Schutz vor unerwünschten
Verträgen: "Überrumpelung" beim Vertragsschluß als
c.i.c.
OLG Bamberg, Urteil
v. 24.09.96 - 5 U 104/95
Fundstelle:
NJW-RR 1997, 694
Leitsatz:
Zur Überrumpelung beim Vertragsschluß
als culpa in contrahendo bei der Angabe von "Mondpreisen"
OLG Bamberg, Urteil v. 24.09.96 - 5 U 104/95
Zentrales Problem:
Im Zentrum der Entscheidung steht die Frage der
Vertragsaufhebung wegen c.i.c. (zu den damit verbundenen Problemen
auf der Rechtsfolgenebene vgl. die Anm. zu BGH
NJW 1998, 302). Die Haftung wird hier durch eine Verletzung der vorvertraglichen
Rücksichtnahmepflicht begründet, die sich nicht - wie häufig
- auf eine "fahrlässige Täuschung" (s. z.B. BGH
aaO), sondern auf "Überrumpelung" stützt. Richtigerweise
kann allerdings im vorliegenden Fall in der (unrichtigen) Angabe des "Normalpreises"
(sog. "Mondpreis") bereits eine arglistige Täuschung i.S.v. §
123 I BGB gesehen werden.
Hinsichtlich des Vertragstypus im konkreten Fall
(sog. "time-sharing-Vertrag") ist zu beachten, daß seit dem 1.1.1997
durch das "Gesetz über die Veräußerung von Teilzeitnutzungsrechten
an Wohngebäuden" (TzWrG) u.a. ein dem HWiG ähnelndes Widerrufsrecht
besteht (§ 5 TzWrG).
Zum Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Verpflichtung der
bekl. Time-Sharing-Rechteveräußerin, den Kl. den von ihnen an
die Bekl. geleisteten Kaufpreis von 24500 DM für einen Time-Sharing-Anteil
aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß
(culpa in contrahendo) zurückzugewähren. Der Senat hat die Bekl.
antragsgemäß zur Zahlung verurteilt.
1. Das Verschulden bei Vertragsschluß liegt
darin, daß die Bekl. die Kl. in pflichtwidriger Weise zum Abschluß
des Kaufvertrags über den Time-Sharing-Anteil veranlaßt hat
(Staudinger/Löwisch, BGB, 12. Aufl., Vorb. §§ 275-283 Rdnrn.
61ff.).
a) Gegen die vorvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme
verstößt, wer den Gegner überrumpelt und ihm den Abschluß
eines wirtschaftlich erheblichen Geschäfts aufdrängt, ohne ihm
eine ausreichende Überlegungs- und Abwägungsfrist gegeben zu
haben (Emmerich, in: MünchKomm, 3. Aufl., Vorb. § 275 Rdnr. 101;
Gottwald, JuS 1982, 877 (882); LG Landau, MDR 1974, 41).
b) Der Senat ist aufgrund des Ergebnisses der
Beweisaufnahme im Berufungsverfahren überzeugt, daß die Bekl.
die Kl. gezielt auf diese Weise überrumpelt hat. Die Bekl. hat die
Kl. dazu verlockt, einen Time-Sharing-Anteil für die beträchtliche
Summe von 24500 DM zu kaufen, ohne zuvor wenigstens unbehelligt von den
Verkäufern der Bekl. miteinander über die Sache zu sprechen und
das geplante Geschäft in Ruhe zu überdenken oder zu 'überschlafen',
indem sie den Kl. vorspiegelte, daß nur am Abend der Verkaufsveranstaltung
eine einmalige Gelegenheit bestünde, den Time-Sharing-Anteil zu einem
besonders niedrigen Kaufpreis zu erwerben, und daß schon am nächsten
Tag wieder ein üblicher, um mindestens 7000 DM höherer Preis
verlangt werde. In Wirklichkeit wurde aber der angeblich niedrige 'Sonderpreis'
immer wieder - mit vorgeblicher Gültigkeit nur für jeweils den
Veranstaltungsabend - angeboten, während der höhere 'Listenpreis'
ernsthaft nicht verlangt wurde, sondern als 'Mondpreis' nur dazu diente,
den Kaufinteressenten den niedrigeren Preis als besonders günstig
darzustellen. Die Bekl. hat die Kl. mit der Behauptung eines nur an dem
Veranstaltungsabend geltenden Sonderpreises unter Druck gesetzt und so
erreicht, daß die Kl. sich vorwiegend darüber Gedanken machten,
ob sie sich ein günstiges Geschäft entgehen lassen sollten, statt
sich über die tatsächliche Tragweite ihrer Entscheidung und den
wirklichen Wert des zu erwerbenden Time-Sharing-Anteils zu vergewissern.
Die Kl. sind Opfer einer planmäßigen unseriösen Verkaufsstrategie
der Bekl. gegenüber einer Vielzahl von Interessenten. Es wurde den
Kl. nicht etwa lediglich mitgeteilt, daß man den angeblich günstigen
Verkaufspreis später nicht garantieren könne und daß es
ihnen unbenommen bliebe, sich den Vertragsschluß einige Tage oder
länger zu überlegen. Dies ergibt sich aus den Aussagen der Zeugin
S, die für die Bekl. als Verkaufsleiterin tätig war und den Vertragsschluß
mit den Kl. vornahm, und aus den Aussagen der anderen als Zeugen vernommenen
Käufer von Time-Sharing-Anteilen.
Die Zeugin S hat bekundet, daß den Kunden
bei Verkaufsgesprächen immer ein 'Aktionspreis' angeboten worden sei,
der einige Tausend DM unter einem den Kunden zunächst mitgeteilten
'Listenpreis' gelegen habe, und daß den Kunden gesagt worden sei,
der Aktionspreis könne nur an jeweils diesem Abend gewährt werden.
Wenn Kunden gesagt hätten, daß sie sich etwas Bedenkzeit ausbäten
und z.B. die Sache überschlafen wollten, dann sei ihnen von Seiten
der Bekl. gesagt worden: 'Bitte schön, aber dann müssen Sie eben
den vollen Preis bezahlen und verlieren den Rabatt für den Aktionspreis.'
Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit
dieser Zeugenaussage, auch wenn die Zeugin angegeben hat, daß sie
sich mittlerweile im Streit mit der Bekl. befinde. Die Aussage entspricht
dem Vortrag der Kl. und wird voll bestätigt durch die Aussagen der
sieben anderen als Zeugen vernommenen Time-Sharing-Kunden. Der Senat ist
überzeugt, daß auch im Falle der Kl. so verfahren wurde. Aus
der Aussage der Zeugen T ergibt sich im übrigen auch, daß diese
Verkaufsmethode der Bekl. nicht etwa nur auf den von der Zeugin S geleiteten
Verkaufsveranstaltungen angewendet wurde.
c) Die pflichtwidrige Überrumpelung der Kl.
zum Vertragsabschluß unter Ausschluß einer Bedenkzeit war auch
schuldhaft. Angesichts der Planmäßigkeit des Vorgehens in mehreren
Verkaufsveranstaltungen liegt die Annahme eines Vorsatzes des Geschäftsführers
der Komplementär-GmbH der Bekl. nahe; jedenfalls handelten die Verkaufsleiter
und die Verkäufer der Bekl. vorsätzlich. Die Bekl. haftet also
nach §§ 278, 276 I 1 BGB (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 55. Aufl.,
§ 276 Rdnr. 92 m. Rspr.-Nachw.).
2. Die Kl. hätten den Time-Sharing-Anteil
nicht gekauft, wenn sie nicht überrumpelt und durch das Angebot eines
angeblich besonders günstigen 'Aktionspreises' mit Gültigkeit
nur am Veranstaltungsabend von der Wahrnehmung einer Bedenkzeit abgehalten
worden wären. Insoweit ist der Vortrag der Kl., der im übrigen
angesichts ihrer finanziellen Situation kurz nach einem Hausbau auch der
Lebenserfahrung entspricht, nicht bestritten. Bei ruhiger Überlegung
wären die Kl. zu einer vernünftigen Haltung zurückgekehrt
und hätten von dem Erwerb des Time-Sharing-Anteils Abstand genommen.
Die pflichtwidrige Verletzung der vorvertraglichen Rücksichtnahmepflichten
durch die Bekl. war also für den Vertragsabschluß seitens der
Kl. kausal.
3. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH
haben die Kl. einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der vorvertraglichen
Pflichten der Bekl. in der Form, daß der Vertrag rückgängig
gemacht und eine bereits erbrachte Leistung erstattet wird (BGH,
NJW 1993, 2107 m.w. Nachw.). Die Kl. können
also die Rückzahlung des von ihnen gezahlten Kaufpreises von 24500
DM an sich als Gesamtgläubiger verlangen. Diesem Begehren ist uneingeschränkt
stattzugeben. Inwieweit die Kl. ihrerseits zur Rückabwicklung des
Vertrages beizutragen haben, ist im vorliegenden Verfahren unerheblich,
weil Zurückbehaltungsrechte nicht geltend gemacht sind.