Aufwendungsersatz bei Konzertausfall - Rentabilitätsvermutung


LG Lüneburg, Urt. u 11. B. 2000 - 8 S 41/00
Fundstelle

NJW 2002, 614


Leitsatz:

Erstattungsfähigkeit von Reisekosten bei ausgefallenem Konzert


Zentrale Probleme:

Im Mittelpunkt des recht anschaulichen Falles steht das Problem der Ersatzfähigkeit von Aufwendungen im Rahmen des Nichterfüllungsschadens. Das Gericht konnte die Frage der Haftungsbegründung nach § 325 BGB a.F. (zu vertretende Unmöglichkeit) offen lassen, weil jedenfalls die Aufwendungen keinen ersatzfähigen Nichterfüllungsschaden darstellen und auch nicht unter die sog. "Rentabiltätsvermutung" fallen (vgl. dazu etwa BGH NJW 2000, 506).
Nach der Reform des Schuldrechts hätte man die Frage der Haftungsbegründung nicht offenlassen können. Die Haftung für zu vertretende Unmöglichkeit auf "Schadensersatz statt der Leistung" ergibt sich nunmehr aus §§ 280 I, III, 283 S. 1 BGB n.F. Die Haftungsvoraussetzungen entsprechen denjenigen des § 325 BGB a.F. Insbesondere kommt es weiter zu einer Vermutung des Vertretenmüssens (§ 280 I 2 BGB). Hinsichtlich der Rechtsfolgen gilt aber nun ergänzend § 284 BGB. Diese Norm erweitert die bisher von der Rechtsprechung entwickelte "Rentabilitätsvermutung" ganz erheblich: Anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung kann der Gläubiger nämlich auch den Ersatz der nutzlosen Aufwendungen verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat, sofern er diese "billigerweise" machen durfte. Der Schuldner muß dann nachweisen, daß der (auch ideelle!) Zweck der Aufwendungen auch bei ordnungsgemäßer Leistung nicht erreicht worden wäre. Der Fall wäre daher nach neuem Recht - sofern ein Vertretenmüssen seitens des Veranstalters vorliegt - anders zu entscheiden gewesen.
S. hierzu u.a. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 222 ff, 343 ff, Fall 10 zur Vorlesung "Schuldrechtsreform nach Anspruchsgrundlagen" sowie die Fall-Lösung von Grigoleit ZGS 2002, 122 ff.


Zum Sachverhalt:

Der Kl. hatte Fahrt- und Übernachtungskosten aufgewendet, um ein Konzert zu besuchen, das dann wegen der von der Bekl. unter Beweis gestellten Erkrankung der Solistin abgesetzt wurde. Seine Klage auf Erstattung dieser Kosten wurde vom AG abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

I. Die Bekl. trägt als Schuldnerin der unmöglich gewordenen Leistung gern. § 282 BGB die Beweislast für ihr Nicht-Vertreten-Müssen. Die Klärung der Frage des Vertreten-Müssens kann dennoch dahinstehen, da die von dem Kl. aufgewandten und nun beanspruchten Fahrt- und Übernachtungskosten keinen nach § 325 I BGB ersatzfähigen Schaden darstellen.

Bei diesen Kosten handelt es sich um von dem Kl. im Hinblick auf den Vertrag mit der Bekl. getätigte Aufwendungen. Die schadensrechtliche Problematik liegt bei der Frage der Ersatzfähigkeit solcher so genannten "nutzlosen" Aufwendungen darin, dass diese Aufwendungen bei dem Gläubiger auch im Falle einer ordnungsgemäßen Erbringung der Leistung angefallen wären: Der Kl. hätte bei Durchführung des Konzerts ebenfalls genau die nun beanspruchten Fahrt- und Hotelkosten aufgewandt.

Dem Kl. ist insofern zwar zuzugeben, dass im Bereich der vertraglichen Haftung in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass der Schadensersatz wegen Nichterfüllung als Mindestschaden auch die mit dem Vertragsschluss verbundenen (nutzlosen) Aufwendungen umfasst (BGH, NJW 1978, 1805 [1806] = LM § 251 BGB Nr. 25; NJW 1983, 442 [443] = LM § 249 [A] BGB Nr. 65; NJW 1987, 831 [834] = LM § 157 [Ga] BGB Nr. 33, jew. m. w. Nachw.). Diese Auffassung beruht jedoch auf einer „Rentabilitätsvermutung": Es wird davon ausgegangen, dass der Geschädigte seine Aufwendungen durch Vorteile, die er aus der Durchführung des vereinbarten Geschäfts gezogen hätte, wieder eingebracht hätte. Der ersatzfähige Schaden liegt daher genau genommen nicht in den getätigten Aufwendungen, sondern in dem Verlust dieser Kompensationsmöglichkeit.

Gerade diese Rentabilitätsvermutung kann hier nicht herangezogen werden: Der Kl. verfolgte mit der Fahrt zum Konzertort und den Übernachtungen vor und nach dem Konzert das Ziel, das von der Bekl. geschuldete Konzert nach seinen individuellen Bedürfnissen und Vorstellungen optimal zu genießen. Für den Kl. bestand gerade keine Möglichkeit, im Sinne der Rentabilitätsvermutung diese für den immateriellen Zweck des optimalen Konzertgenusses aufgewandten Kosten wieder zu erwirtschaften. Insofern spricht auch die Regelung des § 253 BGB gegen eine Erstattung, da der Schaden des Kl. hier allein in der Vereitelung des bezweckten optimalen Konzertgenusses liegt und daher einen immateriellen Schaden darstellt (BGH, NJW 1987, 831 [834] = LM § 157 [Ga] BGB Nr. 33).

Ein Ersatz der Fahrt und Übernachtungskosten kann aus § 325 I BGB auch nicht unter dem Gesichtspunkt erfolgen, dass die Aufwendungen allein im Vertrauen auf die vertragsgemäße Leistung der Bekl. getätigt worden sind. Gemäß § 325 I BGB wird die Haftung gerade nicht schon durch ein gesetztes Vertrauen, sondern erst durch spätere Vertragsverletzung ausgelöst. Selbst wenn man jedoch auch aus § 325 I BGB einen Ersatz des Vertrauensschadens entnehmen könnte, so wäre der Kl. entsprechend der Regelungen in §§ 122, 307 BGB auf das Erfüllungsinteresse beschränkt, da er bei enttäuschtem Vertrauen nicht besser gestellt werden kann als bei erfülltem (BGH, NJW 1983, 443 [443] = LM § 249 [A] BGB Nr. 65; NJW 1987, 831 [835] = LM § 157 [Ga] BGB Nr. 33).

II. Dem Kl. stehen auch keine Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der positiven Forderungsverletzung wegen unterlassener Aufklärung über den Konzertausfall zu. Es kann insofern dahingestellt bleiben, welche Informationsmaßnahmen die Bekl. über den Konzertausfall getroffen hat, da der Kl. Ersatz der Fahrt- und Übernachtungskosten auch bei Vorliegen der von ihm behaupteten Pflichtverletzungen nicht beanspruchen kann bzw. einen kausalen Schaden nicht vorgetragen hat. (Wird ausgeführt.)

Unter dem Gesichtspunkt der nutzlosen Aufwendungen kann der Kl. auch aus positiver Forderungsverletzung keinen Anspruch herleiten. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Insbesondere hat der Kl. auch hier nicht den Anspruch, besser gestellt zu werden, als er bei pflichtgemäßem Verhalten der Bekl. gestanden hätte.