Wiederkaufsrecht zum Verkehrswert  und Aufklärungspflicht des Käufers über den Wert des verkauften Gegenstands: Haftung aus culpa in contrahendo bei erkannter Fehleinschätzung aufgrund eines besonderen Treueverhältnisses


BGH, Urt. v. 15. 9. 2000 - V ZR 42 0/98 (Frankfurt a. M.)


Fundstelle:

NJW 2001, 284
Sehr lehrreicher Fall!


Amtl. Leitsatz:

Die Gemeinde, der ein Wiederkaufsrecht zu dem vom Gutachterausschsass ermittelten Wert des verkauften Grundstücks zusteht, hat den Käufer aufzuklären, wenn dieser im zu Tage getretenen Irrtum über die Wertverhältnisse den Wiederkauf durch notariellen Vertrag zu einem auffällig unter dem Wert liegenden Preis anbietet.


Zum Sachverhalt: 

Mit notariellem Vertrag vom 14. 11. 1989 verkaufte die bekl. Gemeinde (Bekl.) dem Kl. ein unbebautes Grundstück zum Preis von 60 DM/m2, insgesamt 911 880 DM. Der Kl. verpflichtete sich, das Grundstück binnen eines Jahres ab Eigentumswechsel, spätestens 18 Monate nach Vertragsschluss der gewerblichen Nutzung durch einen Kunststoff-Bearbeitungsbetrieb zuzuführen. Für den Fall der Verletzung dieser Pflicht behielt sich die Bekl. den Wiederkauf zum Verkehrswert vor, der durch den Gutachterausschuss zu ermitteln war. Der Rückauflassungsanspruch war durch eine am 15. 8. 1990 eingetragene Vormerkung gesichert. Auf Anfrage teilte der anwaltlich vertretene Kl. der Bekl. am 28. 1. 1993 mit, aus wirtschaftlichen Gründen sei ihm ein kurzfristiger Baubeginn nicht möglich. Er bot der Bekl. den Wiederkauf zum Verkehrswert an. Der Wiederkauf unter einem Betrag von 1,5 Mio. DM komme im Hinblick auf die Aufwendungen des Kl., einschließlich Baugenehmigung und Erschließung 1401509,92 DM, nicht in Frage. Die Bekl. erklärte sich hiermit am 1. 3. 1993 vorbehaltlich der Zustimmung der städtischen Körperschaften einverstanden. Darüber hinausgehende Ansprüche wurden ausgeschlossen. Mit notariellem Vertrag vom 9. 8. 1993 verkaufte der Kl. das Grundstück der Bekl. zu dem abgesprochenen Preis. Der Bodenrichtwert des Grundstücks betrug zum 31. 12. 1992 270 DM/m2, der Verkehrswert 4103460 DM.

Der Kl. hat die Bekl. auf die Differenz zwischen dem Verkehrswert des Grundstücks und dem am 9. 8. 1993 beurkundeten Preis von 1,5 Mio. DM, mithin auf 2603460 DM in Anspruch genommen.
Das LG hat die Bekl. unter Abzug von 60 DM/m2, abgerundet
900 000 DM, wegen Bodenkontaminationen zur Zahlung von  1703460 DM verurteilt. Das OLG hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen.

Die Revision der Bekl. hatte Erfolg.

Aus den Gründen: 

I. Das BerGer. meint, es sei von der Ausübung des Wiederkaufsrechts durch die Bekl. auszugehen.
Dem stehe nicht entgegen, dass sie das Recht nicht durch formlose Erklärung gegenüber dem Kl. ausgeübt habe. Aus der Korrespondenz ergebe sich, dass beide Seiten davon ausgegangen seien, "aus dem (im Kaufvertrag v. 14. 11. 1989) begründeten Wiederkaufstecht berechtigt und verpflichtet zu sein, so dass auch die weitere vertragliche Ausgestaltung dieses Wiederkaufsrechts ... hinsichtlich des Wiederkaufspreises erkennbar verbindlich sein sollte". Das Fehlen einer Bezugnahme auf das Wiederkaufsrecht im Kaufvertrag vom 9. 8. 1993 sei für die Bewertung des vorangegangenen Verhaltens der Bekl. ohne Bedeutung. Umgekehrt habe der Kl. zum Ausdruck gebracht, dass er die 1,5 Mio. DM als Mindestbetrag des Verkehrswertes fordere. Das kommentarlose Einverständnis der Bekl. habe in ihm den Eindruck erwecken müssen, seine Vorstellung träfe zu. Die Bekl., der die wahren Wertverhältnisse bekannt gewesen seien, hätte den Kl. nicht in dem von ihr erkannten Irrtum belassen dürfen. Sie sei verpflichtet, ihm den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der unterbliebenen Aufklärung erwachsen sei. Den Gewinn aus der Wertsteigerung des Grundstücks hätte der Kl. auch dann realisieren können, wenn die Bekl. zum Rückkauf zum Verkehrswert nicht bereit gewesen wäre. Denn "mangels entsprechender vertraglicher Vorkehrungen hätte der Kl. das Grundstück dann seinerseits durch Veräußerung zum Verkehrswert verwetten können".

Dies hält den Angriffen der Revision nicht stand.

II. 1 Das Berufungsurteil ist in sich widersprüchlich, denn es geht einerseits davon aus, der Wiederkauf sei zu Stande gekommen, billigt dem Kl. aber andererseits den Wiederkaufpreis in Höhe des Verkehrswerts (§ 433 II BGB) nicht zu. Er sei nur im Wege des Schadensersatzes berechtigt, die Differenz zwischen Verkehrswert und einem Kaufpreis von 1,5 Mio. DM - abzüglich der Wertminderung wegen Kontaminationen - zu fordern. Aus rechtlicher Sicht löst sich der Widerspruch dahin auf, dass die Bekl., wovon das Berufungsurteil im Tatsächlichen auch ausgeht, von ihrem Recht, gem. § 497 I BGB durch einseitige formlose Erklärung gegenüber dem Kl. den Wiederkauf zu Stande zu bringen, keinen Gebrauch gemacht hat. Aus der vom BerGer. erörterten Korrespondenz ergibt sich zwar, dass die Parteien übereinstimmend vom Vorliegen der Voraussetzungen zur Ausübung des Wiederkaufs ausgegangen waren. Dies ist aber, entgegen der Auffassung des BerGer., mit der Vornahme der Gestaltungserklärung (vgl. BGHZ 140, 218 (220] = NJW 1999, 941 = LM H. 8/1999 § 498 BGB Nr. 9) nach § 497 I BGB nicht gleichzusetzen. Eine weiter gehende Deutung der Äußerungen der Bekl. verbietet sich darüber hinaus wegen des Umstands, dass diese ihre Erklärungen jeweils unter dem Vorbehalt der noch ausstehenden Zustimmung der gemeindlichen Organe abgegeben hatte. Der Kaufvertrag vom 9. 8. 1993 wurde zwar vor dem Hintergrund der Befugnis der Bekl. zur Ausübung des Wiederkaufsrechts abgeschlossen, er hat aber den Wiederkauf im Sinne des in dem ursprünglichen Kaufvertrag vom 14. 11. 1989 aufgenommenen Vorbehalts nicht zum Gegenstand. Zwar können die Parteien davon absehen, den aufschiebend bedingten Wiederkauf (BGH, LM § 610 BGB Nr. 1) durch gestaltende Erklärung gem.. § 497 I BGB wirksam werden zu lassen und die ohnehin erforderliche Rückauflassung mit dem Abschluss eines weiteren, den vorbehaltenen Bedingungen entsprechenden Kaufvertrags verbinden. So sind die Parteien indes nicht vorgegangen. Der Kaufvertrag vom 9. 8. 1993 nimmt auf das Wiederkaufsrecht der Bekl. keinen Bezug und weicht im wesentlichen Punkte, dem Kaufpreis, von dessen Bedingungen ab. Für den am 14. 11. 1989 aufschiebend bedingt geschlossenen Wiederkauf hat er zur Folge, dass die Bedingung ausgefallen, dieser mithin endgültig unwirksam ist.

2. Damit bleibt allerdings Raum für den Schadensersatzanspruch, auf den sich das Berufungsurteil stützt. Er ist im Grundsatz zu bejahen. Das Streitverhältnis der Parteien ist mit dem Fall des offenen, vom Erklärungsempfänger erkannten, Kalkulationsirrtums vergleichbar, für den der BGH je nach der Risikolage des Erklärenden sowie des Ausmaßes des Irrtums eine Aufklärungspflicht des Empfängers bejaht und an deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch des Erklärenden anknüpft (BGH, NJW 1998, 3192 [3193 ff.] = LM H. 1/1999 § 119 BGB Nr. 36). Der nach den Feststellungen des BerGer. von der Bekl. erkannte Irrtum des Kl. über die Höhe des Verkehrswerts des Grundstücks, der nach den Wiederkaufsbedingungen den Preis bestimmen sollte, war geeignet, eine Aufklärungspflicht auszulösen. Anders als im Falle des an einer Ausschreibung teilnehmenden Bieters, der das Risiko seiner Fehlkalkulation zu tragen hat (BGH, NJW 1998, 3192 [3193 ff.] = LM H. 1/1999 § 119 BGB Nr. 36), war im Streitfalle das Risiko, den Verkehrswert zutreffend zu ermitteln, ein gemeinsames. Dies kommt in der Vereinbarung zum Ausdruck, den zur Neutralität verpflichteten (§ 192 BauGB) Gutachterausschuss mit der Ermittlung zu beauftragen. Zwar weist die Revision zu Recht darauf hin, dass dem anwaltlich vertretenen Kl. das Risiko, insbesondere soweit es in der Abweichung von dem in § 497 I BGB vorgesehenen Wege lag, erkennbar war und ihm auch die Möglichkeit zur Verfügung stand, das Risiko durch Einschaltung des Gutachterausschusses oder anderweitige Schätzung des Verkehrswerts zu steuern. Dies ändert indes nichts daran, dass die Bekl. dem erkannten, in seinen Auswirkungen schwer wiegenden Irrtum über den im beiderseitigen Risiko liegenden Umstand abhelfen musste. Die eigenen Möglichkeiten des Kl. zur Schadensverhütung finden ihre rechtlichen Folgen erst bei der Ursachenabwägung nach § 254 BGB. Ob die Aufklärungspflicht aus dem allgemeinen Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss herzuleiten ist, oder ob die Treuepflicht auf Grund der besonderen Bindung der Parteien aus dem Wiederkaufsverhältnis vorgeht, kann im Ergebnis dahinstehen.

3. Der Schadensersatzanspruch des Kl. scheitert nämlich daran, dass ein durch die unterlassene Aufklärung eingetretener Schaden nicht dargetan ist. Die Bekl. war, wovon (wohl) auch das Berufungsurteil ausgeht, nicht gehalten, im Falle der Aufklärung des Kl. von dem Wiederkaufsrecht zum Verkehrswert Gebrauch zu machen (a). Einem Verkauf des Grundstücks durch den Kl. standen, was das BerGer. übersieht, die Wirkungen der Rückauflassungsvormerkung (§§ 883 II, 888 BGB) entgegen (b).

a) Eine besondere Ausübungsfrist für das Wiederkaufsrecht der Bekl. war nicht festgelegt. Es galt mithin die 30-jährige Ausschlussfrist des § 503 BGB, auf die der Vertrag vom 14. 11. 1993 im übrigen verwies. Diese Frist zu nutzen und auf eine günstige Entwicklung der Grundstückspreise zu warten oder auch nur von der Belastung des Haushalts mit dem Wiederkaufspreis bis auf weiteres abzusehen, stand der Bekl. frei. Die Aufklärung des Kl. über die wahren Wertverhältnisse hätte nicht zur Folge gehabt, dass die Bekl. nunmehr dessen Ansinnen zum Wiederkauf hätte stattgeben müssen. Treu und Glauben hätten zu einer solchen Verengung der Entschlussfreiheit der Bekl. nicht geführt. Wie das BerGer. in anderem Zusammenhang zu Recht hervorhebt, brachte es die für die Bekl. ungünstige Ausgestaltung des Wiederkaufsrechts mit sich, dass der Kl., obwohl er nicht in der Lage war, seiner Vertragspflicht zur Errichtung von Gewerberaum zu genugen, einen "Spekulationsgewinn" in Millionenhöhe hätte einstreichen können. Hierzu brauchte ihm die Bekl. nicht zu verhelfen.

b) Als Folge der Rückauflassungsvormerkung war das Grundstück, wirtschaftlich betrachtet, ohne die Zustimmung der Bekl. unverkäuflich. Die Vermögenslage des Kl. hätte mithin, wenn er nach Aufklärung sein Angebot zum Rückkauf für 1,5 Mio. DM zurückgezogen hätte, gegenüber dem jetzigen Zustand keine Verbesserung erfahren können (§ 249 BGB). Ein Erwerber, der dem Kl. den Verkehrswert zur Verfügung gestellt hätte, hätte nach Ausübung des Wiederkaufsrechts durch die Bekl. deren Eintragung als Eigentümerin in das Grundbuch zustimmen (§§ 883, 888 I BGB, §§ 39, 19 GBO) müssen. Das Risiko, mit dem Anspruch auf Rückzahlung des Verkehrswerts gegenüber dem Kl. auszufallen, hätte bei ihm gelegen. Dem hätte zwar durch eine Abtretung des Zahlungsanspruchs des Kl. aus dem Wiederkauf entgegengewirkt werden können. In gesichertem Eigentum und Besitz wäre der Erwerber indessen nicht geblieben. Dies wäre aber Voraussetzung für den Entschluss eines Dritten gewesen, auf dem Grundstück ein gewerbliches Bauvorhaben durchzuführen. Wirtschaftlich betrachtet scheidet ein Kauf vom Kl. gegenüber der Möglichkeit, von der Bekl. gesichertes Eigentum zu erlangen, aus. Dies wird noch durch den Umstand unterstrichen, dass das Grundstück mit Rang nach der Rückauflassungsvormerkung nicht beleihbar war. Der Kl. wäre deshalb, wenn er von dem Verkauf vom 9. 8. 1983 abgesehen hätte, weder im Hinblick auf das Eigentum an der Sachsubstanz noch auf die Möglichkeit, deren Gegenwert durch Veräußerung zu erlösen, gegenüber dem bestehenden Zustand besser gestellt gewesen.

4. Darauf, ob die Bekl., wie die Revision meint, darüber hinaus wegen der Nichterfüllung der Bebauungspflicht von dem Kaufvertrag vom 14. 11. 1989 hätte zurücktreten und den Kl. auf den damals vereinbarten Preis von 911 880 DM verweisen können (§§ 326, 327, 346 BGB), oder ob der Wiederkauf die einzige Sanktion der Vertragsverletzung war, kommt es nicht mehr an.