"Schwarzfahrt"
des Minderjährigen: Keine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters in den
Abschluß eines Beförderungsvertrages über ein "erhöhtes
Beförderungsentgelt" bei Schwarzfahrt
AG Hamburg, Urteil v. 24.04.1986 - 22 b C
708/85
Fundstelle:
NJW 1987, 448
s. auch AG
Freiburg NJW-RR 1999, 637
Leitsatz:
Ein Minderjähriger, der vergessen hat, den Fahrschein für
die Hamburger Hochbahn zu lösen, ist zur Zahlung eines erhöhten
Entgelts nicht verpflichtet, da ihm der Abschluß eines Beförderungsvertrags
von seinem gesetzlichen Vertreter nur unter der Voraussetzung des Erwerbs
einer Fahrkarte genehmigt wurde.
Die minderjährige Bekl., die von ihren Eltern einen Geldbetrag
für die Hin- und Rückfahrt zur Schule mit der Hamburger Hochbahn
erhalten hatte, vergaß vor der Rückfahrt eine Fahrkarte zu lösen
und wurde von einem Fahrkartenprüfer ohne Fahrschein angetroffen.
Der gesetzliche Vertreter der Bekl. verweigerte die Genehmigung dieses
Beförderungsvertrags. Die Kl., die Hamburger Hochbahn AG, verlangte
mit der Klage ein erhöhtes Beförderungsentgelt von 40 DM zuzüglich
10 DM wegen nicht rechtzeitiger Zahlung des erhöhten Entgelts abzüglich
des von der Bekl. gezahlten üblichen Fahrtentgeltes von 2,60 DM. Die
Klage hatte keinen Erfolg.
... Der Kl. steht ein Anspruch gegen die Bekl. auf Zahlung eines
erhöhten Beförderungsentgeltes von 47,40 DM nicht zu. Ein derartiger
Anspruch der Kl. kann weder aus Vertrag noch aus Gesetz hergeleitet werden.
Zwischen den Parteien ist kein Beförderungsvertrag abgeschlossen
worden. Durch die Benutzung der U-Bahn hat die Bekl. zwar durch schlüssiges
Verhalten eine Willenserklärung, gerichtet auf den Abschluß
eines Beförderungsvertrages ( § 631 BGB), abgegeben. Diese Willenserklärung
bedurfte jedoch, da sie für die Bekl. nicht lediglich vorteilhaft
war, nach § 107 BGB der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters
der Bekl. Eine derartige Einwilligung ist weder ausdrücklich noch
konkludent erteilt worden. Bei Minderjährigen ist zwar nach der Lebenserfahrung
bei Fahrten von und zu der Schule eine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters
in den Abschluß von Beförderungsverträgen anzunehmen. Eine
derartige Einwilligung wurde auch von den Eltern der Bekl. für die
Fahrt zu einer schulischen Veranstaltung erteilt. Diese Einwilligung war
aber von Anfang an darauf beschränkt bzw. stand unter der Bedingung,
daß die Bekl. für die Fahrt einen Fahrschein erwerben würde.
Daß der gesetzliche Vertreter der Bekl. unbeschränkt bzw. unbedingt
in die Benutzung der U-Bahn eingewilligt habe, behauptet die Kl. nicht.
Eine derartige unbeschränkte oder unbedingte Einwilligung würde
nämlich den Interessen der minderjährigen Bekl. zuwiderlaufen.
Auch wenn man hier allein in der Hingabe eines Geldbetrages eine konkludent
erteilte Einwilligung zum Abschluß eines Beförderungsvertrages
erblickt, würde ein solcher Beförderungsvertrag nur wirksam,
falls die Bekl. die vertragsmäßige Leistung vollständig
bewirkt ( § 110 BGB), also das Geld für eine Fahrkarte entrichtet.
Da die Bekl. keine Fahrkarte erworben hat bzw. die vertragsmäßige
Leistung nicht bewirkte, wurde die beschränkte bzw. bedingte Einwilligung
nicht wirksam. Der Beförderungsvertrag zwischen der Kl. und der Bekl.
war damit zunächst schwebend unwirksam ( § 108 I BGB). Nach ausdrücklicher
Verweigerung der Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter der Bekl.
wurde der Beförderungsvertrag von Anfang an endgültig unwirksam.
Zu demselben Ergebnis führt es auch, wenn man den Vertragsschluß
nicht auf eine konkludente Willenserklärung, sondern auf 'sozialtypisches
Verhalten' stützt. Denn den Regeln der §§ 107f. BGB
über den Schutz Minderjähriger kommt auch in diesem Fall der
Vorrang gegenüber dem Interesse des Rechtsverkehrs an der Gültigkeit
abgeschlossener Verträge zu.
Die Vorschriften zum Schutz von Minderjährigen werden durch die
VO BM Verkehr vom 27. 2. 1970 nicht modifiziert. Die genannte Verordnung
regelt nur die Ausgestaltung der Beförderungsbedingungen von Fahrgastunternehmen.
Auf das vertragliche Verhältnis zwischen Fahrgast und Beförderungsunternehmen
hat sie keinen Einfluß. Auch die Beförderungsbedingungen der
Hamburger Hochbahn AG regeln nur den Inhalt wirksam zustande gekommener
Beförderungsverträge; sie gelten nicht unabhängig von einem
Vertragsschluß.
Dem Klagantrag kann auch nicht aus den Deliktsvorschriften entsprochen
werden. Für einen Ausspruch aus § 823 I BGB fehlt es an
der Verletzung eines absoluten Rechtes der Kl. Ein Anspruch aus §
823 II BGB i. V. mit § 265a StGB scheitert am mangelnden Vorsatz
der Bekl.
Die Kl. hat auch keinen Anspruch aus § 812 I BGB. Erlangt
hat die Bekl. von der Kl. die Beförderung; deren Wert in Höhe
von 2,60 DM ist von der Bekl. ersetzt worden.
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