Bedeutung "salvatorischer Klauseln" im Rahmen von § 139 BGB
BGH, Urteil vom 24. September 2002 - KZR 10/01 -
Fundstelle:
NJW 2003, 347
S. auch die Anm. zu BGH NJW 2010, 1660
Amtl. Leitsatz:
Die weit verbreitete, in der Regel standardmäßig verwendete salvatorische
Klausel, nach der ein nichtiges Rechtsgeschäft auch ohne die nichtige Klausel
wirksam sein soll, entbindet nicht von der nach § 139 BGB vorzunehmenden
Prüfung, ob die Parteien das teilnichtige Geschäft als Ganzes verworfen hätten
oder aber den Rest hätten gelten lassen. Bedeutsam ist sie lediglich für die von
§ 139 BGB abweichende Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast; diese trifft
denjenigen, der entgegen der Erhaltensklausel den Vertrag als Ganzen für
unwirksam hält (Aufgabe von BGH, Urt. v. 8.2.1994 - KZR 2/93, WuW/E 2909, 2913 -
Pronuptia II).
Tatbestand:
Die Kläger sind Eigentümer einer Tennis- und Badmintonhalle in Ob., welche
sie bis Ende 1994 an eine GmbH verpachtet hatten, deren Gesellschafter und
Geschäftsführer ihre Ehefrauen sind. Zum 1. Januar 1995 pachtete der Beklagte
die Halle für zehn Jahre an. Er übernahm in dem "Mietvertrag" u.a. die
Verpflichtung, die Sportanlage an allen Wochentagen von 8.00 Uhr bis 23.30 Uhr
zu betreiben, detaillierte Geschäftsaufzeichnungen unter Hinzuziehung eines
Steuerberaters zu fertigen und den Klägern periodisch betriebswirtschaftliche
Auswertungen, Summensaldenlisten und Bilanzen vorzulegen. Außer dem "Mietzins",
dessen jährliche Anhebung bereits im Vertrag geregelt war,
hatte der Beklagte bestimmte Betriebskosten zu tragen. Ferner ist in § 7 des
Vertrages bestimmt:
"Mieter ist bekannt, daß Vermieter weitere Sportanlagen besitzt und diese
teilweise selbst betreibt, teilweise durch eine Betriebsgesellschaft betreiben
läßt. Mieter sichert zu, zum gemeinsamen Nutzen bei der Vermarktung der
Sportanlagen eng mit Vermieter zusammenzuarbeiten. Um sich zum Kunden hin
geschlossen zu präsentieren, ergeben sich folgende Notwendigkeiten:
1. Mieter wird unter dem Logo 'O.' arbeiten. Briefbögen und Werbeunterlagen wird
Vermieter dem Mieter zu Selbstkosten zur Verfügung stellen.
2. Die Kosten gemeinschaftlicher Werbungen ... werden im Verhältnis der
Nutzflächen der unter dem Logo 'O.' betriebenen Sportanlagen aufgeteilt.
3. Mieter wird die von Vermieter vor einem jeden Saisonbeginn vorgegebenen
Abonnement- und Einzelstundenpreise übernehmen. ... Ohne schriftliche
Zusicherung des Vermieters ist es Mieter untersagt, Rabatte an Abonnenten zu
gewähren. ...
...
5. Im Rahmen der gedeihlichen Zusammenarbeit sind Nachfrageüberhänge sofort dem
Vermieter zu benennen. Vermieter sichert zu, gleichermaßen
zu handeln und die unter dem Logo 'O.' auftretenden Betriebsgesellschaften
entsprechend gleichlautend zu verpflichten...."
§ 21 enthält folgende "Salvatorische Klausel":
"1. Sollte eine oder mehrere Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam oder
nichtig sein, wird die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt.
2. Die Parteien verpflichten sich, unwirksame oder nichtige Klauseln durch
rechtswirksame zu ersetzen, die dem wirtschaftlich Gewollten am nächsten
kommen. Das gleiche gilt, falls der Vertrag eine ergänzungsbedürftige Lücke
enthalten sollte."
Die in diesem Vertrag genannten anderen ’O.’-Tennishallen befinden sich
ebenfalls in Ob.. Betreiberinnen sind zwei Gesellschaften, an denen die Kläger
und ihre Ehefrauen beteiligt sind.
Die Kläger haben den Vertrag im Februar 1998 fristlos gekündigt, nachdem
der Beklagte sowohl mit den "Mietzinsen" als auch mit den Betriebskosten
in Rückstand geraten war. Mit der Klage verlangen sie von dem Beklagten
Zahlung der ausstehenden Beträge von insgesamt 67.919,78 DM. Dieser hat
hilfsweise mit einem Schadenersatzanspruch in Höhe von 120.000 DM wegen
angeblicher Täuschung über die Rentabilität der Anlage die Aufrechnung erklärt.
Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme entsprochen. Die
Berufung des Beklagten hat der Kartellsenat des Berufungsgerichts, an den die
Sache im zweiten Rechtszug abgegeben worden ist, zurückgewiesen. Mit der
Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an
das Berufungsgericht.
Dessen Auffassung, daß der "Mietvertrag" der Parteien
trotz der von ihm zutreffend als nichtig angesehenen Preisbindungsklausel in
§ 7 Nr. 3 mit Rücksicht auf die "Salvatorische Klausel" in § 21 des Vertrages
wirksam ist, liegt zwar auf der Linie des Senatsurteils vom 8. Februar 1994
(KZR 2/93, WuW/E 2909, 2913 - Pronuptia II); an dieser Rechtsprechung hält
der Senat indessen nicht fest. Bei Schaffung des § 139 BGB hat sich der
Gesetzgeber bewußt von der ganz herrschenden Auffassung im Gemeinen Recht
abgewandt, nach der die Nichtigkeit eines Teils eines Rechtsgeschäfts sich
nicht auf die übrigen Teile desselben erstrecken sollte (vgl. Dernburg, Die
Allgemeinen
Lehren des bürgerlichen Rechts, 1902, § 119 I S. 355; Enneccerus/
Nipperdey, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 13. Aufl., Bd. 1, § 189 IV 1
S. 615 Fn. 15). Während der Verfasser des Vorentwurfs zum Allgemeinen Teil
des BGB, Gebhard, in diesen Fällen eher zur Annahme einer Nichtigkeit des
gesamten Rechtsgeschäfts neigte (vgl. Schubert, Vorentwurf zum Allgemeinen
Teil, Bd. 2 S. 214 f.), wollte die I. Kommission dies nur dann gelten lassen,
"sofern
nicht erhellt, daß es (scil. das Rechtsgeschäft) auch ohne die ungültige
Bestimmung
gewollt sein würde" (Motive bei Mugdan I S. 475). Da "die Verbindung
für die innere Zusammengehörigkeit" spreche, im Einzelfall aber anderes
gewollt sein könne, hat der Gesetzgeber Veranlassung gesehen, durch den
jetzigen § 139 BGB "die Beweislage" zu regeln (Motive aaO).
Die weit verbreiteten, in der Regel standardmäßig verwendeten salvatorischen
Erhaltens- und Ersetzungsklauseln besagen danach - entgegen der
Ansicht des Berufungsgerichts - nicht, daß die von dem Nichtigkeitsgrund nicht
unmittelbar erfaßten Teile des Geschäfts unter allen Umständen - begrenzt allein
durch den ordre public - als wirksam behandelt werden sollen. Sie enthalten
vielmehr nur eine Bestimmung über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast
im Rahmen der bei § 139 BGB stets vorzunehmenden Prüfung, ob die
Parteien das teilnichtige Geschäft als Ganzes verworfen hätten oder aber den
Rest hätten gelten lassen. Während bei Fehlen einer salvatorischen
Erhaltensklausel
die Vertragspartei, welche das teilnichtige Geschäft aufrechterhalten
will, darlegungs- und beweispflichtig ist, trifft die entsprechende Pflicht,
wenn
- wie im hier zu entscheidenden Fall - eine solche Klausel vereinbart ist,
denjenigen,
der den ganzen Vertrag verwerfen will. Nur bei diesem Verständnis salvatorischer
Vertragsklauseln erhält der Gesichtspunkt die ihm zukommende
Beachtung, daß es auf die Bedeutung der nichtigen Bestimmung für den ganzen Vertrag ankommt, ob dieser auch ohne dieselbe noch eine sinnvolle und
ausgewogene Regelung der beiderseitigen Interessen enthält und deswegen
anzunehmen ist, er solle nach dem übereinstimmenden Willen beider Beteiligten
auch ohne die nichtige Bestimmung wirksam sein.
Diese Beurteilung salvatorischer Erhaltensklauseln entspricht nicht nur
der Rechtsprechung anderer Zivilsenate des Bundesgerichtshofs (Urt. v.
11.10.1995 - VIII ZR 25/94, LM Nr. 83 zu § 139 BGB; Urt. v. 4.12.1996
- VIII ZR 360/95, LM Nr. 85 zu § 139 BGB; Urt. v. 30.1.1997 - IX ZR 133/96, LM
Nr. 86 zu § 139 BGB; ferner OLG Stuttgart ZIP 1989, 60, 63 mit
Nichtannahmebeschluß
des Senats v. 10.10.1989 - KZR 26/88), sie wird auch ganz überwiegend
vom Schrifttum vertreten (grundlegend Flume, Das Rechtsgeschäft, § 32,
3 S. 575; Ulmer FS Steindorff S. 799, 804 f.; MünchKomm. z. BGB/Mayer-
Maly/Busche, 4. Aufl., § 139 Rdn. 5; Soergel/Hefermehl, BGB, 13. Aufl., § 139
Rdn. 36; Erman/Palm, BGB, 9. Aufl., § 139 Rdn. 10; zweifelnd nur Staudinger/
Roth, BGB [1996], § 139 Rdn. 22). Durchgreifende Gründe, für den
Anwendungsbereich
des GWB hiervon Ausnahmen zuzulassen, bestehen nicht.
Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Zugunsten des Beklagten konnte
lediglich als revisionsrechtlich richtig unterstellt werden, daß der
"Mietvertrag",
aus dem die Kläger ihre Ansprüche herleiten, ohne die nichtige Klausel des § 7
nicht geschlossen worden wäre. Ob diese Behauptung zutrifft, hat das
Oberlandesgericht in dem wieder eröffneten Berufungsverfahren zu klären.
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