§ 286 II BGB gewährt dem Gläubiger im Falle des Verzuges die Möglichkeit, " unter Ablehnung der Leistung Schadensersatz wegen Nichterfüllung (zu) verlangen", wenn "die Leistung infolge des Verzugs für den Gläubiger kein Interesse" mehr hat. Die Vorschrift wird nach ganz h.M. von § 326 BGB verdrängt, sofern es sich bei der Verpflichtung, mit welcher der Schuldner in Verzug ist, um eine im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Verpflichtung aus einem gegenseitigen Vertragt handelt (das übersieht wohl BGH NJW-RR 1997, 622). Die bloße Tatsache, daß die Verpflichtung einem gegenseitigen Vertrag entstammt, reicht hierfür nicht aus, weil auch aus einem gegenseitigen Vertrag einzelne (Neben-)Pflichten resultieren können, die nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Der Fall ist ein - seltenes - Beispiel für die praktisch wenig bedeutsame Schadensersatzpflicht aus § 286 II BGB.
1. Geraten Möbel im Speditionslager vorübergehend
außer Kontrolle und beschafft der Einlagerer sich deshalb Ersatz,
haftet der Spediteur aus Verzug wegen Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten.
2. Wegen des Interessenwegfalls an der Leistung
kann der Einlagerer Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen.
Die Kl. hat den Bekl. unter dem 18. 6. 1991 mit dem Transport und der Lagerung von Möbeln beauftragt. Nachdem die Kl. unter dem 1. 9. 1993 erfolglos die Herausgabe des Guts verlangt hatte, hat sie am 21. 10. 1993 gleichwertige Möbel gekauft. Das LG hatte die Klage im wesentlichen abgewiesen. Im Wege der Berufung der Kl. macht sie im zweiten Rechtszug noch Ersatz der Wiederbeschaffungskosten abzüglich eines Abzugs Neu für Alt geltend. Der Bekl. verlangt mit der Widerklage die Zahlung von Lagergeld. Die Berufung der Kl. hatte teilweise, die Widerklage der Bekl. dagegen keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
II. Der Senat wertet den zwischen den Parteien
geschlossenen Vertrag als kombinierten Fracht- und Lagervertrag. Der Bekl.
sollte die Möbel der Kl. zu seinem Lager transportieren und dort einlagern.
Der Transportvertrag ist zwischen den Parteien abgewickelt. Die Parteien
streiten nur über Ansprüche aus dem Lagervertrag.
1. Zu Recht verlangt die Kl. von dem Bekl. die
Zahlung von Schadensersatz. Wegen des Alters der Möbel muß sie
davon jedoch mehr in Abzug bringen, als sie bereits berücksichtigt
hat. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 286 I BGB wegen Verletzung
einer vertraglichen Nebenpflicht in Betracht. Die Regeln über die
Unmöglichkeit der Leistung scheiden aus, weil die Möbel in dem
Lager des Bekl. nur vorübergehend außer Kontrolle geraten sind.
Der Bekl. hält sie nunmehr wieder zur Verfügung der Kl., so daß
die Leistung nicht aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist.
Die Kl. kann sich nicht darauf berufen, der Bekl. könne den Leistungserfolg
nicht mehr herbeiführen, weil dieser bereits eingetreten sei (vgl.
Palandt/Heinrichs, BGB, 53. Aufl., § 275 Rdnrn. 9ff.). Die Kl. hat
durch die Neubeschaffung der Möbel den Interessenwegfall an der Leistung
des Bekl. selbst herbeigeführt. Dieser Sonderfall der Leistungsstörung,
die sog. Zweckstörung oder Zweckverfehlung, werden von den Regeln
der Unmöglichkeit nicht erfaßt. Ein wie hier mangelndes Interesse
des Gläubigers an dem Leistungserfolg ist allein dessen Risiko (BGH,NJW-RR
1992, 182 = LM § 157 (D) BGB Nr. 58 = ZIP 1991, 1599 (1601)). Auch
§ 326 I BGB kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Die den
Verzug auslösende (unterlassene) Handlung des Bekl. ist dessen Pflicht
zur Herausgabe des Lagerguts ( § 695 BGB). Diese ist nur Nebenpflicht
des Lagerhalters (Erman/Seiler, BGB, § 688 Rdnr. 3) und steht deshalb
außerhalb des vertraglichen Synallagmas (Larenz, SchuldR II, 1. Halbbd.,
S. 458; Jauernig/Vollkommer, BGB, § 688 Anm. 4; Hüffer, in: MünchKomm,
2. Aufl., § 688 Rdnr. 3, § 696 Rdnr. 10), dessen Vorliegen
§ 326 I BGB jedoch voraussetzt.
Nach § 286 I BGB hat der Gläubiger
dem Schuldner den durch die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten
entstandenen Schaden zu ersetzen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Die objektiven Verzugsvoraussetzungen ( § 284 BGB) liegen vor. Der
Anspruch der Kl. auf Rückgabe der Möbel war mit Zugang des Schreibens
der Kl. vom 1. 9. 1993 bei dem Bekl. fällig. Der Bekl. mußte
deshalb das Lagergut aufgrund dieses Verlangens sofort an die Kl. herausgeben,
§ 695 BGB. Dem ist der Bekl. trotz der Mahnungen der Kl. in deren
Schreiben vom 7. und 16. 9. 1993 nicht nachgekommen. Der Bekl. hat schon
nicht hinreichend dargelegt noch bewiesen, daß er den vorübergehenden
'Verlust' des Lagergutes nicht zu vertreten hat ( § 285 BGB). Sein
diesbezüglicher Sachvortrag entspricht der Aussage der Zeugin A, seiner
Ehefrau, die folgendes bekundet hat:
Bei der Einlagerung des Guts werde ein Lagerschein
ausgestellt. Dann würden Original als auch Duplikat per Post an den
Einlagerer zwecks Unterzeichnung geschickt, der dann einen Beleg an den
Bekl. zurückzusenden habe. Aus dem Lagerschein ergebe sich, wo das
Gut gelagert worden sei. So sei auch bei der Kl. verfahren worden.
Diese Aussage ist nicht geeignet, den Nachweis
des von der Kl. bestrittenen Zugangs der Dokumente zu führen. Denn
den allgemeinen Erfahrungssatz, daß zur Post gegebene Sendungen auch
den Empfänger erreichen, gibt es nicht. Abgesehen davon hat der Bekl.
nicht zu erklären vermocht, wie er eingelagertes Gut wieder auffinden
will, wenn er diesbezügliche Unterlagen versendet und diese verloren
gehen oder aus anderen Gründen außer Kontrolle geraten.
§ 286 I BGB gewährt dem Gläubiger
als Regelfall Ersatz des Verzugsschadens neben dem Leistungsanspruch. Aufgrund
des hier eingetretenen Interessenwegfalls der Kl. an der Leistung ist diese
darauf aber nicht mehr verwiesen, sondern sie kann nach § 286
II BGB Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Die Anwaltsschreiben
vom 4. 10. 1993 und 18. 10. 1993 konnte der Bekl. nach seinem maßgeblichen
Empfängerhorizont nur als Ablehnung der Leistung (Rückgabe) und
als Schadensersatzverlangen verstehen. Der Interessenwegfall der Kl. ergibt
sich aus dem Verhalten des Bekl., der für die Kl. erkennbar nichts
unternommen hat, um bei dieser den Eindruck zu erwecken, das Gut werde
in Kürze wiedergefunden. Auch die Bekundungen der im ersten Rechtszug
vernommenen Zeugen rechtfertigen eine davon abweichende Beurteilung nicht.
Sie lassen vielmehr nur den Schluß zu, daß, wie auch geschehen,
das Gut allenfalls durch Zufall wiedergefunden werden konnte. Darauf brauchte
die Kl. sich aber nicht verweisen zu lassen. So hat die Zeugin L ausgesagt,
auf ihre telefonische Nachfrage habe sie die Auskunft erhalten, das Gut
sei nicht auf Lager, die Kl. könne sich davon selbst überzeugen.
Dem entspricht im Kern die Aussage der Zeugin A, derzufolge das Gut mangels
Unterlagen nicht identifiziert werden und im Ergebnis in absehbarer Zeit
auch nicht herausgegeben werden konnte. Auf dieses Zuwarten für eine
nicht absehbare Zeit brauchte die Kl. sich nicht verweisen zu lassen, zumal
der Bekl. sich auch nach Übersenden eines zum Bezugsstoff der Garnitur
identischen Stoffrestes immer noch nicht zu einer umgehenden Identifizierung
und Herausgabe der Garnitur in der Lage sah. Auf den geltend gemachten
Anspruch muß die Kl. sich einen Abzug Neu für Alt von 50 % anrechnen
lassen. Eine wenn auch wenig gebrauchte sechs Jahre alte Couchgarnitur
unterliegt nach allgemeiner Lebenserfahrung einem erheblichen Wertverlust.
Durch die Neuanschaffung ist deshalb bei der Kl. eine beträchtliche
Vermögensvermehrung eingetreten, deren Ausgleich im Verhältnis
der Parteien der Kl. zumutbar ist. Der Senat bemißt diese Wertdifferenz
nach seiner freien Überzeugung mit 50 % ( § 287 ZPO).
2. Das LG hat zu Recht festgestellt, daß
der Bekl. einen Anspruch auf Zahlung von 2757,60 DM aus Lagervertrag gem.
§§ 416, 420 HGB hat. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden
Gründe der angefochtenen Entscheidung, denen er sich nach eigener
Sachprüfung anschließt.
3. Gegen die Lagerkosten hat die Kl. hilfsweise
mit ihrer Schadensersatzforderung aufgerechnet. Der Anspruch der Kl. hat
daher eine Höhe von insgesamt 5246,90 DM.