JuS 1982, 211
NJW 1981, 1551
Zentrale Probleme:
s. Anm. zu BGH
NJW 1998, 3192 ff = BGHZ 139, 177
Amtl. Leitsatz:
Vereinbaren die Partner eines Grundstückskaufvertrags infolge eines Kalkulationsirrtums des Verkäufers einen niedrigeren als den den Vorstellungen des Verkäufers entsprechenden Kaufpreis, so kann der Verkäufer auch dann nicht ohne weiteres Anpassung des Kaufpreises an seine Kalkulationsgrundlage verlangen, wenn der Käufer diese kannte.
In einer Zeitungsanzeige
bot der Makler W im Auftrag des Kl. dessen Miethaus in B. für 700000
DM zum Kauf an; die Jahresmiete war in der Anzeige mit 72000 DM angegeben.
Der Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin
der bekl. GmbH & Co. KG, der Kaufmann H, nahm mit dem Makler Verbindung
auf. Er wollte das Grundstück für die Bekl. erwerben. Ein anderer
Interessent bot als Kaufpreis 790000 DM. Die Bekl. erklärte sich bereit,
das Grundstück auch zu diesem Preis zu kaufen. Danach trat H einen
Kururlaub an. Am 4. 8. 1978 schlossen der Kl. und Rechtsanwalt A als vollmachtloser
Vertreter der Bekl. vor einem Notar in B. den Kaufvertrag über das
Grundstück zum Preise von 790000 DM und einigten sich über den
Eigentumsübergang auf die Bekl. Das Handeln des Rechtsanwalts A genehmigte
H für die Bekl. mit notariell beglaubigter Erklärung vom 7. 8.
1978. Die Bekl. zahlte den beurkundeten Kaufpreis und wurde als Eigentümerin
in das Grundbuch eingetragen. Inzwischen hat sie das Hausgrundstück
in Eigentumswohnungen aufgeteilt und einen Teil der Wohnungen verkauft.
Der Kl. verlangt von der Bekl. weitere 197396,96 DM, hilfsweise die Erklärung,
daß der Kaufpreis für das Grundstück 987396,96 DM betrage.
Er hat behauptet, Grundlage des Kaufvertrages sei gewesen, daß der
Kaufpreis das Elffache der Jahresmiete betragen solle. Darüber sei
bei den Verhandlungen ausführlich gesprochen worden. Die Parteien
hätten jedoch die Wertverbesserungszuschläge zu den Mieten übersehen
und infolgedessen irrtümlich eine Jahresmiete von nur rund 72000 DM,
statt richtig 89763,36 DM, angesetzt. Nachdem er, der Kl., den Irrtum entdeckt
gehabt habe, habe er sich mit der Bekl., vertreten durch Rechtsanwalt A,
geeinigt, daß der Vertrag so, wie er beurkundet worden sei, nicht
ausgeführt werden solle. Die vorgesehene Änderung des Vertrages
sei jedoch am Widerspruch des H gescheitert.
Die Vorinstanzen haben die
Klage abgewiesen. Die Revision des Kl. blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. geht davon
aus, daß der Kl. und Rechtsanwalt A als vollmachtloser Vertreter
der Bekl. sich in dem beurkundeten Kaufvertrag auf einen Kaufpreis von
790000 DM geeinigt haben, ohne dessen Berechnung zum Gegenstand des Vertrages
zu machen, und daß der Vertrag mit diesem Inhalt dadurch wirksam
geworden ist, daß die Bekl. durch ihren gesetzlichen Vertreter, den
Kaufmann H, das Handeln ihres vollmachtlosen Vertreters genehmigt hat (§§
177 I, 182 I, II, 184 I BGB). Dies ist nicht zu beanstanden und wird auch
von der Revision für richtig gehalten.
II. Das Vorbringen des Kl.,
er und Rechtsanwalt A seien sich einig gewesen, den beurkundeten Vertrag
nicht auszuführen und hätten ihn damit aufgehoben, hält
das BerGer. für unerheblich. Da der Kaufvertrag die Auflassung enthalten
habe, habe er nicht formlos aufgehoben werden können. Außerdem
habe Rechtsanwalt A als vollmachtloser Vertreter für die Bekl. gehandelt.
Diese habe jedoch eine etwaige Aufhebung des Kaufvertrages nicht genehmigt.
Es trifft zu, daß es aus diesen Gründen schon nach dem Vortrag
des Kl. nicht zu einer wirksamen Aufhebung des Kaufvertrages gekommen ist.
Dies bezweifelt auch die Revision nicht. Andernfalls wäre die auf
Vertragserfüllung, nämlich Zahlung des an die behauptete Geschäftsgrundlage
angepaßten Kaufpreises, gerichtete Klage schon wegen der Aufhebung
des Vertrages unbegründet.
III. Der nach den Behauptungen
des Kl. bei der Berechnung des Kaufpreises unterlaufene Fehler kann nach
der Auffassung des BerGer. eine Irrtumsanfechtung (§ 119 BGB) nicht
rechtfertigen. Nur eine Anpassung des Kaufvertrages an die fehlerfreie
Berechnung des Preises nach der Lehre von der Geschäftsgrundlage (§
242 BGB) komme in Betracht. Der Kl. könne jedoch eine solche Anpassung
nicht verlangen, weil er das Risiko der Kaufpreisberechnung zu tragen habe.
Im Ergebnis trifft es zu, daß der Kl. im Wege der Vertragsanpassung
nach § 242 BGB keinen erhöhten Kaufpreis verlangen kann.
1... . Der Senat geht von
folgendem, vom Kl. vor dem Tatrichter behaupteten Sachverhalt aus:
Der Kl. wollte von der Bekl.,
nachdem ein anderer Kaufinteressent 790000 DM geboten hatte, als Kaufpreis
die elffache Jahresmiete verlangen. Diese Preisberechnung war, was Rechtsanwalt
A und die Bekl. wußten, auf dem Grundstücksmarkt in B. üblich.
Rechtsanwalt A stimmte im Einverständnis mit dem Geschäftsführer
H der Bekl. vor der Beurkundung des Kaufvertrages der Anwendung dieser
Berechnungsart zu. In einer Besprechung am Tage vor der Beurkundung übergab
der für den Kl. tätige Makler dem für die Bekl. handelnden
Rechtsanwalt A ein Expose, in dem als Kaufpreis 790000 DM und als Jahresmiete
72000 DM angegeben waren. Außerdem überließ der Makler
Rechtsanwalt A eine "Miet-Abrechnung" für Juni 1978, in der in einer
Spalte die Monatsmieten, zusammen nicht ganz 6000 DM, in der nächsten
Spalte die Wertverbesserungszuschläge, zusammen nicht ganz 1500 DM,
aufgeführt waren. Bei der Feststellung, die Jahresmiete betrage 72000
DM, wurden die Wertverbesserungszuschläge übersehen. Der Kl.
entdeckte den Irrtum, nachdem der Kaufvertrag beurkundet worden war. Seinem
Wunsch, einen Änderungsvertrag mit dem richtig berechneten, auch dem
Verkehrswert des Grundstücks entsprechenden Kaufpreis beurkunden zu
lassen, wollte Rechtsanwalt A nachkommen. Der Geschäftsführer
H der Bekl. untersagte dies und genehmigte den beurkundeten Vertrag.
2. Nach dieser Darstellung
waren Art und Grundlage der Berechnung des Kaufpreises dem Vertreter des
Bekl. bekannt und Gegenstand der zum Abschluß des Vertrages führenden
Verhandlungen gewesen. Dabei ist die Grundlage der Berechnung, die Mietabrechnung,
versehentlich zum Nachteil des Kl. falsch ausgewertet worden. Es handelt
sich um einen Kalkulationsirrtum von der Art, wie er den Kl. nach der ständigen
Rechtsprechung des RG (vgl. RGZ 64, 266 (268); 90, 268 (272 ,
273); 94, 65 (67 f.); 101, 107 (108);
105, 406 (407); 116, 15 (17); 149, 235 (239);
162, 198 (201)) zur Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums (§ 119
I BGB) berechtigt hätte. Ob dieser Rechtsprechung gegen die im
Schrifttum verbreitete Kritik (vgl. Flume, BGB AT II, Das Rechtsgeschäft,
3. Aufl., S. 469 ff. m. w. Nachw.) zu folgen ist, hat der BGH bisher offen
gelassen (vgl. BGH, LM § 119 BGB Nrn. 8, 21). Diese Frage bedarf auch
jetzt keiner Antwort. Eine - hier im übrigen auch nicht geltend gemachte
- Irrtumsanfechtung des Kl. würde über die Vernichtung des Kaufvertrages
(§ 142 I BGB) allenfalls zu einem Rückgewähranspruch des
Kl. nach § 812 BGB führen. Der Kl. verlangt jedoch eine weitere
Kaufpreiszahlung.
Auch auf das Verhältnis
zwischen Irrtumsanfechtung (§ 119 BGB) und Vertragsanpassung (§
242 BGB) kommt es hier nicht an, weil die Voraussetzungen für die
vom Kl. verlangte Vertragsanpassung nicht erfüllt sind:
a) Zweifelhaft ist schon,
ob im vorliegenden Fall die Berechnung des Kaufpreises für beide Parteien
die Geschäftsgrundlage gewesen ist. Unter Geschäftsgrundlage
versteht der BGH die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, aber
bei Vertragsschluß zutage getretenen gemeinschaftlichen Vorstellungen
beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und
von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von
dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände,
auf denen der Geschäftswille der Parteien sich aufbaut (vgl. BGHZ
74, 370 (372 f.) = NJW 1979, 1818; BGH, NJW 1976, 565; jeweils m. w. Nachw.).
Bei
einem reinen Kaufvertrag wird die offengelegte Preiskalkulation des Verkäufers
wohl nur selten Geschäftsgrundlage in diesem Sinne auch für den
Käufer sein (vgl. BGH, Betr 1967, 1172; Giesen, JR 1971, 406).
Wenn der Vertrag nicht über den Austausch von Leistung und Gegenleistung
hinausgehenden Zwecken dient, wird der Geschäftswille des Käufers
jedenfalls in der Regel nicht in der Weise auf der ihm eröffneten
Preiskalkulation des Verkäufers aufbauen, daß er auch jeden
höheren als den vereinbarten Preis zahlen würde, der sich durch
die Berichtigung eines Fehlers in der Berechnung ergibt. Dies bedarf
hier jedoch keiner abschließenden Erörterung.
b) Der gemeinsame Irrtum
in der Preiskalkulation ist beim Grundstückskaufvertrag für sich
allein normalerweise kein Grund, den Käufer gegen seinen Willen nach
§ 242 BGB an dem Vertrag mit dem durch Berichtigung der Berechnung
erhöhten Kaufpreis festzuhalten. Regelmäßig wird für
den Käufer die Preiskalkulation des Verkäufers, selbst wenn er
sie im Laufe der Verhandlungen gebilligt hat, für den Kaufentschluß
nicht ausschlaggebend sein. Ob er zu dem vom Verkäufer verlangten,
errechneten Preis kauft oder nicht, wird letztlich davon abhängen,
ob dieser Preis ihm nach seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten, seinen
Zielen und sonstigen Vorstellungen, die er nicht offenzulegen braucht,
tragbar und angemessen erscheint. Infolgedessen kann er zur Zahlung des
durch Berichtigung der Kalkulation erhöhten Kaufpreises nur verpflichtet
sein, wenn feststeht, daß er auch zu dem höheren Preis gekauft
hätte, oder wenn besondere Umstände vorliegen, unter denen die
Ablehnung des Kaufs zu dem richtig errechneten Preis unredlich wäre.
Gleiches kann in Betracht kommen bei Werkverträgen, bei denen die
Vergütung nach den Leistungen des Unternehmers bemessen ist und der
Unternehmer umfangreichere Leistungen, als sie der Kalkulation zugrunde
gelegt waren, erbringen mußte (vgl. Palandt-Thomas, BGB, 40. Aufl.,
§ 362 Anm. 1 m. w. Nachw.). Beim Kaufvertrag kann die Vertragsanpassung
an den berichtigten Preis angebracht sein, wenn eine Tochter von der Mutter
Grundbesitz übernimmt gegen die Verpflichtung, an ihre am Vertrag
nicht beteiligten Brüder nach dem Übergabepreis berechnete "Gleichstellungsgelder"
zu zahlen und beiden Vertragspartner bei der Berechnung dieser Beträge
ein Irrtum unterlaufen ist (vgl. BGH, NJW 1972, 152). Fehlen solche besonderen
Umstände, die auf über den Austausch der vereinbarten Leistungen
hinausgreifende Gesichtspunkte hindeuten, und läßt sich auch
nicht feststellen, daß der Käufer auch zu dem berechtigten höheren
Kaufpreis gekauft hätte, scheidet eine entsprechende Vertragsanpassung
gegen den Willen des Käufers aus. Ist dem Verkäufer ein Festhalten
an dem irrtümlich zu niedrig berechneten Kaufpreis nicht zuzumuten,
bleibt nur die Auflösung des Vertrages. Dazu werden verschiedene Wege
vorgeschlagen. In Betracht kommt, wie vom RG in ständiger Rechtsprechung
vertreten (vgl. RGZ 64, 266 (268); 90, 268 (272 f.); 94, 65 (67
f.); 101, 107 (108); 105,
406 (407); 116, 15 (17); 149, 235 (239); 162, 198 (201)), die Irrtumsanfechtung
nach § 119 I BGB (dafür Wieser, NJW 1972, 710 f.). Eine andere
Möglichkeit ist die Irrtumsanfechtung entsprechend § 119 II BGB
unter Ausschluß der Schadensersatzpflicht des Anfechtenden nach §
122 BGB und mit der Befugnis des Anfechtungsgegners, die Anfechtung dadurch
abzuwehren, daß er sich zur Zahlung des höheren Preises
bereit erklärt (so Kramer, in: MünchKomm, § 119 Rdnrn. 73,
99, 104, 118, 121). Andere Wege zu praktisch den gleichen Ergebnissen führen
über § 242 BGB (vgl. Flume, S. 501 ff.). Einer Auseinandersetzung
mit diesen unterschiedlichen Auffassungen bedarf es hier nicht. Der Kl.
macht keinen Anspruch geltend, der sich aus der Auflösung seines Kaufvertrages
mit der Bekl. ergeben könnte. Die Voraussetzungen der verlangten Vertragsanpassung
an die behauptete Geschäftsgrundlage liegen nicht vor.
c) Der Vertrag der Parteien
ist ein reiner Kaufvertrag. Daß er Interessen der Parteien, die über
den Austausch der vereinbarten Leistungen hinausgingen, zu dienen bestimmt
sei, ist nicht ersichtlich. Das Klagevorbringen bietet dafür keinen
Anhalt. Daß die Bekl. den Vertragsabschluß durch ihren vollmachtlosen
Vertreter erst genehmigt hat (§§ 177 I, 184 I BGB), nachdem der
Kl. sie über den Irrtum in der Berechnung des Kaufpreises aufgeklärt
hatte, rechtfertigt das Anpassungsverlangen des Kl. nicht. Da der Kl. wußte,
daß dem Vertreter der Bekl. bei Abschluß des Vertrages die
erforderliche Vollmacht fehlte, war er an den Vertrag gebunden (§
178 S. 1 BGB), es sei denn, die Bekl. verweigerte die erforderliche Genehmigung
oder erklärte sich nach Aufforderung nicht rechtzeitig (§ 177
II BGB). Nachdem die Bekl. den Schwebezustand durch ihre Genehmigung beendet
hat, ist ihre Stellung als Vertragspartnerin, auch hinsichtlich etwaiger
Mängel des Vertrages, nicht anders, als wenn ihr Vertreter den Vertrag
mit ihrer Vollmacht geschlossen hätte. Ebensowenig wie in diesem Falle
der aufgedeckte Irrtum zu der vom Kl. verlangten Vertragsanpassung führen
würde, ist dies deswegen der Fall, weil die Bekl. den Vertrag erst
nach Aufdeckung des Irrtums genehmigt und damit an dem vereinbarten Kaufpreis
festgehalten hat und festhält.
Der auf eine zusätzliche
Kaufpreiszahlung gerichtete Hauptantrag der Klage ist somit unbegründet.