht den Ankauf und die Prolongierung
der Wechsel hätten sichern sollen, sondern nur im Zusammenhang gestanden
hätten mit dem Kreditwunsch des P in Höhe von 500000 bis 600000
DM. Der Zeuge S hat in seiner von den Parteien wiederholt in Bezug genommenen
Aussage vor dem LG gesagt, aufgrund der als werthaltig angesehenen Bürgschaft
des A habe er zusätzlich zu dem Ankauf der Wechsel einen Kredit von
200000 DM bewilligt. Er habe P gesagt, wenn er weiter an einem Kreditrahmen
von 500000 bis 600000 DM interessiert sei, müsse er noch eine andere
Bürgschaft beibringen. Wenn die Bürgschaft des Bekl. nach den
Absprachen der Beteiligten einen über 200000 DM hinausgehenden weiteren
Kredit an P absichern sollte, war der Sicherungszweck dieser Bürgschaft
nie erfüllt. Denn dieser weitere Kredit ist unstreitig nicht gewährt
worden. Nachdem es zur Gewährung des weiteren Kredits nicht mehr gekommen
ist, hätte P von der Kl. die Rückgewähr der zur Sicherung
dieses Kredits bestimmten Bürgschaft verlangen können (vgl. Senat,
NJW 1989, 1482 = LM § 765 BGB Nr. 64). Wenn sich eine geplante Kreditgewährung
zerschlägt, darf der Gläubiger eine für diesen Kredit übergebene
Sicherheit nicht einfach behalten, um damit einen bereits früher ausgereichten
Kredit zusätzlich abzusichern. Er muß die Sicherheit vielmehr
an den Schuldner zurückgeben, um diesem zu ermöglichen, sich
den gewünschten Kredit anderwärts zu besorgen. Dies kann auch
der Bürge dem Gläubiger einredeweise entgegenhalten (§ 768
BGB). Daß die vorliegende Bürgschaft nach ihrem Wortlaut alle
Forderungen der Kl. aus der Geschäftsbeziehung zu P sichern sollte,
ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Die Klausel über den Umfang
der gesicherten Forderung kann erst eingreifen, wenn die Kl. überhaupt
Rechte aus der Bürgschaft herleiten darf. Das ist jedoch nicht der
Fall, wenn der mit der Bürgschaft verfolgte Zweck von vornherein nicht
erreicht worden ist.