Nutzungsersatzanspruch
gegen den "nicht so berechtigten Besitzer" aus
Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (§ 988 BGB) und Eingriffskondiktion
(§ 812 I 1 Alt. 2 BGB), Abgrenzung zur unberechtigten Untervermietung
(Abgrenzung zu BGHZ 131,
297)
BGH, Urt. v. 21. September 2001- V ZR 228/00 - Thüringer OLG in Jena - LG Meiningen Fundstelle: NJW 2002, 60 Amtl. Leitsätze: a) Der "nicht so berechtigte" Besitzer kann zur Herausgabe von Nutzungen, die er unter Überschreitung eines ihm gesetzlich zugewiesenen Besitzrechts gezogen hat, unter dem Gesichtspunkt der Eingriffskondiktion (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) verpflichtet sein (Abgrenzung zu BGHZ 131, 297).b) Der Anspruch aus § 988 BGB kann nur im Fall des Eigengebrauchs nach dem objektiven Ertragswert der Gebrauchsvorteile berechnet werden; anderenfalls können nach dieser Vorschrift nur die tatsächlich gezogenen Nutzungen herausverlangt werden. Zentrale Probleme: Die ziemlich ausgefallene und untypische Fallgestaltung (gesetzliche Nutzungszuweisung) führt zur Diskussion grundlegender und lehrreicher Fragen an der Schnittstelle zwischen dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis und dem Bereicherungsrecht. S. dazu die Anmerkung zu BGHZ 131, 297. Tatbestand: Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin des VEB S. und N. H. Dieser unterhielt auf einem volkseigenen Grundstück, dessen Rechtsträger er war, eine Berufsschule mit Lehrlingswohnheim. Die Klägerin ist nach § 11 Abs. 2 TreuhandG mit der Umwandlung des VEB zum 1. Juli 1990 Eigentümerin des Grundstücks geworden. Das Grundbuch ist entsprechend berichtigt. Am 31. August 1990 überließ die Klägerin dem beklagten Landkreis (im folgenden: Beklagter) Berufsschule und Lehrlingswohnheim zur Nutzung. Anlaß dazu gab das DDR-Berufsschulgesetz vom 13. August 1990 (GBl. I S. 919), dessen § 8 Abs. 3 die kostenlose Übergabe zur Nutzung spätestens bis zum 31. Dezember 1990 vorschrieb.Der Beklagte nutzte in der Folgezeit die Gebäude durch Vermietung einer Wohnung und einer Arztpraxis, zum Teil durch weiteren Betrieb der Lehrlingsausbildung. Die Klägerin verlangt Nutzungsentschädigung. Zum einen begehrt sie die Auskehr der gezogenen Mieten für die Wohnung und die Arztpraxis in einer Gesamthöhe von 76.720 DM. Es geht dabei um den Zeitraum vom 1. April 1993 (Arztpraxis) bzw. 1. Juli 1990 (Wohnung) bis zum 30. April 1997. Zum anderen macht sie hinsichtlich des übrigen Lehrlingswohnheims Nutzungsentschädigung für die Zeit von September 1993 bis August 1997 in einer Höhe von 136.000 DM geltend, wobei sie sich in erster Linie auf einen in dieser Höhe gutachtlich ermittelten Ertragswert stützt, daneben aber auch auf tatsächlich gezogene Mieteinnahmen in diesen Betrag übersteigendem Umfang verweist.Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Verurteilung nur in Höhe eines Betrages von 67.970 DM aufrechterhalten. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche im Umfang der Klageabweisung weiter. Entscheidungsgründe:I. Das Berufungsgericht hält den Beklagten nach § 988 BGB für verpflichtet, die gezogenen Mieten für die Wohnung und die Arztpraxis an die Klägerin auszukehren, allerdings erst ab dem 1. August 1992. Bis zu diesem Zeitpunkt habe nämlich § 8 Abs. 3 des DDR-Berufsschulgesetzes dem Beklagten ein Recht zum Besitz gewährt, das erst mit Außerkrafttreten des Gesetzes erloschen sei. Der geltend gemachte Anspruch von 76.720 DM sei daher nur in dem zugesprochenen Umfang von 67.970 DM begründet.Hinsichtlich des übrigen Lehrlingswohnheims hält das Berufungsgericht die Klage nur unter den hier nicht gegebenen Voraussetzungen des § 987 Abs. 2 BGB für begründet, da die Klägerin nicht die Auskehr gezogener Nutzungen verlangt habe, sondern eine am Ertragswert berechnete Entschädigung für schuldhaft nicht gezogene Nutzungen. Unter diesem Gesichtspunkt hafte der Beklagte indes nicht, da er vom Wegfall seines Besitzrechts keine Kenntnis gehabt habe (§ 990 Abs. 1 Satz 2 BGB). II.Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. 1. Hinsichtlich der gezogenen Mieten für die Wohnung und die Arztpraxis ist der geltend gemachte Anspruch in voller Höhe, d.h. auch bezüglich des Zeitraumes der Geltung des DDR-Berufsschulgesetzes, begründet.a) Das ist zweifelsfrei dann anzunehmen, wenn das DDR-Berufsschulgesetz dem Beklagten kein Recht zur kostenlosen Nutzung gewährt hat, weil - wie die Revision annimmt - § 8 Abs. 3 dieses Gesetzes wegen Verstoßes gegen höherrangiges DDR-Verfassungsrecht nichtig war. § 988 BGB erfaßt dann auch den vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten Zeitraum (Mehrbetrag von 8.750 DM). Soweit die Revisionserwiderung meint, ein Recht zum Besitz ergebe sich aus einer die Regelungen des DDR-Berufsschulgesetzes überlagernden Vertragsbeziehung, steht dem die rechtsfehlerfreie Würdigung der Umstände durch das Landgericht entgegen, die sich das Berufungsgericht zu eigen gemacht hat. b) Im Ergebnis ändert sich nichts, wenn man von der Wirksamkeit des § 8 Abs. 3 DDR-BerufsschulG ausgeht.aa) Die Norm billigt dem Beklagten nämlich die kostenlose Nutzung des Lehrlingswohnheims mit seinen Räumlichkeiten nicht schlechthin, sondern nur zweckgebunden zu. Der Beklagte wurde nach § 8 Abs. 2 DDR-BerufsschulG neuer Träger der Berufsschule und des Lehrlingswohnheims. Er sollte die damit verbundenen Aufgaben weiterführen und erhielt deswegen die Gebäude kostenlos zur Nutzung übergeben. Wohnheime, die als solche nicht weitergenutzt werden konnten, erhielt er zwar ebenfalls übergeben, aber nicht zur freien Verwendung, sondern mit der Möglichkeit, sie einer anderen öffentlichen Nutzung zuzuführen (§ 8 Abs. 3 Satz 2 DDR-BerufsschulG). Eine privatwirtschaftliche Nutzung zur Gewinnerzielung sah das Gesetz demgegenüber nicht vor. Dies lag außerhalb der Aufgaben, die das Gesetz den neuen Schulträgern zuwies (vgl. §§ 2, 7 DDR-BerufsschulG). Gemessen daran war die Vermietung der Räumlichkeiten als Wohnung und als Arztpraxis vom Gesetz nicht gedeckt. Der Beklagte verfolgte damit weder Zwecke des Schul- und Ausbildungsbetriebes noch andere öffentliche Aufgaben. bb) Zweifelhaft ist, ob bei dieser Konstellation § 988 BGB angewendet werden kann. Die Norm setzt an sich eine Vindikationslage voraus. Daran fehlt es. Denn bei - unterstellter - Wirksamkeit des DDR-Berufsschulgesetzes war der Beklagte zum Besitz berechtigt. Er überschritt zwar die Befugnisse, die ihm das Besitzrecht gab, zog Nutzungen aus Rechtsgeschäften, zu denen ihn das Gesetz nicht legitimierte. Das ließ aber die Besitzberechtigung nicht automatisch entfallen. Die ganz herrschende Meinung lehnt daher die Anwendung des § 988 BGB, auch die entsprechende Anwendung der Norm, auf den Fall der "Nicht-so-Berechtigung" ab (Senat, BGHZ 59, 51, 58; Staudinger/Gursky, BGB [1999] vor §§ 987 bis 993 Rdn. 13; MünchKomm-BGB/Medicus, 3. Aufl., vor §§ 987 bis 1003 Rdn. 11; Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl., § 11 Rdn. 27, jew. m.w.N.).cc) Ob im vorliegenden Fall anders zu entscheiden ist, kann dahinstehen. Hält man § 988 BGB für nicht anwendbar, so ergibt sich der Anspruch jedenfalls aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der Eingriffskondiktion (vgl. auch Staudinger/Gursky aaO). Der Beklagte hat durch die zweckwidrige Nutzung nämlich in die der Klägerin als Eigentümerin verbliebene Rechtsposition eingegriffen, ohne dazu berechtigt zu sein. Das Gesetz hat ihm nur die Nutzung als Schul- und Ausbildungseinrichtung oder zu anderen öffentlichen Zwecken zugewiesen. Jede nicht diesen Zwecken dienende Nutzung blieb dem Eigentümer vorbehalten. Allerdings entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, daß der Vermieter im Falle unberechtigter Untervermietung keinen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB gegen den Mieter auf Herausgabe eines durch die Untervermietung erzielten Mehrerlöses hat (Urt. v. 20. Mai 1964, VIII ZR 235/63, NJW 1964, 1853; Urt. v. 8. Januar 1969, VIII ZR 184/66, WM 1969, 298, 300; BGHZ 131, 297, 304 ff). Diese Auffassung begründet der Bundesgerichtshof damit, daß es an dem erforderlichen Merkmal der Bereicherung des Mieters auf Kosten des Vermieters fehle. Die Untervermietung sei auch dann, wenn sie unberechtigt vorgenommen werde, ein dem Mieter zugewiesenes Geschäft. Denn der Vermieter habe sich durch den Abschluß des Hauptmietvertrages der Gebrauchs- und Verwertungsmöglichkeit begeben, die der Mieter durch die Untervermietung wahrnehme (vgl. BGHZ 131, 297, 306).Im vorliegenden Fall liegen die Dinge anders. Die Rechtsprechung zur unberechtigten Untervermietung kann hierauf nicht angewendet werden. Die Klägerin hat sich ihrer Gebrauchs- und Verwertungsmöglichkeiten nicht vertraglich zugunsten des Beklagten begeben, sondern sie hat ihm den Besitz aufgrund einer gesetzlichen Anordnung überlassen. Das Gesetz forderte die Überlassung - wie dargelegt - nur zur Verwirklichung bestimmter öffentlicher Zwecke. Nur insoweit wies es die Gebrauchs- und Verwertungsmöglichkeiten dem Beklagten zu. Die Möglichkeit der Nutzung durch Vermietung und Verpachtung blieb demgegenüber der Klägerin als Eigentümerin zugeordnet. In diese Rechtsposition griff der Beklagte ein, als er die Gebäude zweckwidrig zur Gewinnerzielung nutzte. Infolgedessen erlangte er die damit verbundenen Vermögensvorteile auch auf Kosten der Klägerin.Wollte man das anders sehen, führte dies zu einer unangemessenen Benachteiligung der Klägerin als Eigentümerin. Anders als in den Fällen der unberechtigten Untervermietung hätte sie nämlich der Vermietung durch den Beklagten nicht mit hinreichender Wirkung entgegentreten können. Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien wurde durch das DDR-Berufsschulgesetz bestimmt. Es sah für den Fall der unberechtigten Nutzung weder die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung noch einen Unterlassungsanspruch vor. Anders als der Vermieter, dem diese Rechte nach §§ 550, 553 BGB gegenüber dem unberechtigt untervermietenden Mieter zustehen, konnte die Klägerin auf die zweckwidrige Nutzung durch den Beklagten daher nicht in vergleichbarer Weise reagieren. Daß möglicherweise ein Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB gegeben war, verbessert zwar die Position der Klägerin, stellt diese aber nicht einem Vermieter in solchen Fällen gleich. c) Soweit die Revisionserwiderung meint, jedenfalls für die Monate Juli und August 1990 bestehe kein Anspruch auf Herausgabe der gezogenen Miete, da der Beklagte den Besitz nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erst am 31. August 1990 übertragen erhalten habe, verkennt sie, daß dies für den Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der Eingriffskondiktion ohne Belang ist. Der Beklagte hat auch dann (erst recht) in das der Klägerin nach der Güterzuordnung verbliebene Nutzungsrecht eingegriffen.2. Hinsichtlich der Nutzung des Lehrlingswohnheims rügt die Revision zu Recht, daß das Berufungsgericht den geltend gemachten Anspruch - rechtsfehlerhaft - nur unter dem Gesichtspunkt des § 987 Abs. 2 BGB geprüft hat. Der Anspruch ist nämlich dem Grunde nach aus § 988 BGB begründet. a) Allerdings ist der Revision nicht zu folgen, wenn sie meint, die nach dieser Vorschrift herauszugebenden Gebrauchsvorteile (§ 100 BGB) könnten nach dem gutachtlich festgestellten Ertragswert berechnet werden. Zwar ist anerkannt, daß bei der Bewertung der Gebrauchsvorteile deren objektiver Wert maßgeblich ist, der sich in geeigneten Fällen am Ertragswert bemessen kann (s. nur Soergel/Mühl, BGB, 12. Aufl., § 987 Rdn. 2; vgl. auch Senat, Urt. v. 12. Mai 1978, V ZR 67/77, NJW 1978, 1578). Es geht bei dieser Bewertung aber nur um die Vorteile des Eigengebrauchs einer Sache (Staudinger/Gursky, § 987 Rdn. 16), also etwa um die Vorteile, die der Besitzer einer Wohnung daraus zieht, daß er sie nicht vermietet, sondern selbst nutzt (s. auch Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., § 100 Rdn. 1). Demgegenüber kann der Anspruch auf Herausgabe der Nutzungen nicht nach dem objektiven Ertragswert der Gebrauchsvorteile bemessen werden, wenn tatsächliche Nutzungen in Form von Früchten (z.B. Mietzins) gezogen worden sind. Dann kann vielmehr allein die Herausgabe dieser Nutzungen verlangt werden. Anderenfalls geriete man in einen Widerspruch zu § 987 Abs. 2 BGB, der die Herausgabe nicht gezogener Nutzungen nur nach Rechtshängigkeit bzw. Bösgläubigkeit (§ 990 Abs. 1 BGB) und unter der zusätzlichen Voraussetzung des Verschuldens anordnet. Denn diese Regelung liefe leer, wenn der Eigentümer schon nach § 988 BGB stets den objektiven Ertragswert herausverlangen könnte.b) Die Klägerin kann aber nach § 988 BGB die tatsächlich gezogenen Nutzungen herausverlangen. Soweit das Berufungsgericht eine Erstreckung der Klage auf diese Rechtsfolge vermißt, verkennt es, daß es insoweit nur um die Frage der Berechnung des erhobenen Anspruchs geht. Da der Beklagte in erheblichem Umfang Mieteinnahmen von den Lehrlingen erhalten hat, gezogene Nutzungen also vorliegen, bedarf es keiner Stellung eines darauf ausgerichteten Zahlungsantrags. Der Antrag auf Zahlung von 136.000 DM erfaßt ohne weiteres die Herausgabe der Nutzungen in dieser Höhe, bedurfte lediglich - als Teilklage - der Konkretisierung. III.Die Klage ist hinsichtlich der aus dem Betrieb des Lehrlingswohnheims gezogenen Nutzungen nicht entscheidungsreif. Zum einen muß die Klägerin den geltend gemachten Teilanspruch den gezogenen Nutzungen zeitlich und der Höhe nach konkret zuordnen. Ferner ist der Anspruch - worauf die Revisionserwiderung zutreffend hinweist - auf Herausgabe der durch die Nutzung der Gebäude erzielten Vorteile beschränkt. Enthalten die von den Lehrlingen gezahlten Beträge eine Vergütung für andere Leistungen, etwa für die pädagogische Betreuung, so stellen diese Einnahmen keine der Klägerin zugeordneten Vermögensvorteile dar. Schließlich bedarf es der Prüfung - wie das Berufungsgericht nicht verkennt - inwieweit der Beklagte ihm entstandene Kosten unter dem Gesichtspunkt des § 818 Abs. 3 BGB (auf den § 988 BGB verweist) abziehen kann. Diese letztere Frage stellt sich nicht hinsichtlich des Anspruchs auf Herausgabe der erwirtschafteten Mieten für die Wohnung und die Arztpraxis, da - wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat - insoweit ein Sachzusammenhang mit den von dem Beklagten geltend gemachten Ausgaben nicht besteht (§ 818 Abs. 3 BGB) und eine gesonderte Aufrechnung mit selbständigen Ansprüchen vom Berufungsgericht nach § 530 Abs. 2 ZPO rechtsfehlerfrei nicht zugelassen worden ist. Insoweit war der Klage daher stattzugeben. |