Rechtsfolgen einer vorbehaltlosen Mietzahlung bei Kenntnis des Mangels der Mietsache; Voraussetzungen eine Analogie: Planwidrige Regelungslücke


BGH, Urteil vom 16. 7. 2003 - VIII ZR 274/02 (LG Frankfurt a.M.)


Fundstelle:

NJW 2003, 2601
BGHZ 155, 380


Amtl. Leitsätze:

 1. Hat ein Wohnungsmieter, dessen Mietvertrag vor dem In-Kraft-Treten des Mietrechtsreformgesetzes am 1. 9. 2001 geschlossen worden ist, in entsprechender Anwendung des § 539 BGB a.F. sein Recht zur Minderung der Miete verloren, weil er den Mangel längere Zeit nicht gerügt und die Miete ungekürzt und vorbehaltlos weiter gezahlt hat, so verbleibt es hinsichtlich der bis zum 1. 9. 2001 fällig gewordenen Mieten bei diesem Rechtsverlust. Die Bestimmungen des Mietrechtsreformgesetzes und der hierzu ergangenen Übergangsvorschriften führen nicht zu einem Wiederaufleben des Minderungsrechts.
2. Für nach dem In-Kraft-Treten des Mietrechtsreformgesetzes fällig gewordene Mieten scheidet eine analoge Anwendung des § 536b BGB, der an die Stelle des § 539 BGB a.F. getreten ist, aus. Insoweit beurteilt sich die Frage, ob und in welchem Umfang ein Mieter wegen eines Mangels der Wohnung die Miete mindern kann, ausschließlich nach § 536c BGB. Dies gilt auch für Mietverträge, die vor dem 1. 9. 2001 abgeschlossen worden sind.
3. Soweit hiernach das Minderungsrecht des Mieters nach dem 1. 9. 2001 nicht entsprechend der bisherigen Rechtsprechung zur analogen Anwendung des § 539 BGB a.F. erloschen ist, bleibt jedoch zu prüfen, ob der Mieter dieses Recht unter den strengeren Voraussetzungen der Verwirkung (§ 242 BGB) oder des stillschweigenden Verzichts verloren hat.


Zentrale Probleme:

Die Entscheidung ist in Bezug auf die Voraussetzungen einer Analogie insbesondere methodisch von Interesse. Es geht um die Frage, ob ein Mieter, der nach Vertragsschluss Kenntnis eines Mangels der Mietsache erlangt und die Miete dennoch vorbehaltlos weiterzahlt, sich auch für die Zukunft nicht auf Mängel der Mietsache berufen kann. § 536b BGB regelt dieses Problem nur für die Kenntnis des Mieters bei Vertragsschluss. Die (insoweit ähnlich formulierte) Vorläufernorm des § 539 BGB a.F. hat die Rechtsprechung bis zur am 1.9.2001 in Kraft getretenen Mietrechtsreform analog angewendet (s. die Anm. zu BGH NJW 2000, 2663). Hier geht es nun darum, ob dies auch mit § 536b BGB geschehen kann. Der BGH verneint dies unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien. Da der Gesetzgeber die frühere Rechtslage in den Materialien ausdrücklich missbilligt hat, fehlt es insoweit an einer Regelungslücke (s. dazu die fett markierten Passagen sowie auch die Anm. zu BGH, NJW 2003, 1932).
Vorsicht: Die Problematik ist nicht mit der – hier auch kurz behandelten - Frage zu verwechseln, ob der Mieter, der in Kenntnis des Mangels vorbehaltlos die volle Miete weiterbezahlt, diese später auch für die Vergangenheit zurückfordern kann. Anders als im Kauf- und Werkvertragsrecht (s. §§ 441 I, 638 I BGB) ist die Minderung im Mietrecht kein Gestaltungsrecht. Vielmehr wird bei einem Mangel die Miete ex lege, d.h. automatisch gemindert. Der Mieter, der den vollen Mietzins weiterbezahlt, leistet insoweit damit ohne Rechtsgrund und kann das zuviel Gezahlte (nur) aus Bereicherungsrecht (Leistungskondiktion nach § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB) zurückfordern (für Kauf und Werkvertrag gibt es hingegen seit der Schuldrechtsreform insoweit eigene Anspruchsgrundlagen in §§ 441 IV S. 1, 638 IV S. 1 BGB!). Zahlt der Mieter in Kenntnis des Mangels ohne den Vorbehalt der Rückforderung, scheitert daher eine Rückforderung der bereits bezahlten Miete am Kondiktionsausschluss des § 814 BGB. Dies hat aber mit der hier relevanten Frage, ob die Mängelrechte für die Zukunft verloren gehen, nichts zu tun. Insoweit kann – wie der BGH hier klarstellt - allein auf einen (ggf. konkludenten) Verzicht oder aber auf Verwirkung (§ 242 BGB) abgestellt werden. Letztere setzt aber ein Zeit- und Umstandsmoment voraus, dass nicht ohne weiteres durch die bloße Weiterzahlung erfüllt ist (zur Verwirkung s. etwa BGH NJW 2002, 669).
Der XII. Senat hat sich dieser Rspr. nunmehr auch für die gewerbliche Miete angeschlossen, s. BGH NJW 2005, 1503 (nur redakt. Leitsatz).

©sl 2003


Tatbestand:

Die Klägerin ist Eigentümerin eines in F., H.-Straße gelegenen Mehrfamilienhauses. Eine im Erdgeschoß dieses Anwesens befindliche Wohnung hat sie seit 1979 an den Beklagten vermietet. Mit der vorliegenden Klage verlangt sie vom Beklagten die Zahlung rückständiger Miete für die Zeit von September 1999 bis einschließlich September 2001. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Etwa seit der Jahreswende 1994/95 fühlte sich der Beklagte nach seiner Behauptung durch Lärm gestört, der von den kurz zuvor eingezogenen Bewohnern einer benachbarten Wohnung ausgegangen sein soll. Erstmals mit Schreiben vom 22. Februar 1997 beschwerte er sich bei der Klägerin über die ständige Ruhestörung; weitere ähnliche Schreiben folgten. Nachdem der Beklagte unter dem 26. Juni 1997 angekündigt hatte, er werde wegen des Lärms die Miete um 70 DM mindern, reduzierte die Klägerin auf seine Aufforderung hin den Bankeinzug in dieser Höhe.
Im Juli 1997 und erneut im März 1998 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, daß sie die Mieter der Nachbarwohnung angeschrieben und zur Unterlassung der Lärmbelästigungen aufgefordert habe. Anfang 1999 mahnte sie beim Beklagten die Bezahlung des bis Dezember 1998 aufgelaufenen Mietrückstandes in Höhe von insgesamt 1.450,47 DM an. Dieser Aufforderung kam der Beklagte unter Vorbehalt nach.
Da nach dem Vorbringen des Beklagten Abhilfeversuche der Klägerin hinsichtlich der angeblichen Ruhestörungen erfolglos geblieben waren, machte der Beklagte mit Schreiben vom 16. September 1999 abermals eine Minderung der Miete, und zwar um 69,90 DM, geltend. Weil die Klägerin hierauf nicht reagierte, widerrief der Beklagte schließlich die Bankeinzugsermächtigung. Für den Monat September 1999 zahlte er überhaupt keine und für die Zeit von November 1999 bis einschließlich September 2001 lediglich eine um 69,90 DM geminderte Miete. Die dadurch entstandenen Mietrückstände in Höhe von insgesamt 2.083,19 DM (1.065,12 €) sind Gegenstand der vorliegenden Klage. Die Klägerin hat zunächst behauptet, bei einer Überprüfung hätten sich die Vorwürfe des Beklagten hinsichtlich der Lärmbelästigungen nicht bestätigt. Im weiteren Verfahren hat sie sich überdies darauf berufen, der Beklagte habe jedenfalls ein etwaiges Recht zur Mietminderung dadurch verloren, daß er trotz Kenntnis von der behaupteten Ruhestörung über zwei Jahre lang - bis Juni 1997 - die Miete vollständig und vorbehaltlos gezahlt habe. Dem hat der Beklagte entgegengehalten, die Lärmbelästigungen hätten sich im Laufe der Zeit immer mehr verstärkt; außerdem sei nach der Neuregelung des § 536c BGB die frühere Rechtsprechung zur entsprechenden Anwendung des § 539 BGB a.F. nicht mehr anwendbar.

Das Amtsgericht hat der Klage - von einem Teil der Zinsen abgesehen - stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung in vollem Umfang weiter.

 Aus den Gründen:

I. Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Es könne offen bleiben, ob der Beklagte wegen der behaupteten Lärmbelästigung zur Minderung der Miete oder sogar - für September 1999 – zur vollständigen Zahlungsverweigerung berechtigt gewesen sei; denn er sei in entsprechender Anwendung des § 539 BGB a.F. oder des § 536b BGB n.F. mit einer Mietminderung schon dem Grunde nach ausgeschlossen gewesen. Deshalb könne auch dahinstehen, ob im vorliegenden Fall die am 1. September 2001 in Kraft getretene Neufassung des § 536b BGB bereits für den Zeitraum bis zum 31. August 2001 maßgebend sei oder ob insoweit noch § 539 BGB a.F. heranzuziehen sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum früheren Mietrecht sei der Mieter in entsprechender Anwendung des § 539 BGB a.F. mit der Mietminderung für die Vergangenheit und Zukunft ausgeschlossen, wenn er im Verlauf der Mietzeit Kenntnis von einem Mangel erlange und dennoch den ungeminderten Mietzins über eine gewisse Zeit vorbehaltlos weiterzahle. Dasselbe Ergebnis sei nunmehr auch aus der entsprechenden Anwendung des an die Stelle des § 539 BGB a.F. getretenen § 536b BGB n.F. herzuleiten. Diese Frage sei zwar im Schrifttum und in der jüngsten Rechtsprechung der Instanzgerichte umstritten; auch spreche gegen eine analoge Anwendung des § 536b BGB n.F., daß nach der amtlichen Begründung, die die Vorschrift als abschließende Regelung für Fälle der vorliegenden Art ansehe, eine planwidrige Regelungslücke verneint werden könne und eine Analogie damit von vornherein ausgeschlossen sei. Die der Begründung zugrundeliegende Auffassung habe jedoch im Gesetzestext keinen hinreichenden Niederschlag gefunden und betreffe überdies nur einen relativ kleinen Teil der in der Praxis vorkommenden Fälle. Im übrigen sprächen sowohl die Vorschrift des § 536c BGB n.F., der ohne inhaltliche Änderungen an die Stelle des § 545 BGB a.F. getreten sei, als auch die Übergangsregelung des Art. 229 § 3 EGBGB, die für die große Zahl der Altfälle der vorliegenden Art keine Bestimmung enthalte, gegen die Annahme, daß es sich bei § 536b BGB n.F. um eine abschließende Regelung handele, die eine analoge Anwendung ausschließe.
Die tatsächlichen Voraussetzungen eines Minderungsausschlusses wegen längerer vorbehaltloser und ungeminderter Mietzahlung trotz Kenntnis von dem Mangel seien gegeben. Die angebliche Lärmbelästigung sei dem Beklagten bereits zwei Jahre lang bekannt gewesen, bevor er sich das erste Mal hierüber bei der Klägerin beschwert habe. Daß die Klägerin ab Juli 1997 nur noch die um 70 DM geminderte Miete eingezogen habe, sei unerheblich, da sie an die vom Beklagten erklärte Beschränkung der Einzugsermächtigung gebunden gewesen sei und ihrem Verhalten deshalb kein Erklärungswert zukomme. Das Minderungsrecht des Beklagten sei auch nicht aus anderen Gründen wieder aufgelebt; weder habe die Klägerin eine ausdrückliche Beseitigungszusage erteilt, noch hätten sich die den Mangel begründenden Umstände in der Folgezeit erheblich verändert.

II. 1. Für Fälle der vorliegenden Art hat der BGH in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, dass der Mieter das Recht zur Mietminderung wegen eines nachträglich eingetretenen oder ihm bekannt gewordenen Mangels der Mietsache in entsprechender Anwendung des § 539 BGB a.F. verliert, wenn er die Miete ungekürzt, über einen längeren Zeitraum und ohne Vorbehalt weiterzahlt; dabei kann eine Frist von sechs Monaten im Regelfall als „längerer Zeitraum“ angesehen werden. Der Verlust des Minderungsrechts gilt analog § 539 BGB a.F. auch für die weiteren Mietraten (zuletzt BGH, NJW-RR 1992, 267 = WM 1992, 583 [unter III 1]; NJW 1997, 2674 = NJWE-MietR 1997, 247 L = WM 1997, 2002 [unter 2a und b aa]; NJW 2000, 2663 = NZM 2000, 825 = WM 2000, 1965 [unter 3]. NJW-RR 2003, 727 = NZM 2003, 355, jew. m.w. Nachw.; vgl. RG, JW 1936, 2706 m. Anm. Roquette). Dieser Rechtsprechung haben sich die Instanzgerichte angeschlossen (z.B. OLG Naumburg, ZMR 2001, 617; OLG Hamburg, WuM 1999, 281 = ZMR 1999, 328; OLG Koblenz, NJOZ 2002, 2660 = ZMR 2002, 744; OLG Köln, ZMR 2001, 532 = DWW 2001, 274; OLG Frankfurt a. M., WuM 2000, 116; OLG Hamm, ZMR 2000, 93, u. MDR 1988, 410; OLG Düsseldorf, ZMR 1987, 329). Auch in der Kommentarliteratur hat sie einhellige Zustimmung gefunden (z. B. Blank/Börstinghaus, Miete, § 539 Rdnrn. 20, 21; Kraemer, in: Bub/Treier, Hdb. d. Geschäfts- u. Wohnraummiete, 3. Aufl., III. Rdnr. 1413; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 7. Aufl., § 537 Rdnr. 36; Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, MietR, 7. Aufl., § 539 Rdnrn. 29-41, jew. m.w. Nachw.; krit. dagegen Wichert, ZMR 2000, 65).

2. Für die Zeit bis zum In-Kraft-Treten des Mietrechtsreformgesetzes ist hieran festzuhalten. Von dieser Rechtsprechung geht an sich auch die Revision aus; sie meint jedoch, die bisher praktizierte analoge Anwendung des § 539 BGB a.F. sei im Hinblick auf die Neuregelung der §§ 536b , 536c BGB n.F. und das Fehlen einer Übergangsregelung jetzt auch für Altfälle nicht mehr gerechtfertigt. Insoweit komme allenfalls noch der Tatbestand der Verwirkung (§ 242 BGB) in Betracht. Das trifft nicht zu.
Das Mietrechtsreformgesetz ist am 1. 9. 2001 in Kraft getreten (Art. 11 ) und ist daher, soweit es nach seinem zeitlichen Geltungswillen das hier streitige Rechtsverhältnis erfasst, vom RevGer. zu berücksichtigen (BGHZ 9, 101 = NJW 1953, 941). Der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 3 EGBGB ist zu entnehmen (vgl. Begr. BT-Dr 14/4553, S. 75), dass der Gesetzgeber das neue Mietrecht - abweichend von dem in Art. 170 EGBGB zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken - grundsätzlich auf die vor seinem In-Kraft-Treten begründeten Verträge anwenden will (vgl. BGHZ 44, 192 [194] = NJW 1966, 155; BGHZ 10, 391 [394f.] = NJW 1954, 231). Dies kann jedoch nicht für die schon zuvor fällig gewordenen, als wiederkehrende Leistungen entstandenen einzelnen Mietzinsansprüche gelten, die durch Verlust des Minderungsrechts analog § 539 BGB a.F. der Höhe nach feststehen (vgl. BGHZ 10, 391 [394f.] = NJW 1954, 231, für geleistete Prämienraten). Auch soweit sie noch nicht erfüllt sind, leben die für diese Forderungen an sich bestehenden, analog § 539 BGB a.F. erloschenen Minderungsrechte nicht wieder auf. Auch die Übergangsvorschriften des Art. 229 § 3 EGBGB, insbesondere die in Absatz 1 genannten Tatbestände, lassen den Willen des Gesetzgebers erkennen, aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes die vor dem 1. 9. 2001 abgeschlossenen Sachverhalte von dem neuen Recht unberührt zu lassen.
Das LG hat daher zutreffend angenommen, der Bekl. habe für die Zeit bis einschließlich August 2001 sein Recht zur Minderung der Miete wegen der behaupteten Lärmbelästigung eingebüßt, weil er bereits seit der Jahreswende 1994/95 Kenntnis von diesem Mangel gehabt und dennoch bis Juni 1997 die Miete vorbehaltlos und ungemindert weitergezahlt habe. Die Feststellung des BerGer., wonach die tatsächlichen Voraussetzungen vorgelegen haben, die nach der bisherigen Rechtsprechung zu einem Ausschluss des Minderungsrechts führen, wird von der Revision nicht angegriffen.

III. 1. Für den Monat September 2001 hat der Bekl. jedoch entgegen der Auffassung des LG sein Recht zur Minderung der Miete nicht aus Rechtsgründen verloren. Insoweit kann die bisherige Rechtsprechung zur analogen Anwendung des § 539 BGB a.F. nicht mehr herangezogen werden, weil durch die Neuregelung des Mietrechts ihre Grundlage entfallen ist.
a) Mietzinsansprüche entstehen für jeden Monat (oder sonstigen Bemessungszeitraum) neu. Ab dem 1. 9. 2001 gelten deshalb, soweit nicht in Art. 229 EGBGB, insbesondere in Art. 229 § 3 , etwas anderes bestimmt ist - was hier nicht der Fall ist -, die neuen Mietrechtsvorschriften auch für bestehende Mietverhältnisse (vgl. o. II 2). Es stellt sich nunmehr die Frage, ob der Mieter wegen Lärmbelästigungen im Monat September 2001 - der Zeit, während der auch nach In-Kraft-Treten des neuen Mietrechts der Wohnwert seiner Wohnung gemindert gewesen sein soll - gem. § 536 I 2 BGB „nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten“ hat. Da § 539 BGB a.F. nicht mehr analog anzuwenden ist, könnte ein Rechtsverlust nur noch nach den Vorschriften der §§ 536b , 536c BGB stattfinden. Eine entsprechende Anwendung des § 536b BGB, der an die Stelle des § 539 BGB a.F. getreten ist, auf Fälle der nachträglichen Kenntniserlangung des Mieters vom Vorliegen eines Mangels ist nach der neuen Rechtslage aber nicht (mehr) gerechtfertigt, so dass der Mieter sein Minderungsrecht nach § 536 I 2 BGB geltend machen kann.
b) Die Frage, ob und inwieweit sich die Reform des Mietrechts auf die bisherige Praxis des Ausschlusses des Rechts zur Mietminderung auswirkt, ist allerdings im Schrifttum umstritten und höchstrichterlich bisher nicht beantwortet. Die bislang veröffentlichte Rechtsprechung der Instanzgerichte ist uneinheitlich. Die obergerichtliche Rechtsprechung und ein Teil der Literatur vertritt - wie im vorliegenden Fall das BerGer. - die Auffassung, dass die zu § 539 BGB a.F. entwickelten Grundsätze auch nach In-Kraft-Treten des Mietrechtsreformgesetzes für § 536b BGB gelten. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, ein entgegenstehender Wille des Gesetzgebers sei nicht eindeutig festzustellen. Überdies seien die in den Gesetzesmaterialien angeführten Bedenken gegen die bisherige Rechtsprechung nicht tragfähig und in den neuen Vorschriften nicht erkennbar zum Ausdruck gekommen; sie seien daher für den Richter nicht bindend. Die Praxis sei auf die Heranziehung der Leitlinien angewiesen, die der BGH zur Anwendung des § 539 BGB a.F. entwickelt habe und die sich bewährt hätten (so OLG Naumburg, NJW 2002, 1132 = NZM 2002, 251; OLG Dresden, NJW-RR 2002, 1163 = NZM 2002, 662; Eckert, NZM 2001, 409; Haas, Das neue MietR - MietRRefG, § 536b Rdnrn. 3, 4; Kossmann, Hdb. d. Wohnraummiete, 6. Aufl., § 64 Rdnrn. 9, 10; Lammel, WohnraummietR, 2. Aufl., § 536b Rdnrn. 19ff.; Sternel, ZMR 2002, 1 [2]; Timme, NZM 2002, 685 [687]; offen gelassen: KG, GE 2001, 1195 = ZMR 2002, 111).
Nach der Gegenmeinung muss die bisherige Rechtsprechung für die neue Gesetzeslage aufgegeben werden; jedoch soll auch nach dieser Ansicht ein Verlust des Minderungsrechts künftig möglich sein, allerdings nur unter den strengeren Voraussetzungen der Verwirkung (§ 242 BGB). Einigkeit besteht darin, dass der in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 536b BGB n.F. zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers nicht ignoriert werden könne (Blank/Börstinghaus, Neues MietR, § 536c Rdnrn. 8, 9; Palandt/Weidenkaff, BGB, 62. Aufl., § 536b Rdnr. 8; Eisenschmid, WuM 2001, 215; Kinne, GE 2001, 1105; Langenberg, NZM 2001, 212 [213]; Lützenkirchen, WuM 2002, 179 [187f.]; ders., Neue MietRpraxis, Rdnrn. 582ff.; Wichert, Anm. zu KG, ZMR 2002, 111 [114]).
2. Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Einer analogen Anwendung des § 536b BGB auf während der Mietzeit auftretende Mängel (§ 536c BGB) im Sinne der bisherigen Rechtsprechung steht der eindeutige Wille des Gesetzgebers des Mietrechtsreformgesetzes entgegen.
a) Ebenso wenig wie bei den Vorschriften der §§ 539 , 545 BGB a.F. lässt sich dem Wortlaut der Bestimmungen der §§ 536b , 536c BGB entnehmen, dass der Mieter sein Recht zur Minderung der Miete auch für die Zukunft verliere, wenn ein Mangel nach Abschluss des Mietvertrags oder Übernahme der Mietsache durch den Mieter eintritt oder wenn der Mieter von dem Mangel nachträglich Kenntnis erlangt und er dennoch über einen längeren Zeitraum die Miete ohne Vorbehalt und ungekürzt weiterzahlt. In § 536b BGB, der § 539 BGB a.F. entspricht, ist lediglich der Verlust des Minderungsrechts wegen eines anfänglich vorhandenen und bekannten - oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannten -, aber nicht gerügten Mangels geregelt. Hinsichtlich des nachträglich entstandenen oder bekannt gewordenen Mangels sieht das Gesetz in § 536c II 2 BGB ebenso wie in § 545 BGB a.F. nur vor, dass der Mieter solange keine Minderung verlangen kann, wie er die Mangelanzeige an den Vermieter unterlässt und der Vermieter infolgedessen keine Abhilfe schaffen kann. Daraus folgt, dass der Mieter von dem in § 536c II 2 BGB umschriebenen Zeitpunkt an zur Minderung berechtigt ist, solange der Mangel nicht beseitigt ist. Zahlt er dennoch zunächst über einen längeren Zeitraum und ohne jeden Vorbehalt die Miete ungekürzt weiter, kann er zwar - soweit ihm, wie im Regelfall beim heutigen Kenntnisstand der beteiligten Kreise anzunehmen, sein Recht zur Herabsetzung der Miete bekannt ist - die „Überzahlung“ nicht zurückfordern (§ 814 BGB). Der Gesetzestext schließt es aber nicht aus, dass er für die Zukunft immer noch mindern kann, ohne durch sein bisheriges Verhalten daran gehindert zu sein. Das ist beim anfänglichen Mangel anders, weil mit dem Unterlassen der rechtzeitigen Rüge das Minderungsrecht und alle anderen Gewährleistungsrechte des Mieters kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung endgültig verloren gehen.
b) Eine Analogie zu § 536b BGB in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung zu dem gleich lautenden § 539 BGB a.F. kommt nicht mehr in Betracht. Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält (vgl. dazu BGHZ 149, 165 174] = GRUR 2002, 238 = LM H. 9/2002 SortenschutzG Nr. 4; Larenz/Canaris, Methodenlehre d. Rechtswissenschaft, 3. Aufl. [1995], S. 194ff.; Canaris, Festschr.f. Bydlinski, 2002, S. 47 [82ff.]) und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (so zuletzt BGH, NJW 2003, 1932 = ZIP 2003, 1204 [unter II 2b bb]; vgl. auch BGHZ 105, 140 [143] = NJW 1988, 2734; BGHZ 110, 183 [193] = NJW 1990, 2546; BGHZ 120, 239 [252] = NJW 1993, 925; BGHZ 135, 298 [300] = NJW 1997, 2683). Die Lücke muss sich also aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem - dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zu Grunde liegenden - Regelungsplan ergeben.

Eine derartige Regelungslücke war aus den von der bisherigen Rechtsprechung des BGH angenommenen Gründen für die frühere Gesetzeslage zu bejahen. Sie ist jedoch bei der jetzigen, durch das Mietrechtsreformgesetz geschaffenen Rechtslage nicht mehr vorhanden. In der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 536b, der das Gesetzgebungsverfahren insoweit ohne Gegenäußerungen unverändert durchlaufen hat, heißt es ausdrücklich, dass - bewusst - „davon abgesehen (wurde), im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 536b BGB-E eine Regelung für den Fall zu treffen, dass der Mieter den Mangel erst nach Vertragsschluss erkennt und trotz Kenntnis des Mangels die Miete über einen längeren Zeitraum hinweg vorbehaltlos in voller Höhe weiterzahlt“ (BT-Dr 14/4553, S. 41f. = NZM 2000, 802 [812f.]). Sodann geht die Begründung auf die bisherige Rechtsprechung zur analogen Anwendung des § 539 BGB a.F. ein, die sie als nicht gerechtfertigt bezeichnet und der sie mit dem Hinweis auf die „als ausreichend und sinnvoll“ erachtete Regelung des § 545 a. F. und die „zusätzliche Handhabe“ der §§ 242 , 814 BGB zur rechtlich befriedigenden Lösung des Problems entgegentritt. Das Ergebnis dieser und weiterer Erwägungen wird schließlich dergestalt zusammengefasst („Somit gilt für Mängel Folgendes: …“), dass damit klargestellt wird, bei § 536c BGB solle es sich um eine abschließende Regelung für nachträglich sich zeigende Mängel handeln. Wie in der Begründung des Entwurfs weiter ausgeführt wird, werde dies im Gesetz dadurch zum Ausdruck gebracht, dass „die beiden Vorschriften anders als bisher unmittelbar nacheinander angeordnet worden sind und ihr Anwendungsbereich auch durch die Überschriften deutlicher gekennzeichnet ist“.

Da der Gesetzgeber das Problem erkannt und die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze erwogen, sich aber dennoch bewusst gegen eine derartige gesetzliche Regelung entschieden hat, bleibt für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke im Rahmen des § 536c BGB und die dadurch eröffnete Möglichkeit einer Analogie zu § 536b BGB kein Raum.

3. Da auf Grund des erklärten Willens des Gesetzgebers des Mietrechtsreformgesetzes, wie ausgeführt, eine planwidrige Regelungslücke für die hier zu entscheidende Frage nicht mehr angenommen werden kann und somit eine analoge Anwendung des § 536b BGB in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung zu § 539 BGB a.F. ausgeschlossen ist, kann der Mieter nunmehr - mangels einer entgegenstehenden Übergangsvorschrift - die Miete grundsätzlich auch wegen eines solchen Mangels (wieder) mindern, hinsichtlich dessen er nach altem Recht das Minderungsrecht für den früheren Mietzins verloren hatte (ebenso Lützenkirchen, WuM 2002, 179 [188]; ähnl. insoweit wohl auch Haas, S. 105 Rdnr. 6). Die Minderung ist nur noch unter den Voraussetzungen des ausdrücklichen oder stillschweigenden Verzichts (vgl. RG, JW 1936, 2706 m. Anm. Roquette; Senat, NJW 1974, 2233) oder des § 242 BGB, insbesondere der Verwirkung, ausgeschlossen (vgl. Palandt/Weidenkaff, § 536b Rdnr. 8), wobei die Umstände des Einzelfalls sowie die Person des Mieters - Mieter von Wohnraum oder geschäftserfahrener Mieter von Gewerberaum - durchaus von Bedeutung sein können.

IV. Eine abschließende Entscheidung der Frage, ob der Bekl. sein Minderungsrecht infolge Verzichts oder wegen Verwirkung für die Zeit ab 1. 9. 2001 verloren hat, und, falls dies zu verneinen ist, ob die behaupteten Lärmbelästigungen vorgelegen haben, ist dem Senat auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht möglich. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, soweit das LG ein Recht des Bekl. zur Mietminderung auch für die Zeit nach dem In-Kraft-Treten des Mietrechtsreformgesetzes am 1. 9. 2001 in entsprechender Anwendung des § 536b BGB verneint hat. In diesem Umfang ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das BerGer. zurückzuverweisen (§ 563 I 1 ZPO).