Keine Übertragung der
Rechtsprechung der Sittenwidrigkeit von Angehörigenbürgschaften auf die
Bestellung einer Sicherungsgrundschuld
BGH, Urteil vom 19. Juni 2002 - IV ZR
168/01
Fundstelle:
NJW 2002, 2633
Zentrales Problem:
S. Leitsatz sowie die fett
markierten Passagen. Zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften naher
Angehöriger bei finanzieller Überforderung s. zuletzt BGH
NJW 2001, 815, BGH NJW
2001, 2466 sowie BGH NJW 2002, 744.
Zur Zweckerklärung einer Grundschuld als überraschende Klausel in AGB s.
BGH NJW 2002, 2710.
Amtl. Leitsatz:
Die zur Sittenwidrigkeit einer
Bürgschaft entwickelten Grundsätze sind auf die Bestellung einer
Sicherungsgrundschuld grundsätzlich nicht übertragbar.
Die Vorschrift des § 138 Abs. 1 BGB will den Sicherungsgeber insbesondere
nicht davor bewahren, einen Vermögensgegenstand als Sicherheit zu geben,
bei dessen Verwertung er neben wirtschaftlichen auch persönliche
Nachteile, wie etwa den Verlust des langjährig genutzten Eigenheimes,
erleidet (im Anschluß an BGH, Urteil vom 26.
April 2001 - IX ZR 337/98 - NJW 2001, 2466).
Tatbestand:
Die in den Jahren 1923 und 1922 geborenen Kläger wenden sich gegen die
Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde.
Sie sind Miteigentümer eines Grundstücks in D., das sie im Jahre 1963 mit
einem von ihnen selbst genutzten Reihenhaus bebauten. Am 29. Dezember 1997
bestellten sie zugunsten der Beklagten eine erstrangige Grundschuld über
150.000 DM und unterwarfen sich der sofortigen Zwangsvollstreckung in das
belastete Grundstück. Die Grundschuld besicherte gemäß Zweckerklärung vom
selben Tage einen Kredit über 150.000 DM und drei weitere Darlehen über
insgesamt 53.500 DM, die die Beklagte dem Schwiegersohn der Kläger gewährt
hatte. Den Kredit über 150.000 DM verwandte dieser, um Verbindlichkeiten
der CT C. GmbH & Co KG bei der Beklagten zurückzuführen. Dadurch sollte
die Kapitalausstattung der Gesellschaft, an der er als Kommanditist zu 50%
beteiligt war, verbessert werden. Nach seinem Tode im Jahre 1999 wurden
die Kredite nicht mehr bedient. Die Beklagte begann daraufhin mit der
Verwertung der ihr von den Klägern begebenen Sicherheit.
Das Landgericht hat die Vollstreckungsabwehrklage abgewiesen. Die Berufung
der Kläger hatte Erfolg. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel der Beklagten ist begründet. Es führt zur Aufhebung
der angefochtenen Entscheidung und zur Wiederherstellung des
landgerichtlichen Urteils.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichtes ist die Grundschuldbestellung
sittenwidrig gemäß § 138 Abs. 1 BGB. Den Klägern stehe daher ein Anspruch
auf Rückübertragung der Grundschuld zu, den sie im Wege der
Vollstreckungsabwehrklage geltend machen könnten. Die Grundsätze, die der
Bundesgerichtshof zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften entwickelt habe,
seien auf das Sicherungsmittel der Grundschuld übertragbar. Die
wirtschaftliche Belastung für die Kläger sei in beiden Fällen
vergleichbar. Die betagten Kläger hätten sich allein aufgrund familiärer
Bindung zur Übernahme eines nach ihren finanziellen Verhältnissen
unvertretbar hohen Haftungsrisikos gedrängt gefühlt, um dem Schwiegersohn
die Aufnahme eines die Existenzgrundlage ihrer Tochter und ihrer vier
Enkelkinder sichernden Kredits zu ermöglichen. Durch die bestellte
Grundschuld seien sie krass überfordert. Es sei bereits im Dezember 1997
nicht zu erwarten gewesen, daß sie aus ihrem Renteneinkommen die
abgesicherten Verbindlichkeiten wenigstens zu wesentlichen Teilen hätten
tilgen oder auch nur die Zinsleistungen hätten erbringen können, ohne
dabei das ihnen zu belassende Existenzminimum von monatlich 1.857 DM zu
unterschreiten. Die Veräußerung des ihrer Lebensgrundlage dienenden
Hausgrundstücks bedeute eine unzumutbare Härte. Selbst wenn den Klägern
der nach Abzug ihrer Verpflichtungen übersteigende Erlös verbleibe, reiche
dieser nicht, um ihre altersgemäße Unterbringung und Betreuung
sicherzustellen.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann eine
Bürgschaft sittenwidrig und damit nichtig sein, wenn ihr
Verpflichtungsumfang die finanzielle Leistungfähigkeit des Bürgen
erheblich übersteigt und weitere Umstände hinzukommen, durch die ein
unerträgliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern hervorgerufen
wird, welches die Verpflichtung des Bürgen auch unter Berücksichtigung der
berechtigten Belange des Gläubigers als rechtlich nicht mehr hinnehmbar
erscheinen läßt. Das gilt im besonderen Maße für eine Haftungsübernahme,
die aus emotionaler Verbundenheit mit dem Schuldner erfolgt (vgl. BGH,
Urteil vom 14. Mai 2002 - XI ZR 50/01 - unter II 1 zur Veröffentlichung in
BGHZ bestimmt; BGHZ 137, 330, 332 f.; 132, 328, 329 f.; 128, 230, 232;
BGHZ 125,
206 f.)
Diese Grundsätze finden hier jedoch keine Anwendung. Die Kläger sind
der Beklagten nicht aus einer Bürgschaft verpflichtet. Ihre ausschließlich
dingliche Haftung beruht auf der Grundschuldbestellung vom 29. Dezember
1997. Haftungsgrundlage ist die mit dem Grundpfandrecht belastete
Immobilie. Allein wegen dieses Vermögensgegenstandes laufen die Kläger
Gefahr, wegen der besicherten Verbindlichkeiten in Anspruch genommen zu
werden. Schon das steht einer Gleichsetzung mit einem Bürgen, der mit
seinem gesamten Einkommen und Vermögen der Haftung unterliegt, entgegen.
Wegen ihrer dinglich beschränkten Haftung droht den Klägern keine
weitergehende Inanspruchnahme. Anders als beim Bürgen kann sich ein
besonders grobes Mißverhältnis zwischen der übernommenen
Zahlungsverpflichtung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
grundsätzlich nicht ergeben. Können die Kläger über die von ihnen
gestellte Sicherheit die Verbindlichkeiten ihres verstorbenen
Schwiegersohnes nicht zurückführen, ist der Beklagten der Zugriff auf
laufende Renteneinkünfte oder auf das übrige Vermögen verwehrt.
2. Durch den Einsatz ihres Grundstücks als Sicherheit haben die Kläger
zudem gezeigt, daß sie über Vermögen verfügen. Das unterscheidet sie von
einem finanziell nicht leistungsfähigen Bürgen. Den im Falle einer
Zwangsversteigerung zu erzielenden Erlös haben die Kläger in ihrem
Schreiben an die Beklagte vom 13. Januar 2000 mit 300.000 DM bis 350.000
DM beziffert. Das Grundstück verkörpert damit wenigstens diesen
Vermögenswert. Es fehlt auch deshalb an einer krassen wirtschaftlichen
Überforderung der Kläger als objektiver Voraussetzung für eine
Sittenwidrigkeit. Der Sicherungsgeber kann sich auf den Schutz des § 138
Abs. 1 BGB nur berufen, wenn die Bank ihn unter Übergewichtung der eigenen
wirtschaftlichen Interessen in eine Verschuldung genommen hat, aus der er
sich wegen der ihn überfordernden Zins- und Tilgungsleistungen aus eigener
Kraft nicht mehr befreien kann. Davon kann im Falle der Kläger nicht die
Rede sein. Die Vorschrift des § 138 Abs. 1 BGB will den Sicherungsgeber
nicht davor bewahren, einen Vermögensgegenstand als Sicherheit zu geben,
bei dessen Verwertung er neben wirtschaftlichen auch persönliche
Nachteile, wie etwa den Verlust des langjährig genutzten Eigenheimes,
erleidet. Der Einsatz des einzigen oder letzten Vermögensgutes als
Sicherungsmittel ist nicht ohne weiteres verwerflich im Sinne des § 138
Abs. 1 BGB. Auch bei einem Bürgen in derselben Situation bestünde kein
Mißverhältnis zwischen Verpflichtungsumfang und Leistungsfähigkeit, selbst
wenn er die gesamte Bürgschaftsschuld nur durch Verwertung des von ihm
bewohnten Hauses zu tilgen vermag. Die Bestimmung des § 138 Abs. 1 BGB hat
regelmäßig nicht den Zweck, das Eigenheim eines Bürgen auf Dauer zu
erhalten, auch wenn dessen Einkommen die Pfändungsfreibeträge nur in
begrenztem Umfang übersteigt. Ebensowenig schützt die Norm die Möglichkeit
eines dauerhaften mietfreien Wohnens (BGH,
Urteil vom 26. April 2001 - IX ZR 337/98 - NJW 2001, 2466 unter II
1). Das hat erst recht für den dinglichen Sicherheitengeber zu gelten, der
nur einen konkreten Vermögensgegenstand als Sicherheit zur Verfügung
stellt und sich keiner persönlichen Zahlungsverpflichtung aussetzt.
3. Das Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig.
a) Weitergehende Anhaltspunkte für eine Sittenwidrigkeit sind nicht
erkennbar. Die Kläger haben ihr Vorbringen nicht substantiiert, der
Beklagten sei schon bei Bestellung der Grundschuld am 30. Dezember 1997
die wirtschaftlich desolate Situation der GmbH bekannt gewesen. Die
Beklagte hat sich unwiderlegt dahin eingelassen, die Gesellschaft habe im
Jahre 1996 187.000 DM und im Jahre 1997 161.000 DM als Jahresgewinn
erzielt. Auf die negative Entwicklung der Gesellschaft und auf Verluste in
Höhe von 97.000 DM, die sich durch Privatentnahmen der Gesellschafter auf
insgesamt 251.000 DM erhöht hätten, sei sie erst nach Entgegennahme der
Sicherheit durch die betriebswirtschaftliche Auswertung für den Monat
Dezember 1998 aufmerksam geworden. Somit ist nichts dafür ersichtlich,
daß die Beklagte den Klägern eine hoffnungslose Lage der Gesellschaft
verschwiegen und nach weiteren Sicherheiten verlangt hat, ohne daß diese
zur Sanierung der GmbH noch hätten beitragen können. Vielmehr hat sie
lediglich ihre eigenen und berechtigten Sicherungsinteressen wahrgenommen
(vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2001 aaO
unter II 2 a und b).
b) Aus den gleichen Gründen haben die Kläger keinen Wissensvorsprung
belegt, der die Beklagte zur Aufklärung über die wirtschaftliche Lage der
Gesellschaft hätte veranlassen müssen. Auch aus dem Schreiben vom 29.
Oktober 1997 geht ein solcher, den Klägern nicht offenbarter
Wissensvorsprung nicht hervor. Die Beklagte legt darin nur die Absicht der
Gesellschafter dar, der CT C. GmbH & Co KG durch die Umwandlung von
Fremdmitteln in Eigenmittel neues Kapital zuzuführen. Es besagt nicht, daß
die Beklagte davon ausging, der Gesellschaft fehle es insgesamt an der
wirtschaftlichen Tragfähigkeit.
c) Über die allgemeinen Risiken, die mit einer Sicherheitenbegebung
verbunden sind, brauchte die Beklagte die Kläger nicht aufzuklären. Sie
durfte annehmen, daß sich die Kläger über die entscheidenden Umstände
selbst unterrichteten und sich über die Art und den Umfang ihrer
Einstandspflicht Klarheit verschafften. Es war nicht die rechtliche
Aufgabe der Beklagten, den Klägern die Nachteile und Gefahren zu
verdeutlichen, die mit der Grundschuldbestellung einhergehen konnten, es
sei denn, sie hätte aufgrund besonderer - hier nicht dargelegter -
Umstände des Einzelfalles davon ausgehen müssen, daß die Kläger als
Sicherungsgeber über die Risiken nicht hinreichend unterrichtet waren
(vgl. BGH, Urteile vom 15. April 1997 - IX ZR
112/96 - WM 1997, 1045 unter I 4; vom 7. Mai 1987 - IX ZR 198/85 - ZIP
1987, 764 unter 3 d; jeweils zur Bürgschaft). |