IPR: Unselbständige Vorfragenanknüpfung im internationalen Namensrecht und (absolute) Wirkung inländischer Statusurteile BayObLG, Beschl. v. 12.9.2002 - 1Z BR 10/02 Fundstellen:
BayObLGZ 2002 Nr. 53 Amtl. Leitsatz: Eine in Deutschland geschiedene türkische Staatsangehörige führt - entgegen ihrem Wunsch und den von den türkischen Behörden ausgestellten Ausweispapieren - nicht schon deshalb ihren vorehelichen (türkischen) Familiennamen, weil die deutsche Ehescheidung in der Türkei (noch) nicht anerkannt ist. Gründe: I. Die Beteiligte [Bet.] zu 1 ist türkische [türk.] Staatsangehörige. Ihre in Italien geschlossene Ehe mit S., dessen Namen sie führt, wurde 1995 durch Urteil eines bayerischen AmtsG rechtskräftig geschieden. Ein Verfahren zur Anerkennung des Scheidungsurteils in der Türkei wurde nicht durchgeführt. Die von den türk. Behörden für die Bet. zu 1 ausgestellten Ausweispapiere lauten nach wie vor auf den Namen S. Am 12. 5. 2000 brachte die Bet. zu 1 ein Kind zur Welt. Die Vaterschaft hat ein deutscher Staatsangehöriger anerkannt. Das Kind lebt bei seiner Mutter in Bayern. Im Rahmen der Eintragung der Geburt des Kindes teilte der Standesbeamte der Bet. zu 1 seine Auffassung mit, dass sie kraft ihres türk. Heimatrechts aufgrund der Scheidung nicht mehr S. heiße, sondern wieder ihren Geburtsnamen E. trage. Dementsprechend wurde im Geburtenbuch für Mutter und Kind der Familienname E. - nicht wie von ihr gewünscht S. - eingetragen. Ein hiergegen gerichteter Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten wurde als Antrag auf Berichtigung des Namenseintrags dem AmtsG vorgelegt. Dieses wies den Berichtigungsantrag zurück. Auf die sofortige Beschwerde der Bet. zu 1 hat das LG den amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben und den Standesbeamten angewiesen, den Geburtseintrag dahin zu ändern, dass der Nachname der Mutter und der vom Kind geführte Familienname nicht E., sondern S. lauten. Gegen diese Entscheidung richtet sich das Rechtsmittel der Standesamtsaufsicht, mit dem sie die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses anstrebt. II. Das Rechtsmittel der Standesamtsaufsicht hat keinen Erfolg. 1. Das LG hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Namensführung der türkischen Mutter des Kindes richte sich nach türkischem Recht. Die familienrechtliche Vorfrage nach dem Personenstand der Mutter sei unselbständig anzuknüpfen. Da die Scheidung der Mutter in der Türkei nicht anerkannt sei, führe sie nach türkischem Recht nach wie vor den Ehenamen S. Demgemäß heiße sie auch nach deutschem Recht S., unbeschadet der Umstände, dass sie nach deutschem Recht rechtskräftig geschieden sei. 2. Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung (§§ 27 I FGG, 546 ZPO) stand. a) Zutreffend sind die Vorinstanzen stillschweigend davon ausgegangen, dass die im Hinblick auf die türk. Staatsangehörigkeit der Bet. zu 1 zu prüfende internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben und das deutsche Verfahrensrecht anzuwenden ist. Es geht um die Eintragung der Geburt im deutschen Geburtenbuch; die internationale Zuständigkeit folgt aus der örtlichen Zuständigkeit (vgl. § 50 I PStG; BayObLGZ 1995, 238, 240). b) Gegenstand des Verfahrens nach § 47 PStG ist die beantragte Berichtigung des Eintrags im Geburtenbuch (§ 21 PStG) dahin, dass die Familiennamen der Mutter und des Kindes statt E. richtig S. lauten. Die Vorinstanzen haben den verfahrenseinleitenden Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der Bet. zu 1 als entsprechenden Antrag auf Berichtigung (§ 47 II S. 1 PStG) ausgelegt; dies ist nicht zu beanstanden. c) Das LG hat zutreffend den Namen der Mutter gemäß Art. 10 I EGBGB nach ihrem türk. Heimatrecht bestimmt. Eine vorrangig zu beachtende Rechtswahl nach Maßgabe von Art. 10 II EGBGB zugunsten eines anderen, etwa des deutschen Rechts als Ehenamensstatut - was über die Scheidung hinaus fortgewirkt hätte (vgl. OLG Hamm, StAZ 1999, 370; Staudinger/Hepting, BGB, 2000, Art. 10 EGBGB Rz. 168; Henrich, StAZ 1996, 129, 132, m. w. N.) - haben die Eheleute nicht getroffen; es bleibt daher bei der Anknüpfung an das Personalstatut nach Art. 10 I EGBGB. Eine Rückverweisung, die nach Art. 4 I EGBGB zu beachten wäre, findet nicht statt; das türkische Internationale Privatrecht knüpft für die Bestimmung des Familiennamens ebenfalls an das Heimatrecht des Namensträgers an (vgl. BayObLG, FamRZ 1991, 1352 = NJW 1992, 632). d) Nach türk. Recht führt die Ehefrau den Familiennamen ihres Mannes (Art. 153 S. 1 türk. ZGB a. E; Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, S. 30; jetzt Art. 187 S. 1 türk. ZGB, StAZ 2002, 100, 107); mit der Scheidung erhält sie ihren vorehelichen Namen wieder (Art. 141 S. 2 a. E, jetzt Art. 173 I S. 1 Hs. 2 türk. ZGB). Es kommt daher nach türk. Recht hier darauf an, ob die Bet. zu 1 geschieden ist (Vorfrage). aa) Familienrechtliche Vorfragen sind im Namensrecht grundsätzlich unselbständig anzuknüpfen (BGHZ 90, 129). Damit soll erreicht werden, dass der Namensträger im Inland den gleichen Namen führt wie im Heimatstaat und der im Inland geführte Name mit den vom ausländischen Heimatstaat ausgestellten Ausweispapieren übereinstimmt. Vom Grundsatz der unselbständigen Anknüpfung im Namensrecht hat der BGH eine Ausnahme für die Vorfrage der ehel. Abstammung im Kindesnamensrecht gemacht (BGH, FamRZ 1986, 984 = NJW 1986, 3022). Ob hieran auch nach Abschaffung der Ehelichkeit als Rechtsbegriff und Aufhebung der diesbezüglichen deutschen Kollisionsnorm festzuhalten ist (vgl. verneinend BayObLG-Report 2000, 232; Henrich, FamRZ 1998, 1405; bejahend OLG Düsseldorf, FamRZ 1999, 328 = StAZ 1999, 114, berichtigt 173; Hepting, StAZ 1998, 142), bedarf für die Bestimmung des Namens der Mutter keiner Entscheidung. bb) Hier ist freilich zu beachten, dass eine statusgestaltende Gerichtsentscheidung inmitten steht, die grundsätzlich die Bestimmung eines für die Vorfrage einschlägigen Sachrechts erübrigt. Denn ob die Bet. zu 1 geschieden ist, ergibt sich nicht aus einer (deutschen oder türk.) Sachnorm, sondern in beiden Rechtsordnungen daraus, ob das rechtskräftige deutsche Scheidungsurteil für den jeweiligen Rechtskreis seine Wirkung entfaltet. Das ist für den deutschen Rechtskreis ohne weiteres der Fall, für den türkischen aber nur dann, wenn das deutsche Urteil in der Türkei anerkannt ist. Unselbständige Anknüpfung im Namensrecht bedeutet unter dieser Voraussetzung, die Wirkung des deutschen Scheidungsurteils nach dem für die Hauptfrage maßgeblichen türkischen Recht, d. h. seinen Vorschriften über die Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheidungen (Art. 34 ff., 42 türk. IPRG, Bergmann/Ferid, S. 17 f.), zu bestimmen. Danach entfaltet das deutsche Scheidungsurteil erst nach Anerkennung in der Türkei für den dortigen Rechtskreis Wirkung. Eine solche Anerkennung ist bisher nicht herbeigeführt. cc) Durch eine solche unselbständige Anknüpfung bei der Bestimmung des Namens der Bet. zu 1 wird die statusrechtliche Wirkung des deutschen Scheidungsurteils nicht in Frage gestellt. Selbstverständlich bleibt es dabei, dass die Bet. zu 1 für den deutschen Rechtskreis - unabhängig davon, ob ihre heimatliche Rechtsordnung die Scheidung anerkennt - geschieden ist. Das hindert nicht, im Rahmen der Namensbestimmung nach dem von Art. 10 I EGBGB berufenen türk. Recht die Sichtweise dieser Rechtsordnung zugrunde zu legen. Die verbreitete Auffassung, dass eine vom inländischen Gericht entschiedene Statusfrage stets gegenüber dem Hauptfragestatut verselbständigt werden müsste (vgl. OLG Düsseldorf, a. a. O., m. w. N.; Kropholler, Internationales Privatrecht, 4. Aufl., § 32 V), ist nicht zwingend (vgl. MünchKomm/Sonnenberger, BGB, 3. Aufl., Einl. IPR Rz. 516 f; Staudinger/Hepting, a. a. O., Art. 10 EGBGB Rz. 90, der allerdings dafür eintritt, die deutsche Entscheidung als maßgeblich zugrunde zu legen). dd) Einer selbständigen Anknüpfung mag allerdings dann der Vorrang einzuräumen sein, wenn andernfalls der interne Entscheidungseinklang unerträglich gestört wäre (vgl. etwa zu den namensrechtlichen Folgen einer Inlandsadoption, die im ausl. Heimatrecht des Angenommenen nicht anerkannt ist, OLG Karlsruhe, FamRZ 1999, 252 = IPRax 1998, 110). Gerade das ist hier aber nicht der Fall. Das nach türkischem Recht im Wege der unselbständigen Anknüpfung gewonnene Ergebnis, dass die Bet. zu 1 weiter den Namen S. führt, stimmt mit der deutschen Rechtsordnung überein. Nach deutschem Sachrecht behält die geschiedene Frau ihren Ehenamen (§ 1355 V S. 1 BGB). Wäre der Name der Bet. zu 1 nach deutschem Recht zu bestimmen, hieße sie S.; auf das deutsche Scheidungsurteil käme es insoweit nicht einmal an, da der Name der Bet. zu 1 mit oder ohne Scheidung S. wäre. Die Vorfrage der Scheidung stellt sich hier überhaupt nur bei Anwendung türk. Rechts. Ihre gleichwohl selbständige Anknüpfung nach deutschem Recht hätte das widersinnige Ergebnis zur Folge, dass die Bet. zu 1 einen Namen führen müsste, nämlich ihren vorehel. Namen E., den sie nach keiner Rechtsordnung - je für sich genommen - führen muss, der nicht in ihren türkischen Ausweispapieren steht und den sie nicht führen will. Es wäre also nicht nur der internationale Entscheidungseinklang gestört, sondern auch der interne, dem die selbständige Anknüpfung gerade dienen soll. Die hier vertretene Lösung wahrt hingegen den internationalen wie den internen Entscheidungseinklang. Bei dieser Sachlage sieht der Senat keinen vernünftigen Grund, im konkreten Fall bei der Bestimmung des Namens gemäß Art. 10 I EGBGB von der unselbständigen Anknüpfung abzuweichen. Im Hinblick auf die persönlichkeitsrechtliche Bedeutung der Namensführung (Art. 2 I GG) kommt nach Auffassung des Senats bei der vorliegenden Fallgestaltung dem Grundsatz des Entscheidungseinklangs das maßgebliche Gewicht zu. e) Der Name des Kindes leitet sich vom Namen der Mutter ab und ist ebenfalls S. Mit der Anerkennung der Vaterschaft hat der deutsche Staatsangehörige K. dem Kind die deutsche Staatsangehörigkeit vermittelt (§ 4 1 S. 1 und 2 StAG), und zwar rückwirkend bezogen auf den Zeitpunkt der Geburt; denn auch im Fall des § 4 I S. 2 StAG handelt es sich um den Tatbestand des Abstammungserwerbs durch Geburt (§ 3 Nr. 1 StAG; vgl. Staudinger/Hepting, a.a.O., Art. 10 Rz. 227; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl., § 4 Rz. 29, 36; Hepting/Gaaz, PStG, § 21 Rz. 144, und System. Darstellung IV-625, 627). Namensstatut des Kindes ist somit von Geburt an deutsches Recht (Art. 10 1 EGBGB); ob das Kind daneben die türk. Staatsangehörigkeit besitzt, ist kollisionsrechtlich ohne Belang (Art. 5 I S. 2 EGBGB). Nach deutschem Recht heißt das Kind wie seine allein sorgeberechtigte Mutter (§§ 1617a I, 1626a II BGB). f) Die landgerichtliche Entscheidung erweist sich somit in der Sache als zutreffend. Soweit das LG im Tenor seiner Entscheidung den Standesbeamten anweist, den Geburtseintrag zu „ändern", ist diese Anweisung vom Standesbeamten im Wege eines berichtigenden Randvermerks zu vollziehen. Einer Neufassung des landgerichtlichen Tenors durch den Senat bedarf es auch insoweit nicht. 3. Die Voraussetzungen einer Vorlage an den BGH nach § 28 II FGG im Hinblick auf die nachfolgend genannten Entscheidungen, in denen bei der Anwendung ausländischen Rechts von der Beachtlichkeit deutscher statusgestaltender Gerichtsentscheidungen ausgegangen wird, liegen nicht vor. Der BGH hat in seiner Entscheidung v. 12. 3. 1981 (FamRZ 1981, 651 = NJW 1981, 1900) die hier inmitten stehende Rechtsfrage nicht entschieden. Der dortige Fall betraf die selbständige Vorfragenanknüpfung im Rahmen eines ausländischen Erbstatuts; der BGH führt lediglich aus, dass das Scheidungsurteil eines deutschen Gerichts „insoweit" stets zu beachten sei. Die Entscheidung des KG v. 8. 2.1994 (FamRZ 1994, 1413 = StAZ 1994, 192) betraf die Ehelichkeitsanfechtung, diejenige des OLG Karlsruhe v. 30. 1. 1997 (FamRZ 1999, 252 = IPRax 1998, 110) die Adoption. Den zum Namensrecht nach Scheidung ergangenen Entscheidungen des OLG Düsseldorf v. 2.11.1998 (FamRZ 1999, 328 = StAZ 1999, 114, berichtigt 173) und des OLG Hamm v. 12.8.1999 (StAZ 1999, 370) lagen andere Sachverhalte zugrunde (keine deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes; wirksame Rechtswahl der Ehegatten).
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