"Taschengeldparagraph" (§
110 BGB): Grenzen der konkludenten Einwilligung
AG Freiburg, v. 24. 10. 1997 - 51 C 3570-97
Fundstelle:
NJW-RR 1999, 637
s. auch AG Hamburg NJW 1987, 448
(Eigene) Leitsätze:
1. Zum Umfang der konkludenten
Ermächtigung zum Abschluß von Verträgen durch die Gewährung von
"Taschengeld".
2. Keine verschärfte Bereicherungshaftung des Minderjährigen nach § 819
BGB
Zum Sachverhalt:
Der 14jährige Kl. kaufte sich beim Bekl. eine Pistole (sog. Airsoftgun)
nebst dazugehöriger Munition zu einem Kaufpreis von 76,90 DM. Diesen Kauf
tätigte er heimlich und ohne Zustimmung der Eltern. Zwei Tage später
fanden die Eltern die Waffe sowie die dazugehörige Munition, von der ein
Teil bereits verbraucht war. Der Bekl. weigerte sich, die Spielzeugwaffe
und die noch vorhandene Munition gegen Erstattung des vollen Kaufpreises
zurückzunehmen. Er behauptete, der Kl. habe sich geäußert, daß er die
Pistole von seinem Taschengeld finanziere und daß die Eltern damit
einverstanden wären. Der Kauf sei gem. § 110 BGB deshalb von Anfang an als
wirksam anzusehen. Ferner unterlägen Gegenstände, die nicht mehr
zurückgegeben werden können, nicht mehr der Rückzahlungsverpflichtung. Der
Kl. bestritt dies und beantragte, den Bekl. zur Zahlung von 76,90 DM Zug
um Zug gegen Herausgabe der Waffe nebst verbliebener Restmunition zu
verurteilen. Der Klage wurde vollumfänglich stattgegeben.
Aus den Gründen:
Der Kl. hat Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gem. § 812 I 1 BGB.
Der Kaufpreis in Höhe von 76,90 DM wurde ohne Rechtsgrund geleistet, da
der zwischen den Parteien abgeschlossene Kaufvertrag unwirksam ist. Der
Kl. war zur Zeit des Abschlusses des Kaufvertrages beschränkt
geschäftsfähig, eine Einwilligung der gesetzlichen Vertreter, der Eltern
des Kl., für die Abgabe der Willenserklärung liegt nicht vor.
Der Kaufvertrag ist auch nicht gem. § 110 BGB wirksam. Zwar gilt ein von
dem Minderjährigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters
geschlossener Vertrag als von Anfang an wirksam, wenn der Minderjährige
die vertragsgemäße Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm zu diesem Zweck
oder zur freien Verfügung von dem Vertreter oder mit dessen Zustimmung von
einem Dritten überlassen worden sind. Diese Voraussetzungen liegen hier
jedoch deshalb nicht vor, weil das Taschengeld, mit dem der Kl. die
Airsoftgun Beretta M92FS kaufte, ihm nicht zu diesem Zweck überlassen
wurde, noch zur eingeschränkt freien Verfügung . . .
Der Kl. erklärte hierzu, daß ein Einverständnis seiner Eltern zum Kauf
einer Airsoftgun Beretta M92FS nicht vorlag, daß ihm vielmehr im Vorhinein
klar war, daß sich die Überlassung des Taschengeldes gerade nicht auf den
Kauf einer solchen Spielzeugwaffe erstreckte. Er habe deshalb den Kauf
insgeheim getätigt und die Waffe in seinem Zimmer versteckt.
Eine Einwilligung der gesetzlichen Vertreter gem. § 110 BGB durch die
Überlassung der Geldmittel liegt daher vorliegend nicht vor. Mußte der
Minderjährige annehmen, daß sich die in der Überlassung liegende
Einwilligung des gesetzlichen Vertreters auf ein konkretes Geschäft nicht
beziehen sollte, so ist ein solcher Vertrag selbst dann nicht von § 110
BGB gedeckt, wenn er ihn mit an sich zur freien Verfügung überlassenen
Mitteln erfüllt.
Nach den zutreffenden Ausführungen von Gitter (in: MünchKomm, 3. Aufl., §
110 Rdnr. 18) widerspricht es dem Erziehungszweck des
Minderjährigenrechts, dem gesetzlichen Vertreter nur die Wahl zwischen
zweckgebundenen Mitteln und einem "totalen Taschengeld" zuzubilligen, mit
dem er alles und jedes gutheißt, was der Minderjährige unternimmt. Auch
bei frei überlassenen Mitteln muß der Wille des gesetzlichen Vertreters,
Beschränkungen vorzunehmen, beachtet werden. Nach Ansicht von Gitter kann
es dabei nur auf das Innenverhältnis zwischen dem Minderjährigen und dem
gesetzlichen Vertreter ankommen. Diese Auffassung wird vom Gericht
geteilt, da ein Gutglaubensschutz im Minderjährigenrecht grundsätzlich
nicht besteht.
...
Der Klage war voll umfänglich stattzugeben, auch soweit die Rückabwicklung
die teilweise von dem Kl. verbrauchte Munition betrifft. Die verschärfte
Haftung des § 819 BGB greift nicht ein. Die vom Beklagten-Vertreter
zitierte Kommentarliteratur bei Palandt-Thomas, BGB, 55. Aufl. (1996), §
819, Rdnr. 6, ist nur unvollständig ausgeführt. Diese Ausführungen
beziehen sich explizit nicht auf die Leistungskondiktion, sondern
ausschließlich auf die Bereicherung in sonstiger Weise, vor allem der
Eingriffskondiktion. In Rdnr. 6 zu § 819 wird weiter oben ausgeführt: "Bei
der Leistungskondiktion verbietet der vorrangige Gesichtspunkt des
Schutzes des Minderjährigen oder sonst nicht voll Geschäftsfähigen bei
dessen alleiniger Kenntnis die Anwendung der verschärften Haftung, weil
sonst im Ergebnis über § 819 BGB oftmals die gleiche Haftung wie aus dem -
wegen der Geschäftsunfähigkeit unwirksamen - Rechtsgeschäft eintreten
würde."
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