Sittenwidrigkeit der Mithaftung naher Angehöriger: Abgrenzung des
"gleichberechtigten Mitdarlehnsnehmers" zum bloßen Mithaftenden
(Sicherungsgeber); Bedeutung der Solvenz des Hauptschuldners und
freiwilliger Zuwendungen Dritter für die Frage der "finanziellen
Überforderung" BGH, Urteil vom 28. Mai 2002 - XI ZR 205/01 - OLG Düsseldorf - LG Wuppertal Fundstelle: NJW 2002, 2705 Zentrale Probleme: Amtl. Leitsatz: Zur Abgrenzung zwischen Mitdarlehensnehmerschaft und einseitig verpflichtender Mithaftung eines einkommens- und vermögenslosen Ehepartners. Tatbestand: Die Parteien streiten vor allem noch über die Wirksamkeit einer Mitverpflichtung der Beklagten aus einem Darlehensvertrag. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Am 15. Juli 1994 gewährte die klagende Sparkasse dem Beklagten zu 2), einem Immobilienmakler, ein variabel verzinsliches Darlehen über 800.000 DM zu einem Zinssatz von zunächst 6,75% p.a., rückzahlbar in monatlichen Zins- und Tilgungsraten von anfänglich 5.170 DM. Der Vertrag wurde von der Beklagten zu 1) (nachfolgend: Beklagte), seiner Ehefrau, mitunterzeichnet. Nach dem Willen der Vertragsparteien sollte mit dem Kredit das von ihrem Ehemann am 19. April 1994 allein erworbene Hausgrundstück finanziert werden. Gesichert wurden das Darlehen sowie alle bestehenden und künftigen, auch bedingten oder befristeten Forderungen der Klägerin gegen die Darlehensnehmer durch eine Grundschuld über 1,07 Millionen DM an dem vom Ehemann der Beklagten erworbenen Grundstück. Nachdem mehrere Zins- und Tilgungsraten nicht geleistet worden waren, kündigte die Klägerin den Darlehensvertrag mit Schreiben vom 24. Mai 1996 fristlos. In der Folgezeit betrieb sie die Zwangsversteigerung der belasteten Immobilie und verrechnete den ihr zugeflossenen Erlös von 730.101,86 DM vorrangig mit anderen Forderungen gegen den Ehemann der Beklagten, so daß nur noch ein Betrag von 161.392,68 DM auf das ausgereichte Darlehen entfiel. Die vermögenslose Beklagte, die nach ihren Angaben zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im sechsten Monat schwanger und deshalb nicht mehr in der Lage war, ihrer mit maximal 1.200 DM brutto monatlich vergüteten Halbtagstätigkeit im Büro ihres Ehemannes nachzugehen, ist der Auffassung: Die Mitunterzeichnung des Darlehensvertrages stelle eine sie finanziell kraß überfordernde und überdies wegen besonders belastender Umstände sittenwidrige Schuldmitübernahme dar. Das Landgericht hat der Klage zum großen Teil stattgegeben und die beklagten Eheleute wegen des geltend gemachten Darlehensrückzahlungsanspruchs als Gesamtschuldner zur Zahlung von 597.255,45 DM zuzüglich Zinsen verurteilt. Ihre Berufungen sind erfolglos geblieben. Von den beiden Revisionen ist nur die der Beklagten angenommen worden. Entscheidungsgründe: Die Revision der Beklagten ist begründet; sie führt bezüglich des ihr gegenüber geltend gemachten Darlehensrückzahlungsanspruchs zur Abweisung der Klage. I. Das Berufungsgericht hat die Mitunterzeichnung des Darlehensvertrages durch die Beklagte für eine wirksame Mithaftungserklärung gehalten und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Die von der Beklagten übernommene Mithaftung überfordere sie trotz fehlenden eigenen Einkommens und Vermögens nicht in krasser Weise. Eine andere Betrachtungsweise lasse die Besonderheit außer acht, daß das Darlehen nicht für lange Zeit habe aufgenommen werden müssen, sondern nur deshalb, weil der Kaufpreis von 3,3 Millionen DM für die von ihrem Ehemann veräußerte Gesellschaftsbeteiligung noch nicht bezahlt worden sei. Daß die Kaufpreisforderung schon bei der Kreditaufnahme endgültig uneinbringlich gewesen sei, sei von der Beklagten nicht schlüssig vorgetragen. Vor allem stehe der Annahme einer krassen finanziellen Überforderung entgegen, daß sie aufgrund der mit ihrem Ehemann getroffenen Vereinbarungen über die Mithaftungsübernahme im Innenverhältnis einen gleich hohen Aufwendungserstattungs- oder Ausgleichsanspruch erworben habe. Diese Ansprüche seien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses durchaus realisierbar gewesen, weil die Eheleute damals noch die Kaufpreiszahlung für die veräußerten Geschäftsanteile erwartet hätten. Außerdem sei nicht schlüssig vorgetragen, daß die Beklagte nicht bereits bei Abgabe der Mithaftungserklärung mit der finanziellen Unterstützung ihrer Schwiegereltern habe rechnen können. Dagegen sprächen zumindest die erheblichen Geldbeträge über rund 800.000 DM, die diese ihr ab Dezember 1995, also schon vor der Inanspruchnahme durch die Klägerin hätten zukommen lassen. Den Beweis, daß die Mithaftungsübernahme nach einer verharmlosenden Erklärung der Klägerin nur "pro forma" habe erfolgen sollen oder von ihr erzwungen worden sei, sei die Beklagte schuldig geblieben. II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand. Die durch die Mitunterzeichnung des Darlehensvertrages über 800.000 DM übernommene Mithaftung der Beklagten verstößt, wie die Revision zutreffend rügt, gemäß § 138 Abs. 1 BGB gegen die guten Sitten und ist damit nichtig. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, die einkommens- und vermögenslose Beklagte sei nicht finanziell kraß überfordert, ist unhaltbar. 1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichtes, daß die Beklagte durch die Mitunterzeichnung des Darlehensvertrages nach dem Willen aller Beteiligten keine gleichberechtigte Kreditnehmerin, sondern bloße Mithaftende werden sollte. a) Echter Mitdarlehensnehmer ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur, wer ein eigenes - sachliches und/oder persönliches - Interesse an der Kreditaufnahme hat und als im wesentlichen gleichberechtigter Partner über die Auszahlung sowie die Verwendung der Darlehensvaluta mitentscheiden darf (BGHZ 146, 37, 41; Senatsurteile vom 6. Oktober 1998 - XI ZR 244/97, WM 1998, 2366 f. und vom 4. Dezember 2001 - XI ZR 56/01, WM 2002, 223, 224). Ob diese Voraussetzungen im konkreten Einzelfall erfüllt sind, beurteilt sich ausschließlich nach den für die finanzierende Bank erkennbaren Verhältnissen auf seiten der Mitdarlehensnehmer. Die kreditgebende Bank hat es daher nicht in der Hand, etwa durch eine im Darlehensvertrag gewählte Formulierung wie z.B. "Mitdarlehensnehmer", "Mitantragsteller", "Mitschuldner" oder dergleichen einen bloß Mithaftenden zu einem gleichberechtigten Mitdarlehensnehmer zu machen und dadurch den Nichtigkeitsfolgen des § 138 Abs. 1 BGB zu entgehen (st.Rspr., siehe z.B. Senatsurteil vom 4. Dezember 2001 - XI ZR 56/01, aaO S. 224 m.w.Nachw.). Danach durfte das Berufungsgericht die Willenserklärung der Beklagten bei wertender Betrachtung gemäß §§ 133, 157 BGB durchaus als Schuldmitübernahme deuten. Zwar hat es seine Auffassung nicht einmal ansatzweise begründet, sondern eine Mitgläubiger- und gleichgründige Gesamtschuldnerschaft der Eheleute offenbar erst gar nicht in Betracht gezogen. Da in dieser Frage weiterer Sachvortrag der Prozeßparteien nicht zu erwarten ist, kann der erkennende Senat aber die gebotene Vertragsauslegung selbst vornehmen (vgl. etwa BGHZ 124, 39, 45). b) Nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragschließenden diente die Kreditaufnahme über 800.000 DM ausschließlich zur Finanzierung des Kaufpreises für das nur vom Ehemann der Beklagten bereits vor Abschluß des Darlehensvertrags erworbene Hausgrundstück. Dafür, daß die Beklagte gleichwohl über die Auszahlung und Verwendung der Darlehensvaluta als im wesentlichen gleichberechtigte Vertragspartei mitbestimmen durfte und von einem solchen Recht ganz oder teilweise Gebrauch gemacht hat, ist nichts ersichtlich. Nach ihrer unwiderlegten Darstellung ist vielmehr davon auszugehen, daß sie, die mit dem Kauf der "Jugendstilvilla" nicht einverstanden war, aufgrund der mit ihrem Ehemann getroffenen Vereinbarung lediglich die Mithaftung für das Darlehen übernehmen sollte. Der Umstand, daß die zu finanzierende Immobilie bis zur Zwangsversteigerung durch die Klägerin von der ganzen Familie der Beklagten bewohnt wurde, deutet entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung keineswegs darauf hin, daß die Beklagte gleichberechtigte Mitdarlehensnehmerin sein sollte, sondern lenkt nur den Blick auf einen regelmäßig nicht einmal zuverlässig feststellbaren und häufig nur flüchtigen mittelbaren Vorteil der Beklagten aus der Kreditaufnahme. 2. Anders als das Berufungsgericht angenommen hat, überforderte die Mithaftungsübernahme die Beklagte von Anfang an finanziell in krasser Weise, ohne daß sich für die Klägerin entlastende Momente finden lassen. a) Nach der inzwischen übereinstimmenden Rechtsprechung des IX. und des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes liegt eine solche Überforderung des Bürgen oder Mitverpflichteten bei nicht ganz geringen Bankschulden grundsätzlich vor, wenn er voraussichtlich nicht einmal die von den Darlehensvertragsparteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens und Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalls dauerhaft tragen kann. In einem solchen Falle krasser finanzieller Überforderung ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung ohne Hinzutreten weiterer Umstände widerleglich zu vermuten, daß der dem Hauptschuldner persönlich nahestehende Bürge oder Mithaftende die für ihn ruinöse Personalsicherheit allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (BGHZ 136, 346, 351; 146, 37, 47; BGH, Urteil vom 27. Januar 2000 - IX ZR 198/98, WM 2000, 410, 411; Senatsurteile vom 13. November 2001 - XI ZR 82/01, WM 2002, 125, 126, vom 4. Dezember 2001 - XI ZR 56/01, WM 2002, 223, 224 und vom 14. Mai 2002 - XI ZR 50/01, Umdruck S. 6 und - XI ZR 81/01, Umdruck S. 6, beide zur Veröffentlichung vorgesehen). b) So ist es hier. Nach dem unwidersprochenen Sachvortrag der Beklagten war sie zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im sechsten Monat schwanger, nicht mehr halbtags in dem Betrieb ihres Ehemannes als Bürokraft tätig und infolgedessen ohne eigenes Einkommen. Da eine ganztätige Berufsausübung mit einem erheblich höheren Monatsgehalt als die vorher bezogenen 1.200 DM brutto in absehbarer Zeit nicht realistisch erschien und ein eigenes nennenswertes Vermögen nicht vorhanden war, konnte sie aus der maßgebenden Sicht eines rational handelnden Kreditgebers voraussichtlich auch zukünftig nicht einmal die im Darlehensvertrag vereinbarten Zinsen von mehr als 4.000 DM monatlich allein aufbringen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes liegen auch keine besonderen Umstände vor, die es rechtfertigen, eine krasse finanzielle Überforderung der Beklagten zu verneinen. aa) Darauf, ob der gesamte Kredit nach dem Willen der Vertragsschließenden schon nach kurzer Zeit mit dem Erlös aus dem Verkauf der Gesellschaftsbeteiligung des Ehemannes der Beklagten wieder zurückgezahlt werden sollte, kommt es - wie die Revision zu Recht geltend macht - nicht entscheidend an. Wenn das Berufungsgericht von der Beklagten den Nachweis verlangt, daß die Kaufpreisforderung über 3,3 Millionen DM bereits bei Abgabe der sonst ruinösen Mithaftung endgültig uneinbringlich gewesen sei, verkennt es, daß bei der Beurteilung der finanziellen Überforderung allein auf die Leistungsfähigkeit des Mithaftenden abzustellen ist (BGHZ 146, 37, 43; BGH, Urteil vom 27. Januar 2000 - IX ZR 198/98, WM 2000, 410, 412) und die Mithaftungserklärung gerade dann zum Tragen kommen soll, wenn der Hauptschuldner (unvorhergesehen) seiner Verpflichtung nicht nachkommt. Im übrigen enthält der Darlehensvertrag, der die Zinsanpassung für einen Zeitraum von 10 Jahren regelt, keinerlei Hinweis darauf, daß es sich nach dem ursprünglichen Willen der Vertragsparteien nur um eine kurzfristige Zwischenfinanzierung handeln sollte. bb) Auch die weitere Annahme des Berufungsgerichtes, der Beklagten habe als bloße Mithaftende jedenfalls zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Innenverhältnis ein die krasse finanzielle Überforderung voll ausgleichender Aufwendungsersatz- oder Ausgleichsanspruch gegen ihren primär haftenden Ehemann zugestanden, trägt die getroffene Entscheidung nicht. Eine Bürgschaft oder Mithaftung wird, wie dargelegt, von dem Betroffenen regelmäßig für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners oder anderer vergleichbarer Leistungshindernisse übernommen. Nach gefestigter Rechtsprechung sowohl des IX. als auch des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes (siehe z.B. Senat BGHZ 146, 37, 43 m.w. Nachw.) ist bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Personalsicherheit daher die bei Vertragsabschluß vielleicht noch vorhandene Finanzkraft des Darlehensnehmers grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, sondern nur das pfändbare Einkommen und Vermögen des Sicherungsgebers. Davon ausgehend ist von vornherein ausgeschlossen, daß schuldrechtliche Befreiungs- oder Regreßansprüche des Bürgen oder Mithaftenden gegen den Hauptschuldner, zumal wenn sie - wie hier - völlig ungesichert sind, bei der Prüfung der Wirksamkeit der Bürgschaft oder Mithaftung eine Rolle spielen. cc) Rechtsfehlerhaft ist auch die Berücksichtigung von Zuwendungen der Schwiegereltern bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Beklagten. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestand keine hinreichend gesicherte Aussicht der Beklagten auf eine gegenüber der Darlehenssumme ins Gewicht fallende finanzielle Unterstützung durch ihre Schwiegereltern. Denn abgesehen davon, daß die Gelder nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vortrag erst ab Dezember 1995, also nach der bereits im Sommer 1994 abgegebenen Mithaftungserklärung geflossen sind, handelt es sich durchweg um Leistungen, auf die sie keinen Anspruch hatte und die auch nicht, wie es grundsätzlich erforderlich gewesen wäre (vgl. BGHZ 132, 328, 336), zum Gegenstand von Verhandlungen über ihre künftig zu erwartende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gemacht worden sind. dd) An der krassen finanziellen Überforderung der Beklagten ändert schließlich auch die von ihrem Ehemann bestellte Grundschuld über 1,07 Millionen DM nichts. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind anderweitige Sicherheitsleistungen des Kreditnehmers - vor allem dingliche Sicherheiten - grundsätzlich nur dann zu berücksichtigen, wenn sie das Mithaftungsrisiko des Betroffenen in rechtlich gesicherter Weise auf ein vertretbares Maß beschränken (vgl. etwa BGHZ 136, 347, 352 f.; Senat BGHZ 146, 37, 44 m.w.Nachw.). Diese engen Voraussetzungen erfüllt die Grundschuld, die - insoweit rechtlich unbedenklich - nicht nur das Darlehen über 800.000 DM, sondern auch alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen der Klägerin gegen den Ehemann der Beklagten sichern sollte, nicht (vgl. Nobbe/Kirchhof BKR 2001, 5, 10). c) Nach der zitierten ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (siehe z.B. Senat BGHZ 146, 37, 45; Urteil vom 4. Dezember 2001 - XI ZR 56/01, aaO S. 225) lag es demnach bei der Klägerin, im einzelnen darzulegen und notfalls zu beweisen, daß die Beklagte die ruinöse Mithaftung entgegen der allgemeinen Lebenserfahrung nicht aus emotionaler Bindung an ihren Ehemann, sondern aufgrund eines im wesentlichen autonomen und eigenverantwortlichen Entschlusses übernommen hat. Dafür ist jedoch nichts vorgetragen oder den Umständen zu entnehmen. III. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.). Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.) und die Klage gegen die Beklagte abweisen, soweit sie sich auf Rückzahlung des restlichen Darlehens richtet. |