Kein Widerrufsrecht des Verbrauchers gem. § 312g
BGB bei Abgabe einer Bürgschaftserklärung außerhalb von Geschäftsräumen
BGH, Urteil vom 22. September 2020 - XI ZR 219/19 - OLG
Hamburg
Fundstelle:
noch nicht bekannt
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
Ein Bürge hat kein Widerrufsrecht gemäß § 312g
BGB (Abgrenzung zu Senat, Urteil vom 9. März 1993 - XI ZR 179/92, WM 1993,
683).
Zentrale Probleme:
Es geht um die früher sehr umstrittene Frage, ob das
Widerrufsrecht nach § 312g BGB auch bei der Bürgschaft eins Verbrauchers
gilt. Der Senat verneint dies mangels Eröffnung des Anwendungsbereichs der
Vorschriften gem. § 312 BGB. Diese Regelung setzt nämlich einen auf eine
entgeltliche Leistung des Unternehmers gerichteten Vertrag voraus. Das aber
kann nur ein dem Verbraucher aus dem Verbrauchervertrag selbst geschuldetes
Entgelt sein und nicht etwa die Kreditgewährung oder deren Fortdauer an
einen Dritten. Auch eine Analogie und eine richtlinienkonforme Auslegung
bzw. Rechtsfortbildung scheiden aus, weil nach Überzeugung des Senats die
Verbraucherrechte-Richtlinie das Ergebnis bestätigt. Eine Vorlagepflicht an
den EuGH nach Art. 267 AEUV scheide angesichts der eindeutigen Rechtslage
("acte clair") aus.
Tatbestand:
1 Die Klägerin, eine Bank, nimmt den
Beklagten auf Zahlung aus einer selbstschuldnerischen
Höchstbetragsbürgschaft in Anspruch.
2 Die Klägerin räumte der K.
GmbH (im Folgenden: Hauptschuldnerin) mit Vertrag vom 22. Dezember 2015
einen Kontokorrentkredit über 300.000 € zu einem Zinssatz von 7,5% p.a. ein.
Der Beklagte war geschäftsführender Alleingesellschafter der
Hauptschuldnerin. Er übernahm zugunsten der Klägerin eine Bürgschaft
bis zu einem Höchstbetrag von 170.000 €, die sämtliche Ansprüche aus dem
Kreditvertrag sicherte. Die Bürgschaftserklärung unterzeichnete der Beklagte
in Anwesenheit eines Mitarbeiters der Klägerin am 22. Dezember 2015 in den
Geschäftsräumen der Hauptschuldnerin. Über ein Widerrufsrecht wurde er nicht
belehrt.
3 Nachdem ein Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Hauptschuldnerin gestellt worden
war, kündigte die Klägerin den Kontokorrentkredit mit Schreiben vom 26.
April 2016 fristlos und stellte einen Saldo in Höhe von 295.779,65 € zur
Rückzahlung fällig. Mit Schreiben vom 1. Juni 2016 forderte sie den
Beklagten zur Zahlung dieses Betrages zuzüglich Zinsen bis zum 29. Juni 2016
auf. Die Prozessbevollmächtigten des Beklagten bestätigten dessen
grundsätzliche Haftung aus der Bürgschaft zunächst, erklärten aber
mit Schreiben vom 21. September 2016 den Widerruf seiner auf Abschluss des
Bürgschaftsvertrages vom 22. Dezember 2015 gerichteten Willenserklärung.
4 Das Landgericht hat der auf Zahlung von 170.000 € nebst
bezifferten Zinsen in Höhe von 6.474,36 € sowie weiterer Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29. März 2017
gerichteten Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit
der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr
Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
A.
5 Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision ist entgegen der Ansicht
der Revisionserwiderung uneingeschränkt statthaft (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
6 Soweit das Berufungsgericht die Zulassung der Revision in den
Urteilsgründen ausschließlich damit gerechtfertigt hat, dass der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Widerrufsrecht des in einer
Haustürsituation handelnden Bürgen die europäische
Verbraucherrechterichtlinie entgegenstehen könne und eine Vorlage an den
Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) in Betracht komme,
liegt darin keine - grundsätzlich auch in den Gründen mögliche (st. Rspr.,
vgl. nur Senatsurteile vom 8. Mai 2012 - XI ZR 261/10, WM 2012, 1211 Rn. 6
und vom 16. Mai 2017 - XI ZR 430/16, WM 2017, 1155 Rn. 7, jeweils mwN) -
wirksame Beschränkung der Revisionszulassung.
7 .... (wird
ausgeführt)
B. 9 Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache
an das Berufungsgericht.
I.
10 Das Berufungsgericht hat zur
Begründung seiner Entscheidung (veröffentlicht in WM 2020, 1067 ff.) im
Wesentlichen ausgeführt:
11 Die Klägerin habe keinen Anspruch gegen
den Beklagten aus der übernommenen Bürgschaft, weil dieser seine
Vertragserklärung mit Schreiben vom 21. September 2016 wirksam widerrufen
habe.
12 Der Beklagte, der bei Abschluss des Bürgschaftsvertrags als
Verbraucher im Sinne des § 13 BGB gehandelt habe, habe die Forderung der
Klägerin vor Ausübung des Widerrufsrechts nicht anerkannt. Das
Widerrufsrecht sei danach nicht gemäß § 242 BGB verwirkt gewesen. Dem
Beklagten habe auch ein Widerrufsrecht nach § 312 Abs. 1, § 312b Abs. 1 Nr.
1, § 312g Abs. 1 BGB zugestanden. Die Voraussetzungen des § 312 Abs. 1 BGB
lägen vor. § 312 BGB diene der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie
2011/83/EU. Bei unionsrechtskonformer Auslegung der Norm habe der
Bürgschaftsvertrag eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum
Gegenstand. Diese sei darin zu sehen, dass der Unternehmer
dem Hauptschuldner den durch die Bürgschaft gesicherten Kredit gewähre oder
ein zur Rückzahlung fälliges Darlehen stunde. Der in § 312 Abs. 1
BGB verwendete Begriff des Entgelts sei aufgrund der Vorgaben der
Verbraucherrechterichtlinie weit zu verstehen und beschränke sich nicht
auf die Zahlung eines Geldbetrages; erfasst seien auch nicht pekuniäre
Gegenleistungen des Verbrauchers, die - wie die Bürgschaft - einen Marktwert
hätten.
13 Darüber hinaus habe der
EuGH (Urteil vom 17. März 1998 - C
45/96) zu der Richtlinie 85/577/EWG bereits entschieden,
dass ein Bürgschaftsvertrag grundsätzlich unter die Richtlinie fallen könne.
Soweit der EuGH die Anwendbarkeit der Richtlinie auf Bürgschaften beschränkt
habe, die eine Schuld absicherten, die ebenfalls von einem Verbraucher in
einer Haustürsituation begründet worden sei, gelte dies nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht für das deutsche Recht. An
dieser Rechtsprechung könne festgehalten werden. Zwar habe die
Verbraucherrechterichtlinie - anders als die Richtlinie 85/577/EWG - eine
Vollharmonisierung zum Ziel. Sie sei dafür aber weiter formuliert und
belasse den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, für Verträge, die nicht in
ihren Anwendungsbereich fielen, der Richtlinie entsprechende
nationale Rechtsvorschriften beizubehalten oder einzuführen. Die
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehe ferner in Einklang mit den
Gesetzesmaterialien zu § 312 BGB; diese enthielten keinen Hinweis darauf,
dass mit der Neufassung der Vorschrift die Bürgschaft oder andere
Sicherungsgeschäfte vom Widerrufsrecht hätten ausgeschlossen werden sollen.
II.
14 Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht
stand. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass
der Beklagte seine zum Abschluss des Bürgschaftsvertrages führende
Willenserklärung vom 22. Dezember 2015 gemäß § 355 BGB i.V.m. § 312b Abs. 1,
§ 312g Abs. 1 BGB wirksam widerrufen hat.
15 1. Das
Widerrufsrecht nach § 355 BGB i.V.m. § 312b Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB setzt
gemäß § 312 Abs. 1 BGB einen Verbrauchervertrag (§ 310 Abs.
3 BGB) voraus, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum
Gegenstand hat. Erforderlich ist, dass der Unternehmer
aufgrund eines Verbrauchervertrages die vertragscharakteristische Leistung
zu erbringen hat. Diese Voraussetzungen eines
Widerrufsrechts erfüllen Bürgschaften nicht.
16 a) Entgegen
der früheren Rechtsprechung zu § 1 HWiG bzw. § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB
in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) genügt für
die Anwendbarkeit der §§ 312b, 312g BGB nicht, dass
der Bürge sein Leistungsversprechen in der dem Gegner erkennbaren Erwartung
abgibt, ihm selbst oder einem bestimmten Dritten werde daraus irgendein
Vorteil erwachsen. Diese Betrachtungsweise vermochte zwar das nach
§ 1 HWiG bzw. nach § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB aF erforderliche
Tatbestandsmerkmal eines Vertrages über eine entgeltliche Leistung zu
begründen. Dieser Begriff wurde in dem weiten Sinne ausgelegt, dass
er auch eine Bürgschaft erfasst, die vom Verbraucher übernommen wird,
damit der Gläubiger dem Hauptschuldner ein Darlehen gewährt oder belässt
(Senatsurteile vom 9. März 1993 - XI ZR 179/92, WM 1993, 683, 684
und vom 26. September 1995 - XI ZR 199/94, BGHZ 131, 1, 4; vgl. BGH, Urteil
vom 17. Mai 2017 - VIII ZR 29/16, NJW 2017, 2823 Rn. 13; Federlin in:
Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl.,
Kreditsicherung Rn. 8.92). Hiervon abweichend setzt § 312 Abs. 1 BGB in
seiner ab dem 13. Juni 2014 geltenden Fassung voraus, dass der
Unternehmer gegen ein vereinbartes Entgelt des Verbrauchers die
vertragscharakteristische Leistung erbringt. Eine
entgeltliche Leistung des Verbrauchers unterfällt der Vorschrift nach ihrem
eindeutigen Wortlaut nicht (von Loewenich, WM 2015, 113 f.; Kehl,
WM 2018, 2018, 2022; Schinkels, WM 2017, 113 f.; Hölldampf in
Assmann/Schütze/Buck-Heeb, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 5. Aufl., § 4
Rn. 13; Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, 6. Aufl., Rn. 224;
MünchKommBGB/Wendehorst, 8. Aufl., § 312 Rn. 28; Erman/Koch, BGB, 16. Aufl.,
§ 312 Rn. 8; BeckOGK/Busch, BGB, Stand: 15. Juli 2020, § 312 Rn. 12; vgl.
Staudinger/Thüsing, BGB, Neubearbeitung 2019, § 312 Rn. 8; Nobbe in
Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHandbuch, 5. Aufl., § 91 Rn. 46; a.A.
Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 312 Rn. 5; Ganter in
Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 90 Rn. 398e).
17 b) Soweit anknüpfend an die frühere Rechtsprechung zu § 1 HWiG und §
312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB aF teilweise vertreten wird, die Bürgschaft
könne als gegenseitiger Vertrag in dem Sinne ausgestaltet werden, dass die
Übernahme der Bürgschaft die Gegenleistung für eine vom Gläubiger zu
erbringende Leistung bildet (Erman/Koch, BGB, 16. Aufl., § 312 Rn. 15; vgl.
Münch-KommBGB/Wendehorst, 8. Aufl., § 312 Rn. 34), muss die
entgeltliche Leistung des Unternehmers aus dem Verbrauchervertrag, für
welchen das Widerrufsrecht nach § 355 BGB i.V.m. § 312g Abs. 1 BGB in
Anspruch genommen wird, geschuldet werden. Dies ergibt sich aus § 312 Abs. 1
BGB, der einen Verbrauchervertrag nach § 310 Abs. 3 BGB als Rechtsgrund für
die Leistung voraussetzt. Dass die Leistung des Unternehmers aufgrund eines
separaten, nicht dem § 310 Abs. 3 BGB unterfallenden Vertrags an einen
Dritten erbracht wird, reicht danach nicht (vgl. BT-Drucks.
17/13951, S. 72; Meier, ZIP 2015, 1156, 1159; Kropf, WM 2015, 1699, 1702;
a.A. Erman/Koch, BGB, 16. Aufl., § 312 Rn. 19; Staudinger/Thüsing, BGB,
Neubearbeitung 2019, § 312 Rn. 7, 9; BeckOGK/Busch, BGB, Stand: 15. Juli
2020, § 312 Rn. 18 f.; Hoffmann, ZIP 2015, 1365, 1369; Maume, NJW 2016,
1041, 1042).
18 c) Auch die grundsätzliche Anwendbarkeit der
§§ 312 ff. BGB auf Verträge über Finanzdienstleistungen führt nicht zu einem
Widerrufsrecht des Beklagten. Bürgschaften oder sonstige Kreditsicherheiten
von Verbrauchern werden von dem in § 312 Abs. 5 Satz 1 BGB legal definierten
Begriff der Finanzdienstleistung nicht erfasst. Der Begriff hat
durch die Novellierung der §§ 312 ff. BGB, wie der Gesetzgeber klargestellt
hat (BT-Drucks. 17/12637, S. 49), keine Änderung erfahren, sondern
entspricht § 312b Abs. 1 Satz 2 BGB aF (Kropf, WM 2015, 1699, 1704). Danach
muss - in Übereinstimmung mit § 312 Abs. 1 BGB - die
vertragsspezifische Leistung durch den Unternehmer erbracht werden und der
Verbraucher Berechtigter aus dem Vertrag sein (BGH, Urteil vom 12.
November 2015 - I ZR 168/14, WM 2016, 968 Rn. 30; Bülow, Recht
der Kreditsicherheiten, 9. Aufl., I. Bürgschaft, Rn. 935).
19 d)
Das Widerrufsrecht nach § 355 BGB i.V.m. § 312b Abs. 1, § 312g Abs.
1 BGB kann nicht aus Schutzzweckerwägungen im Wege einer Analogie auf
außerhalb von Geschäftsräumen gestellte Verbraucherbürgschaften ausgeweitet
werden. Es fehlt an einer planwidrigen Unvollständigkeit der gesetzlichen
Regelung (von Loewenich, WM 2016, 2011, 2015 f.; Meier, ZIP
2015, 1156, 1159; Stackmann, NJW 2014, 2403; Kehl, WM 2018, 2018, 2022,
2027; Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, 6. Aufl., Rn. 224; vgl. BAG, BAGE
165, 315 Rn. 29; a.A. Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1160;
MünchKommBGB/ Wendehorst, 8. Aufl., § 312 Rn. 35; Erman/Koch, BGB, 16.
Aufl., § 312 Rn. 9; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 9. Aufl., I.
Bürgschaft Rn. 934b).
20 aa) Der Gesetzgeber wollte mit der
Neuregelung der §§ 312 ff. BGB durch das Gesetz zur Umsetzung der
Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der
Wohnungsvermittlung vom 20. September 2013 (BGBl. I 2013, S. 3642)
ausschließlich Verbraucherverträge erfassen, die als Austauschvertrag mit
einer Gegenleistungspflicht des Verbrauchers ausgestaltet sind.
Dies folgt aus der Begründung des Gesetzentwurfs. Danach sollte ein
Verbrauchervertrag nur dann § 312 Abs. 1 BGB unterfallen, wenn sich
der Unternehmer (§ 14) zur Lieferung einer Ware oder Erbringung einer
Dienstleistung und der Verbraucher (§ 13) zur Erbringung eines Entgelts
verpflichtet, wobei sich das Merkmal des Entgelts nicht auf die Zahlung
eines Geldbetrages beschränkte, sondern auch sonstige Leistungen des
Verbrauchers einbezog (BT-Drucks. 17/13951, S. 72; vgl. BAG, BAGE
165, 315 Rn. 18 ff., 28; Nobbe in Schimansky/Bunte/Lwowski,
Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 91 Rn. 46).
21 Verträge, in
denen der Verbraucher die für den Vertragstypus charakteristische Leistung
schuldet, sollten demgegenüber ebenso wenig erfasst werden
(BT-Drucks. 17/12637, S. 45; BT-Drucks. 17/13951, S. 72; BR-Drucks. 817/12,
S. 73; vgl. Hölldampf in Assmann/Schütze/Buck-Heeb, Handbuch des
Kapitalanlagerechts, 5. Aufl., § 4 Rn. 13; Kropf, WM 2015, 1699, 1702; a.A.
Schürnbrand, WM 2014, 1157, 1160) wie unentgeltliche
Verbraucherverträge (BT-Drucks. 17/13951, S. 71 f.; vgl. Antrag der
Fraktion Bündnis90/Die Grünen, BT-Drucks. 17/13967, S. 2; Plenarprotokoll
17/247).
22 bb) Dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 312
Abs. 1 BGB die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 1 HWiG bzw. § 312 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1 BGB aF übersehen und ein "gesetzgeberischer Wille zur Tilgung
dieses Rechtsstandes" (Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 9. Aufl., I.
Bürgschaft Rn. 934b; vgl. Schinkels, WM 2017, 113, 119) nicht vorgelegen
hat, ist gleichfalls nicht erkennbar.
23
Die Diskussion über die Widerruflichkeit von Bürgschaften war
aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 17. März 1998 (C-45/96,
"Dietzinger", Slg. 1998, I-1199), die einen
jahrelangen Meinungsstreit in Rechtsprechung und Literatur nach sich zog
(Kehl, WM 2018, 2018, 2027), allgemein bekannt.
Zudem ist der Gesetzgeber während des Gesetzgebungsverfahrens
ausdrücklich auf die Gefahr einer Wiederholung dieser Diskussion für den
Fall hingewiesen worden, dass das Gesetz eine entgeltliche Leistung des
Unternehmers als Vertragsgegenstand des Verbrauchervertrages fordere
(Schmidt-Kessel, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der
Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der
Wohnungsvermittlung, S. 27 f.; vgl. Hoffmann, ZIP 2015, 1365, 1368; Kehl,
aaO). Der Gesetzgeber hat dies bei der Neufassung des § 312 Abs. 1
BGB nicht zum Anlass genommen, das Widerrufsrecht auf den einseitig den
Verbraucher verpflichtenden Bürgschaftsvertrag zu erstrecken (vgl.
Senatsurteil vom 3. Juli 2018 - XI ZR 702/16, WM 2018, 1601 Rn. 14).
Dabei war dem Gesetzgeber bewusst, dass Art. 4 der Richtlinie 2011/83/EU
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über
die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des
Rates und der Richtlinie 1999/44 des Europäischen Parlaments und des Rates
sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie
97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in der bis zum 6. Januar
2020 maßgeblichen Fassung (ABl. L 304 vom 22. November 2011, S. 64; im
Folgenden: Richtlinie 2011/83/EU) grundsätzlich die Möglichkeit
eröffnete, die Richtlinie auch auf von ihr nicht erfasste Verträge
anzuwenden (BT-Drucks. 17/12637, S. 48; vgl. Kehl, aaO).
24
cc) Außerdem sind mit der Neufassung der §§ 312 ff. BGB ab dem 13.
Juni 2014 die Vorschriften über das Widerrufsrecht bei außerhalb von
Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen, bei
denen die Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 312 Abs. 1 BGB der
damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprach, weitgehend
vereinheitlicht worden (vgl. BT-Drucks. 17/12637, S. 2). Die
Beschränkung des § 312 Abs. 1 BGB, wonach der Verbrauchervertrag eine
entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben
muss, betrifft damit sowohl Außergeschäftsraum- als auch
Fernabsatzverträge. Dies entspricht der Systematik der Richtlinie
2011/83/EU, die den Anwendungsbereich der früheren Richtlinie 85/577/EWG des
Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von
außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. L 372 vom 31.
Dezember 1985, S. 31; künftig: Richtlinie 85/577/EWG) sowie die Richtlinie
97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den
Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl. L 144 vom 4.
Juni 1997, S. 19; künftig: Richtlinie 97/7/EG) zusammengeführt hat
(Erwägungsgründe 1 f. sowie 32 der Richtlinie 2011/83/EU; vgl. BT-Drucks.
17/12637, S. 1).
25 Ein Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen
bestand nach § 312b BGB aF ausschließlich für Verträge, an denen ein
Unternehmer auf Seiten des Lieferers und ein Verbraucher auf Seiten des
Abnehmers beteiligt war (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 - VIII ZR 90/14,
WM 2015, 403 Rn. 22; Kropf, WM 2015, 1699, 1701; von Loewenich, NJW 2014,
1409, 1410 f.). Nicht einbezogen waren Verträge, die allein die Lieferung
von Waren durch Verbraucher betrafen. Dasselbe galt nach herrschender
Ansicht für von Verbrauchern gestellte Kreditsicherheiten einschließlich
Bürgschaften (BGH, Urteil vom 12. November 2015 - I ZR 168/14, WM 2016, 968
Rn. 30; Nobbe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl., §
91 Rn. 48; Kropf, aaO). Angesichts der ausdrücklichen Bezugnahme des
Gesetzgebers auf Art. 2 Nr. 5 und Nr. 6 der Richtlinie 2011/83/EU
(BT-Drucks. 17/12637, S. 45) ist davon auszugehen, dass dieses für das
Fernabsatzgeschäft maßgebliche Vertragsverständnis beibehalten und durch
Aufnahme des § 312 Abs. 1 BGB künftig auf Außergeschäftsraumverträge
erstreckt werden sollte (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014, aaO Rn.
23).
26 2. § 312 Abs. 1, § 312b Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB
sind nicht aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung oder
Rechtsfortbildung (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 9. April 2002 - XI
ZR 91/99, BGHZ 150, 248, 252, vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ
179, 27 Rn. 19 ff., vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148 Rn.
24 ff., vom 17. Oktober 2012 - VIII ZR 226/11, BGHZ 195, 135 Rn. 18 und vom
3. Juli 2018 - XI ZR 702/16, WM 2018, 1601 Rn. 13; Senatsbeschluss vom 19.
März 2019 - XI ZR 44/18, WM 2019, 864 Rn. 16; EuGH, "Romano", WM 2019, 1919
Rn. 37 f.) auf Bürgschaftsverträge zu erstrecken. §
312 Abs. 1 BGB entspricht, soweit er eine Leistung eines Unternehmers als
Gegenstand des Verbrauchervertrages voraussetzt, der Richtlinie 2011/83/EU
(von Loewenich, WM 2015, 113, 114 ff.; ders., WM 2016, 2011, 2016;
Schinkels, WM 2017, 113, 115, 118; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 9.
Aufl., I. Bürgschaft, Rn. 934b; a.A. Nobbe in Schimanski/Bunte/Lwowski,
Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 91 Rn. 47; Schürnbrand, WM 2014, 1157,
1160; Wendehorst, NJW 2014, 577, 580; Brönneke/Schmidt, VuR 2014, 3;
Hoffmann, ZIP 2015, 1365, 1369; Meier, ZIP 2015, 1156, 1161 ff.; Maume, NJW
2016, 1041, 1043; Kehl, WM 2018, 2018, 2025 f.; PWW/Stürner, BGB, 14. Aufl.,
§ 312 Rn. 7).
27 Gegenteiliges lässt sich nicht aus Art. 3 Abs. 1 der
Richtlinie 2011/83/EU folgern (a.A. Hoffmann, ZIP 2015, 1365, 1366 ff.;
MünchKommBGB/Habersack, 8. Aufl., Vor § 765 Rn. 10; BeckOGK/Busch, BGB,
Stand: 15. Juli 2020, § 312 Rn. 13; Maume, NJW 2016, 1041, 1042). Zwar ist
zutreffend, dass die in Art. 3 Abs. 1 Halbs. 2 aufgenommene Umschreibung
"jegliche Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher
geschlossen werden" - entsprechend § 310 Abs. 3 BGB - zunächst alle Verträge
zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher ohne Rücksicht auf den
Vertragsgegenstand erfasst. Die Richtlinie gilt für diese Verträge nach Art.
3 Abs. 1 Halbs. 1 aber nur unter den Bedingungen und in dem Umfang, wie sie
in ihren Bestimmungen festgelegt sind (vgl. Schinkels, WM 2017, 113, 114).
Das Widerrufsrecht für im Fernabsatz oder außerhalb von
Geschäftsräumen abgeschlossene Verbraucherverträge ist in Art. 9 der
Richtlinie geregelt. Nach Art. 9 Abs. 1 steht dem Verbraucher eine Frist zum
Widerruf von 14 Tagen zu, wobei Art. 9 Abs. 2 das Ende der Widerrufsfrist
für die vom Widerrufsrecht erfassten Verträge im Einzelnen festsetzt. Das
Widerrufsrecht besteht danach bei Dienstleistungsverträgen im Sinne von Art.
2 Nr. 6, bei Kaufverträgen im Sinne von Art. 2 Nr. 5 sowie bei Verträgen
über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom, wenn sie nicht in einem
begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten
werden, von Fernwärme (vgl. Erwägungsgrund 25) oder von digitalen Inhalten
(vgl. Art. 2 Nr. 11), die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert
werden (vgl. Erwägungsgrund 19; von Loewenich, WM 2015, 113, 115; ders., WM
2016, 2011, 2014; Schinkels, aaO Rn. 116 f.).
28 Danach sind
zwar Verträge über die Lieferung öffentlicher Versorgungsleistungen und über
die Bereitstellung digitaler Inhalte im Vergleich zu den
Vorgängerrichtlinien 85/577/EWG und 97/7/EG zusätzlich aufgenommen worden;
diese Verträge sollten nicht als Kauf- oder Dienstleistungsverträge, sondern
als eigenständige Vertragsarten behandelt werden (Erwägungsgrund 19; zur
Historie dieser Ergänzungen vgl. von Loewenich, WM 2016, 2011, 2013).
Einseitig den Verbraucher verpflichtende Verträge vermitteln nach
Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2011/83/EU aber
nach wie vor grundsätzlich kein Widerrufsrecht; sie unterfallen nicht dem
Anwendungsbereich der Richtlinie, da sie keine Leistung des Unternehmers zum
Vertragsgegenstand haben (Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 9.
Aufl., I. Bürgschaft, Rn. 934b; a.A. Hoffmann, ZIP 2015, 1365, 1368; Kehl,
WM 2018, 2018, 2025).
29 Allein dieses Verständnis von Art. 3 Abs. 1
der Richtlinie 2011/83/EU entspricht auch ihrem Schutzzweck. Die
Richtlinie zielt nicht darauf ab, sämtliche Verträge, in denen sich als
Vertragspartner ein Verbraucher und ein Unternehmer gegenüberstehen,
einzubeziehen (vgl. EuGH, "Asbeek Brusse und de Man Garabito", NJW
2013, 2579 Rn. 30 f.). Vielmehr liegt dem mit der
Richtlinie geschaffenen Schutzsystem der Gedanke zugrunde, dass der
Verbraucher sich bei Abschluss von Verträgen zu kommerziellen Zwecken in
bestimmten Situationen gegenüber dem Unternehmer in einer geschwächten
Verhandlungsposition befindet. Mit dem Widerrufsrecht zum
Außergeschäftsraumvertrag sollte der Nachteil ausgeglichen werden, dass die
Initiative zu den Vertragsverhandlungen in der Regel vom Gewerbetreibenden
ausgeht und der Verbraucher auf die Verhandlungen außerhalb der
Geschäftsräume des Gewerbetreibenden nicht vorbereitet ist oder psychisch
unter Druck steht. Dies birgt die Gefahr, dass der Verbraucher Waren kauft
oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt, die er ansonsten nicht kaufen oder
in Anspruch nehmen würde, beziehungsweise Verträge über Waren und
Dienstleistungen zu überhöhten Preisen schließt, weil er keine Möglichkeit
hat, Qualität und Preis des Angebots mit anderen Angeboten zu vergleichen
(so schon Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 85/577/EWG;
Erwägungsgrund 21 der Richtlinie 2011/83/EU; vgl. EuGH,
"Verbraucherzentrale Berlin", WRP 2018, 1183, 1185 Rn. 36). Mit dem
Widerrufsrecht zum Fernabsatzgeschäft wurde dem Verbraucher eine angemessene
Bedenkzeit eingeräumt, damit er die gekaufte Ware prüfen und ausprobieren
bzw. die Eigenschaften der Dienstleistung zur Kenntnis nehmen kann
(Erwägungsgrund 37 und 47 der Richtlinie 2011/83/EU; EuGH, "slewo", NJW
2019, 1507 Rn. 33; BGH, Urteil vom 12. November 2015 - I ZR 168/14, WM 2016,
968 Rn. 30). Alle Überlegungen stellen danach auf eine Leistung des
Unternehmers ab. Hieran knüpfen die Informationspflichten des Unternehmers
nach Art. 6 und die Pflichten des Verbrauchers nach Art. 14 der Richtlinie
an (vgl. Erwägungsgrund 34 zur Richtlinie 2011/83/EU); die
Regelungen gehen ebenfalls von einer Verpflichtung des Unternehmers zur
Lieferung von Waren, Erbringung von Dienstleistungen oder Lieferung von
Versorgungsleistungen aus (vgl. Schinkels, WM 2017, 113, 114 f.).
30
3. Für eine Anrufung des EuGH nach Art. 267 AEUV besteht kein Anlass
(a.A. Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 312 Rn. 5;
BeckOGK/Busch, BGB, Stand: 15. Juli 2020, § 312 Rn. 19.1; Kehl, WM 2018,
2018, 2027 f.; Schinkels, WM 2017, 113, 118 f.).
31
Entscheidungserhebliche Fragen des Unionsrechts stellen sich nicht. Die
Frage, ob die Richtlinie 2011/83/EU - entsprechend § 312 Abs. 1 BGB -
eine Leistung des Unternehmers voraussetzt, ist angesichts des Wortlauts,
der Regelungssystematik und des Regelungszwecks der Richtlinie ohne weiteres
zu beantworten, so dass für Zweifel kein Raum bleibt ("acte
clair", vgl. EuGH, Slg. 1982, 3415 Rn. 16, "C.I.L.F.I.T."; Slg.
2005, I-8151 Rn. 33, "Intermodal Transports"; BVerfG, WM 2015, 525, 526;
Senatsurteile vom 22. Mai 2012 - XI ZR 290/11, BGHZ 193, 238 Rn. 33, vom 27.
November 2012 - XI ZR 439/11, BGHZ 195, 375 Rn. 27 ff., vom 17. Dezember
2013 - XI ZR 66/13, BGHZ 199, 281 Rn. 20, vom 12. September 2017 - XI ZR
590/15, WM 2017, 2013 Rn. 36 und vom 18. Juni 2019 - XI ZR 768/17, BGHZ 222,
240 Rn. 69).
III.
32 Die angegriffene Entscheidung war danach
aufzuheben und, da der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden kann (§
563 Abs. 3 ZPO), an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
33 Das
Berufungsgericht hat sich aus seiner Sicht folgerichtig bislang nicht mit
den im Schriftsatz vom 15. Dezember 2017 vorgetragenen Einwendungen des
Beklagten u.a. gegen die Wirksamkeit des Bürgschaftsvertrages und
der Kündigung des Kredites befasst. Auf diese Einwendungen hatte der
Beklagte sowohl in der Berufungsbegründung vom 18. Juni 2018 als auch im
Schriftsatz vom 13. November 2018 Bezug genommen. Dass das Landgericht das
Tatsachenvorbringen des Beklagten in dem nach Schluss der mündlichen
Verhandlung eingereichten Schriftsatz gemäß § 296a ZPO nicht berücksichtigt
hat, stand einer Wiederholung des Vorbringens in zweiter Instanz nicht
entgegen. Es ist in diesem Fall als neues Vorbringen nach §§ 529, 531 ZPO zu
beurteilen (MünchKommZPO/Prütting, 6. Aufl., § 296a Rn. 9; Zöller, ZPO, 33.
Aufl., § 296a Rn. 3). Dem Senat ist eine Prüfung, ob Gründe für die
Zulassung des von der Klägerin in erster Instanz bereits bestrittenen
Vortrags gemäß § 531 Abs. 2 ZPO vorliegen, verwehrt. Diese Prüfung obliegt -
wie auch die im Falle der Zulassung des Vortrags zu treffenden
Feststellungen - dem Berufungsgericht (BGH, Urteile vom 22. Februar 2006 -
IV ZR 56/05, BGHZ 166, 227 Rn. 12 ff., vom 22. Mai 2012 - II ZR 233/10, WM
2012, 1620 Rn. 25 und vom 11. Juni 2015 - I ZR 226/13, WRP 2016, 35 Rn.
40; BGH, Beschluss vom 21. März 2013 - VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 Rn.
11).
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