Nach Art. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie
85/577/ EWG vom 20. 12. 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle
von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen
fällt ein Bürgschaftsvertrag, der von einer nicht im Rahmen einer
Erwerbstätigkeit handelnden natürlichen Person geschlossen wird,
nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie, wenn er die Rückzahlung
einer Schuld absichert, die der Hauptschuldner im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit
eingegangen ist.
NJW 1998, 1295
EWS 1998, 175
LM H. 7 / 1998 HWiG Nr. 30a
IStR 98, 320
MDR 1998, 665
NJ 1998, 367
RiW 1998, 397
VuR 1998, 207
WM 1998, 649
ZIP 1998, 554
Vgl. dazu auch Lorenz NJW 1998, 2937 ff
Nach heutiger Rechtslage ist die Entscheidung
überholt, s.
BGH v. 22.9.2020 - XI ZR 219/19.
Zum Sachverhalt:
Der BGH (NJW 1996, 930 = EuZW 1996, 220) hat dem Gerichtshof gem. Art. 177 EGV eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABlEG Nr. L 372, S. 31) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank AG (im folgenden: Kl.) und dem Bekl. Edgar Dietzinger über die Inanspruchnahme aus einem von diesem mit der Kl. geschlossenen Bürgschaftsvertrag. Art. 11 und 2 Richtlinie 85/577/EWG bestimmen:
Art. 1
(1) Diese Richtlinie gilt für Verträge,
die zwischen einem Gewerbetreibenden, der Waren liefert oder Dienstleistungen
erbringt, und einem Verbraucher geschlossen werden:
- während eines vom Gewerbetreibenden außerhalb
von dessen Geschäftsräumen organisierten Ausflugs, oder
- anläßlich eines Besuchs des Gewerbetreibenden
- beim Verbraucher in seiner oder in der
Wohnung eines anderen Verbrauchers, - beim Verbraucher an seinem Arbeitsplatz,
sofern der Besuch nicht auf ausdrücklichen
Wunsch des Verbrauchers erfolgt.
Art. 2. Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet
- "Verbraucher" eine natürliche Person, die
bei den von dieser Richtlinie erfaßten Geschäften zu einem Zweck
handelt, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet
werden kann.
- "Gewerbetreibender" eine natürliche oder
juristische Person, die beim Abschluß des betreffenden Geschäfts
im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, sowie
eine Person, die im Namen und für Rechnung eines Gewerbetreibenden
handelt.
Nach Art. 4 der Richtlinie 85/577/EWG hat der Gewerbetreibende
den Verbraucher innerhalb einer bestimmten Frist schriftlich über
sein Widerrufsrecht zu belehren. Gem. Art. 5 beträgt diese Frist mindestens
sieben Tage ab dem Zeitpunkt, zu dem dem Verbraucher die Belehrung über
sein Recht, vom Vertrag zurückzutreten, erteilt wurde. Der Vater des
Bekl. betrieb ein Bauunternehmen, für das die Kl. u. a. einen Kontokorrentkredit
eingeräumt hatte. Durch schriftliche Erklärung vom 11.9.1992
übernahm der Bekl. die selbstschuldnerische Bürgschaft für
die Verbindlichkeiten seiner Eltern gegenüber der Kl. bis zum Höchstbetrag
von 100 000 DM. Zum Abschluß des Bürgschaftsvertrags kam es
im Hause der Eltern des Bekl., die ein Angestellter der Kl. nach telefonischer
Absprache mir der Mutter des Bekl. aufgesucht hatte. Über ein Widerrufsrecht
wurde der Bekl. nicht belehrt. Im Mai 1993 kündigte die Kl. alle den
Eltern des Bekl. eingeräumten Kredite, die sich damals insgesamt auf
mehr als 1,6 Mio. DM beliefen, mit sofortiger Wirkung. Außerdem nahm
sie den Bekl. auf Zahlung eines Teilbetrags von 50000 DM aus der Bürgschaft
in Anspruch. Dieser widerrief die Bürgschaftserklärung mit der
Begründung, er sei entgegen den Bestimmungen des Gesetzes über
den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften
vom 16. 1. 1986 (HWiG, BGBl I, 122), mit dem die Richtlinie 85/577/EWG
in deutsches Recht umgesetzt wurde, nicht über sein Widerrufsrecht
belehrt worden. Das LG gab der Klage statt. Auf die Berufung des Bekl.
hat das OLG die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben. Der mit der Revision
befaßte BGH hat dem EuGH um Vorabentscheidung ersucht.
Der EuGH bejaht im Grundsatz die Anwendbarkeit
der Richtlinie auf Bürgschaftsverträge, verlangt jedoch, daß
die Schuld, die die Bürgschaft absichert, selbst auf einem Verbrauchergeschäft
beruht.
Aus den Gründen:
11. Die Frage des BGH geht dahin, ob ein Bürgschaftsvertrag,
der von einer nicht im Rahmen einer Erwerbstätigkeit handelnden natürlichen
Person geschlossen wird, in den Geltungsbereich der Richtlinie 85/577/EWG
fällt.
12. Der Bekl. und die Kommission vertreten die
Ansicht, die Richtlinie 85/577/EWG gelte für den Bürgschaftsvertrag;
sie solle Verbraucher schützen, die als Haustürgeschäft
einen Vertrag schlössen, auf den sie sich nicht hätten vorbereiten
können. Ebenso wie ein Käufer übernehme der Bürge Leistungsverpflichtungen,
und er sei um so schutzbedürftiger, als er hierfür keine Gegenleistung
erhalte.
13. Nach Auffassung der Kommission gilt Art. 1
Richtlinie 85/577/ EWG für jeden Vertrag zwischen einer natürlichen
Person und einem Gewerbetreibenden, der im Rahmen seiner beruflichen oder
gewerblichen Tätigkeit für gewöhnliche Verbraucher Waren
liefere oder Dienstleistungen erbringe, auch wenn der fragliche Vertrag
keine solche Leistung vorsehe. Der Ausdruck ,,Verträge, die zwischen
einem Gewerbetreibenden, der Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt,
und einem Verbraucher geschlossen werden", sei in der Richtlinie nur verwendet
worden, damit diese sich nicht allein auf Waren liefernde Gewerbetreibende
beschränke.
14. Die deutsche, die belgische, die französische
und die finnische Regierung sind dagegen der Ansicht, daß der Bürgschaftsvertrag
im wesentlichen deshalb nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 85/
5 77/EWG falle, weil er kein Vertrag sei, der i. 5. von Art. 1 "zwischen
einem Gewerbetreibenden, der Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt,
und einem Verbraucher geschlossen wird".
15. Dieser Passus setzte voraus, daß der
Gewerbetreibende dem Verbraucher, der sich auf die Richtlinie 85/577/EWG
berufe, eine Ware liefere oder eine Dienstleistung erbringe. Es reiche
nicht aus, daß der Gewerbetreibende für gewöhnlich Waren
verkaufe oder Dienstleistungen erbringe. Das ergebe sich besonders klar
aus der englischen Fassung "to contracts under which a trader supplies
goods or services to a consumer‘). In einem Fall wie dem vorliegenden stehe
der vom Bürgen eingegangenen Verpflichtung keine Gegenleistung gegenüber,
da der Bürge von dem Gewerbetreibenden alös Gläubiger weder
Waren noch Dienstleistungen erhalte.
16. Außerdem sei die Frage der Sicherheiten
in der Richtlinie 85/577/ EWG nicht geregelt; andernfalls hätte die
Richtlinie eigene Bestimmungen u. a. darüber enthalten, was mit dem
Vertrag, für dessen Erfüllung der Bürge einstehe, geschehe,
wenn der Bürge von seinem Widerrufsrecht Gebrauch mache. Daher richte
sich der Schutz des Bürgen allein nach nationalem Recht. Die französische
Regierung trägt insbesondere vor, da die Richtlinie 85/577/EWG die
Auswirkungen einer Ungültigkeit des Bürgschaftsvertrags auf die
Hauptverpflichtung nicht regele, müsse die Bürgschaft angesichts
ihres akzessorischen Charakters vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen
sein.
17. Die Richtlinie 85/577/EWG gilt gern. ihrem
Art. 1 für "Verträge, die zwischen einem Gewerbetreibenden, der
Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt, und einem Verbraucher" außerhalb
der Geschäftsräume des Gewerbetreibenden "geschlossen werden",
sofern sich der Gewerbetreibende nicht auf ausdrücklichen Wunsch des
Verbrauchers im Hinblick auf den Vertragsschluß oder den betreffenden
Ort begeben hat.
18. Für die Frage, ob ein Bürgschaftsvertrag
zur Absicherung der Erfüllung eines Kreditvertrags durch den Haupt-schuldner
unter die Richtlinie 85/577/EWG fallen kann, ist von Belang, daß
der Geltungsbereich der Richtlinie, von den Ausnahmen in Art. 3 II abgesehen,
nicht nach der Art der Waren oder Dienstleistungen beschränkt ist,
die Gegenstand des Vertrages sind, sofern diese Waren oder Dienstleistungen
zum privaten Verbrauch bestimmt sind. Die Gewährung eines Kredits
stellt eine Dienstleistung dar; der Bürgschaftsvertrag ist nur akzessorisch
und in der Praxis sehr oft Voraussetzung des Hauptvertrags.
19. Überdies findet sich im Wortlaut der
Richtlinie kein Hinweis darauf, daß derjenige, der den Vertrag geschlossen
hat, aufgrund dessen Waren zu liefern oder Dienstleistungen zu erbringen
sind, der Empfänger dieser Waren oder Dienstleistungen sein müßte.
Die Richtlinie 85/577/EWG soll nämlich die Verbraucher schützen,
indem sie es ihnen ermöglicht, einen Vertrag zu widerrufen, der nicht
auf Initiative des Kunden, sondern auf die des Gewerbetreibenden geschlossen
wurde, so daß der Kunde möglicherweise nicht alle Folgen seines
Handelns überblicken konnte. Daher kann ein Vertrag, der einem Dritten
zugute kommt, nicht allein deshalb vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen
werden, weil die erworbenen Waren oder Dienstleistungen für diesen
Dritten bestimmt wird, der nicht Partei des betreffenden Vertragsverhältnisses
ist.
20. Zwischen dem Kreditvertrag und der seine Erfüllung
absichernden Bürgschaft besteht ein enger Zusammenhang, wobei derjenige,
der sich verpflichtet, für die Rückzahlung einer Schuld einzustehen,
Selbstschuldner oder Ausfallbürge sein kann. Daher kann die Bürgschaft
grundsätzlich unter die Richtlinie fallen.
21. Außerdem ist ein Wegfall einer Bürgschaft,
die im Rahmen eines Haustürgeschäfts i. S. der Richtlinie 85/577/EWG
vereinbart wurde, nur einer der Fälle, für die sich die Frage
der Auswirkung der etwaigen Ungültigkeit eines akzessorischen Vertrags
auf die Hauptverbindlichkeit stellt. Daher kann allein aus dem Umstand,
daß die Richtlinie nicht regelt, was mit dem Hauptvertrag geschieht,
wenn der Bürge gem. Art. 5 widerruft, nicht geschlossen werden, daß
die Richtlinie für Bürgschaften nicht gilt.
22. Aus dem Wortlaut von Art. 1 der Richtlinie
und dem akzessorischen Charakter der Bürgschaft folgt jedoch, daß
unter die Richtlinie nur eine Bürgschaft für eine Verbindlichkeit
fallen kann die ein Verbraucher im Rahmen eines Haustürgeschäfts
gegenüber einem Gewerbetreibenden als Gegenleistung für Waren
oder Dienstleistungen eingegangen ist. Da die Richtlinie außerdem
nur die Verbrauchter schützen soll, kann sie nur einen Bürgen
erfassen, der sich gem. Art. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie zu
einem Zweck verpflichtet hat, der nicht seiner beruflichen oder gewerblichen
Tätigkeit zuge-rechnet werden kann.
23. Daher ist auf die vorgelegte Frage zu antworten,
daß nach Art. 2 erster Gedankenstrich Richtlinie 85/577/EWG ein Bürgschaftsvertrag,
der von einer nicht im Rahmen einer Erwerbstätigkeit handelnden natürlichen
Person geschlossen wird, nicht in den Geltungsbereich der Richtlinien fällt,
wenn er die Rückzahlung einer Schuld absichert, die der Hauptschuldner
im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit eingegangen ist.