Aufhebung einer
bigamischen Ehe, Eheschließungsstatut, Vorfrage der Auflösung der Vorehe,
Rechtsschutzbedürfnis
BGH, Urteil vom 9. 1. 2002 - XII ZR 58/ 00;
OLG Oldenburg
Fundstelle:
NJW 2002, 1268
für BGHZ vorgesehen
LM § 1316 BGB Nr. 1 mit Anm. Hohloch
Vorinstanz: OLG Oldenburg IPRax 2001, 143 mit Anm. Piekenbrock
IPRax 2001, 119
Anmerkung:
Zweifelhaft, ist der Ausgangspunkt des BGH, daß "sich die Vorfrage, ob
die Antragsgegnerin zu 1 im Zeitpunkt ihrer Eheschließung mit dem
Antragsgegner zu 2 bereits von dem Antragsteller wirksam geschieden und
der Antragsgegner zu 2 deshalb aus der Sicht des deutschen Rechts an einer
Eheschließung mit der Antragsgegnerin zu 1 nicht gehindert war, gemäß Art.
17 Abs. 1 Satz 1 EGBGB nach russischem Recht" richtet. Vielmehr ist im
Rahmen des von Art. 13 I EGBGB zur Frage der Wirksamkeit der Ehe berufenen
Eheschließungsstatuts das Heimatrecht der Antragsgegnerin (hier:
Russisches Recht) zu befragen, ob z.Zt. der zweiten Eheschließung bereits
eine Ehe bestand. Die Wirksamkeit sowie der Wirksamkeitszeitpunkt Ihrer
Ehescheidung ist dann eine Frage der Anerkennung und Wirkungserstreckung
des russischen Scheidungsurteils, nicht aber eine nach dem
Scheidungsstatut (Art. 17 EGBGB) zu prüfende Frage (s. dazu auch
BayObLG FamRZ 2003, 310).
Amtl. Leitsatz:
Zur Antragsberechtigung der dritten
Person nach § 1316 Abs. 1 Nr. 1 i. V. mit § 1306 BGB.
Tatbestand:
Der Antragsteller begehrt die Aufhebung der
von den Antragsgegnern geschlossenen Ehe.
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin zu 1 sind russische
Staatsangehörige. Ihre 1984 im heutigen Rußland geschlossene Ehe wurde auf
Antrag der Antragsgegnerin zu 1 am 20. Juli 1995 vom Bezirksvolksgericht
O.
von Moskau in Abwesenheit des Antragstellers geschieden. Das hiergegen
gerichtete Rechtsmittel des Antragstellers wurde am 6. September 1995 vom
Gerichtskollegium des Moskauer Stadtgerichtshofs zurückgewiesen; die
Scheidung wurde standesamtlich eingetragen. Am 24. November 1995 schlossen
die Antragsgegnerin zu 1 und der deutsche Antragsgegner zu 2 vor dem
Standesamt S. die Ehe.
1996 hob das Präsidium des Moskauer Stadtgerichtshofs das Urteil des
Bezirksvolksgerichts O. auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung
an das Bezirksvolksgericht B. von Moskau zurück.
Durch Entscheidung des Bezirksvolksgerichts B. von Moskau vom 12. November
1996 wurde die Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 erneut
geschieden. Das hiergegen eingelegte Rechtsmittel des Antragstellers wurde
vom Gerichtskollegium für Zivilsachen des Moskauer Stadtgerichtshofs mit
Entscheidung vom 24. Dezember 1996 zurückgewiesen.
Die standesamtliche Eintragung über die frühere, vom Bezirksvolksgericht
O. von Moskau am 20. Juli 1995 ausgesprochene und vom Gerichtskollegium
des Moskauer Stadtgerichtshofs am 6. September 1995 bestätigte Scheidung
der Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 wurde vom
Bezirksvolksgericht B. von Moskau mit Entscheidung vom 17. März 1997 für
unwirksam erklärt.
Das Familiengericht hat die Ehe der Antragsgegner aufgehoben, weil die
Antragsgegnerin zu 1 im Zeitpunkt ihrer Eheschließung mit dem
Antragsgegner zu 2 noch mit dem Antragsteller verheiratet war. Das
Oberlandesgericht hat die Berufung der Antragsgegner zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision, mit der die Antragsgegner
die Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung ihrer Ehe weiterverfolgen.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Frage, ob eine Ehe fehlerhaft geschlossen worden ist und welche
Rechtsfolgen sich an den Fehler knüpfen, beurteilt sich, wie auch das
Oberlandesgericht zu Recht annimmt, für jeden der Ehegatten nach seinem
Heimatrecht (Art. 13 Abs. 1 EGBGB).
2. Das danach für die Antragsgegnerin zu 1 maßgebende russische Recht
verbietet nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts zwar die
Eheschließung, wenn ein Partner der zu schließenden Ehe noch durch eine
frühere Ehe gebunden ist. Eine gleichwohl geschlossene Ehe könne jedoch
als von dem Zeitpunkt an gültig festgestellt werden, in dem der die
Eheschließung hindernde Umstand fortgefallen ist. Diese Voraussetzung hat
das Oberlandesgericht bejaht und gefolgert, daß die Ehe der Antragsgegner
nach russischem Recht nicht mehr für ungültig erklärt werden kann, nachdem
die Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 durch die
Entscheidung des Bezirksvolksgerichts B. von Moskau vom 12. November 1996
geschieden und das hiergegen gerichtete Rechtsmittel des Antragstellers
vom Gerichtskollegium für Zivilsachen des Moskauer Stadtgerichtshofs mit
Entscheidung vom 24. Dezember 1996 zurückgewiesen worden ist. Die Revision
nimmt dies als ihr günstig hin.
3. Hinsichtlich des Antragsgegners zu 2 geht das Berufungsgericht davon
aus, daß dessen Ehe mit der Antragsgegnerin zu 1 nach dem insoweit
maßgebenden deutschen Recht gegen das zweiseitig wirkende Verbot der
Doppelehe verstößt, deshalb nach den zur Zeit der Eheschließung geltenden
§§ 20, 23 EheG hätte für nichtig erklärt werden können und nunmehr - gemäß
dem nach Art. 226 Abs. 1, 3 EGBGB anwendbaren § 1314 Abs. 1 i. V. mit §
1306 BGB - auf den Antrag des Antragstellers hin aufzuheben ist. Diese
Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Richtig ist der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts. Danach
bestimmt sich die Vorfrage, ob die Antragsgegnerin zu 1 im Zeitpunkt ihrer
Eheschließung mit dem Antragsgegner zu 2 bereits von dem Antragsteller
wirksam geschieden und der Antragsgegner zu 2 deshalb aus der Sicht des
deutschen Rechts an einer Eheschließung mit der Antragsgegnerin zu 1 nicht
gehindert war, gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 1 EGBGB nach russischem Recht.
b) Die Revision rügt im wesentlichen eine fehlerhafte Ermittlung des
russischen Rechts (§ 293 ZPO): Nach dem für den vorliegenden Fall
maßgebenden Art. 40 des Ehe- und Familiengesetzbuchs der Russischen
Sowjetrepublik (EFGB von 1969; hier anwendbar gemäß Art. 169 Punkt 1 des
Familiengesetzbuchs der Russischen Föderation von 1995) wirke die
Eintragung der Ehescheidung im Zivilstandsregister konstitutiv. Außerdem
kenne das russische Zivilverfahrensrecht einen zweizügigen ordentlichen
Verfahrensaufbau, wobei den Parteien gegen die erstinstanzliche
Entscheidung der Bezirksvolksgerichte die Kassationsbeschwerde als
ordentliches Rechtsmittel mit Devolutiv- und Suspensiveffekt offenstehe.
Im Gegensatz dazu stelle das sogenannte Aufsichtsverfahren der
Staatsanwaltschaft nach (sowjet-) russischer Tradition ein
außerordentliches Rechtsmittel dar, das gegen rechtskräftige
Entscheidungen eingelegt werde und nicht nur der Beseitigung eines
Präjudizes diene, sondern auch Rechtswirkungen inter partes entfalte und
damit rechtskräftige Entscheidungen beseitige. Für den vorliegenden Fall
sei deshalb davon auszugehen, daß die Ehe des Antragstellers mit der
Antragsgegnerin zu 1 durch die Entscheidung des Bezirksvolksgerichts O.
von Moskau vom 20. Juli 1995 und die am 3. August 1995 erfolgte
Registrierung dieser Entscheidung rechtskräftig geschieden worden sei.
c) Es kann dahinstehen, ob diese Ausführungen der Revision zum russischen
Recht zutreffen (vgl. Piekenbrock IPRax 2001, 119, der - ebenso wie auch
die Revision - die Anwendbarkeit des russischen EFGB von 1969 aus Art.
169. Abs. 1, nicht aus der spezielleren Norm des Art. 169 Abs. 3 des
russischen FGB von 1995 herleitet) und revisionsrechtlich beachtlich sind
(vgl. dazu etwa BGHZ 118, 151, 162 f.). Auch wenn, wie das
Oberlandesgericht meint, die Ehe des Antragstellers mit der
Antragsgegnerin zu 1 im Zeitpunkt der neuen Eheschließung der
Antragsgegnerin zu 1 nach russischem Recht noch nicht rechtskräftig
geschieden war, der Antragsgegner zu 2 deshalb aus der Sicht des für ihn
maßgebenden deutschen Rechts an der Eingehung einer Ehe mit der
Antragsgegnerin zu 1 gehindert war und die gleichwohl geschlossene Ehe der
Antragsgegner deshalb an sich nach deutschem Recht aufhebbar wäre, ist der
Antragsteller dennoch nicht befugt, die Aufhebung der von seiner früheren
Ehefrau eingegangenen neuen Ehe zu begehren. Auch bei Vorliegen eines
Aufhebungsgrundes kann sich ein Aufhebungsantrag im Einzelfall als
unzulässige Rechtsausübung darstellen. Das ist hier der Fall.
aa) Dabei schließt, wie das Berufungsgericht zu Recht erkennt, der
Umstand, daß der Antragsteller aufgrund der zwischenzeitlichen Scheidung
seiner Ehe mit der Antragsgegnerin zu 1 nicht mehr deren Ehegatte ist, für
sich genommen die Antragsbefugnis des Antragstellers nicht grundsätzlich
aus. Schon unter der Geltung des Ehegesetzes war anerkannt, daß die
Befugnis zur Klage auf Nichtigerklärung einer bigamischen Ehe zwar
ausdrücklich nur dem "Ehegatten" der vorangehenden Ehe zustand, diesem
aber nicht deshalb verloren ging, weil seine Ehe inzwischen aufgelöst war
(Senatsurteil vom 18. Juni 1986 - IVb ZR 41/ 85 - FamRZ 1986, 879, 880).
Der Gesetzgeber des Eheschließungsrechtsgesetzes hat diesen Gedanken
verdeutlicht: Gehen zwei Personen miteinander die Ehe ein, obwohl zwischen
einer dieser beiden Personen und einer dritten Person bereits eine Ehe
besteht, so kann "die dritte Person" auf Aufhebung der späteren Ehe
antragen (§ 1316 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BGB); auf die Frage, ob die frühere
Ehe noch besteht und die "dritte Person" folglich noch Ehegatte eines
Partners der späteren Ehe ist, kommt es für die Antragsbefugnis also schon
nach dem Gesetzeswortlaut nicht an (vgl. auch MünchKomm/ Gindullis BGB 4.
Aufl., § 1316 Rdn. 2).
bb) Richtig ist auch die Erkenntnis des Berufungsgerichts, daß das Gesetz
das Recht des Ehegatten der Vorehe, die Aufhebung der von seinem Ehegatten
eingegangenen bigamischen Ehe zu beantragen, grundsätzlich nicht an ein im
Einzelfall darzulegendes besonderes Rechtsschutzinteresse knüpft. § 1316
BGB entspricht insoweit dem früheren § 24 EheG, der ein solches
schützenswertes Interesse des Ehegatten der ersten Ehe an der Beseitigung
der bigamischen Ehe generalisierend unterstellte. Dies erschien unter dem
früheren Recht, das eine Nichtigerklärung der bigamischen Ehe erlaubte,
selbstverständlich: Mit der Nichtigerklärung wurde die bigamische Ehe
rückwirkend beseitigt; dadurch wurde die ausschließliche Geltung der
ersten Ehe wiederhergestellt, der Grundsatz der Einehe durchgesetzt und
der vorrangig der ersten Ehe zukommende Schutz des Art. 6 GG verwirklicht
(Senatsurteil vom 18. Juni 1986 aaO und vom 17. Januar 2001 - XII ZR 266/
98 - FamRZ 2001, 685, 686).
Mit dem Eheschließungsrechtsgesetz hat sich diese Ausgangslage jedoch
verändert: an die Stelle der bisher möglichen Nichtigerklärung einer
bigamischen Ehe ist die bloß ex nunc wirkende Aufhebung einer solchen Ehe
getreten (vgl. Senatsurteil vom 17. Januar 2001 aaO). Dieses gewandelte
Rechtsverständnis hat zwar nicht dazu geführt, einem Ehegatten generell
ein schutzwürdiges Interesse an der Beseitigung der von seinem Ehegatten
eingegangenen bigamischen Ehe abzusprechen. Auch mit der nur ex nunc
wirkenden Aufhebung der bigamischen Ehe wird nämlich das
Spannungsverhältnis zwischen der bigamischen Ehe und der vorrangig den
Schutz des Art. 6 GG genießenden Erstehe aufgehoben und dem Grundsatz der
Einehe Geltung verschafft. Dies gilt uneingeschränkt aber nur noch dann,
wenn die erste Ehe im Zeitpunkt der Aufhebung der bigamischen Ehe noch
besteht; denn nur in diesem Falle wird mit der begehrten Aufhebung
verhindert, daß die bigamische Ehe neben der Erstehe fortbesteht und die
Rechte des Ehegatten aus der Erstehe schmälert. Ist die erste Ehe dagegen
im Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufhebung der bigamischen Ehe
bereits aufgelöst, kann ein in die Zukunft weisendes Ziel nicht mehr
erreicht werden. Auch an der für die Vergangenheit bestehenden Konkurrenz
zur Erstehe vermag die nur noch ex nunc wirkende Aufhebung der bigamischen
Ehe nichts mehr zu ändern; dem vom früheren Recht anerkannten Interesse
des Ehegatten der ersten Ehe an der verbindlichen Feststellung, daß die
während seiner Ehe geschlossene Zweitehe nichtig ist und seine eigene Ehe
damit die allein gültige Ehe war (Senatsurteil vom 18. Juni 1986 aaO),
bietet das neue Recht nicht länger Raum.
Die nur in die Zukunft reichende Wirkung der Aufhebung hindert zwar nicht
generell die Möglichkeit, eine bigamische Ehe auch dann noch aufzuheben,
wenn die Erstehe bereits aufgelöst ist. Ein Aufhebungsantrag des Ehegatten
der Erstehe kann sich in solchem Falle aber nicht allein auf das - in
erster Linie von der zuständigen Verwaltungsbehörde unter Abwägung der in
§ 1316 Abs. 3 BGB genannten Belange zu wahrende - öffentliche Interesse an
der Sanktionierung von Verstößen gegen das Verbot der Mehrehe stützen. Er
setzt vielmehr die Geltendmachung eigener Belange des früheren Ehegatten
voraus, die sein objektives Interesse an der Aufhebung der bigamischen Ehe
begründen und sich auch gegenüber Belangen der Ehegatten der bigamischen
Ehe und etwaiger aus ihr hervorgegangener Kinder als schutzwürdig
erweisen. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Antragsteller, der sich
offenbar vehement gegen die Scheidung seiner Ehe mit der Antragsgegnerin
zu 1 zur Wehr gesetzt hat, hat keine eigenen objektiven Interessen
vorgetragen, die auch noch nach der von ihm letztlich erfolglos bekämpften
Scheidung seiner eigenen Ehe nunmehr eine Aufhebung der Ehe der
Antragsgegner erfordern. Vermögensrechtliche, insbesondere renten- und
versorgungsrechtliche Rechtsverhältnisse, deren verbindliche Klärung sogar
im öffentlichen Interesse liegt und die Beseitigung einer bigamischen Ehe
auch nach Scheidung der Erstehe rechtfertigen kann (Senatsurteil vom 17.
Januar 2001 aaO S. 686 f.), sind unter den Beteiligten nicht im Streit und
würden durch eine Aufhebung der bigamischen Ehe - soweit ersichtlich -
auch nicht berührt. Die Wahrung der staatlichen Ordnung und ihrer
Eheverbote begründet, wie ausgeführt, für sich genommen ein eigenes
Aufhebungsinteresse des Antragstellers nicht.
4. Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben. Der Senat ist in
der Lage, selbst abschließend zu entscheiden (§ 565 Abs. 3 ZPO), da
weitere tatsächliche Feststellungen weder zu erwarten noch erforderlich
sind. Da sich der Antrag auf Aufhebung der Ehe der Antragsgegner als
unzulässige Rechtsausübung darstellt und deshalb unzulässig ist, waren
sowohl das Berufungsurteil wie auch das die Eheaufhebung aussprechende
Urteil des Familiengerichts aufzuheben und der Antrag auf Eheaufhebung
zurückzuweisen.
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