Darlehensvertrag als Haustürgeschäft; (fehlende)
Richtlinienkonformität der absoluten Verfristung des Widerrufsrechts
bei Haustürgeschäften in Fällen fehlender Belehrung
EuGH, Urt. v. 13.12.2001, Rs C-481/99 (Heininger ./. Bayerische Hypo-
und Vereinsbank AG)
Fundstelle:
NJW 2002, 281
Zentrale Probleme:
In der Entscheidung geht es um zwei vom
BGH (NJW 2000, 521) dem EuGH gem Art. 234 EGV vorgelegte Fragen zur sog.
"Haustürgeschäfterichtlinie", welche den europarechtlichen
Hintergrund des bisherigen HtWiG (nunmehr §§ 312, 312a, 355 - 357 BGB)
darstellt. Hierbei geht es um die vom EuGH bejahte Frage der
Anwendbarkeit der Richtlinie (und damit von § 312 BGB) auf
"Realkreditverträge", d.h. grundpfandrechtlich gesicherte
Darlehensverträge. Die Problematik stellt sich nach der
Schuldrechtsreform ebenso wie bisher.
Gleiches gilt für die zweite Frage der Richtlinienkonformität der
absoluten Verfristung des Widerrufsrechts bei Belehrungsfehlern (bisher:
§ 2 HtWiG, nunmehr § 355 III BGB). Nach dem vorliegenden Urteil ist §
355 III BGB zumindest für den Bereich der sog.
"Haustürgeschäfte" europarechtswidrig.
Zum Fortgang des Verfahrens vor dem BGH s. BGH
NJW 2002, 1881 sowie BGH NJW 2003, 424.
Zur Reaktion des Gesetzgebers s. Art. 25 Abs. 1 Nr. 6 des
Gesetzes zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor
den Oberlandesgerichten (Änderung von § 355 III BGB)
Urteilstenor:
1. Die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den
Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen
Verträgen ist dahin auszulegen, dass sie auf einen Realkreditvertrag wie den
im Ausgangsverfahren fraglichen anwendbar ist, so dass der Verbraucher, der
einen derartigen Vertrag in einem der in Artikel 1 dieser Richtlinie genannten
Fälle geschlossen hat, über das Widerrufsrecht nach Artikel 5 der Richtlinie
verfügt.
2. Der nationale Gesetzgeber ist durch die Richtlinie 85/577 daran
gehindert, das Widerrufsrecht nach Artikel 5 dieser Richtlinie für den Fall,
dass der Verbraucher nicht gemäß Artikel 4 dieser Richtlinie belehrt wurde,
auf ein Jahr nach Vertragsabschluss zu befristen.
Aus den Gründen:
1.
Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 29. November 1999, beim
Gerichtshof eingegangen am 20. Dezember 1999, gemäß Artikel 234 EG zwei Fragen
nach der Auslegung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985
betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen
geschlossenen Verträgen (ABl. L 372, S. 31, nachfolgend:
Haustürgeschäfterichtlinie) und der Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22.
Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der
Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (ABl. 1987, L 42, S. 48) in der
Fassung der Richtlinie 90/88/EWG des Rates vom 22. Februar 1990 (ABl. L 61, S.
14) (nachfolgend: Verbraucherkreditrichtlinie) zur Vorabentscheidung
vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn und Frau
Heininger (nachfolgend: Kläger) und der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG
(nachfolgend: Beklagte) wegen des Widerrufs eines grundpfandrechtlich
abgesicherten Kreditvertrags.
Das Gemeinschaftsrecht
3.
In Artikel 1 Absatz 1 der Haustürgeschäfterichtlinie heißt es:
Diese Richtlinie gilt für Verträge, die zwischen einem Gewerbetreibenden,
der Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt, und einem Verbraucher
geschlossen werden:
- während eines vom Gewerbetreibenden außerhalb von dessen Geschäftsräumen
organisierten Ausflugs oder
- anlässlich eines Besuchs des Gewerbetreibenden
i) beim Verbraucher in seiner oder in der Wohnung eines anderen
Verbrauchers,
...
sofern der Besuch nicht auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers erfolgt.
4.
Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe a dieser Richtlinie bestimmt:
Diese Richtlinie gilt nicht für
a) Verträge über den Bau, den Verkauf und die Miete von Immobilien sowie
Verträge über andere Rechte an Immobilien;
...
5.
In Artikel 4 der Richtlinie heißt es:
Der Gewerbetreibende hat den Verbraucher bei Geschäften im Sinne des
Artikels 1 schriftlich über sein Widerrufsrecht innerhalb der in Artikel 5
festgelegten Fristen zu belehren und dabei den Namen und die Anschrift einer
Person anzugeben, der gegenüber das Widerrufsrecht ausgeübt werden kann.
...
Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass ihre innerstaatlichen
Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers vorsehen,
wenn die in diesem Artikel vorgesehene Belehrung nicht erfolgt.
6.
Nach Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie besitzt der Verbraucher das Recht,
von der eingegangenen Verpflichtung zurückzutreten, indem er dies innerhalb
von mindestens sieben Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem ihm die in Artikel 4
genannte Belehrung erteilt wurde, entsprechend dem Verfahren und unter
Beachtung der Bedingungen, die im einzelstaatlichen Recht festgelegt sind,
anzeigt.
7.
Artikel 8 der Richtlinie bestimmt, dass diese die Mitgliedstaaten nicht
daran [hindert], noch günstigere Verbraucherschutzbestimmungen auf dem Gebiet
dieser Richtlinie zu erlassen oder beizubehalten.
8.
In Artikel 1 Absätze 1 und 2 Buchstabe c der Verbraucherkreditrichtlinie
heißt es:
(1) Diese Richtlinie findet auf Kreditverträge Anwendung.
(2) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:
...
c) .Kreditvertrag' einen Vertrag, bei dem ein Kreditgeber einem Verbraucher
einen Kredit in Form eines Zahlungsaufschubs, eines Darlehens oder einer
sonstigen ähnlichen Finanzierungshilfe gewährt oder zu gewähren verspricht.
...
9.
Artikel 2 dieser Richtlinie sieht Folgendes vor:
(1) Diese Richtlinie findet keine Anwendung:
a) auf Kreditverträge oder Kreditversprechen, die
- hauptsächlich zum Erwerb oder zur Beibehaltung von Eigentumsrechten an
einem Grundstück oder einem vorhandenen oder noch zu errichtenden Gebäude ...
bestimmt sind;
...
(3) Artikel 1a und die Artikel 4 bis 12 finden keine Anwendung auf durch
Grundpfandrechte gesicherte Kreditverträge oder Kreditversprechen, soweit
diese nicht bereits aufgrund von Absatz 1 Buchstabe a) des vorliegenden
Artikels vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen sind.
...
10.
Nach Artikel 15 der Richtlinie hindert [diese] die Mitgliedstaaten nicht,
in Übereinstimmung mit ihren Verpflichtungen aus dem Vertrag weiter gehende
Vorschriften zum Schutz der Verbraucher aufrechtzuerhalten oder zu erlassen.
Das nationale Recht
11.
Das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen
Geschäften (HWiG) vom 16. Januar 1986 (BGBl. I S. 122) sieht in § 1 ein
Widerrufsrecht des Verbrauchers vor, so dass ein außerhalb der Geschäftsräume
des Gewerbetreibenden abgeschlossenes Geschäft erst wirksam wird, wenn der
Verbraucher seine Willenserklärung nicht binnen einer Frist von einer Woche
schriftlich widerruft. Der Lauf der Frist beginnt nach § 2 Absatz 1 HWiG erst,
wenn dem Verbraucher eine schriftliche Belehrung ausgehändigt worden ist, die
den im Gesetz vorgesehenen inhaltlichen Anforderungen entspricht. Wird eine
solche Belehrung nicht ausgehändigt, so erlischt das Widerrufsrecht des
Verbrauchers erst einen Monat nach beiderseits vollständiger Erbringung der
Leistung.
12.
§ 5 Absatz 2 HWiG enthält eine Ausnahme vom Anwendungsbereich des
Haustürwiderrufsgesetzes, indem er für den Fall, dass ein Geschäft im Sinne
des § 1 Absatz 1 HWiG zugleich unter das Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG)
vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2840) fällt, vorsieht, dass nur die
Vorschriften dieses Gesetzes anzuwenden sind.
13.
§ 1 VerbrKrG legt den Anwendungsbereich dieses Gesetzes wie folgt fest:
(1) Dieses Gesetz gilt für Kreditverträge und Kreditvermittlungsverträge
zwischen einer Person, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen
Tätigkeit einen Kredit gewährt (Kreditgeber) oder vermittelt oder nachweist
(Kreditvermittler), und einer natürlichen Person, es sei denn, dass der Kredit
nach dem Inhalt des Vertrages für ihre bereits ausgeübte gewerbliche oder
selbständige berufliche Tätigkeit bestimmt ist (Verbraucher).
(2) Kreditvertrag ist ein Vertrag, durch den ein Kreditgeber einem
Verbraucher einen entgeltlichen Kredit in Form eines Darlehens, eines
Zahlungsaufschubs oder einer sonstigen Finanzierungshilfe gewährt oder zu
gewähren verspricht.
...
14.
§ 3 Absatz 2 VerbrKrG, der Ausnahmen vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes
regelt, bestimmt:
Keine Anwendung finden ferner
...
2. § 4 Absatz 1 Satz 4 Nr. 1 Buchstabe b und die §§ 7, 9 und 11 bis 13 auf
Kreditverträge, nach denen der Kredit von der Sicherung durch ein
Grundpfandrecht abhängig gemacht und zu für grundpfandrechtlich abgesicherte
Kredite und deren Zwischenfinanzierung üblichen Bedingungen gewährt wird; ...
15.
In § 7 VerbrKrG, der ein Widerrufsrecht des Verbrauchers vorsieht, heißt
es:
(1) Die auf den Abschluss eines Kreditvertrages gerichtete Willenserklärung
des Verbrauchers wird erst wirksam, wenn der Verbraucher sie nicht binnen
einer Frist von einer Woche schriftlich widerruft.
(2) Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
Der Lauf der Frist beginnt erst, wenn dem Verbraucher eine drucktechnisch
deutlich gestaltete und vom Verbraucher gesondert zu unterschreibende
Belehrung über die Bestimmung nach Satz 1, sein Recht zum Widerruf, dessen
Wegfall nach Absatz 3 sowie Namen und Anschrift des Widerrufsempfängers
ausgehändigt worden ist. Wird der Verbraucher nicht nach Satz 2 belehrt, so
erlischt das Widerrufsrecht erst nach beiderseits vollständiger Erbringung der
Leistung, spätestens jedoch ein Jahr nach Abgabe der auf den Abschluss des
Kreditvertrages gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers.
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen
16.
Zur Finanzierung des Kaufpreises für eine Wohnung nahmen die Kläger mit
Vertrag vom 28. April/7. Mai 1993 (nachfolgend: Darlehensvertrag) bei der
Beklagten einDarlehen über 150 000 DM auf. Dieses wurde durch eine Grundschuld
in derselben Höhe abgesichert.
17.
Mit im Januar 1998 erhobener Klage haben sie gemäß § 1 HWiG ihre auf den
Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung wiederrufen. Sie
behaupten, ein ihnen bekannter, freiberuflich auch für die Beklagte tätiger
Immobilienmakler habe sie mehrmals unaufgefordert zu Hause aufgesucht. Er habe
sie zum Kauf der fraglichen Wohnung und zur Darlehensaufnahme überredet, ohne
sie über das Widerrufsrecht zu belehren.
18.
Die Kläger verlangen von der Beklagten Rückzahlung von Tilgungs- und
Zinsleistungen sowie Erstattung von Aufwendungen bei der Durchführung eines
Darlehensvertrags in Höhe von insgesamt 118 443,81 DM. Ferner beantragen sie
die Feststellung, dass der Beklagten keine Ansprüche aus dem Darlehensvertrag
zustehen.
19.
Das Landgericht München hat die Klage am 26. Mai 1998 abgewiesen. Die
hiergegen gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht München am 1. Februar
1999 zurückgewiesen. Die Kläger haben daraufhin Revision beim
Bundesgerichtshof eingereicht.
20.
In seinem Vorlagebeschluss weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass es
für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits darauf ankomme, ob ein
Widerrufsrecht nach § 1 HWiG nicht besteht, weil das Verbraucherkreditgesetz,
das auf Realkreditverträge anwendbar sei, die Regelungen des
Haustürwiderrufsgesetzes verdränge. Die Antwort auf diese Frage hänge davon
ab, ob die Haustürgeschäfterichtlinie auch Realkreditverträge erfasse und ihr
in Bezug auf das in ihrem Artikel 5 vorgesehene Widerrufsrecht der Vorrang vor
der Verbraucherkreditrichtlinie einzuräumen sei.
21.
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs besitzen die Kläger erstens kein
Widerrufsrecht nach § 7 VerbrKrG, weil dieser nach § 3 Absatz 2 Nummer 2
VerbrKrG nicht für Realkreditverträge gelte. Zweitens sei ein Widerrufsrecht
nach § 1 HWiG grundsätzlich ausgeschlossen, da nach § 5 Absatz 2 HWiG nur das
Verbraucherkreditgesetz zur Anwendung komme, wenn ein Geschäft im Sinne des §
1 Absatz 1 HWiG wie im vorliegenden Fall zugleich unter das
Verbraucherkreditgesetz falle.
22.
Der Bundesgerichtshof ist der Auffassung, die gemeinschaftsrechtlichen
Verbraucherschutzvorschriften erforderten keine andere Auslegung von § 5
Absatz 2 HWiG, ersucht aber den Gerichtshof darum, sich zu diesem Punkt zu
äußern, da Zweifel bestehen könnten.
23.
Sollte nach der Haustürgeschäfterichtlinie ein Widerrufsrecht der Kläger
anzunehmen sein, so komme es für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits
darauf an, ob dieses Widerrufsrecht in entsprechender Anwendung von § 7 Absatz
2 Satz 3 VerbrKrG mit Ablauf eines Jahres nach Abgabe der auf den Abschluss
des Realkreditvertrags gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers erlösche
oder ob die Vorschriften desHaustürwiderrufsgesetzes anzuwenden seien, die
gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Haustürgeschäfterichtlinie für den Fall, dass die
erforderliche Belehrung nicht erteilt worden sei, eine Befristung des
Widerrufsrechts nicht vorsähen.
24.
Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt
und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Erfasst die Richtlinie
85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den
Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen
Verträgen auch Realkreditverträge (§ 3 Absatz 2 Nummer 2
Verbraucherkreditgesetz) und kommt ihr in Bezug auf das in Artikel 5
vorgesehene Widerrufsrecht Vorrang vor der Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom
22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der
Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit zu?
2. Für den Fall, dass der Gerichtshof diese Frage bejaht:
Ist der nationale Gesetzgeber durch die Haustürgeschäfterichtlinie
gehindert, die in § 7 Absatz 2 Satz 3 Verbraucherkreditgesetz geregelte
Befristung des Widerrufsrechts auch in den Fällen anzuwenden, in denen ein
Haustürgeschäft die Gewährung eines Realkredits im Sinne von § 3 Absatz 2
Nummer 2 Verbraucherkreditgesetz zum Gegenstand hat und die in Artikel 4 der
Richtlinie vorgesehene Belehrung unterblieben ist?
Zur ersten Frage
25.
Angesichts der Ausführungen der Beklagten, dass der Sachverhalt des
Ausgangsverfahrens nicht in den Anwendungsbereich der
Haustürgeschäfterichtlinie, wie er in deren Artikel 1 abgegrenzt werde, falle,
ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die dem Gerichtshof vom
Bundesgerichtshof vorgelegte Frage davon ausgeht, dass der Realkreditvertrag
zwischen den Klägern und der Beklagten unter den in Artikel 1 dieser
Richtlinie genannten Tatbestandsvoraussetzungen geschlossen wurde.
26.
Die erste Frage ist daher ausgehend von dieser Prämisse zu beantworten.
Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die
Haustürgeschäfterichtlinie dahin auszulegen ist, dass sie auf einen
Realkreditvertrag wie den im Ausgangsverfahren fraglichen anwendbar ist, so
dass der Verbraucher, der einen derartigen Vertrag in einem der in Artikel 1
dieser Richtlinie genannten Fälle geschlossen hat, über das Widerrufsrecht
nach Artikel 5 der Richtlinie verfügt.
27.
Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Haustürgeschäfterichtlinie
nach ihrem Artikel 1 grundsätzlich für jeden Vertrag gilt, der in einem der in
diesem Artikel genannten Fälle, u. a. im Fall eines Besuches des
Gewerbetreibenden beim Verbraucher, geschlossen wird. Außerdem bestimmen die
vierte und die fünfte Begründungserwägung dieser Richtlinie Folgendes:
Verträge, die außerhalb der Geschäftsräume eines Gewerbetreibenden
abgeschlossen werden, sind dadurch gekennzeichnet, dass die Initiative zu den
Vertragsverhandlungen in der Regel vom Gewerbetreibenden ausgeht und der
Verbraucher auf die Vertragsverhandlungen nicht vorbereitet ist. Letzterer hat
häufig keine Möglichkeit, Qualität und Preis des Angebots mit anderen
Angeboten zu vergleichen. Dieses Überraschungsmoment gibt es nicht nur bei
Haustürgeschäften, sondern auch bei anderen Verträgen, die auf Initiative des
Gewerbetreibenden außerhalb seiner Geschäftsräume abgeschlossen werden.
Um dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben, die Verpflichtungen aus dem
Vertrag noch einmal zu überdenken, sollte ihm das Recht eingeräumt werden,
innerhalb von mindestens sieben Tagen vom Vertrag zurückzutreten.
28.
Ferner zählt die Haustürgeschäfterichtlinie in ihrem Artikel 3 eine Anzahl
von Vertragstypen abschließend auf, für die sie nicht gilt.
29.
Im Ausgangsverfahren stellt sich die Frage, ob ein Realkreditvertrag wie
der im Ausgangsverfahren fragliche von Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe a der
Haustürgeschäfterichtlinie erfasst wird, der Verträge über den Bau, den
Verkauf und die Miete von Immobilien sowie Verträge über andere Rechte an
Immobilien vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausschließt.
30.
Die Kläger, die französische, die italienische und die österreichische
Regierung sowie die Kommission sind der Ansicht, dass diese Vorschrift für
Realkreditverträge nicht gelte, während die Beklagte sowie die deutsche und
die spanische Regierung im Wesentlichen die Auffassung vertreten, dass ein
Realkreditvertrag ein Vertrag über Rechte an Immobilien sei, da er ein
dingliches Recht an der Immobilie entstehen lasse, die die Grundlage für die
Kreditsicherung darstelle.
31.
Dazu ist erstens festzustellen, dass Ausnahmen von
gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften nach ständiger
Rechtsprechung eng auszulegen sind (siehe u. a. Urteil vom 10. Mai 2001 in der
Rechtssache C-203/99, Veedfald, Slg. 2001, I-3569, Randnr. 15).
32.
Wenn zweitens ein Realkreditvertrag wie der im Ausgangsverfahren fragliche
an ein Recht an einer Immobilie anknüpft, weil das gewährte Darlehen durch ein
Grundpfandrecht abgesichert sein muss, so reicht dieser Gesichtspunkt des
Vertrages nicht dafür aus, diesen Vertrag als Vertrag über ein Recht an einer
Immobilie im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe a der
Haustürgeschäfterichtlinie anzusehen.
33.
Für die Verbraucher, die mit der Haustürgeschäfterichtlinie geschützt
werden sollen, und für die Darlehensgeber liegt der Gegenstand eines
Kreditvertrags der im Ausgangsverfahren fraglichen Art nämlich in der
Überlassung von Kapital, verbunden mit der Verpflichtung der Gegenseite zur
Rückerstattung und zur Zahlung von Zinsen.
34.
Der Schutz, der dem Verbraucher gewährt wird, der einen solchen Vertrag
außerhalb der Geschäftsräume des Gewerbetreibenden geschlossen hat, wird aber
nicht dadurch entbehrlicher, dass der Kreditvertrag durch ein Grundpfandrecht
abgesichert wird.
35.
Für alle Fälle sei hinzugefügt, dass zwar ein Kreditvertrag wie der im
Ausgangsverfahren fragliche somit unter die Haustürgeschäfterichtlinie fällt,
sich die Folgen eines gemäß dieser Richtlinie erfolgten etwaigen Widerrufs
dieses Vertrages für den Kaufvertrag über die Immobilie und für die Bestellung
des Grundpfandrechts aber nach dem nationalen Recht richten.
36.
Schließlich ist zu prüfen, ob der Anwendungsbereich der
Haustürgeschäfterichtlinie durch die später erlassene
Verbraucherkreditrichtlinie in Bezug auf Realkreditverträge eingeschränkt
worden ist.
37.
Nach Ansicht der deutschen Regierung wird die Haustürgeschäfterichtlinie
gemäß dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali durch die
Verbraucherkreditrichtlinie verdrängt. Darin, dass die
Verbraucherkreditrichtlinie abweichend von der Haustürgeschäfterichtlinie die
Einführung eines Widerrufsrechts für Kreditverträge nur empfehle, nicht aber
vorschreibe, komme zum Ausdruck, dass die Verbraucherkreditrichtlinie in Bezug
auf Realkreditverträge der speziellere Gemeinschaftsrechtsakt sei. Die
Verbraucherkreditrichtlinie habe damit dem Umstand Rechnung getragen, dass
sich die Einführung eines Widerrufsrechts bei bestimmten Kreditverträgen, insbesondere bei Realkreditverträgen, als problematisch erweisen könnte.
38.
Hierzu genügt der Hinweis, dass zum einen die Haustürgeschäfterichtlinie
wie gerade dargestellt worden ist, den Verbraucher vor den Gefahren schützen
soll, die sich aus den Umständen eines Vertragsschlusses außerhalb der
Geschäftsräume des Gewerbetreibenden ergeben, und dass zum anderen der
Verbraucherschutz in dieser Richtlinie durch die Einführung eines
Widerrufsrechts verwirklicht wird.
39.
Weder die Präambel noch der normative Teil der Verbraucherkreditrichtlinie
enthalten aber Anhaltspunkte dafür, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem
Erlass dieser Richtlinie den Anwendungsbereich der Haustürgeschäfterichtlinie
dahin gehend begrenzen wollte, dass deren spezifischer Schutz nicht für
Realkreditverträge gilt.
40.
Deshalb ist auf die erste Frage zu antworten, dass die
Haustürgeschäfterichtlinie dahin auszulegen ist, dass sie auf einen
Realkreditvertrag wie den im Ausgangsverfahren fraglichen anwendbar ist, so
dass der Verbraucher, der einen derartigen Vertrag in einem der in Artikel 1
dieser Richtlinie genannten Fälle geschlossen hat, über das Widerrufsrecht
nach Artikel 5 der Richtlinie verfügt.
Zur zweiten Frage
41.
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der
nationale Gesetzgeber durch die Haustürgeschäfterichtlinie daran gehindert
ist, dasWiderrufsrecht nach Artikel 5 dieser Richtlinie für den Fall, dass der
Verbraucher nicht gemäß Artikel 4 dieser Richtlinie belehrt worden ist, auf
ein Jahr nach Vertragsabschluss zu befristen.
42.
Die Kläger, die französische Regierung und die Kommission machen geltend,
dass die Haustürgeschäfterichtlinie das Widerrufsrecht bei fehlender Belehrung
darüber nicht befriste. Artikel 5 dieser Richtlinie stehe einer nationalen
Maßnahme entgegen, die das Widerrufsrecht eines Verbrauchers, der nicht über
dieses belehrt worden sei, auf ein Jahr nach Vertragsabschluss befriste. Die
in dieser Bestimmung für den Widerruf vorgesehene Mindestfrist von sieben
Tagen müsse nämlich ab dem Zeitpunkt gerechnet werden, zu dem der Verbraucher
schriftlich über das Widerrufsrecht belehrt worden sei.
43.
Nach Ansicht der Beklagten sowie der deutschen, der italienischen und der
österreichischen Regierung kann der nationale Gesetzgeber das Widerrufsrecht
nach Artikel 5 der Haustürgeschäfterichtlinie auf ein Jahr befristen, da die
Mitgliedstaaten nach Artikel 4 dieser Richtlinie dafür zu sorgen hätten, dass
ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen zum Schutz des
Verbrauchers vorsähen, wenn dieser nicht über sein Widerrufsrecht belehrt
worden sei. Zwar ordne die Haustürgeschäfterichtlinie eine Befristung des
Widerrufsrechts nicht ausdrücklich an, doch sei dessen zeitliche Begrenzung
durch den Grundsatz der Rechtssicherheit geboten.
44.
Dazu ist zunächst festzustellen, dass Artikel 4 Absatz 1 der
Haustürgeschäfterichtlinie bestimmt, dass [d]er Gewerbetreibende ... den
Verbraucher ... schriftlich über sein Widerrufsrecht innerhalb der in Artikel
5 festgelegten Fristen zu belehren [hat] ..., und dass es in Artikel 4 Absatz
3 dieser Richtlinie heißt, dass [d]ie Mitgliedstaaten [dafür] sorgen ..., dass
ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen zum Schutz des
Verbrauchers vorsehen, wenn die in diesem Artikel vorgesehene Belehrung nicht
erfolgt. Nach Artikel 5 Absatz 1 dieser Richtlinie [besitzt d]er Verbraucher
... das Recht, von der eingegangenen Verpflichtung zurückzutreten, indem er
dies innerhalb von mindestens sieben Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem ihm die
in Artikel 4 genannte Belehrung erteilt wurde, entsprechend dem Verfahren und
unter Beachtung der Bedingungen, die im einzelstaatlichen Recht festgelegt
sind, anzeigt.
45.
Die Haustürgeschäfterichtlinie bestimmt somit ausdrücklich, dass die für
den Widerruf vorgesehene Mindestfrist von sieben Tagen ab dem Zeitpunkt zu
rechnen ist, zu dem dem Verbraucher die Belehrung über sein Widerrufsrecht
erteilt wurde, und dass es dem Gewerbetreibenden obliegt, diese Belehrung zu
erteilen. Diese Bestimmungen erklären sich dadurch, dass der Verbraucher das
Widerrufsrecht nicht ausüben kann, wenn es ihm nicht bekannt ist.
46.
Angesichts des Wortlauts und des Zweckes von Artikel 5 der
Haustürgeschäfterichtlinie kann Artikel 4 Absatz 3 dieser Richtlinie nicht
dahin ausgelegt werden, dass der nationale Gesetzgeber vorsehen kann, dass das
Widerrufsrecht des Verbrauchers aufjeden Fall innerhalb eines Jahres ausgeübt
werden muss, selbst wenn der Verbraucher vom Gewerbetreibenden nicht über
dieses Recht belehrt worden ist.
47.
Zu dem Vorbringen, dass eine Befristung des Widerrufsrechts aus Gründen
der Rechtssicherheit unerlässlich sei, ist schließlich zu bemerken, dass
solche Gründe zurücktreten müssen, soweit sie eine Einschränkung der Rechte
implizieren, die dem Verbraucher mit der Haustürgeschäfterichtlinie
ausdrücklich verliehen worden sind, um ihn vor den Gefahren zu schützen, die
sich daraus ergeben, dass Kreditinstitute bewusst Realkreditverträge außerhalb
ihrer Geschäftsräume abschließen. Wenn die Kreditinstitute nämlich so
verfahren, um ihre Dienste zu vermarkten, so können sie sowohl den
Verbraucherinteressen als auch ihrem eigenen Bedürfnis nach Rechtssicherheit
ohne Schwierigkeit dadurch Rechnung tragen, dass sie ihrer Obliegenheit zur
Belehrung des Verbrauchers nachkommen.
48.
Deshalb ist auf die zweite Frage zu antworten, dass der nationale
Gesetzgeber durch die Haustürgeschäfterichtlinie daran gehindert ist, das
Widerrufsrecht nach Artikel 5 dieser Richtlinie für den Fall, dass der
Verbraucher nicht gemäß Artikel 4 dieser Richtlinie belehrt wurde, auf ein
Jahr ab Vertragsschluss zu befristen.
Zur zeitlichen Wirkung des vorliegenden Urteils
49.
Die Beklagte hat in ihren Erklärungen darauf hingewiesen, dass der
Gerichtshof die Wirkungen dieses Urteils zeitlich beschränken könne, falls er
der Ansicht sein sollte, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende
deutsche Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sei.
50.
Sie beruft sich in diesem Zusammenhang insbesondere darauf, dass die
Anwendung des in der Haustürgeschäfterichtlinie vorgesehenen Widerrufsrechts
auf Realkreditverträge ein erhebliches finanzielles Risiko für die
Kreditinstitute begründe.
51.
Es ist daran zu erinnern, dass sich der Gerichtshof bei der Auslegung
einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts darauf beschränkt, die Bedeutung und
Tragweite dieser Vorschrift, so wie sie seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen
und anzuwenden gewesen wäre, zu erläutern und zu verdeutlichen (Urteil vom 24.
September 1998 in der Rechtssache C-35/97, Kommission/Frankreich, Slg. 1998,
I-5325, Randnr. 46).
52.
Im Einklang mit einer ständigen Rechtsprechung, nach der sich der
Gerichtshof in Anwendung des der Rechtsordnung der Gemeinschaft innewohnenden
allgemeinen Grundsatzes der Rechtssicherheit mit Rücksicht auf die
schwerwiegenden Störungen, zu denen sein Urteil bei gutgläubig begründeten
Rechtsverhältnissen für die Vergangenheit führen könnte, ausnahmsweise dazu
veranlasst sehen kann, die Möglichkeit für die Betroffenen zu beschränken,
sich auf eine von ihm ausgelegte Bestimmung zu berufen, um diese
Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, hat der Gerichtshof die Vornahme einer
solchen Beschränkung von der Prüfung des Vorliegens zweier grundlegender
Kriterien abhängig gemacht, nämlich des guten Glaubens der Betroffenen und des
erheblichen finanziellen Risikos (in diesem Sinn Urteil vom 28.September 1994
in der Rechtssache C-128/93, Fisscher, Slg. 1994, I-4583, Randnr. 18).
53.
Dazu genügt der Hinweis, dass die Beklagte keinen konkreten Gesichtspunkt
vorgebracht hat, der ihr Vorbringen stützen könnte, dass dieses Urteil, falls
seine Wirkungen nicht zeitlich begrenzt würden, erhebliche finanzielle Folgen
für die Kreditinstitute hervorzurufen drohe, die Realkreditverträge unter den
in Artikel 1 der Haustürgeschäfterichtlinie genannten
Tatbestandsvoraussetzungen geschlossen hätten.
54.
Daher besteht kein Anlass, die Wirkungen dieses Urteils zeitlich zu
beschränken.