Bedeutung "salvatorischer Klauseln" im Rahmen von § 139 BGB: Bloße Beweislastumkehr


BGH, Beschluss vom 15. März 2010 - II ZR 84/09


Fundstelle:

NJW 2010, 1660


Amtl. Leitsatz:

Eine salvatorische Erhaltungsklausel, mit welcher die dispositive Regelung des § 139 BGB wirksam abbedungen worden ist, schließt eine Gesamtnichtigkeit zwar nicht aus, führt aber zu einer Umkehrung der Vermutung des § 139 BGB in ihr Gegenteil. Die Nichtigkeit des gesamten Vertrages tritt nur dann ein, wenn die Aufrechterhaltung des Rechtsgeschäfts trotz der salvatorischen Klausel im Einzelfall durch den durch Vertragsauslegung zu ermittelnden Parteiwillen nicht mehr getragen wird.


Zentrale Probleme:

Nichts sensationell Neues, aber etwas Grundsätzliches: Die Vermutung der Gesamtnichtigkeit bei Teilnichtigkeit (§ 139 BGB) ist dispositives Recht. Sie gilt nicht, wenn der Vertrag eine sog. "salvatorische Klausel" enthält, wonach der Vertrag bei Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen im übrigen wirksam bleibt. Auch dann ist Gesamtnichtigkeit zwar nicht ausgeschlossen, die Beweislast für die Gesamtnichtigkeit liegt aber bei demjenigen, der sich darauf beruft. Die salvatorische Klausel schließt also Gesamtnichtigkeit nicht generell aus, s. dazu bereits BGH NJW 2003, 347 und BGH v. 4.2.2010 - IX ZR 18/09.

©sl 2010


Gründe:

[1] Die Beschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7, § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

[2] 1. Das Berufungsgericht hat die Feststellungsklage als unzulässig abgewiesen, weil für die Feststellung des vom Kläger behaupteten stillen Gesellschaftsverhältnisses das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse fehle. Eine künftige Rechtsbeeinträchtigung des Klägers sei ausgeschlossen, da der Gesellschaftsvertrag vom 23. Juni 1999 unstreitig nicht realisiert worden sei und das Landgericht Zahlungsansprüche bis Ende 2006 rechtskräftig abgewiesen habe. Diese Begründung steht im Widerspruch zu dem im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils dokumentierten streitigen Vortrag des Klägers und lässt erkennen, dass das Berufungsgericht ungeachtet der Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil das Vorbringen des Klägers bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen hat. Der Kläger hat mit Blick auf die in § 3 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages enthaltene Verpflichtung zur Beratung der Beklagten unter Beweisantritt vorgetragen, für den Geschäftsführer der Beklagten regelmäßig Beratungsleistungen erbracht zu haben. Es habe mehrere Gespräche pro Quartal in den Geschäftsräumen des Klägers gegeben, bei welchen Fragen der Unternehmensentwicklung und Präsentation besprochen worden seien. Als Ergebnis der Zusammenarbeit seien gemeinsame Entwicklungskonzepte erarbeitet und Angebote durch den Kläger an die Beklagte vermittelt worden. In den Jahren 2003 und 2004 hätten zahlreiche Verhandlungen und Besprechungen stattgefunden, seine Mitwirkungspflichten im Rahmen des Gesellschaftsverhältnisses habe der Kläger wahrgenommen. Damit war die unterbliebene Realisierung des Gesellschaftsverhältnisses entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts gerade nicht unstreitig.

[3] Auf diesem Gehörsverstoß beruht das angefochtene Urteil, weil nicht auszuschließen ist, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens des Klägers das Feststellungsinteresse bejaht hätte. Darauf, dass das Berufungsgericht zudem - wie der Kläger zu Recht rügt - in Art. 103 Abs. 1 GG verletzender Weise eine Überraschungsentscheidung getroffen hat (vgl. BVerfGE 107, 395, 410; BVerfG, ZIP 2005, 1850, 1852), indem es die Klage ohne den gebotenen Hinweis nach § 139 ZPO auf die für den Kläger nach dem Prozessverlauf nicht erkennbaren Bedenken gegen die Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens abgewiesen hat, kommt es danach nicht mehr entscheidend an.

[4] 2. Der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Denn die vom Berufungsgericht zur hilfsweisen Begründung der Klageabweisung angeführten Erwägungen zur Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages vom 23. Juli 1999 halten rechtlicher Prüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.

[5] a) Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Gesellschaftsvertrag vom 23. Juli 1999 sei als "bloßes gleichermaßen gesetzes- wie sittenwidriges Scheingeschäft" nach § 117 Abs. 1, § 134, § 138 Abs. 1 BGB nichtig, ist in tatsächlicher Hinsicht u.a. auf die Annahme gestützt, der Vertrag sei offensichtlich zu keiner Zeit in irgendeiner Form realisiert worden, und beruht daher ebenfalls auf dem bereits dargelegten Gehörsverstoß. Einen Sachverhalt, der es rechtfertigen könnte, von einer Sittenwidrigkeit des Gesellschaftsvertrages auszugehen, hat das Berufungsgericht nicht ansatzweise festgestellt. Soweit es davon ausgeht, dass der Gesellschaftsvertrag vom 23. Juni 1999 im Anschluss an die Vereinbarung zwischen dem Kläger und der P. GmbH vom 19. Januar 1996 darauf abgezielt habe, Gläubiger der Beklagten in rechtlich zu missbilligender Weise zu schädigen, handelt es sich um eine reine Vermutung des Berufungsgerichts, welche in dem Sachvortrag der Parteien keine Stütze findet und übergeht, dass es sich um zwei verschiedene Gesellschaftsverträge handelt.

[6] b) Eine Schenkung setzt nach § 516 Abs. 1 BGB die Einigung der Beteiligten voraus, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt. Unentgeltlich ist eine Zuwendung nur, wenn sie nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts von keiner auch von oder an einen Dritten zu erbringenden Gegenleistung abhängig ist, wobei die Leistung nicht geldwerter oder vermögensrechtlicher Art zu sein braucht (BGH, Urt. v. 28. Mai 2009 - Xa ZR 9/08, NJW 2009, 2737; v. 17. Januar 1990 - XII ZR 1/89, WM 1990, 856, 858; MünchKommBGB/J. Koch, 5. Aufl. § 516 Rdn. 24 f.). Mit der danach für die Annahme einer Schenkung maßgeblichen Frage, ob die Beteiligung des Klägers als stiller Gesellschafter an der Beklagten von den Parteien subjektiv als unentgeltliche Zuwendung gewollt war, setzt sich das Berufungsgericht nicht auseinander. Gegen die Unentgeltlichkeit spricht, worauf die Beschwerde zutreffend hinweist, bereits die in § 3 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages vereinbarte Verpflichtung des Klägers zur Beratung der Beklagten.

[7] c) Die aus § 125 Satz 1 BGB i.V.m. § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG resultierende Nichtigkeit der in § 2 Abs. 2 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages vom 23. Juni 1999 getroffenen Verabredung zur Abtretung eines Geschäftsanteils an der Beklagten führt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages.

[8] Die in § 16 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages vereinbarte salvatorische Erhaltungsklausel, mit welcher die dispositive Regelung des § 139 BGB wirksam abbedungen worden ist, schließt eine Gesamtnichtigkeit zwar nicht aus, führt aber zu einer Umkehrung der Vermutung des § 139 BGB in ihr Gegenteil (BGH, Urt. v. 6. April 2005 - XII ZR 132/03, WM 2005, 1291, 1293; v. 11. Oktober 1995 - VIII ZR 25/94, WM 1996, 22, 24). Die Nichtigkeit des gesamten Vertrages tritt nur dann ein, wenn die Aufrechterhaltung des Restgeschäfts trotz der salvatorischen Klausel im Einzelfall durch den durch Vertragsauslegung zu ermittelnden Parteiwillen nicht mehr getragen wird. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn nicht nur eine Nebenabrede, sondern eine wesentliche Vertragsbestimmung unwirksam ist und durch die Teilnichtigkeit der Gesamtcharakter des Vertrages verändert würde (BGH, Urt. v. 11. Oktober 1995 aaO).

[9] Einen der Aufrechterhaltung des Restgeschäfts entgegenstehenden Parteiwillen hat das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Vertragsauslegung begegnet vielmehr durchgreifenden revisionsrechtlich relevanten Bedenken, weil das Berufungsgericht einerseits den Wortlaut von § 2 Abs. 1 des Vertrages unzutreffend erfasst - "unwiderruflich" ist nicht die Befristung in § 2 Abs. 1 sondern die Vereinbarung zur Abtretung des Geschäftsanteils in § 2 Abs. 2 Satz 1 des Vertrages - und es andererseits den dem Wortlaut der Vereinbarung zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen nicht erschöpfend gewürdigt hat. Dem Zusammenspiel der in § 2 Abs. 1, § 2 Abs. 2 Satz 2 und § 12 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages enthaltenen Vertragsbestimmungen lässt sich entnehmen, dass die stille Gesellschaft nach den Vorstellungen der Parteien nur dann vor dem 31. Dezember 2010 aufgelöst werden sollte, wenn die für die Zeit nach dem 31. Dezember 1999 vorgesehene Übertragung des Geschäftsanteils an der Beklagten auf den Kläger dinglich wirksam geworden ist. Bis zur Erlangung der Stellung eines Gesellschafters der GmbH sollte es - von der erst Ende 2010 relevant werdenden Kündigungsmöglichkeit abgesehen - bei der Beteiligung des Klägers als stiller Gesellschafter an der Beklagten verbleiben. Die Kündigungsbestimmung in § 12 Abs. 1 des Vertrages zeigt zudem, dass die Parteien keineswegs mit einem zeitnahen Vollzug der Anteilsübertragung rechneten. Angesichts der unabhängig von der gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung auf eine längerfristige Beteiligung des Klägers abzielenden Intention der Parteien sowie der ausdrücklich vereinbarten salvatorischen Erhaltungsklausel spricht nichts dafür, dass die Gültigkeit des stillen Gesellschaftsvertrages ohne die nichtige auf die Übertragung des GmbH-Anteils gerichtete Vertragsklausel dem Parteiwillen widersprach.

[10] 3. Für das wieder eröffnete Berufungsverfahren weist der Senat darauf hin, dass ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO dann gegeben ist, wenn dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und wenn das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Bei einer behauptenden Feststellungsklage liegt eine solche Gefährdung in der Regel schon darin, dass der Beklagte das Recht des Klägers ernstlich bestreitet (BGH, Urt. v. 7. Februar 1986 - V ZR 201/84, WM 1986, 690; Zöller/Greger, ZPO 28. Aufl. § 256 Rdn. 7). Die Vielgestaltigkeit der sich möglicherweise aus dem behaupteten Gesellschaftsverhältnis ergebenden Rechtsfolgen schließt es entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung aus, den Kläger auf die Erhebung von Leistungsklagen zu verweisen.

[11] In der Sache wird das Berufungsgericht die in der Berufungsbegründung erhobenen Einwände gegen das Zustandekommen eines wirksamen stillen Gesellschaftsverhältnisses erneut zu prüfen und die hierfür gegebenenfalls erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.