1. Ein Kalkulationsirrtum berechtigt selbst
dann nicht zur Anfechtung, wenn der Erklärungsempfänger diesen
erkannt oder die Kenntnisnahme treuwidrig vereitelt hat; allerdings kann
der Erklärungsempfänger unter den Gesichtspunkten des Verschuldens
bei Vertragsverhandlungen oder der unzulässigen Rechtsausübung
verpflichtet sein, den Erklärenden auf seinen Kalkulationsfehler hinzuweisen.
2. Während eines Ausschreibungsverfahrens
ist der öffentliche Auftraggeber in der Regel nicht verpflichtet,
Angebote der Bieter auf Kalkulationsfehler zu überprüfen oder
weitere Ermittlungen anzustellen; ausnahmsweise kann eine solche Pflicht
bestehen, wenn sich der Tatbestand eines Kalkulationsirrtums und seiner
unzumutbaren Folgen für den Bieter aus dessen Angebot oder den dem
Auftraggeber bekannten sonstigen Umständen geradezu aufdrängt.
Qualifikation des sog. "Kalkulationsirrtums" selbst
bei Erkennbarkeit/pos. Kenntnis als bloßer Motivirrtum (zum Fall der
bloßen Kenntnis der Kalkulationsgrundlage ohne Kenntnis vgl. BGH
NJW 1981, 1551). Die Entscheidung
ist besonders lehrreich, die Besonderheiten des Bieterverfahrens nach der
VOB können aus studentischer Sicht ignoriert werden. Die Entscheidung
wird verständlich, wenn man im Sachverhalt schlicht von einem bindenden
Angebot der Bekl. ausgeht, welches innerhalb der Annahmefrist (§ 148
BGB) angenommen wurde.
S. dazu auch
BGH v. 11.11.2014 - X
ZR 32/14. Vgl. im übrigen die Anm. zu RGZ
101, 107 ff ("Silber-Fall") sowie zu RGZ
105, 406 ff ("Rubel-Fall").
Zum Sachverhalt:
Der Kl. schrieb im Frühjahr 1993 durch das
Staatliche Bauamt B Tischlerarbeiten für einen Neubau öffentlich
zu Einheitspreisen aus. Die Angebotsfrist endete am 15. 4. 1993, die Zuschlagsfrist
am 15.5.1993. Der Kl. hatte die Angebotssumme auf 350758 DM geschätzt.
Am 13./15.4. 1993 reichte die Bekl. ein Angebot ein, dem u. a. die VOB/B
zugrunde lag und das mit einer Endsumme von 305 812,60 DM abschloß.
Die nächstfolgenden Angebote lauteten auf 312094,70 DM, 349014,10
DM, 403344,10 DM 405 202,50 DM und auf 476209,83 DM. Nach Eröffnung
der Angebote erklärte die Bekl. mit Schreiben vom 28. 4. 1993 dem
staatlichen Bauamt B: "Wir müssen Ihnen zu unserem Bedauern mitteilen,
daß uns bei der Kalkulation des Angebots zum o. a. Bauvorhaben ein
Fehler unterlaufen ist. Die Transport- und Montagekosten wurden irrtümlich
nicht einberechnet infolge einer momentanen Umstellung unserer EDV Anlage.
Wir bitten Sie deshalb, unser Angebot aus der Wertung zu nehmen und den
Auftrag anderweitig zu vergeben." Das Bauamt entsprach dem nicht. Nach
Abstimmung mit dem Regierungspräsidenten in D. erteilte es der Bekl.
mit Schreiben vom 13. 5.1993 den Auftrag mit der Begründung, der geltend
gemachte interne Kalkulationsirrtum sei unbeachtlich und auch nicht zuerkennen.
Die Bekl. verwies auf ihr Schreiben vom 28. 4. 1993, erklärte, sie
sei nicht in der Lage, den Auftrag kostendeckend durchzuführen, und
sandte das Auftragsschreiben zurück. Die weitere Aufforderung des
kl. Landes, mit den Arbeiten bis spätestens 11. 6. 1993 zu beginnen,
wurde von der Bekl. zurückgewiesen. Daraufhin wurde ihr der Auftrag
entzogen. Nachdem der Bieter zu 2 ebenfalls noch vor Ablauf der Zuschlagsfrist
einen Kalkulationsirrtum geltend gemacht und zur Überzeugung des Kl.
nachgewiesen hatte und der zu nächst mit der Ausführung der Arbeiten
betraute Bieter zu 3 in Konkurs gefallen war, wurde der Auftrag freihändig
an zwei andere Unternehmen vergeben. Nach Behauptung des Kl. sind hierdurch
gegenüber den Angebot der Bekl. Mehrkosten in Höhe von 248 254,19
DM entstanden. Diese verlangt der Kl. von der Bekl. Das LG hat die
Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung blieb erfolglos. Mit
seiner Revision beantragte das kl. Land, das Urteil des BerGer. aufzuheben
und die Bekl. zur Zahlung von 248 254,19 DM nebst 6,1% Zinsen seit 29.
12. 1994 zu verurteilen. Die Revision führte zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer.
Aus den Gründen:
1. Zutreffend ist das BerGer. davon aus gegangen,
daß dem Kl. nach § 8 Nr. 3 I und II i. V. mit § 5 Nr.
4 VOB/B gegebenenfalls ein Anspruch auf Ersatz der Mehrkosten zustehen
kann, die nach der Entziehung des Auftrages infolge der Durchführung
der vertragsgegenständlichen Werkleistungen durch zwei Drittunternehmen
entstanden sind.
II. Das BerGer. hat festgestellt, daß das
Angebot der Bekl. vom 13. 15. 4.1993 fehlerhaft kalkuliert war, weil die
Transport- und Montagekosten in die Einheitspreise der einzelnen Leistungspositionen
nicht ein gerechnet waren, und daß die Bekl. insoweit einem Irrtum
unterlegen ist. Die Revision erhebt hiergegen keine Rügen. Rechtsfehler
sind insoweit weit nicht ersichtlich.
III. Das BerGer hat weiter ausgeführt, ein
Bieter könne sich unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß
unter Umständen darauf berufen, daß sein Angebot aus der Wertung
hätte ausgeschieden werden müssen. Mit der Ausschreibung von
Bauleistungen und durch Abgabe von Angeboten werde für die Beteiligten
eine Pflicht zu redlichem Verhalten begründet. Der ausschreibende
Auftraggeber verstoße gegen Treu und Glauben, wenn er vor Vertragsschluß
einen Kalkulationsirrtum des Bieters erkenne, diesen aber nicht darauf
hinweise, sondern am Vertrag festhalte. Zwar genüge es insoweit nicht,
daß der Auf traggeber einen Kalkulationsirrtum des Bieters lediglich
habe erkennen können. Positiver Kenntnis sei es aber gleichzustellen,
wenn sich der Auftraggeber solcher Kenntnis treuwidrig verschließe.
Dies sei hier der Fall gewesen. Schon der große Preisunterschied
der Angebote (305 812,60 DM bei der Bekl., 476 209,83 DM bei dem Bieter
zu 6) ha be für das Vorliegen des behaupteten Kalkulationsirrtums
gesprochen Des weiteren habe das kl. Land selbst die Angebotssumme mit
350 758 DM deutlich höher geschätzt als das Angebot der Bekl.
Von großem Gewicht sei schließlich, daß der nächsthöhere
Bieter zu 2 sich ebenfalls auf einen Kalkulationsirrtum berufen habe, was
vom Kl. akzeptiert worden sei. Bei dieser Sachlage habe der Kl. der Bekl.
Gelegenheit geben müssen, den behaupteten Kalkulationsirrtum näher
darzulegen. Dafür habe zwischen dem Zugang des Schreibens der Bekl.
von 28. 4. 1993 am 29. 4. 1993 und dem Ende der Zuschlagsfrist am 15. 5
1993 auch ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden. Es sei davon aus
zugehen, daß es der Bekl. seinerzeit gelungen wäre, den behaupteter
Kalkulationsirrtum nachzuweisen.
IV. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen
Überprüfung nicht stand.
1. Das BerGer. ist ersichtlich davon ausgegangen,
daß die Klage nicht bereits deswegen abzuweisen ist, weil die Bekl.
ihr Angebot, an das sie seit dem Ablauf der Angebotsfrist am 15. 4 1993
(§ 18 Nr. 3 VOB/A) bis zum Ablauf der Zuschlagsfrist am 15.5.1993
gebunden war (§ 19 Nr. 3 VOB/A i. V. mit Nr. 1) mit ihrem Schreiben
vom 28.4.1993 wirksam angefochten hat, so daß durch den späteren
Zuschlag ein Vertrag nicht zustande gekommen wäre (§ 142 I BGB).
Das erweist sich als zutreffend. Dabei kann zugunsten der Bekl. davon ausgegangen
werden, daß sie in ihrem Schreiben hinreichend deutlich zum Ausdruck
gebracht hat, ihr Angebot solle wegen eines Willensmangels nicht bestehen
bleiben, sondern rückwirkend beseitigt, mithin nach § 143 I BGB
angefochten werden. Jedenfalls hatte sie keinen Anfechtungsgrund. Ein interner,
einseitiger Kalkulationsirrtum, wie er im vorliegenden Fall allein in Betracht
kommt, berechtigt auch dann nicht zur Anfechtung, wenn er vom Erklärungsempfänger
positiv erkannt wird oder der Erklärungsempfänger — wie das BerGer.
angenommen hat — sich wegen treuwidriger Kenntnisvereitelung so stellen
lassen muß. a) Außer in den in §§ 120, 123 BGB geregelten
Fällen kann nach § 119 BGB eine Willenserklärung wegen Inhaltsirrtums
(Auseinanderfallen von Wille und Erklärung, § 119 I Alt. 1 BGB),
wegen Erklärungsirrtums (§ 119 I Alt. 2 BGB) oder wegen Irrtums
über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Person oder der Sache
(§ 119 II BGB) angefochten werden, sofern der Erklärende die
Willenserklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger
Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde (§ 119
I Halbs. 2 BGB). Demgegenüber handelt es sich bei dem von der Bekl.
geltend gemachten (einseitigen) Kalkulationsirrtum um einen schon im Stadium
der Willensbildung unterlaufenden Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum), der
von keinem der gesetzlich vorgesehenen Anfechtungsgründe erfaßt
wird (BGH, LM § 119 BGB Nr. 21). Er berechtigt grundsätzlich
nicht zur Anfechtung, weil derjenige, der aufgrund einer für richtig
gehaltenen, in Wirklichkeit aber unzutreffenden Berechnungsgrundlage einen
bestimmten Preis oder eine Vergütungsforderung ermittelt und seinem
Angebot zugrunde legt, auch das Risiko dafür trägt, daß
seine Kalkulation zutrifft (st. Rspr. u. a. BGH, NJW-RR 1986, 569 [570]
= LM VOB Teil A Nr. 9; BGH, NJW-RR 1987, 1306 [1307] = LM § 2 VOB/B
1973 Nr. 8). Dabei macht es keinen wesentlichen Unterschied, wenn die falsche
Berechnung auf Fehlern einer vom Erklärenden verwendeten Software
beruht (vgl. Köhler, AcP 1982, 126 [135]; Pawlowski, JZ 1997,741 m.w.
Nachw.).
b) Nach der Rechtsprechung des BGH verbleibt es
bei der genannten Risikoverteilung zu Lasten des Erklärenden regelmäßig
auch dann, wenn der Erklärungsempfänger den Kalkulationsirrtum
des Erklärenden hätte erkennen können, ohne daß er
ihn positiv erkannt hat (BGH, NJW-RR 1995, 1360; BGH, NJW-RR 1986, 569
f. = LM VOB Teil A Nr. 9; BGH, NJW 1980, 180 = LM VOB Teil A Nr. 4). Auch
das Schrifttum lehnt eine Anfechtung wegen Irrtums für diesen Fall
ab (Flume, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts II, 5. 493; Giesen,
JR 1971, 403 [406 Fußn. 21]; Ingenstau/Korbion,VOB, 13. Aufl., Teil
A, 19 Nr. 3 Rdnr. 27; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 119 Rdnrn.
20,69; Wieser, NJW 1972,708 [710]; a. A. Kramer, in: MünchKomm, 3.
Aufl., § 119 Rdnr. 109; Pawlowski, JZ 1997, 741 [745]).
c) Ausdrücklich offengelassen hat der BGH
dagegen bisher die Möglichkeit der Anfechtung wegen eines vom Erklärungsempfänger
positiv erkannten Kalkulationsirrtums (BGH, NJW-RR 1986,569 [570] = LM
VOB Teil A Nr. 9). Dem gleichzustellen ist nach dem Rechtsgedanken des
§ 162 BGB der vom BerGer. vorliegend - wenn auch zu Unrecht - angenommene
Fall treuwidriger Vereitelung positiver Kenntnis; denn es macht rechtlich
keinen Unterschied, ob jemand positive Kenntnis von etwas hat oder ob er
sich - aus Rechtsgründen - so stellen lassen muß, als ob dies
der Fall sei.
aa) Die Auffassungen im Schrifttum sind hierzu
geteilt. Vertreten wird zum einen, daß in diesem Fall eine Anfechtung
in Analogie zu § 119 1 BGB eröffnet sei. Die Begründung
setzt bei der Überlegung an, daß die grundsätzliche Unbeachtlichkeit
des Kalkulationsirrtums ihren Grund im Schutz des Verkehrsinteresses finde.
Das berechtigte Vertrauen des Gegners in den Bestand des Rechtsgeschäfts
dürfe nicht enttäuscht werden. Wo ein Vertrauen des Erklärungsempfängers
dagegen fehle oder nicht berechtigt sei, weil der Erklärungsempfänger
bemerke, daß der genannte Preis nicht stimmen könne, müsse
auch ein interner Kalkulationsirrtum berücksichtigt werden. Keine
entscheidende Bedeutung komme dem Umstand zu, daß beim Kalkulationsirrtum
ein Zwiespalt im Willen vorliege, wohingegen § 119 I BGB von einem
Zwiespalt von Wille und Erklärung ausgehe. Denn Wille und Erklärung
seien gleichrangige Voraussetzungen der auf eine Rechtsänderung gerichteten
Willenserklärung (Wieser, NJW 1972, 708 [709 f.]; ihm folgend: Heiermann,
BB 1984,1836 [1840]; vgl. auch Ingenstau/Korbion, § 19 Nr. 3 Rdnr.
29 Fußn. 8). Vorgeschlagen wird weiter eine entsprechende Anwendung
des § 119 II BGB (Kramer, in: MünchKomm, § 119 Rdnr. 106;
ähnlich Pawlowski, JZ 1997, 741 [745 f.]). Wieder andere befürworten
demgegenüber eine Lösung dieser Fälle außerhalb der
§§ 119ff. BGB (Flume, S.493; Hundertmark, BB 1982,16 [19]; Soerge1/Hefermehl,
BGB, 12. Aufl., § 119 Rdnr. 29; Staudinger/Dilcher, § 119 Rdnr.
69; vgl. auch schon RG, JW 1925,1633 [1634]).
bb) Die letzte Auffassung verdient im Ergebnis
den Vorzug. Gegen eine analoge Anwendung des § 119 BGB auf den Fall
des erkannten Kalkulationsirrtums spricht allerdings nicht schon die in
den §§ 119 ff BGB zum Ausdruck kommende teleologische Grundwertung,
daß der Kalkulationsirrtum als Motivirrtum in die Risikosphäre
des Erklärenden falle. Dies trifft zwar zu. Der Erklärungsempfänger
hat, auch wenn er den Irrtum des Erklärenden erkennt, im Regelfall
keinen Einfluß auf die Berechnungen und die diesen etwa zugrunde
liegenden Erwägungen des Erklärenden. Indessen gehören auch
die in den §§ 1191, 120 BGB anerkannten Anfechtungsgründe
ausschließlich der Risikosphäre des Erklärenden an; allenfalls
bei § 119 II BGB trifft dies nicht in gleichem Maße zu. Trotzdem
eröffnet das Gesetz die Anfechtung. Der das Verkehrsschutzinteresse
zur Geltung bringende Risikoausgleich findet erst bei den Anfechtungsfolgen
in Form eines Schadensersatzanspruchs des Anfechtungsgegners statt (§
122 I BGB), wobei nach § 122 II BGB dieser Schadensersatzanspruch
insbesondere bei positiver Kenntnis des Erklärungsempfängers
vom Anfechtungsgrund gerade wieder entfällt. Nur der (schuldlos) unerkannt
gebliebene Kalkulationsirrtum (Motivirrtum) ist dabei abschließend
in die Risikosphäre des Erklärenden verwiesen. Eine Wertung,
daß auch der erkannte Kalkulationsirrtum stets unbeachtlich sei,
laßt sich den §§ 119 ff. BGB hingegen nicht entnehmen.
Die genannte Analogie fügt sich jedoch nicht in die gesetzliche Systematik
der Irrtumsanfechtung ein. Weniger störend erscheint es zwar, daß
nach den §§ 119, 122 II BGB die Kenntnis des Erklärungsempfängers
von Irrtümern des Erklärenden keine Frage des Anfechtungsgrundes,
sondern der Anfechtungsfolgen ist. Bezieht man nämlich die Kenntnis
des Erklärungsempfängers schon in den Anfechtungsgrund mit ein,
so kann man darin einen gegenüber § 122 II BGB "antizipierten"
Risikoausgleich sehen, wobei dann § 122 BGB insgesamt leerläuft.
Schwierigkeiten bereitet jedoch die Anwendung
des auf rasche Klärung der Verhaltnisse zielenden und insoweit ebenfalls
dem Verkehrsschutz dienenden § 121 1 BGB, wonach die Anfechtung unverzüglich
nach Kenntnis des Anfechtungsberechtigten vom Anfechtungsgrund zu erfolgen
hat. Soll die Kenntnis des Anfechtungsgegners Tatbestandsmerkmal des Anfechtungsgrundes
sein, käme es mithin darauf an, wann der Erklärende Kenntnis
von der Kenntnis des Erklärungsempfängers erlangt. Mit einer
solchen Häufung subjektiver Umstände wird jedoch die mit jeder
Anfechtungsmöglichkeit ohnehin schon verbundene Rechtsunsicherheit
in unzuträglichem Maße verstärkt. Überhaupt nicht
mehr sinnvoll handhabbar wäre § 1211 BGB im Fall treuwidriger
Kenntnisvereitelung, um den es vorliegend geht. Ferner ist zu berücksichtigen,
daß die Anfechtung als allgemeines Gestaltungsrecht nicht auf solche
Willenserklärungen beschränkt ist, die der Hervorbringung schuldrechtlicher
Rechtsbeziehungen dienen, sondern auch dingliche Rechtsgeschäfte betreffen
und damit die Interessen Dritter berühren kann. Auch dies spricht
gegen eine Ausdehnung der §§ 119ff. BGB im Wege der Analogie.
d) Sind es demnach in erster Linie systematische,
nicht aber abschließend teleologisch-wertende Gründe, die einer
Berücksichtigung des erkannten Kalkulationsirrtums als Anfechtungsgrund
entgegenstehen, so bestehen keine Bedenken, in diesen Fällen je nach
Sachlage auf die allgemeine Rechtsinstitute der Haftung für Verschulden
bei Vertragsverhandlungen und der unzulässigen Rechtsausübung
zurückzugreifen.
2. a) Das BerGer. knüpft bei seinen Ausführungen
an die Rechtsprechung des BGH an, wonach den Auftraggeber aufgrund des
mit der Ausschreibung und der Abgabe von Angeboten entstehenden, Vertrauensschutz
fordernden Rechtsverhältnisses (BGHZ 60,221 [224]) unter dem Gesichtspunkt
des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (c.i.c.) eine Verpflichtung
treffen kann, den Bieter auf einen von ihm, dem Auftraggeber, erkannten
Kalkulationsfehler hinzuweisen (BGH, NJW 1980, 180 = LM VOB Teil A Nr.
4;BGH, NJW-RR 1986, 569 = LM VOB Teil A Nr. 9). Die Voraussetzungen dieses
Ausgangspunktes sind hier jedoch nicht gegeben; denn die Bekl. hat ihren
Kalkulationsfehler selbst bemerkt und dem Kl. davon Mitteilung gemacht.
Eines Hinweises des Kl. bedurfte es insoweit nicht.
b) Es kann indessen eine unzulässige Rechtsausübung
(§ 242 BGB) darstellen, wenn der Empfänger ein Vertragsangebot
annimmt und auf der. Durchführung des Vertrages besteht, obwohl er
wußte (oder sich treuwidrig der Kenntnisnahme entzog), daß
das Angebot auf einem Kalkulationsirrtum des Erklärenden beruht (BGH,
NJW 1983, 1671 [1672] = LM § 13 AGBG Nr. 12; vgl. auch BGHZ 46, 268
[273] = NJW 1967,876 = LM § 1 BRAGebO Nr. 1; BGH, LM § 119 BGB
Nr. 8; Staudinger/Dilcher, § 119 Rdnr. 69; Soergel/Hefermehl, §
119 Rdnr. 29; a. A. Ingenstau/Korbion, § 19 Nr. 3 Rdnr. 27). Maßgeblicher
Zeitpunkt für die Kenntnis des Erklärungsempfängers ist,
wie § 122 II BGB zeigt, der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, hier
also des Zuschlags (so zur unzulässigen Rechtsausübung auch RG,
JW 1925, 1633 [1634]; RGZ 55,367 [371 f.]; zum Verschulden bei Vertragsverhandlungen
ebenso BGH, NJW 1980,180 = LM VOB Teil ANr. 4; BGH, NJW-RR 1986, 569 =
LM VOB Teil A Nr. 9; Freese, BB 1982, 1271 [1272]; Heiermann, BB 1984,
1836 [1839]; Heyermann/Riedl/Rusam, Handkomm. z. VOB, 8. Aufl., Teil A,
§ 25.3 Rdnr. 49; Ingenstau/Korbion, § 19 Nr. 3 Rdnr. 27). Allein
die positive Kenntnis von einem Kalkulationsirrtum des Erklärenden
genügt für die Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung
jedoch noch nicht. Ob ein Verhalten des Erklärungsempfängers
treuwidrig ist, läßt sich nur anhand aller Umstände des
Einzelfalls beurteilen. Dabei kommt dem Ausmaß des Kalkulationsirrtums
wesentliche Bedeutung zu. Wie sich nämlich schon aus § 119 1
Halbs. 2 BGB ergibt, ist ein Irrtum rechtlich nur dann relevant, wenn die
Erklärung bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben
worden wäre. Dies ist nur bei einem Irrtum von einigem, Gewicht anzunehmen.
Als mit den Grundsätzen von Treu und Glauben unvereinbar wird man
die Annahme eines fehlerhaft berechneten Angebots nur dann ansehen können,
wenn die Vertragsdurchführung für den Erklärenden schlechthin
unzumutbar ist, etwa weil er dadurch in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten
geriete (Hundertmark, BB 1982, 16 [19]; Ingenstau/Korbion, § 19 Nr.
3 Rdnr. 28; vgl. auch BGH, NJW-RR 1995, 1360; a. A. Heyermann/Riedl/Rusam,
Teil B, § 2 Rdnr. 21). Dabei muß sich die Kenntnis des Erklärungsempfängers
im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch auf diese Umstände
beziehen (vgl. §§ 110 I Halbs. 2, 122 III BGB).
3. a) Nach den Feststellungen des BerGer. hatte
der Kl. im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Kenntnis
der einen Kalkulationsirrtum und eine Unzumutbarkeit der Vertragsdurchführung
begründenden Tatsachen. Dem Angebot der Bekl. war nicht zu entnehmen,
daß die Transport- und Montagekosten nicht in die Einheitspreise
der einzelnen Leistungspositionen eingerechnet waren. Darüber besteht
zwischen den Parteien kein Streit. Das Schreiben vom 28. 4. 1993 enthielt
lediglich den Hinweis, daß die Transport- und Montagekosten irrtümlich
nicht in dem Angebot der Bekl. enthalten seien. Die Bekl. stellt dies aufgrund
der mündlichen Verhandlung nicht mehr in Frage.
b) Nicht zu beanstanden ist auch die weitere Überlegung
des BerGer., daß es der positiven Kenntnis eines Kalkulationsirrtums
im Einzelfall gleichzustellen sein kann, wenn sich der Erklärungsempfänger
einer solchen Kenntnis treuwidrig verschließt, indem er naheliegende
Rückfragen unterläßt. Das ergibt sich aus dem Rechtsgedanken
des § 162 BGB. Aus dieser Vorschrift läßt sich allerdings
unmittelbar herleiten, daß der Eintritt nachteiliger Umstände
nicht treuwidrig von einer Partei vereitelt und umgekehrt vorteilhafte
Umstände nicht treuwidrig herbeigeführt werden dürfen. Im
vorliegenden Fall geht es dagegen um die weiterreichende Frage, ob und
inwieweit nach Treu und Glauben eine Obliegenheit einer Partei angenommen
werden kann, einen ihr nachteiligen Umstand, nämlich positive Kenntnis,
durch entsprechende Erkundigung herbeizuführen. Dies steht indessen
einem Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 162 BGB nicht entgegen.
So hat der BGH im Hinblick auf den ebenfalls an positive Kenntnis anknüpfenden
und insoweit der vorliegenden Fallgestaltung vergleichbaren Beginn der
deliktischen Verjährung nach § 852I BGB mehrfach ausgesprochen,
daß die Möglichkeit, sich die erforderliche Kenntnis in zumutbarer
Weise ohne nennenswerte Mühe zu verschaffen, grundsätzlich genutzt
werden muß. Er hat jedoch zugleich mit Nachdruck darauf hingewiesen,
daß dies nicht in dem Sinn mißverstanden werden dürfe,
daß bereits eine verschuldete, sei es auch grob fahrlässige
Unkenntnis der vom Gesetz geforderten Kenntnis gleichstehe; es gehe vielmehr
nur um die Fälle, in denen es der Geschädigte versäume,
eine gleichsam auf der Hand liegende, durch einfache Nachfrage zu realisierende
Erkenntnismöglichkeit wahrzunehmen und letztlich das Sichberufen auf
die Unkenntnis als Förmelei erscheine, weil jeder andere in der Lage
des Geschädigten die Kenntnis gehabt hätte (BGH, VersR 1991,1032
m.w. Nachw.; BGH, NJW 1989, 2323 =LM § 852 BGBNr. 102 =VersR 1989,
914 [915]; NJW 1985,2022 [2023]=LM§ 852, BGBNr. 81).
Der Senat läßt offen, ob diese Rechtsprechung
im vorvertraglichen Schuldverhältnis zwischen dem Auftraggeber und
dem Bieter trotz der Unterschiede anwendbar ist. Während nämlich
das gesetzliche Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung ohne Zutun
des Geschädigten entstanden ist, erwachsen die hier in Rede stehenden
Aufklärungsobliegenheiten aus einem vorvertraglichen, von beiden Parteien
gewollten Schuldverhältnis. Im Fall der unerlaubten Handlung dient
die Kenntnis des Geschädigten von der Person des Schädigers und
vom Tathergang unter dem Gesichtspunkt des Verjährungsbeginns nicht
nur den Interessen des Schädigers, sondern auch denen des Geschädigten,
der einen Schadensersatzanspruch geltend machen will. Dagegen besteht ein
etwaige Obliegenheit, aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis zwischen
Auftraggeber und Bieter dem behaupteten Irrtum des Bieters näher na&zugehen,
allein in dessen Interesse. Auf eine nähere Abgrenzung der Fallgruppen
kommt es hier nicht an. Jedenfalls wird der Rechtsgedanke aus § 162
BGB in Fällen der vorliegenden Art nur mit äußerster Zurückhaltung
herangezogen werden können.
c) Die Revision rügt zu Recht, daß
das BerGer. eine Aufklärungs- und Nachfragepflicht des Kl. bejaht
und dadurch die Grenzlinie zwischen schädlicher positiver Kenntnis
und grundsätzlich unschädlicher bloßer Erkennbarkeit des
behaupteten Kalkulationsirrtums rechtsfehlerhaft zu Lasten des Kl. verschoben
hat.
aa) Ausgangspunkt der Beurteilung muß sein,
daß eine fehlerhafte Kalkulation bei Ausschreibungen im Risikobereich
des Bieters liegt; grundsätzlich hat der Bieter das Risiko seiner
Fehlkalkulation zutragen. Daraus folgt, daß es grundsätzlich
allein Sache des Bieters ist, den Auftraggeber von einem Kalkulationsfehler
und von dessen unzumutbaren wirtschaftlichen Auswirkungen auf seinen Betrieb
umfassend und für diesen nachprüfbar in Kenntnis zu setzen. Deshalb
ist der Auftraggeber während des Ausschreibungsverfahrens nicht verpflichtet,
ohne offenbare Anhaltspunkte in den abgegebenen Angeboten diese auf etwaige
Kalkulationsfehler zu überprüfen oder weitere Ermittlungen anzustellen.
Der Auftraggeber ist nicht gehalten, von sich aus zu klären, ob ein
Kalkulationsfehler vorliegt oder nicht. Eine Pflicht zur Aufklärung
kann allenfalls dann bestehen, wenn sich der Tatbestand des Kalkulationsirrtums
mit seinen unzumutbaren Folgen für den Bieter aus dem Angebot des
Bieters oder aus dem Vergleich zu den weiteren Angeboten oder aus den dem
Auftraggeber bekannten sonstigen Umständen geradezu aufdrängt.
Nur in einem solchen Ausnahmefall kann es nach den Grundsätzen von
Treu und Glauben gerechtfertigt sein, den Auftraggeber entgegen eigenen
Interessen als verpflichtet anzusehen, an der Aufklärung eines Kalkulationsfehlers
eines Bieters mitzuwirken.
bb) Unter diesen strengen Maßstäben
hat das BerGer. den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt nicht geprüft.
Auch die vom BerGer. festgestellten Tatsachen tragen seine Annahme nicht,
der Kl. sei zur weiteren Aufklärung verpflichtet gewesen und habe
sich treuwidrig der Kenntnisnahme eines Kalkulationsfehlers verschlossen.
Die nicht näher begründete Mitteilung der Bekl. im Schreiben
vom 28. 4. 1993, man sei einem Kalkulationsirrtum unterlegen, die Kosten
für Transport und Montage seien nicht eingerechnet, reicht nicht aus.
Das Schreiben enthält keine Mitteilung von Tatsachen, die den behaupteten
Kalkulationsfehler und daraus erwachsende unzumutbare Folgen für den
Auftraggeber nachprüfbar begründen könnten. Aus der nicht
durch Tatsachen belegten Behauptung eines Kalkulationsfehlers erwuchs daher
keine Pflicht des Kl., der Sache nachzugehen und weitere Einzelheiten zu
erforschen. Eine solche Pflicht folgte in Kenntnis des Schreibens der Bekl.
aber auch nicht aus den vorgetragenen und vom BerGer. festgestellten weiteren
Umständen, Der Streuung der Angebote, insbesondere der vom BerGer.
hervorgehobene große Preisunterschied zwischen den Angeboten der
Bekl. (305 812,60 DM) und des Bieters zu 6 (476209,83 DM), gab dem Kl.
keinen Anlaß, einen Kalkulationsfehler der Bekl. ernsthaft in Erwägung
zu ziehen. Eine breite Streuung der Angebote ist bei Ausschreibungen nichts
Ungewöhnliches (vgl. BGH, LM VOB Teil A Nr. 3 = BauR 1977,52 153]).
Ein Unternehmen, das an sich ausgelastet ist, das aber zusätzliche
Aufträge übernehmen will, wenn sie hohe Gewinne versprechen und
an Subunternehmen weitergegeben werden können, wird eher ein hohes
Angebot abgeben. Ein Unternehmen, daß eine betriebliche Flaute überbrücken
muß, wird eher zu einem Billigangebot neigen. Eine gewisse Bedeutung
kann allenfalls dem Abstand zum nächsthöheren Bieter zukommen.
Eine auffällige Differenz lag insoweit nicht vor.
Ebensowenig kommt dem Umstand, daß der Bieter
zu 2 ebenfalls einen Kalkulationsirrtum behauptet und zur Überzeugung
des Staatlichen Bauamtes B nachgewiesen hatte, das ihm vom BerGer. beigemessene
Gewicht zu. Das BerGer. stellt insoweit darauf ab, daß das Bauamt
diesem persönlich vorsprechenden Bieter geglaubt habe. Dann aber habe
auch der Bekl. die Chance zur näheren Darlegung des von ihr behaupteten
Irrtums eingeräumt werden müssen. Dies geht fehl. Das BerGer.
verkennt, daß der Kl. der Bekl. nicht eine Chance zur näheren
Darlegung genommen hat. Die Bekl. war nicht gehindert, den behaupteten
Kalkulationsfehler nachzuweisen. Es geht allein um die Frage, ob der -
aus Sicht des kl. Landes - nachgewiesene Kalkulationsirrtum des Bieters
zu 2 den behaupteten Kalkulationsirrtum der Bekl. in irgendeiner Hinsicht
wahrscheinlicher machte, und zwar so wahrscheinlich, daß - abweichend
von der regulären Interessenlage und Risikoverteilung - dem klagenden
Land die Obliegenheit erwuchs, von sich aus im Wege einer Nachfrage tätig
zu werden. Dafür ist nichts ersichtlich. Daß dem Bieter zu 2
ein Kalkulationsfehler unterlaufen war, berührte den behaupteten Kalkulationsirrtum
der Bekl. nicht. Schließlich meint das BerGer. zu Unrecht auch dem
Umstand, daß das Staatliche Bauamt B. die Auftragssumme selbst auf
350 758 DM und damit deutlich höher als das Angebot der Bekl. geschätzt
hatte, Gewicht beimessen zu können. Kostenschätzungen öffentlicher
Auftraggeber dienen der Bereitstellung ausreichender Mittel im Haushalt,
lassen aber keine Rückschlüsse dahin zu, ob ein von der Schätzung
abweichendes Angebot fehlerhaft kalkuliert ist.
V. Das angefochtene Urteil kann demnach keinen
Bestand haben. Es ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist zur anderweiten
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an
das BerGer. zurückzuverweisen. Das BerGer. wird bei der weiteren Behandlung
der Sache vor allem zu prüfen haben, in welcher Höhe der geltend
gemachte Schadensersatzanspruch gerechtfertigt ist. Da der Kl. bei seiner
Schadensberechnung von einer Auftragssumme ausgegangen ist, die weit über
dem höchsten Angebot des Bieters zu 6 liegt, wird das BerGer. zunächst
sorgfältig klären müssen, ob die freihändig an Drittunternehmen
vergebenen Leistungen den Ausschreibungsbedingungen entsprachen und ob
der Kl. bei der Vergabe seiner Schadensminderungspflicht aus § 254
BGB nachgekommen ist. Hingegen ist der Umstand, daß der Kl. den Bieter
zu 2 aus der Wertung entlassen hat, für die Frage der Schadenshöhe
ohne Bedeutung.