Vertraglich vereinbarte Hinterlegung und Verjährung des gesicherten Anspruchs (Rechtsgedanke des § 223 BGB)
BGH, Urt. v. 17. 2. 2000 - VII ZR 51/98 (Jena)
Fundstelle:

NJW 2000, 1331
LM H. 7/2000 § 223 BGB Nr. 7 m. Anm. Pfeiffer


Amtl. Leitsatz:

Vertragspartner können mit der Hinterlegung beim Notar ein eigenständiges Recht des Gläubigers begründen, sich aus dem hinterlegten Betrag bei Bestehen des gesicherten Anspruchs unabhängig von dessen Verjährung zu befriedigen.


Zentrales Problem:

Gem. § 223 I BGB kann sich der Gläubiger aus bestimmten Sicherheiten (Hypothek, Pfandrecht) auch dann befriedigen, wenn der gesicherte Anspruch verjährt ist. Wichtig ist insbesondere, daß diese Regelung auf die Sicherungsübereignung und - mit bestimmten Modifikationen - auch auf den Eigentumsvorbehalt analog anzuwenden ist (der Vorbehaltsverkäufer kann die verkaufte Sache auch nach der Verjährung der Kaufpreisforderung analog § 223 I BGB nach § 985 BGB zur Verwertung zurückfordern, obwohl das Besitzrecht des Käufers nach §§ 986, 433 I BGB fortbesteht, BGHZ 70, 96 ff). Keine Analogie kommt allerdings im Fall der Bürgschaft in Betracht (Widerspruch zu § 768 BGB), vgl. BGH NJW 1998, 981 = BGHZ 138, 49.
In der vorliegenden Entscheidung wird eine Vereinbarung der Parteien, eine Forderungssumme zur Sicherheit bei einem Notar zu hinterlegen, im Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 223 I BGB so ausgelegt, daß trotz Verjährung der Forderung eine Befriedigung aus dem hinterlegten Betrag möglich sein soll. Es geht hier nicht um eine Analogie zu § 223 I BGB, sondern um eine Auslegung der Parteivereinbarung unter Einbeziehung des § 223 I BGB zugrundeliegenden Rechtsgedankens. Die in der Entscheidung angesprochene Sicherheitsleistung durch Hinterlegung gem. § 232 BGB darf nicht mit der Hinterlegung als Erfüllungssurrogat (§§ 372 ff BGB) verwechselt werden.



Zum Sachverhalt:

Der Kl. verlangt von den beiden Bekl. restlichen Werklohn für die Verlegung von Bodenbelägen. Der Kl. hatte durch einstweilige Verfügung erreicht, dass die Vormerkung einer Bauhandwerkersicherungshypothek ins Grundbuch eingetragen wurde. Das anschließende Streitverfahren endete mit einem Vergleich, in dem der Kl. die Löschung der Vormerkung bewilligt hat. Zugleich haben die Parteien erklärt, dass der von den Bekl. auf Notaranderkonto hinterlegte Betrag von 90032,66 DM unwiderruflich zu Gunsten des Kl. hinterlegt worden ist (Nr. 1 des Vergleichs). Ferner soll dieser Betrag an den Kl. "erst und insoweit" ausgezahlt werden, "als ein entsprechender Werklohnanspruch ... einvernehmlich oder streitig rechtskräftig festgestellt ist" (Nr. 2 des Vergleichs). Da die Parteien über den Werklohnanspruch kein Einvernehmen erzielen konnten, hat der Kl. seine Restforderung von 101 091,48 DM eingeklagt.
Er hatte in beiden Vorinstanzen keinen Erfolg. Das BerGer. hielt die Werklohnforderung für verjährt. Der Senat hat das bestätigt und die Revision des Kl. nur insoweit angenommen, als dieser hilfsweise begehrt, die Bekl. zu verurteilen, in die Auszahlung des zur Sicherheit hinterlegten Betrags von 90032,66 DM einzuwilligen. Die Revision war im Umfang der Annahme begründet.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat sich mit den Fragen auseinandergesetzt, ob die Werklohnforderung verjährt ist und ob es den Bekl. verwehrt ist, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen. Dagegen hat es nicht geprüft, ob der Kl. durch den Vergleich eine von der festgestellten Verjährung unabhängige Sicherheit erhalten hat, auf die er gegebenenfalls zurückgreifen kann (Hilfsantrag).

II. Dieses beanstandet die Revision zu Recht. Das BerGer. hat es verfahrensfehlerhaft unterlassen, die rechtliche Bedeutung der Vereinbarung der Parteien vom 7. 9. 1994 zu ermitteln. Diese kann der Senat selbst auslegen, weil weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind.

Dem Wortlaut und dem Zweck des Vergleichs ist zu entnehmen, dass die Parteien eine Sicherheit zu Gunsten des Kl. vereinbart haben, aus der er sich wegen seiner Werklohnforderung, soweit sie besteht, unabhängig von deren Verjährung befriedigen kann.
1. Ein Gläubiger kann sich vor drohenden Rechtsnachteilen unter anderem dadurch schützen, dass er seinen Anspruch durch ein zusätzliches Recht sichert, welches er verwerten kann, wenn er den zugrunde liegenden Anspruch nicht durchsetzen kann. Das gilt auch gegenüber der Verjährung. Im Gesetz sind hierzu mehrere Fälle geregelt. Ist für einen Anspruch eine Hypothek oder ein Pfandrecht bestellt, so hindert die Verjährung des Anspruchs den berechtigten Gläubiger nicht, seine Befriedigung aus dem verhafteten Gegenstand zu suchen (§ 223 I BGB). Ist zur Sicherung des Anspruchs ein Recht übertragen worden, so kann die Rückübertragung nicht aufgrund der Verjährung des Anspruchs gefordert werden (§ 223 II BGB). Sicherheit kann auch durch die förmliche Hinterlegung von Geld (§ 232 BGB) geleistet werden; deren Rechtsfolge ist ein Pfandrecht an dem hinterlegten Geld (§ 233 BGB), aus dem wiederum unabhängig von der Verjährung des gesicherten Anspruchs Befriedigung gesucht werden kann (§ 223 I BGB).
Diese gesetzlichen Regelungen bestimmen im Kern, dass der Gläubiger unabhängig von der Verjährung des gesicherten Anspruchs die Realsicherheit, die er bereits hat, verwerten kann. Dem liegt zugrunde, dass die Verjährung nicht den verjährten Anspruch beseitigt; sie gibt lediglich dem Schuldner ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht (§ 222 I BGB).
Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, dass Vertragspartner nicht auch eine andere, ihren Interessen am besten entsprechende Sicherheit vereinbaren können. Eine Hinterlegung beispielsweise muss nicht immer die förmliche Hinterlegung i. S. des § 223 BGB sein. Ebensogut kann die Hinterlegung beim Notar gewählt werden. Dieser verbreiteten Sicherungsart fehlt zwar die Rechtsfolge des § 233 BGB. Die Vertragspartner können aber mit der Hinterlegung beim Notar ein eigenständiges Recht des Gläubigers begründen, sich aus dem hinterlegten Betrag bei Bestehen des gesicherten Anspruchs unabhängig von dessen Verjährung zu befriedigen. So liegt der Fall hier.
2. Nach der Vereinbarung der Parteien haben die Bekl. dem Kl. ein in diesem Sinne zusätzliches, von der Verjährung
des Werklohnanspruchs unabhängiges Recht als Sicherheit eingeräumt. Sie haben den Betrag von 90032,66 DM aus ihrer Verfügungsgewalt entlassen und ihn unwiderruflich beim Notar hinterlegt. Zugleich haben sie dem Kl. das Recht eingeräumt, unter bestimmten Voraussetzungen die Auszahlung dieses Betrags an sich zu verlangen. Dieses Recht ist ein eigenständiges Recht, das neben dem gesicherten Werklohnanspruch besteht. Es wird von dessen Verjährung nicht berührt. Als Voraussetzung ist zunächst genannt, dass der gesicherte Anspruch wirklich besteht, was für die Verwertung von Sicherheiten ohnehin stets erforderlich ist. Ferner soll die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des Werklohnanspruchs entweder "einvernehmlich" oder aber "streitig rechtskräftig" vorgenommen werden.
a) Dass die Frage der Verjährung für die Verwertung der Sicherheit unbeachtlich sein soll, liegt bei "einvernehmlicher" Feststellung des Anspruchs auf der Hand; es gilt aber auch für den Fall der "streitig rechtskräftigen" Feststellung. Denn ein Streit uni die Verjährung des Werklohnanspruchs könnte nicht mit der Feststellung des Bestehens oder Nicht-bestehens dieses Anspruchs enden. Wenn Verjährung eingetreten ist, bleibt als Ergebnis eines Rechtsstreits nur die Feststellung, dass der Schuldner zur Leistungsverweigerung berechtigt ist. Die Frage, ob der gesicherte Anspruch besteht, bleibt dann offen. Soll dagegen, wie es die Parteien vereinbart haben, der Bestand des Werklohnanspruchs festgestellt werden, können die Bekl. dieses nicht dadurch verhindern, dass sie die Klärung in der Sache unter Berufung auf die Verjährung verweigern. Das ist durch den Vergleich ausgeschlossen.
b) Die Bekl. haben den Vergleich geschlossen, um eine Belastung ihres Grundstücks zu vermeiden, das sie weiter verwerten wollten. Der Kl. ist dem entgegengekommen und hat seinerseits auf eine dingliche Sicherung seines Werklohnanspruchs durch das Grundstück verzichtet. Er hatte bis zum Vergleichsschluss zwar erst eine Vormerkung im Grundbuch erreicht, die ihn nicht gegen die Verjährung seines Werklohnanspruchs hätte schützen können (§ 886 BGB). Mit dem Vergleich hat er sich aber zu Gunsten der Bekl. der weiteren Möglichkeit begeben, im Range der Vormerkung (§ 883 III BGB) die Eintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek zu betreiben, die ihn gem. § 223 I BGB vor den Folgen der Verjährung seines Werklohnanspruchs geschützt hätte.
III. Das Berufüngsurteil kann danach im Umfang der Annahme keinen Bestand haben. Nach Aufhebung insoweit und Zurückverweisung wird das BerGer. zu klären haben, ob dem Kl. bis zur Höhe des hinterlegten Betrags der geltend gemachte Werklohnanspruch zusteht. Soweit dies der Fall ist, werden die Bekl. unabhängig von der Verjährung des Werklohnanspruchs in die Verwertung des zur Sicherheit hinterlegten Betrags durch dessen Auszahlung an den Kl. einzuwilligen haben.