(Keine) Anwendbarkeit der Verbraucherkreditrichtlinie
auf Bürgschaften
EuGH, Urt. v. 23. 3. 2000 - Rs. C-208/98 (Berliner
Kindl Brauerei AG/Andreas Siepert)
Fundstellen:
NJW 2000, 1323
Volltext einschl. Schlußantrag des Generalanwalts
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Urteilstenor:
Ein Bürgschaftsvertrag, der zur Sicherung
der Rückzahlung eines Kredits geschlossen wird, fällt auch dann
nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22.
12. 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten
über den Verbraucherkredit, wenn weder der Bürge noch der Kreditnehmer
im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit gehandelt haben.
1. Das Landgericht Potsdam hat mit Beschluß
vom 27. April 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Juni 1998, gemäß
Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung
der Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung
der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den
Verbraucherkredit (ABl. 1987, L 42, S. 48; im folgenden: Richtlinie) zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
2. Diese Frage stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits
zwischen der Berliner Kindl Brauerei AG (im folgenden: Klägerin) und
Andreas Siepert (im folgenden: Beklagter) in bezug auf die Erfüllung
eines Bürgschaftsvertrags, den dieser zugunsten der Klägerin
geschlossen hat.
Geltende Regelung
3. Artikel 1 Absätze 1 und 2 Buchstaben a und
c Unterabsatz 1 der Richtlinie sieht vor:
(1)Diese Richtlinie findet auf Kreditverträge
Anwendung.
(2)Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:
a).Verbraucher' eine natürliche Person, die
bei den von dieser Richtlinie erfaßten Geschäften zu einem Zweck
handelt, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet
werden kann;
c).Kreditvertrag' einen Vertrag, bei dem ein Kreditgeber
einem Verbraucher einen Kredit in Form eines Zahlungsaufschubs, eines Darlehens
oder einer sonstigen ähnlichen Finanzierungshilfe gewährt oder
zu gewähren verspricht.
4. Nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f der Richtlinie
findet diese auf Kreditverträge über weniger als 200 ECU oder
mehr als 20 000 ECU keine Anwendung.
5. Artikel 4 Absätze 1 und 2 Buchstaben a, b
Unterabsatz 1 und c sowie Absatz 3 der Richtlinie in der Fassung der Richtlinie
90/88/EWG des Rates vom 22. Februar 1990 (ABl. L 61, S. 14) bestimmt:
(1)Kreditverträge bedürfen der Schriftform.
Der Verbraucher erhält eine Ausfertigung des schriftlichen Vertrages.
(2)In der Vertragsurkunde ist folgendes anzugeben:
a)der effektive Jahreszins;
b)die Bedingungen, unter denen der effektive Jahreszins
geändert werden kann.
...
c)eine Aufstellung des Betrags, der Anzahl und
der zeitlichen Abstände oder des Zeitpunkts der Zahlungen, die der
Verbraucher zur Tilgung des Kredits und Entrichtung der Zinsen und sonstigen
Kosten vornehmen muß; ferner den Gesamtbetrag dieser Zahlungen, wenn
dies möglich ist;
...
(3)Die Vertragsurkunde soll auch die übrigen
wesentlichen Vertragsbestimmungen enthalten.
Im Anhang findet sich als Beispiel eine Liste solcher
Angaben, deren Aufnahme in den schriftlichen Vertrag von den Mitgliedstaaten
als wesentlich vorgeschrieben werden kann.
6. Gemäß Nummer 1 des Anhangs gehören
zu diesen Angaben bei Kreditverträgen, die die Finanzierung des Erwerbs
von bestimmten Waren oder Dienstleistungen betreffen, neben der Beschreibung
des Gegenstands des Vertrages und den eigentlichen Finanzierungsbedingungen
nach Ziffer vi Einzelheiten über etwaige Sicherheiten und nach Ziffer
vii eine etwaige Bedenkzeit.
7. Artikel 15 der Richtlinie bestimmt:
Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten
nicht, in Übereinstimmung mit ihren Verpflichtungen aus dem Vertrag
weitergehende Vorschriften zum Schutz der Verbraucher aufrechtzuerhalten
oder zu erlassen.
8. Die Richtlinie ist in Deutschland durch das Verbraucherkreditgesetz
(VerbrKrG) vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I, S. 2840) umgesetzt worden, das
im Einklang mit Artikel 15 der Richtlinie nach § 1 VerbrKrG generell
für Kredite gilt, die einer natürlichen Person gewährt werden,
aber nach § 3 Absatz 1 Nummer 2 VerbrKrG keine Anwendung findet auf
Kredite, die für die Aufnahme einer gewerblichen oder selbständigen
beruflichen Tätigkeit bestimmt sind, wenn deren Betrag 100 000 DM
übersteigt. § 7 VerbrKrG sieht außerdem vor, daß
die auf den Abschluß eines Kreditvertrags gerichtete Willenserklärung
des Verbrauchers erst wirksam wird, wenn der Verbraucher sie nicht binnen
einer Frist von einer Woche widerruft, die ab dem Zeitpunkt läuft,
zu dem ihm eine Belehrung des Kreditgebers ausgehändigt worden ist,
die ihn über das Bestehen und die Einzelheiten des Widerrufsrechts
unterrichtet.
Sachverhalt und Vorlagefrage
9. Nach dem Vorlagebeschluß übernahm der
Beklagte gegenüber der Klägerin eine Bürgschaft bis zum
Höchstbetrag von 90 000 DM für die Rückzahlung eines Darlehens,
das diese einem Dritten zur Gründung einer Gaststätte gewährt
hatte, wobei diese Verpflichtung nicht im Zusammenhang mit einer beruflichen
oder gewerblichen Tätigkeit des Beklagten stand. Das Landgericht stellt
ferner fest, daß der Beklagte nicht gemäß § 7 VerbrKrG
über sein Widerrufsrecht belehrt worden sei, er aber bei einer Besprechung
im Juni 1994 mit einem Mitarbeiter der Klägerin dieser mitgeteilt
habe, daß er seine Bürgschaftserklärung widerrufe.
10. Weil der Hauptschuldner seinen Verpflichtungen
nicht nachkam, kündigte die Klägerin das Darlehen. Er wurde vom
Landgericht Rostock mit Urteil vom 25. Juli 1997 zur Zahlung von 28 952,43
DM nebst Zinsen verurteilt. Der Beklagte wurde als Bürge durch Versäumnisurteil
vom 8. Dezember 1997 zur Zahlung desselben Betrages verurteilt.
11. Der Beklagte legte gegen dieses Urteil Einspruch
ein. Das Landgericht Potsdam hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof
die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Fällt ein Bürgschaftsvertrag, der
von einer nicht im Rahmen einer Erwerbstätigkeit handelnden natürlichen
Person geschlossen wird, in den Geltungsbereich der Richtlinie des Rates
vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften
der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (ABl. L 42 vom 12.
Februar 1987, S. 48), wenn er die Rückzahlung einer Schuld absichert,
die der Hauptschuldner
nicht im Rahmen seiner bereits ausgeübten
Erwerbstätigkeit eingegangen ist?
12. Mit seiner Frage möchte das nationale Gericht
wissen, ob ein Bürgschaftsvertrag, der zur Sicherung der Rückzahlung
eines Kredits geschlossen wird, in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt,
wenn weder der Bürge noch der Kreditnehmer im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit
gehandelt haben.
13. Die Klägerin sowie die deutsche, die belgische
und die finnische Regierung tragen vor, daß die Richtlinie nicht
auf Bürgschaftsverträge angewandt werden könne, weil diese
keine Kreditverträge im Sinne des Artikels 1 Absatz 2 Buchstabe c
der Richtlinie seien, sondern einseitige Verpflichtungen zur Sicherung
der Rückzahlung eines Kredits darstellten. Nach Auffassung der Klägerin
sowie der deutschen und der finnischen Regierung ergibt sich aus dem Bericht
der Kommission vom 11. Mai 1995 über die Anwendung der Richtlinie
87/102 (KOM[95] 117 endg.; im folgenden: Bericht), nach dessen Absatz 345
Bürgschaften aus dieser Richtlinie ausgeklammert seien, daß
der Bürgschaftsvertrag aus dem Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen
sei.
14. Die deutsche und die finnische Regierung machen
außerdem geltend, die Richtlinie solle sicherstellen, daß der
Kreditnehmer im Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags über
die damit verbundenen Pflichten angemessen unterrichtet sei, und ihn mithin
gegen unbillige Bindungen schützen. Demgegenüber enthalte die
Richtlinie keine Bestimmungen zum Schutz des Bürgen, für den
in erster Linie die Zahlungsfähigkeit des Hauptschuldners von Interesse
sei. Außerdem bestreiten die genannten Regierungen, daß die
Einbeziehung des Bürgschaftsvertrags in den Geltungsbereich der Richtlinie
sich allein aus der Akzessorietät einer solchen Verpflichtung ergeben
könne.
15. Der Beklagte, die spanische und die französische
Regierung sowie die Kommission sind demgegenüber der Ansicht, daß
der Bürgschaftsvertrag insbesondere wegen seines engen Zusammenhangs
mit dem Kreditvertrag, dessen Erfüllung er absichere, unter die Richtlinie
fallen könne. Nach Auffassung der Kommission stellt die Tatsache,
daß die Richtlinie nichts über die Rechtsstellung der Personen
aussage, die als Sicherungsgeber oder als Schuldbeitretende an dem Kreditvertrag
auf Seiten des Kreditnehmers beteiligt seien, eine planwidrige Lücke
dar.
16. Die französische Regierung und die Kommission
führen hierzu aus, daß sowohl der Hauptvertrag als auch der
Bürgschaftsvertrag nur dann in den Geltungsbereich der Richtlinie
fielen, wenn sie von natürlichen Personen geschlossen würden,
die zu einem Zweck handelten, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen
Tätigkeit zugerechnet werden könne. Der akzessorische Charakter
der Bürgschaft führe insbesondere dazu, Bürgschaftsverträge
vom Geltungsbereich auszunehmen, die nicht für Verbraucherkredite
im Sinne dieser Richtlinie gewährt würden.
17. Nach Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe c der Richtlinie
findet diese nur auf Kreditverträge, also auf Verträge Anwendung,
bei denen ein Kreditgeber einem Verbraucher einen Kredit in Form eines
Zahlungsaufschubs, eines Darlehens oder einer sonstigen ähnlichen
Finanzierungshilfe gewährt oder zu gewähren verspricht.
18. Der Bürgschaftsvertrag ist kein Kreditvertrag
im Sinne dieser Bestimmung. Da der Bürgschaftsvertrag somit bei einer
Auslegung dieser Bestimmung nach ihrem Wortlaut nicht unter die Richtlinie
fällt, ist zu prüfen, ob sich aus der Systematik und den Zielen
der Richtlinie etwas anderes ergibt.
19. Was zunächst die Systematik der Richtlinie
angeht, so sieht deren Artikel 4 Absatz 3 vor, daß der schriftlich
geschlossene Kreditvertrag die wesentlichen Vertragsbestimmungen enthält,
als deren Veranschaulichung der Anhang der Richtlinie in Nummer 1 Ziffer
vi etwaige Sicherheiten nennt. Deren Aufnahme in den Kreditvertrag soll
somit sicherstellen, daß die Parteien dieses Vertrages, also der
Kreditnehmer und der Kreditgeber, umfassende Kenntnis von den Sicherheiten
haben, von denen der Abschluß des Vertrages abhängt. Aus der
genannten Bestimmung kann jedoch mangels einer entsprechenden ausdrücklichen
Bestimmung in der Richtlinie nicht gefolgert werden, daß diese auch
einen Bürgschaftsvertrag regelt, der sich auf die Parteien des Kreditvertrags
bezieht.
20. Als Ziele der Richtlinie ergeben sich aus deren
Begründungserwägungen zum einen die Errichtung eines gemeinsamen
Verbraucherkreditmarktes (dritte bis fünfte Begründungserwägung)
und zum anderen der Schutz der Verbraucher, die solche Kredite aufnehmen
(sechste, siebte und neunte Begründungserwägung).
21. Daß dem Kreditnehmer nach Artikel 4 der
Richtlinie bei Vertragsschluß alle Angaben zur Verfügung stehen
müssen, die Auswirkungen auf den Umfang seiner Verpflichtung haben
können, wozu auch die Sicherheiten gehören, hat somit den Zweck,
den Verbraucher gegen unbillige Kreditbedingungen zu schützen, und
soll ihn umfassend über die Einzelheiten der Vertragserfüllung
ins Bild setzen.
22. Daß die Richtlinie zum einen in der Liste
der für den Kreditnehmer wesentlichen Bestimmungen des Kreditvertrags
die Sicherheiten nennt und zum anderen keine ausdrückliche Bestimmung
zur Regelung der Bürgschaft oder einer anderen Form der Sicherheitsleistung
enthält, zeigt folglich, daß sie den Bürgschaftsvertrag
dadurch aus ihrem Geltungsbereich ausschließen wollte, daß
sie die Sicherheiten, die die Rückzahlung des Kredits absichern sollen,
nur unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes berücksichtigt.
23. Diese Auslegung wird darüber hinaus durch
die Feststellung in Absatz 345 des Berichtes, daß Bürgschaften
aus der Richtlinie 87/102/EWG ausgeklammert sind, sowie durch den Hinweis
in Nummer 16 der Entschließung des Europäischen Parlaments vom
11. März 1997 zu diesem Bericht (ABl. C 115, S. 27) bestätigt,
daß bei der Erstreckung bestimmter in der Richtlinie 87/102/EWG vorgesehener
Verpflichtungen auf Bürgen und Garanten die Sachverhaltsunterschiede
im Vergleich zu dem Erstkreditnehmer zu berücksichtigen sind.
24. Die Richtlinie weicht daher nach ihrer Systematik
und ihren Zielen von der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember
1985 betreffend denVerbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen
geschlossenen Verträgen (ABl. L 372, S. 31) ab. Der sachliche Geltungsbereich
der letztgenannten Richtlinie ist nämlich nicht auf bestimmte Vertragstypen
beschränkt, sondern betrifft alle Verträge über die Lieferung
von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, sofern die Verbraucher
zu einem Zweck handeln, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit
zugerechnet werden kann; diese Richtlinie soll die Verbraucher schützen,
indem sie ihnen ein allgemeines Recht einräumt, einen Vertrag zu widerrufen,
der nicht auf Initiative des Verbrauchers, sondern auf die des Gewerbetreibenden
geschlossen wurde, so daß der Verbraucher möglicherweise nicht
alle Folgen seines Handelns überblicken konnte. Gerade aufgrund dieses
Zieles der genannten Richtlinie hat der Gerichtshof entschieden, daß
ein Vertrag, der einem Dritten zugute kommt, und insbesondere ein Bürgschaftsvertrag,
der aufgrund eines Haustürgeschäfts geschlossen wurde, nicht
ohne weiteres von deren Geltungsbereich ausgeschlossen werden kann (vgl.
Urteil vom 17. März 1998 in der Rechtssache
C-45/96, Dietzinger, Slg. 1998, I-1199, Randnr. 19).
25. Die hier maßgebliche Richtlinie ist hingegen
angesichts ihrer Ziele, die sich praktisch ausschließlich auf die
Unterrichtung des Hauptschuldners über den Umfang seiner Verpflichtung
beschränken, und in Anbetracht des Umstands, daß sie kaum Bestimmungen
enthält, die den Bürgen sinnvoll schützen könnten dieser
will vor allem über die Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers informiert
sein, um die Wahrscheinlichkeit seiner Inanspruchnahme beurteilen zu können
so zu verstehen, daß sie keine Anwendung auf Bürgschaftsverträge
finden soll.
26. Zudem kann sich der Geltungsbereich der Richtlinie
nicht allein wegen der Akzessorietät der Bürgschaft gegenüber
der Hauptverpflichtung, deren Erfüllung sie absichert, auf Bürgschaftsverträge
erstrecken, da eine solche Auslegung weder wie in Randnummer 18 festgestellt
wurde im Wortlaut dieser Richtlinie noch in ihrer Systematik oder ihren
Zielen eine Grundlage findet.
27. Nach alledem ist auf die Frage zu antworten, daß
ein Bürgschaftsvertrag, der zur Sicherung der Rückzahlung eines
Kredits geschlossen wird, auch dann nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie
fällt, wenn weder der Bürge noch der Kreditnehmer im Rahmen ihrer
Erwerbstätigkeit gehandelt haben.
Kosten
28. Die Auslagen der deutschen, der belgischen, der
spanischen, der französischen und der finnischen Regierung sowie der
Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind
nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens
ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht
anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses
Gerichts.