Haftung eines Dritten aus culpa in contrahendo (Fallgruppe des wirtschaftlichen Eigeninteresses); Bedeutung des Mitverschuldenseinwands

BGH, Urt. v. 14. Januar 2002 - II ZR 184/99 - OLG Hamm - LG Hagen


Fundstelle:

NJW 2002, 1335


Zentrale Probleme:

Es geht um eine interessante Fallkonstellation der c.ic., d.h. nach neuem Recht der Haftung aus § 311 II, III i.V.m. § 241 II. Ohne daß die Entscheidung, bei der es nur noch um die Frage des Mitverschuldens nach § 254 BGB ging, problematisiert, bedarf es zur Haftungsbegründung der Beklagten, die offenbar nicht selbst Kreditnehmer waren, der Heranziehung der Grundsätze der Haftung Dritter aus c.i.c. Hier dürfte es sich wohl um die Fallgruppe des "wirtschaftlichen Eigeninteresses" oder um eine nunmehr in § 311 III  2 als Regelbeispiel festgehaltenen Fall der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens handeln (vgl. zu dieser Problematik etwa Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 373 ff). Zuzustimmen ist dem BGH auch in der geringen Rolle des Mitverschuldens: Ein Mitverschulden würde in der Regel schon die Haftungsbegründung ausschließen, weil dann ein schutzwürdiges Vertrauen gar nicht bestehen würde. M.a.W.: Entweder man darf auf die Aussagen des anderen vertrauen, dann besteht eine Haftung, oder eben nicht, dann besteht keine Haftung. Ein "bißchen Vertrauen" ist grundsätzlich nicht vorstellbar. Zu Recht wurde daher der Mitverschuldenseinwand in Fällen der Haftung aus c.i.c. wegen Verletzung der Aufklärungspflicht bereits bisher sehr restriktiv gehandhabt (s. etwa BGH LM § 276 (Hb) Nr. 15 = WM 1971, 74 ff: "Im übrigen kann in der Regel derjenige, der seine Vertragspflicht zur Erteilung richtiger Auskunft verletzt hat, gegenüber dem Ersatzanspruch des Geschädigten nach Treu und Glauben nicht geltend machen, diesen treffe um deswillen ein Mitverschulden, weil er der Auskunft vertraut und dadurch einen Mangel an Sorgfalt gezeigt habe". Anders kann dies bei bloß fahrlässiger Täuschung zu beurteilen sein, s. dazu BGH v. 22.2.2005 - X ZR 123/03.

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Amtlicher Leitsatz:

Zur Frage des Mitverschuldenseinwandes gegenüber einem auf Aufklärungsverschulden gestützten Schadenersatzanspruch, wenn der Geschädigte in besonderem Maße auf das Wort des ihm freundschaftlich verbundenen Schädigers vertraut hat.


Tatbestand:

Die Beklagte war die alleinige Kommanditistin der D. GmbH & Co. KG und zugleich Alleingesellschafterin von deren Komplementärin. Dem Kläger, der seit Gründung der Gesellschaft ihr Mitarbeiter und zuletzt für diese als Betriebsleiter tätig war, waren die Beklagte und ihr Ehemann freundschaftlich verbunden.

Ende 1995 war die KG in eine Krisensituation geraten, die die Hausbank der Gesellschaft veranlaßte, Umstrukturierungsmaßnahmen und eine Erweiterung der Kapitalgrundlage zu fordern. In diesem Zusammenhang wurden Gespräche mit dem Kläger geführt, die zum Ziel hatten, ihn als neuen Gesellschafter in beide Gesellschaften aufzunehmen. Während der Kläger annahm, er werde entsprechend seiner gegenüber der Beklagten und ihrem für sie die Verhandlungen führenden Ehemann geäußerten Erwartung "gleichberechtigt" beteiligt werden, bestand auf seiten der Beklagten und ihres Ehemanns eine solche Absicht nicht. Allerdings wurde dies dem Kläger gegenüber nicht offenbart. Dieser nahm einen Kredit von 200.000,00 DM auf, den er - im Vorgriff auf seine vorgesehene "gleichberechtigte" Beteiligung - an die KG weiterleitete, welche zunächst die jeweils fälligen Zins- und Tilgungszahlungen unmittelbar an die kreditgebende Bank leistete. Als die Kommanditgesellschaft im Juni/Juli 1996 diese Zahlungen einstellte, leisteten bis August 1996 Mitglieder der Familie der Beklagten die entsprechenden Beträge.

Im November 1996 wurde über das Vermögen der Kommanditgesellschaft das Konkursverfahren eröffnet. Der Kläger, der entgegen den früheren Absprachen an den Gesellschaften nicht beteiligt worden war, hat das Darlehen im Juli 1996 gekündigt und von der Beklagten Rückzahlung des offenen Saldos von 182.089,62 DM nebst Zinsen gefordert. Das Landgericht hat der Klage entsprochen, das Berufungsgericht hat ihr nur zur Hälfte stattgegeben. Von den hiergegen eingelegten Revisionen beider Parteien hat der Senat nur das Rechtsmittel des Klägers zur Entscheidung angenommen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß die Beklagte dem Kläger aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß auf Schadenersatz haftet. Obwohl dieser die Hingabe des Darlehens von 200.000,00 DM ausdrücklich von der Bereitschaft der Beklagten abhängig gemacht hatte, ihn "gleichberechtigt" an der KG und deren Komplementär-GmbH zu beteiligen, hat weder sie noch ihr Ehemann als ihr Verhandlungsvertreter ihm offenbart, daß die Beklagte zur Einräumung einer solchen Partnerschaft unter keinen Umständen bereit war. Sie hat im Gegenteil bei dem Kläger die Vorstellung geweckt, sie seien sich im Grundsatz über diese Beteiligung einig. Nur so ist es nach den rechtlich einwandfreien Feststellungen des Berufungsgerichtes überhaupt zu erklären, daß der Kläger den erheblichen Geldbetrag, den er sich erst auf dem Kreditwege beschaffen mußte, ohne jede Sicherheit für die Abwendung der Krisensituation der KG zur Verfügung gestellt hat.

Den Angriffen der Revision des Klägers hält dagegen die weitere Annahme des Berufungsgerichtes nicht stand, den Kläger treffe ein "erhebliches", zur Kürzung seines Schadenersatzanspruchs auf die Hälfte führendes Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB) an der Entstehung des Schadens, weil er das Darlehen ohne jede Sicherheit gewährt habe, obwohl ihm die angespannte finanzielle Lage der Gesellschaften bekannt gewesen sei. Bei dieser Beurteilung verkennt das Berufungsgericht nicht nur Bedeutung und Tragweite des § 254 BGB, es bezieht auch nicht sämtliche Umstände des Falles in seine Prüfung ein. Der Kläger war nicht nur langjähriger Mitarbeiter der KG, sondern der Beklagten und ihrer Familie auch persönlich eng verbunden. Das Berufungsgericht setzt sich darüber hinweg, daß der Kläger dem Wort seiner Freunde, in der Krisensituation des Unternehmens seien sie zur Absicherung seiner Rückzahlungsforderung außerstande, ebenso vertraut hat wie der von ihnen - wenn nicht, wie die Revision meint, geweckten, dann zumindest - aufrecht erhaltenen Erwartung, sie würden ihm alsbald nach der Behebung der unmittelbaren Krise eine gleichberechtigte Beteiligung an der KG und an deren Komplementär-GmbH einräumen. Dieses Vertrauen in das Wort von Freunden als erhebliches Mitverschulden zu werten, honorierte nicht nur in unangemessener Weise das Verhalten des Ehemanns der Beklagten, der deren wahre Absichten gegenüber dem Kläger pflichtwidrig zurückgehalten hat; es verfehlte vor allem den Sinn des wesentlich von § 242 BGB geprägten Mitverschuldenseinwandes (vgl. BGHZ 135, 235, 240 m.w.N.; Münch.Komm. z. BGB/Oetker, 4. Aufl. § 254 Rdn. 3), wenn man darin, daß der Kläger auf das Freundeswort vertraut hat, einen erheblichen Verstoß gegen das Gebot der eigenen Interessenwahrnehmung sehen wollte. Die Auffassung des Berufungsgerichtes hat zur Folge, daß das Verschulden des Gläubigers gegen sich selbst um so stärker ins Gewicht fällt, je gefestigter die Freundschaft der Beteiligten und demgemäß das dem anderen Teil entgegengebrachte Vertrauen ist, das der Schädiger durch Zurückhalten der gebotenen Informationen enttäuscht hat. Wenn dem Kläger, der ohne Arg gewesen ist, überhaupt eine Verletzung der eigenen Interessenwahrnehmung vorgeworfen werden kann, fällt sie gegenüber dem schadenstiftenden Verhalten der Beklagten nicht ins Gewicht.